
Wie ein Funke im Feuer
von
Kerstin Groeper
Seiten: (ca.) 473
Erscheinungsform: Neuauflage
Erscheinungsdatum: 9.2.2016
ISBN: eBook 9783956070648
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)
Autor

Die Black Hills 1790: Auf der Suche nach fruchtbaren Jagdgründen und einer neuer Heimat für ihr von feindlichen Überfällen und Hunger geplagtes Volk stoßen der stolze Lakota-Krieger Tanzt-im-Feuer und sein jüngerer Bruder Taschunka-ayuchtata auf eine geheimnisvolle Fremde. Um zu verhindern, dass das Mädchen ihrem Stamm von ihrer Anwesenheit berichtet, will Taschunka-ayuchtata sie töten. Doch Tanzt-im-Feuer rettet der schwer verletzten jungen Frau das Leben und überlässt sie ihrem Schicksal.
Zurück in seinem Dorf kann Tanzt-im-Feuer die mysteriöse Unbekannte nicht vergessen. Bis zu dem Tag, an dem sein Bruder mit einer Gefangenen von seinem Raubzug zurückkehrt, die dem Lakota nur allzu vertraut ist. Um Taischee vor einem Schicksal als Sklavin zu bewahren, begibt sich Tanzt-im-Feuer auf eine gefährliche Reise und stellt fest, dass er sich entgegen aller Vernunft in die schöne Cheyenne verliebt hat ...
Erleben Sie in Kerstin Groepers drittem Indianerroman große Gefühle, atemberaubende Spannung und prickelnde Leidenschaft.
Details
- Titel
- Wie ein Funke im Feuer
- Untertitel
- Eine Lakota- und Cheyenne-Odyssee
- Autor
- Kerstin Groeper
- Seiten
- 473
- Erscheinungsform
- Neuauflage
- Preis (eBook)
- 5,99 EUR
- ISBN (eBook)
- 9783956070648
- Sprache
- Deutsch
Leseprobe
Kerstin Groeper
Wie ein Funke im Feuer
Eine Lakota- und Cheyenne-Odyssee
Impressum
Copyright der E-Book-Originalausgabe © 2015 bei hey! publishing, München
Originalausgabe © 2012 bei Traumfänger Verlag, Hohenthann
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildung: FinePic®, München
ISBN 978-3-95607-064-8
Die Black Hills gehören uns.
Wenn die Weißen versuchen, sie uns wegzunehmen,
werde ich kämpfen.
Tatanka iyotake, Sitting Bull
Che sapa
(Black Hills um 1780)
Tanzt-im-Feuer atmete tief die würzige Luft ein, die nach Pinien roch und einen leichten Geschmack von Harz auf seiner Zunge hinterließ. Gleichzeitig bewunderte er die unberührte Schönheit des Tales, das sich vor ihm öffnete, und dessen Anblick ihn mit tiefer Ehrfurcht erfüllte.
Ein schmaler, schnell fließender Bach schlängelte sich durch die Lichtung, die ansonsten von hohen Pinien und sanften Hügeln gesäumt war. Die letzten Blätter der Espen, die sich zwischen die dunklen Pinien geschummelt hatten, leuchteten in einem satten Goldton, reflektierten die Strahlen der Sonne, die zu dieser späten Jahreszeit bereits an Kraft verloren hatten. An den Zweigen und Blättern glitzerten Eiskristalle, sodass Tanzt-im-Feuer seine Augen ein wenig zusammenkniff, um nicht geblendet zu werden. Der erste Raureif hatte sich über die silbergrauen Halme des hohen Grases gelegt, noch nicht als wärmende Decke, sondern lediglich wie ein feiner Schleier, der die Welt verzauberte.
„Hier wäre ein schöner Platz für unser Winterlager!“, hörte er die andächtige Stimme seines Bruders.
„Ja!“, seufzte Tanzt-im-Feuer aus tiefstem Herzen und dieses Seufzen drückte ihr ganzes Dilemma aus.
Endlos waren die Menschen seines Volkes nach Süden gewandert, immer weiter fort aus ihren Jagdgründen, in denen sie von Feinden überrannt worden waren. Mit seltsamen Waffen, aus denen Blitz und Donner kamen, waren Ojibwe und Cree über sie hergefallen und hatten ihre Dörfer zerstört. Sein Vater war jung gewesen, als sie bis zum großen Fluss vorgestoßen waren, doch auch dort warteten weitere Feinde auf sie: Palani, Omaha, Arikara oder Miwatani, nirgends waren sie sicher, stets mussten sie auf der Hut vor weiteren Angriffen sein.
Ihre Gruppe hatte daher beschlossen, den großen Fluss zu überqueren und dort nach neuen Jagdgründen zu suchen. Doch die endlose Prärie, die sich vor ihnen auftat, war fremd, der Boden ungeeignet für Ackerbau, außerdem fehlte es an Holz, um wie gewohnt ihre Dörfer zu errichten. Stattdessen trafen sie auf Tiere mit riesigen Hufen und schweren Köpfen, die drohend ihre Hörner gegen jeden richteten, der ihnen zu nahe kam. Es dauerte lange, bis sich die Mutigsten unter ihnen wagten, diese urzeitlichen Kolosse zu jagen, denn sie lebten in Herden, die eine unglaubliche Zerstörungskraft entfesselten, wenn sie sich angegriffen fühlten. Tatanka wurden sie genannt, die Wesen mit den großen Hufen! Einige Älteste erinnerten sich daran, dass es diese Tiere auch östlich des großen Flusses gegeben hatte, aber dort waren sie längst verschwunden. Ihr Volk nannte sich fortan „Oglala“, die sich selbst zerstreuen, weil sie als erste diesen neuen Weg gegangen waren. Inzwischen hatten sie sich diesem Leben ganz gut angepasst, fanden Freude darin, ihr Dorf nach Belieben zu verlegen und waren stolz auf den Jagderfolg, der ihr Überleben auch in den schweren Zeiten des Winters sicherte.
Tanzt-im-Feuer ließ die Herbststimmung auf sich wirken und genoss den Frieden, der sich mit der rötlichen Abenddämmerung über das Tal legte. Frieden! Seit sie den großen Fluss überschritten hatten, waren sie kaum noch auf feindliche Stämme gestoßen. Hier waren höchstens kleinere Jagdgruppen unterwegs, die keine ernstzunehmende Bedrohung darstellten. Ganz im Gegenteil! Die jungen Krieger machten sich einen Spaß daraus, ihren Feinden die Pferde zu stehlen!
Das Land lag brach vor ihnen, nur bewohnt von Kojoten, Klapperschlangen und ihren neuen Brüdern, dem Büffelvolk. Anstelle von rindenbedeckten Häusern lebten sie nun in Hütten, die mit Büffelhäuten bedeckt waren, einige waren sogar dazu übergegangen sich Zelte zu nähen, indem sie mehrere Felle zusammennähten und über lange Stangen zogen. Tanzt-im-Feuer fand das ganz praktisch, denn so ein Zelt konnte über lange Strecken transportiert und an dem neuen Lagerplatz wieder aufgebaut werden, selbst wenn es dort kein Holz gab. Tipi, hieß dieses neuartige Ding, übersetzt bedeutete es: sie leben darin. Es bot auf jeden Fall mehr Platz als die zugigen Weidenhütten, die sie sich sonst bauten.
Auf ihrer langen Wanderschaft nach Westen, immer den Herden der Büffel nach, waren sie im Sommer durch Gegenden gekommen, die selbst für Tiere unbewohnbar waren. Mako-schitsche nannten sie dieses Gebiet, das schlechte Land. Umso mehr hatten sie gestaunt, als sich vor ihnen plötzlich eine lang gezogene Bergkette erhoben hatte, dessen bewaldete Hänge ihnen Schutz und Nahrung versprachen. Bei den ersten Erkundungsritten entdeckten sie eine Vielfalt an Tieren und Pflanzen, die den Oglala als wahrer Überfluss erscheinen musste. Das Herz der Welt nannten sie die schwarzen Berge und allen war klar, dass hier der Ursprung allen Lebens sein musste. Diese Berge waren „wakan“, etwas Heiliges! Hier würden sie jagen und leben, unter dem Wohlwollen der Geister, die diesen Ort beschützten.
Die beiden Krieger hockten wie Statuen auf ihren Pferden, locker und entspannt, nur die Ohren der Pferde bewegten sich neugierig hin und her, als erforschten auch sie die neue Umgebung. Beide Männer trugen lange Wildlederhemden ohne jede Verzierung, an deren Schnitt noch die ursprüngliche Form der Tierhaut zu erkennen war. Dort, wo sonst die Beine des Tieres waren, verlängerte sich das Hemd nach unten und schlug locker um die Schenkel der Männer. Es überdeckte auf diese Weise den schmalen Gürtel, an dem die fransenbesetzten Leggins befestigt waren. Selbst der Lendenschurz, der zwischen den Beinen durchgezogen wurde, um die Lenden zu verdecken, war aus weich gegerbtem Leder, nun durch das lange Reiten abgewetzt und schmierig. An ihren Füßen trugen die Männer einfache Mokassins, ebenfalls ohne Verzierung. Beide Männer hatten das Haar offen, nur am Hinterkopf zu einem schmalen Zopf geflochten, in dem zwei Adlerfedern steckten, Zeichen dafür, dass sie Kundschafter waren.
Man erkannte auf den ersten Blick, dass es sich um Brüder handelte, so ähnlich waren sie sich. Der Jüngere hatte einen etwas verwegeneren Gesichtsausdruck, gerne kniff er die rechte Wange ein wenig zusammen, sodass sich sein Gesicht verschob, als ärgere er sich ständig über etwas. Der Ältere hatte ebenmäßige Gesichtszüge, eine gerade Nase und ruhige Augen. Er schien wesentlich ausgeglichener zu sein als sein jüngerer Bruder. Im Körperbau war er etwas kräftiger, hatte nicht mehr die schlaksige Gewandtheit des Jugendlichen, sondern die Spannkraft und Ausdauer eines erfahrenen Kriegers. Er zählte bestimmt schon zwanzig und fünf Winter, während sein Bruder höchstens zehn und acht Winter zählte. Ihre Ausrüstung bestand aus einigen Bündeln, die an dem indianischen Sattel befestigt waren, außerdem verwendeten die beiden schwere Büffelfelle als Satteldecken, die sie in der Nacht als Schlafdecken benutzen konnten oder zur Not als Regenumhänge.
Tanzt-im-Feuer folgte seinem Bruder, der die Initiative übernahm und seinem Pony ungeduldig die Fersen in den Bauch stieß. Sein Pony trottete dahin, suchte sich mit vorsichtigen Schritten einen sicheren Weg durch das knirschende Gras. Tanzt-im-Feuer ließ seine Blicke über das Tal schweifen, achtete kaum auf den Weg vor sich und genoss die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf seinem Gesicht.
„Wakta-yo!“ Pass auf!
Tanzt-im-Feuer war so in seinen Gedanken versunken gewesen, dass ihn der Warnruf seines Bruders wie ein Schock traf. Sein Blut zirkulierte schneller in den Adern und all seine Sinne waren plötzlich hellwach. Er folgte mit den Augen der Bewegung der Hand, die auf eine Spur in dem sonst unberührten Gras zeigte. Die Fußabdrücke eines Menschen! Mit einer fließenden Bewegung glitt er vom Pferd, um für einem möglichen Feind kein allzu leichtes Ziel zu bieten, während sein Bruder bereits den Bogen aus seinem Köcher riss.
Sie ließen ihre struppigen Pferde an Ort und Stelle zurück und folgten den deutlichen Fußabdrücken. Wachsam musterten sie die Umgebung, suchten nach irgendwelchen Anzeichen für die Anwesenheit von Menschen.
„Kein Rauch!“, signalisierte sein Bruder mit den Händen und Tanzt-im-Feuer nickte kurz. Also war ein feindliches Dorf nicht in Sichtweite zu vermuten. Sein Bruder bückte sich und untersuchte die Spur genau. Er tastete nach Rändern und versuchte abzuschätzen, wie groß die Person wohl war, die eine solche Spur hinterlassen hatte, und wie lange es her war, dass sie hier entlang gekommen war. Tanzt-im-Feuer schmunzelte über den Eifer seines Bruders. Seit ihm bei seinem letzten Erkundungsritt das Pferd weggelaufen war, versuchte er vergeblich diese Scharte in seinem Selbstbewusstsein wieder auszuwetzen. Auch, weil alle Leute immer noch lachten und ihn prompt mit einem neuen Namen versehen haben: Taschunka-ayuchtata, „der sein Pferd verliert“! Was für eine Blamage! Pferde waren kostbar, es gab immer noch Familien, die nicht einmal genug Pferde hatten, um ihren Hausrat zu transportieren und dazu ihre Hunde benutzten oder die Frauen mussten selbst ihre schweren Bündel schleppen. Ein Pferd durch Unachtsamkeit zu verlieren, war eine Schande ohnegleichen. Taschunka-ayuchtata hatte zähneknirschend das großzügige Angebot seines Bruders angenommen, ein Pferd von ihm zu reiten, und ansonsten geschworen, diese Schande durch großartige Taten auszumerzen. Tatsächlich wäre es eine größere Strafe gewesen, ihn zu Fuß laufen zu lassen, aber Taschunka-ayuchtata war ein hervorragender Späher und Tanzt-im-Feuer liebte seinen jüngeren Bruder. Mit ihm durch die unbekannte Bergwelt zu reiten war schön und er konnte sich auf ihn verlassen. Noch einmal würde seinem Bruder kein Pferd mehr davonlaufen und auch nachts würde er sich keine Blöße mehr geben und während der Wache einnicken. Allen jungen Männern passierte so ein Missgeschick höchstens einmal!
„Junger Mann oder Frau! Spur ist frisch!“, signalisierten die Hände seines Bruders und alarmiert horchte Tanzt-im-Feuer auf. Der Fremde war also noch in der Nähe! Im lockeren Dauerlauf folgten sie der Spur, nun höchst wachsam und mit ihren Bögen griffbereit in den Händen, den Pfeil bereits auf der Sehne. Die Strahlen der untergehenden Sonne tanzten durch die Zweige der Bäume und beiden war klar, dass sie bei Nacht dieser Spur nicht mehr folgen konnten.
Eine Elster flatterte plötzlich hoch, aufgeschreckt durch die beiden sich nähernden Krieger. Dann brach vor ihnen jemand durch die Büsche und verschwand wie ein aufgescheuchtes Reh in den Wald. Lange Zöpfe wehten um den Kopf der Gestalt und Tanzt-im-Feuer registrierte in seinem Jagdfieber wie nebenbei, dass er eine Frau vor sich hatte. Sie flüchtete zwischen die Pinien, schlug Haken und sprang geschickt über herumliegende Äste und Bäume. Außerdem war sie schnell!
Tanzt-im-Feuer spürte die Hitze des Laufens in seinem Körper aufsteigen, neben sich hörte er seinen Bruder keuchen. Gleichzeitig wunderte er sich, dass die Frau vor ihm nicht um Hilfe schrie. „Sie ist zu weit von ihrem Dorf weg!“, erkannte er scharfsinnig, fühlte wie er innerlich ruhig wurde. Sie mussten verhindern, dass diese Frau ihre Leute warnte, irgendwelche Feinde vielleicht ihr eigenes Dorf aufspürten und so zur Gefahr wurden. Seine Sprünge wurden länger, auch sein Bruder hielt locker Schritt, während sie die fremde Frau durch das Tal hetzten.
Schließlich verengte sich das Tal zu beiden Seiten und die Frau rannte auf eine Felswand zu, nicht ahnend, dass ihre Flucht dort zu Ende wäre. Sie tastete mit ihren Händen nach Ritzen und Spalten und versuchte verzweifelt sich nach oben zu ziehen. Offensichtlich hatte sie unterschätzt, wie nahe ihr die beiden Verfolger bereits gekommen waren. Ein Pfeil traf sie an der Schulter und mit einem Stöhnen sank sie zu Boden, ihre Beine plötzlich ohne Kraft. Zitternd drehte sie ihren Kopf zu den beiden Männern, blickte ihnen mit vor Schreck geweiteten Augen entgegen. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und ihre Haut wurde fleckig.
Tanzt-im-Feuer sah, wie sein Bruder nach seiner Keule griff und blieb abrupt stehen. „Hiya!“ Nein, brüllte er mit überschnappender Stimme, verhinderte im letzten Moment den tödlichen Schlag.
„Was?!“ Verblüfft drehte sich Taschunka-ayuchtata zu ihm um, die Waffe immer noch erhoben.
„Es ist doch nur ein Mädchen!“, erklärte Tanzt-im-Feuer mit einer verächtlichen Handbewegung.
„Na und! Denk doch an unser Dorf!“
Tanzt-im-Feuer biss sich auf die Lippen, als er an die Überfälle auf sein Dorf dachte. Sein Bruder hatte recht! So viele Krieger waren gestorben und Frauen und Kinder in Gefangenschaft geführt worden. Aber hier sollte alles anders werden, hier sollte Frieden herrschen! Und wie sollte das gelingen, wenn sie bereits den ersten Menschen, den sie hier überhaupt trafen, einfach töteten? Nein, dann wäre nichts anders. Alles wäre wie früher und Blut würde mit Blut gerächt werden. Es musste hier aufhören! Hier, bei diesem Mädchen, das nun zitternd vor ihnen kniete. Er sah mit einem Blick, dass sie schwer verletzt war und umriss die Situation in Gedanken, ohne auf die Argumente seines Bruders einzugehen. Das Mädchen war jung, vielleicht zehn und sieben Winter alt und in ihren Händen hielt sie immer noch ein Stück Leder, in dem sie anscheinend Kräuter gesammelt hatte. Einige waren herausgerutscht und er wunderte sich, dass ein Mädchen irgendwelche Kenntnisse von Heilkräutern hatte. Ihre schmalen Nasenflügel bebten, als sie viel zu schnell ein- und ausatmete und ihre geschwungenen Lippen wurden seltsam blutleer. Sie kniete dort, schmal und hilflos, und doch wunderschön. Erschöpft sank ihr Kopf gegen den kalten Felsen, dann flatterten ihre Augen und sie fiel in den schwarzen Nebel, der nach ihr griff. Tanzt-im-Feuer erkannte, dass sie zu schwer verletzt war, um sie mitzunehmen, gleichzeitig wusste er, dass sie verbluten würde, wenn er sie hier liegen ließ.
„Sammle Holz!“, bat er seinen Bruder.
„Was?!“ Vor Verblüffung wurden dessen Augen groß. „Wozu?“
„Sie wird erfrieren, wenn wir sie hier liegen lassen! Sammle Holz und mach ein Feuer, damit ihre Leute sie finden!“
Taschunka-ayuchtata machte eine kreisende Bewegung der Faust vor seiner Stirn, das Zeichen für „verrückt“, und fragte: „Sag mal, bist du völlig verrückt? Erst jagen wir sie, damit sie unsere Anwesenheit nicht verrät und nun warnst du ihr ganzes Volk? Willst du, dass wir an ihren Feuern gebraten werden?“
Tanzt-im-Feuer schmunzelte leicht, dann schüttelte er seinen Kopf. „Nein! Sie werden mit dem verletzten Mädchen beschäftigt sein. Wir haben genug Zeit, um zu verschwinden. Sammle Holz, während ich ihre Wunde verbinde! Dann holst du die Pferde!“
„Hohch!“ Der Tonfall seines Bruders zeigte wenig Begeisterung für diesen Plan, aber gehorsam bückte er sich nach einigen abgebrochenen Ästen, die überall auf dem Boden lagen.
Besorgt beugte sich Tanzt-im-Feuer über das fremde Mädchen und tastete nach dem Pfeil in der Schulter. Er brach ihn nur ab, damit er sie vorsichtig hinlegen konnte, ließ die Spitze aber stecken. Er hatte keine Zeit, ihre Wunde tatsächlich zu behandeln, sondern kontrollierte nur, dass sie nicht zu viel Blut verlor, ehe sie gefunden wurde. Sanft strich er über ihr zartes Gesicht, fühlte den kalten Schweiß und ihr flaches Atmen. Sein Herz krampfte sich zusammen, als ihm klar wurde, wie unüberlegt ihre Aktion gewesen war. Sie hatten auf ein wehrloses Mädchen geschossen, das vor ihnen geflohen war und sich nicht verteidigen konnte. Das war wahrlich keine tapfere Tat gewesen. Tanzt-im-Feuer riss sich von ihrem Anblick los und sprang auf, um ein paar Zweige von den Bäumen zu brechen. Wieder staunte sein Bruder. „Was machst du denn jetzt?“
„Ich lege sie auf ein paar Zweige, damit sie nicht auskühlt. Der Boden ist bereits gefroren.“
„Hohch! Warum bringst du sie nicht gleich in dein Tipi und legst sie auf ein warmes Bärenfell?!“
„Vielleicht tue ich das eines Tages!“, schoss Tanzt-im-Feuer zurück. Langsam ärgerte ihn das Getue seines Bruders.
Er schichtete die Zweige zu einem weichen Lager auf, dann hob er das Mädchen behutsam hoch und bettete sie möglichst bequem. Sie war so zart, so zerbrechlich und doch so weiblich, dass es ihm den Atem nahm. Ihre jungen Brüste zeichneten sich deutlich durch das Wildlederkleid ab, das sie trug, und er konnte es nicht lassen, ganz leicht, wie unabsichtlich, darüber zu streichen. Kurz fiel ihm der fremde Schnitt dieses Kleides auf, das wunderschön gearbeitet war. Zwei weich gegerbte Hirschhäute, die an den Schultern zusammengenäht waren. An ihrer Brust konnte man noch erkennen, wo der Schwanz des Hirsches gewesen war, denn er war als Verzierung in das entstandene Loch eingesetzt worden. Das Kleid war knöchellang, mit langen Fransen verziert. Ihm gefiel diese Art ein Kleid zu schneidern, denn sie unterschied sich von den Kleidern, wie sie die Frauen seines Volkes trugen. Fast tat es ihm leid, wie die wunderschöne Arbeit nun durch den Pfeil seines Bruders mit Blut besudelt wurde. Wieder strich er gedankenverloren über die langen Fransen und berührte dabei die kniehohen Leggins, die das Mädchen trug. Sie waren mit einem feinen Muster bemalt und der Form des schlanken Beines angepasst. Sein Bruder hatte die sanfte Geste gesehen und seine Augen funkelten, als er seinen Bruder deswegen neckte. „Vielleicht nimmst du sie doch mit?“
„Sie ist zu schwer verletzt“, wehrte Tanzt-im-Feuer ab, aber irgendwo klang Bedauern in seiner Stimme.
„Natürlich!“ Taschunka-ayuchtata nickte ein wenig zu übertrieben. „Du kümmerst dich nun wohl um alle feindlichen Frauen und Mädchen?“
Tanzt-im-Feuer schnalzte ungeduldig mit seiner Zunge. „Rede keinen Unsinn und mach endlich ein Feuer!“
Sein Bruder schüttelte verschmitzt seinen Kopf. „Ich hole lieber die Pferde, damit wir hier schnellstens verschwinden können. Ich möchte nämlich nicht von ihrem verärgerten Vater geröstet werden. Mach du das Feuer!“
Tanzt-im-Feuer deutete nachlässig auf die Abenddämmerung, die sich über das Land senkte. An vielen Stellen lag das Tal bereits im Tiefschatten und bald würde die Finsternis nach ihnen greifen. „Wenn wir uns nicht beeilen, kommt die Nacht und dann erfriert sie!“
„Gut! Besser sie, als wir!“, maulte sein Bruder. „Außerdem werden sie das Feuer bei Nacht besser sehen als am Tag. Also meckere nicht wie ein altes Weib!“
Wortlos beugte sich Tanzt-im-Feuer über die Zweige und holte aus seinem Zundertäschchen zwei Feuersteine sowie etwas trockenes Gras heraus. Im Nu hatte er ein Feuer entfacht und schob weitere Äste in das Feuer, damit man es weithin sah. Kurz fühlte er die angenehme Wärme in der frostigen Luft, dann kam bereits sein Bruder angaloppiert und warf ihm die Zügel seines Pferdes zu. „Schnell! Das Feuer leuchtet wahrlich weit genug. Ihre Leute werden bestimmt gleich hier sein. Noch können sie unseren Spuren folgen. Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee war, sie hierher zu locken!“
Tanzt-im-Feuer warf einen letzten Blick auf das Mädchen, dann galoppierte er seinem Bruder hinterher. Sein Herz war schwer, denn es ließ ihm keine Ruhe, sie so unbewacht zurückzulassen, auf Gedeih und Verderb dem Zufall ausgeliefert, dass jemand das Feuer sah.
Aber er hatte mehr für sie getan, als jeder andere getan hätte und es machte keinen Sinn, sein eigenes Leben oder das seines Bruders für ein unbekanntes feindliches Mädchen zu opfern. Ihr Volk hatte zu viel erlitten, als dass es auf zwei gute Jäger verzichten könnte. Jetzt mussten sie an ihre eigene Sicherheit denken und an das Fortbestehen ihres Volkes.
Sorgenvoll blickte er auf die deutliche Spur, die ihre Ponys für jeden sichtbar im Gras hinterließen. Selbst ein Kind wäre in der Lage, sie zu finden! Er überholte seinen Bruder und setzte sich wie selbstverständlich an die Spitze, während er überlegte, wie sie verschwinden konnten. Niemals durften sie jetzt auf direktem Weg in ihr Dorf zurück! Jetzt war Taktik und Können gefragt. Er wich nach Westen aus, folgte einem Wildwechsel tiefer in die Berge, dort wo die Geröllhänge ihre Spur verwischen würden. Sein Bruder versuchte, ihn mit einem Zuruf aufzuhalten: „Wenn Schnee fällt, werden wir in den Bergen eingeschlossen!“
Er hatte recht, aber Tanzt-im-Feuer wollte kein Risiko für sein Dorf eingehen. „Ich hoffe auf Schnee, dann wird er unsere Spur tarnen! Solange reiten wir hier kreuz und quer!“
„Wan! So viel Aufwand für eine Gefahr, die vielleicht noch nicht einmal existiert! Woher willst du wissen, ob die Feinde uns folgen?“
„Das weiß ich nicht! Aber wir wissen auch nicht, wer diese Menschen sind und wie viele in ihrem Dorf leben! Wir reiten erst zurück, wenn wir sicher sein können, dass uns niemand folgt!“
„Hohch!“, prustete Taschunka-ayuchtata entrüstet. „Wenn du so besorgt bist, dann sollten wir lieber ihr Dorf beobachten! Dann erhältst du Antworten auf deine Fragen!“
Tanzt-im-Feuer lachte schallend, dann nickte er anerkennend. „Eine gute Idee! Ich habe nur daran gedacht, unsere Spur zu verwischen, aber du siehst nach vorne. Wir sind Kundschafter! Wenn hier ein anderes Dorf ist, sollten wir das als Erste wissen.“
Taschunka-ayuchtata lächelte zufrieden. „So ist es. Außerdem wird es die Feinde verwirren, wenn unsere Spur zu ihrem Dorf führt.“
„Stimmt! Wo vermutest du ihr Dorf?“
Taschunka-ayuchtata wedelte überheblich mit seiner Hand. „Das Mädchen war zu Fuß! Und es wurde schon dunkel. Ich glaube nicht, dass sie vorgehabt hat, die Nacht im Wald zu verbringen. Ich vermute, dass ihr Dorf am anderen Ende des Tales liegt. Wir haben ihr wahrscheinlich den Fluchtweg abgeschnitten und sie in die Richtung fort von ihrem Dorf getrieben.“
„Das ist möglich. Also reiten wir in einem großen Bogen und versuchen, die Quelle des Baches zu finden. Die Berge werden uns verbergen. Außerdem werden die Feinde nicht damit rechnen, dass wir so frech sind, zu ihnen zurückzukehren!“
Ihr leises Lachen hallte von den Bergen, doch sie schienen nicht besorgt zu sein, dass irgendjemand es hören könnte. Kurze Zeit später schlugen sie ihr Lager unter einer riesigen Fichte auf, weil es einfach zu gefährlich war in der Dunkelheit weiterzureiten. Sie verzehrten etwas Dörrfleisch aus ihren Bündeln und wickelten sich in die warmen Büffelfelle. Die Pferde grasten in der Nähe, ihr leises Schnauben erfüllte die Nacht zusammen mit anderen Geräuschen. Die Männer achteten kaum darauf, konnten das leise Rascheln eines nächtlichen Jägers im Unterbewusstsein deuten. Kurze Zeit später schliefen sie tief und fest, hielten es nicht für nötig, in der unendlichen Einsamkeit der Bergwelt abwechselnd zu wachen. Selbst die Verfolger würden es nicht wagen, bei der Dunkelheit zu reiten.
Kurz vor der Morgendämmerung jedoch waren die beiden wieder auf den Beinen und setzten ihre Flucht oder auch ihren Angriff fort. So ganz konnte man nicht mehr unterscheiden, wer hier der Jäger oder der Gejagte war!
Tanzt-im-Feuer führte seinen Bruder in einem großen Bogen wieder an das Tal mit dem klaren Bach heran, kletterte gemütlich über Hügel und Berge, schlug kurze Haken und sah sich nach eventuellen Verfolgern um. Auf der Kuppe eines hohen Berges erblickte er die Schar der Verfolger, weit unten im Tal, vielleicht zehn Reiter, die sich an ihre Fährte geheftet hatten. Sie waren so winzig wie Ameisen, lagen mindestens eine halbe Tagesreise hinter ihnen. Er zeigte mit seiner Hand auf sie. „Sie reisen ziemlich schnell! Es muss ein großes Dorf sein, wenn sie zehn Männer ausschicken können, um uns zu jagen.“
„Ja, oder sie sind reichlich nachlässig und lassen ihre Frauen und Kinder ungeschützt zurück.“
Tanzt-im-Feuer wackelte nachdenklich mit seinem Kopf. „Das glaube ich nicht! Wir müssen vorsichtig sein, denn sie scheinen ziemlich wütend zu sein.“
„Vielleicht ist das Mädchen gestorben?“, folgerte sein Bruder ohne große Regung, doch das Gesicht von Tanzt-im-Feuer verdüsterte sich merklich. Mit zusammengebissenen Zähnen trieb er sein Pony den Hang hinunter und sein Bruder folgte ihm betreten.
Am Nachmittag erreichten sie tatsächlich über Umwege das wunderschöne Tal und kletterten mit ihren Ponys einen schmalen Grat hinunter. Sie waren auf der Hut, achteten auf jeden Schritt und sicherten wachsam die Umgebung. Sie blieben im Schatten der hohen Bäume, nutzten große Felsen als Deckung, doch dann lag das Dorf der Fremden vor ihnen.
Ihre Zelte und Hütten lagen tief im Tal an dem Bach verstreut, mindestens dreißig an der Zahl und Tanzt-im-Feuer zog überrascht die Luft ein. „Großes Dorf!“, signalisierte er mehr zu sich selbst, als zu seinem Bruder, so als müsste er die Nachricht erst einmal verdauen. Hier lauerte beträchtliche Gefahr.
„Welches Volk?“, fragten die Hände seines Bruders. Tanzt-im-Feuer zuckte ratlos mit den Schultern, konnte die Kleidung und die Form der Hütten nicht einordnen. Viele Familien hatten Tipis wie die Lakota, aber einige lebten in Hütten aus Ästen und Zweigen, die noch mit Grassoden und Erde bedeckt waren. Er schätzte die Kampfkraft des Dorfes auf mindestens zehnmal fünf Krieger und ein Schauer lief ihm über seinen Rücken, als er daran dachte, dass er ihnen vielleicht in die Hände fiel. Kurz überlegte er, in welcher Hütte wohl das Mädchen lag und ob es noch am Leben war. Sinnend blickte er auf das geschäftige Treiben im Dorf, wunderte sich über die Arglosigkeit dieser Menschen. Sie rechneten tatsächlich nicht damit, dass ihre Feinde umgekehrt waren, um sie zu beobachten.
Kinder spielten zwischen den Hütten, Frauen kehrten aus dem Wald mit Feuerholz zurück, ältere Männer saßen vor den Hütten und genossen die letzten schneefreien Tage vor dem Winter. In der Nähe graste eine große Pferdeherde und Taschunka-ayuchtatas Augen wurden rund vor Neid. „Gute Pferde! Wir sollten wiederkommen und sie uns holen!“, flüsterte er unternehmungslustig.
„Wie viele Männer willst du dafür opfern?“, holte ihn Tanzt-im-Feuer in die Wirklichkeit zurück. „Das Dorf ist zu groß!“
Taschunka-ayuchtata sagte nichts, doch wenn Tanzt-im-Feuer seine begehrlichen Augen gesehen hätte, dann hätte er vermutlich allen Grund gehabt, sich ernsthaft Sorgen zu machen.
„Hiyu-wo!“, befahl Tanzt-im-Feuer leise. „Folge mir!“
Mit größter Vorsicht umgingen sie das große Dorf, hofften darauf, dass keine Kinder oder Frauen plötzlich vor ihnen auftauchten. Sie blieben zwischen den Stämmen der hohen Fichten, doch das Tal war weit und bot viele Möglichkeiten unentdeckt zu bleiben.
Als sie eine ziemliche Distanz zwischen sich und dem fremden Dorf zurückgelegt hatten, saßen sie auf und erreichten nach einer Weile die Stelle, an der sie das verletzte Mädchen zurückgelassen hatten. Nur die Asche des Feuers und einige zusammengedrückte Fichtenzweige erinnerten an das Geschehen des Vortages. Schweigend ritten die Brüder daran vorbei, jeder mit anderen Gedanken, dann setzten sie sich auf die Fährte ihrer Verfolger.
„Und jetzt?“, fragte Taschunka-ayuchtata.
Tanzt-im-Feuer kicherte ausgelassen und deutete mit seiner Hand auf die Spur der zehn Reiter. „Wir folgen ihnen! Das wird sie völlig verwirren.“
Taschunka-ayuchtata fiel in das Gelächter ein: „Wir führen sie im Kreis herum! Keine schlechte Idee! Wir brauchen nur eine günstige Gelegenheit, die Spur zu verlassen, ohne dass man es sieht.“
Tanzt-im-Feuer hob den Blick und ruckte mit seinem Kopf in Richtung des wolkenverhangenen Himmels. „Wir bleiben in der Spur bis es schneit. Dann verschwinden wir und niemand wird uns folgen können.“
Wieder verbrachten sie die Nacht im Freien, hofften auf den Schneefall, doch sie mussten bis zum Nachmittag des nächsten Tages reiten, ehe der Riese im Norden ein Einsehen hatte und den ersehnten Schnee schickte. Taschunka-ayuchtata vermutete bereits, dass sie das Dorf ein zweites Mal erreichen würden und argwöhnte, ob ihnen die feindlichen Krieger nicht einen Trupp entgegenschicken würden.
Tanzt-im-Feuer befürchtete insgeheim das Gleiche, denn ein zweites Mal würden sich die Fremden nicht täuschen lassen. Als der Schneefall einsetzte, schwenkte er daher sofort in eine andere Richtung, nutzte das Geröll, auf dem sie gerade ritten, um eine weitere Verfolgung unmöglich zu machen. Ein versierter Fährtenleser würde auch unter dem Schnee in dem zerdrückten Gras eine Spur finden, aber nicht auf steinigem Boden.
Die beiden Männer nutzten nun die Satteldecken als Umhänge gegen den Schnee, während sie geduckt gegen den Wind auf ihren Ponys hockten. Bei Schnee zu reiten, war selbst Indianern zu kalt. Doch Tanzt-im-Feuer ließ keine Rast zu. Der Schnee würde alle Spuren zuwehen und so trieb er sein Pony unbarmherzig vorwärts. Dies war die Chance, auf die er einen ganzen Tag gewartet hatte und er würde sie nutzen. Er wechselte mehrmals die Richtung, ehe er wieder in einen Wald auswich, in dessen Schutz er die Nacht verbringen wollte. Sein Bruder hockte sich frierend unter einen Baum und schimpfte leise vor sich hin. Tanzt-im-Feuer fühlte sich genauso durchfroren, aber er sah davon ab, ein Feuer zu machen. Wenigstens hatte der Wind nachgelassen und der Schnee fiel in weichen, großen Flocken vom Himmel, legte sich als schützende Decke über das Land. Tanzt-im-Feuer breitete seine Satteldecke am Boden aus, dann rüttelte er seinen Bruder auf. „Komm, lass uns zusammen unter der Decke schlafen. Das ist wärmer.“
Wenig begeistert legte sich Taschunka-ayuchtata auf das Lager und überließ seinem Bruder einen Teil seiner Decke. Frierend drängten sie sich aneinander, suchten die Körperwärme des anderen. „Ein Mädchen wäre mir jetzt lieber!“, grummelte der Jüngere.
Tanzt-im-Feuer lachte erheitert, dann stupste er seinen Bruder in die Rippen. „Solange du kleine Mädchen mit deinen Pfeilen erlegst als wären sie Hirsche, wirst du keine auf dein Lager bringen!“
„Auf unsere Mädchen schieße ich ja nicht!“, verteidigte sich Taschunka-ayuchtata.
„Gut, dass du das noch unterscheiden kannst“, brummte Tanzt-im-Feuer, ehe ihm die Augen zufielen.
Sie brauchten gute drei Tage, um in ihr Dorf zurückzukehren. Der hohe Schnee machte ein Durchkommen manchmal fast unmöglich und Tanzt-im-Feuer wunderte sich über den plötzlichen Wintereinbruch. Nur weil sie die unwilligen Pferde manchmal mit Gewalt hinter sich herzogen, kamen sie überhaupt noch voran. Aber sie mussten das Winterlager erreichen, wenn sie nicht erfrieren wollten. Niemand, der nicht schon selbst kurz vor dem Erfrieren stand, kann die Erleichterung nachempfinden, die nach Tanzt-im-Feuer griff, als sie endlich die niedrigen Hütten und Tipis des Dorfes sahen, aus denen der heimelige Rauch der Feuer stieg.
Die Nachricht von einem feindlichen Dorf in den Bergen wurde allerdings mit großer Besorgnis zur Kenntnis genommen, vor allen Dingen, weil Tanzt-im-Feuer jenen Stamm noch nie gesehen hatte. Feinde, die man nicht einschätzen konnte, gaben Anlass zur Spekulation und Gerüchte machten die Runde.
Tanzt-im-Feuer dagegen war nur froh, endlich wieder im Warmen zu sitzen und ließ sich von seiner Mutter eine Schüssel mit dampfendem Essen geben. Seine Füße lagen in der Nähe des Feuers und er fühlte die angenehme Wärme in seinem Körper. Sein Bruder war schon wieder unterwegs zu seinen Freunden und prahlte von den Abenteuern, die sie erlebt hatten.
Tanzt-im-Feuer konnte darüber nur den Kopf schütteln, aber vor Urzeiten, als er genauso jung gewesen war, hatte er vermutlich ähnlich geprahlt.
Seine jüngere Schwester setzte sich mit scheuer Neugier in seine Nähe, hoffte offensichtlich auch eine spannende Geschichte aus seinem Mund zu hören. Sie trug ebenso wie ihre Mutter ein Kleid, das aus einer großen Haut gefertigt war und seitlich gefaltet wurde. An den Schultern wurde es von zwei Riemen gehalten, die jetzt im Winter von einem weiteren Fell verdeckt wurden, das die Frauen gegen die Kälte wie einen Poncho übergezogen hatten. Die dunklen Augen seiner Schwester blitzten erwartungsvoll, aber noch mehr amüsierte Tanzt-im-Feuer die Ungeduld seines Vaters, der seine Tochter tatsächlich mit einer kaum sichtbaren Handbewegung aufgefordert hatte, dem Bruder die Geschichte zu entlocken. Tanzt-im-Feuer kicherte in sich hinein, freute sich umso mehr wieder zuhause zu sein. Seine Eltern zu sehen und seine kleine Schwester, die sich vertrauensvoll an ihre Mutter kuschelte, machten alle Strapazen wieder wett. „Oh seht!“, schimpfte er zum Schein. „Meine kleine Schwester erdrückt ihre Mutter ja!“ Beschämt rückte das Mädchen etwas zur Seite, ohne den Blick von ihm abzuwenden.
Tanzt-im-Feuer lehnte sich bequem gegen eine Rückenstütze und kurz flammte die Erinnerung an seine andere Schwester in ihm hoch, die in etwa dem gleichen Alter gewesen war, als sie bei einem schrecklichen Angriff von den Arikara geraubt worden war. Sie war damals zehn und drei Winter alt gewesen, so wie seine jüngste Schwester jetzt. Lange hatten sie unter dem Verlust gelitten, immer wieder gebetet und die Geister befragt, ob sie wohl noch am Leben war, aber die undurchdringlichen Wälder des Nordens hatten sie einfach verschluckt. Wahrscheinlich war sie längst die Ehefrau eines Arikara Kriegers oder war an einen anderen Stamm getauscht worden.
Sein Vater hatte tapfer gekämpft, aber er hatte es nicht verhindern können, dass sein schreiendes Kind von einem halbnackten Krieger auf ein Pferd gezerrt worden war. Seit diesem Tag kämpfte er mit einer schweren Verletzung, die seinen linken Fuß lähmte. Nur mit Hilfe seiner Söhne war er noch in der Lage, seine Familie zu ernähren, aber seine Hände waren geschickt und so fertigte er scharfe Messer und Pfeilspitzen, oder wertvolle Bögen und Schilde. Er konnte humpeln oder auch reiten, aber zum Jagen reichte seine Kraft nicht mehr aus. Trotzdem hatte die Verletzung nicht seinen Lebensmut nehmen können. Seine anderen drei Kinder brauchten ihn und nun war er stolz auf seine mutigen Söhne. Zu sehen, wie sie ihren Platz im Volk einnahmen, erfüllte ihn mit Zufriedenheit. Sein Name war Mato-tschikala, kleiner Bär, aber dieser Name wurde selten gesagt. In seinem Dorf waren fast alle Menschen miteinander verwandt und nannten sich gegenseitig voller Respekt und Liebe mit ihren Verwandtschaftsbezeichnungen. Kleiner Bruder, großer Bruder, Onkel, Tante, Cousine, Vater, Mutter, etwas Anderes galt als unhöflich. Der Name hatte große Macht und ihn auszusprechen lockte vielleicht die bösen Geister an.
Mit einem lockeren Lächeln ließ sich Mato-tschikala auf seinen Platz fallen, mit seinen zehnmal vier und acht Wintern immer noch eine stattliche Erscheinung. Nur die tief liegenden, sorgenvollen Augen und ebensolchen Falten in seinem Gesicht zeugten von den Schicksalsschlägen, die sein Leben geprägt hatten. Mit einer fahrigen Bewegung strich er seine losen, bereits ergrauten, Haare zurück, die am Schopf mit einer zerfledderten Adlerfeder geschmückt waren, dann wiederholte er die Handbewegung, diesmal direkt an seinen Sohn gerichtet. Er hatte die gleichen ausgeglichenen Gesichtszüge wie sein älterer Sohn, während das Mädchen mit ihrer lebhaften Mimik ein Abbild von Taschunka-ayuchtata war. Sie hieß Taschina-luta, Rote-Decke, weil ihre Mutter sie nach der Geburt in eine rote Wolldecke eingewickelt hatte, die erste, die je einer von ihnen gesehen hatte. Mato-tschikala hatte sie von einem französischen Trapper eingetauscht, zusammen mit dem ersten Messer aus Metall. Selbst jetzt, nach zehn und drei Wintern war Mato-tschikala immer noch der einzige, der ein solches Messer besaß. Die rote Decke hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst, nur der Name war geblieben und einige zerschlissene Streifen mit denen das Mädchen ihre schwarzen Haare schmückte.
„Warum hat Taschunka-ayuchtata auf das Mädchen geschossen?“, fragte Taschina-luta ihre Mutter mit bebenden Lippen, stellte sich wahrscheinlich vor, dass auch sie einmal in solch eine furchteinflößende Situation kam. Sie vermied es, ihren Bruder direkt anzureden, obwohl die Frage eindeutig an ihn gerichtet war. Tanzt-im-Feuer seufzte laut, als er sich die Antwort überlegte. „Wahrscheinlich wollte er verhindern, dass sie um Hilfe rief und das ganze Dorf auf uns aufmerksam machte. Wenn der Pfeil ein wenig tiefer getroffen hätte, dann hätte er ihr Herz durchbohrt.“
„Und warum habt ihr sie nicht getötet?“, wunderte sich sein Vater.
„Wan! Sie wurde ohnmächtig und stellte keine Gefahr für uns dar. Wahrscheinlich wurde sie von ihren Leuten gefunden.“
Mato-tschikala senkte amüsiert den Kopf, denn er hatte die Geschichte ganz anders gehört. „Warum hast du dann ein Feuer gemacht?“, lockte er seinen ältesten Sohn aus der Reserve.
„Hohch! Mir war kalt!“, versuchte Tanzt-im-Feuer die Geschichte herunterzuspielen.
Taschina-luta glaubte ihm kein Wort. „Liebst du sie?“, fragte sie mit leuchtenden Augen, dann schlug sie sich erschrocken die Hand vor den Mund.
Seine Reaktion war so heftig, dass es ihm sofort leidtat, weil er sich so schlecht im Griff hatte. Was hatte dieses fremde Mädchen überhaupt mit ihm zu schaffen, wieso brachte es seine Gefühle so durcheinander? „Natürlich nicht!“, fauchte er viel zu laut. „Sie ist eine Feindfrau!“
Seine Mutter schlug vor Lachen die Hand vor ihrem Mund und auch sein Vater schien wenig überzeugt zu sein. Seine Mundwinkel zuckten vor Vergnügen, als er sich demonstrativ dem Feuer zuwandte und geschäftig darin herumstocherte. Es war längst an der Zeit, dass sein Ältester sich eine Frau suchte, aber dass ausgerechnet ein feindliches Mädchen dessen Herz berührt hatte, erfüllte ihn mit Sorge. Wer waren diese Fremden?
Nach den Beschreibungen seines Sohnes erinnerten ihre Bauten an die Dörfer der Miwatani oder Hidatsa, nur die Kleidung schien anders zu sein.
Cheyenne-Winter
Die Cheyenne hatten sich tatsächlich voller Wut an die Fersen der Fremden geheftet, doch als die Spuren zum Dorf zurückführten, hatten sie sich beträchtliche Sorgen gemacht, dass diese Feinde es doch auf Skalpe abgesehen hatten! Zu ihrer Verwunderung waren die Feinde vorsichtig an ihrem Dorf vorbeigeschlichen, nur um in ihrer eigenen Spur die Verfolger zu necken. Gebrochene-Pfeife, Anführer der Kriegsschar, ein Mann mittleren Alters mit hängenden Wangen und Tränensäcken unter den Augen, hatte darüber nur den Kopf geschüttelt und von einer weiteren Verfolgung abgesehen. Er trug einen beeindruckenden Kopfschmuck aus mehreren Adlerfedern und hatte sich die Stirn und Augenpartie schwarz bemalt. Er wedelte frustriert mit der Hand und schnalzte fast bewundernd mit seiner Zunge. „Lasst sie reiten! Wir holen uns nur kalte Füße, wenn der Schnee kommt. Die beiden sind ganz schön schlau! Sie werden noch ewig im Kreis reiten, bis sie sicher sein können, dass sie uns entwischt sind.“
Falke-am-Boden, ein Mann Mitte zwanzig, mit kühnen und kantigen Gesichtszügen, schüttelte entrüstet den Kopf. „Sie haben Taischeé schwer verletzt! Wir sollten sie nicht ungestraft entkommen lassen!“
„Du kannst ja weiterreiten! Ich sage, dass wir sie nicht mehr einholen werden. Ich glaube nicht, dass sie die Absicht hatten, jemanden zu töten. Wahrscheinlich haben sie Taischeé erschreckt und ohne nachzudenken geschossen. Sonst hätten sie kaum ein Feuer entfacht, damit wir sie finden. Ich reite zurück. Es ist besser im Dorf zu sein, wenn der Schnee kommt.“
„Ich denke, dass wir verhindern sollten, dass diese Feinde unser Dorf verraten. Jetzt sind es nur zwei. Vielleicht kehren sie mit vielen Männern zurück!“ Deutlich war die Kampfbereitschaft in der Stimme des Jüngeren zu hören und sein hochgewachsener Körper drehte sich in Richtung der Flüchtigen, als könne er es kaum abwarten, sie endlich aufzuspüren. Seine Nasenflügel bebten vor Ungeduld und sein Mund war zu einem schmalen Strich zusammengezogen.
Gebrochene-Pfeife dachte über diesen Einwand nach, dann nickte er zögernd. „Ein guter Rat! Wir werden Wachen aufstellen, damit wir gegen einen Angriff gewappnet sind.“
Falke-am-Boden zischte wütend durch die Zähne, sein Gesicht zeigte deutlich seine Missbilligung. „Warum brichst du die Verfolgung ab, wenn du die Gefahr erkennst?“
„Weil wir sie nicht einholen werden“, erklärte Gebrochene-Pfeife nüchtern. Er machte eine auffordernde Handbewegung und befahl damit den anderen ins Dorf zurückzukehren.
Alle dachten an das Mädchen, das schwer verwundet in ihrem Zelt lag und um ihr Leben rang.
Taischeé fühlte den pochenden Schmerz lange bevor sie tatsächlich aus ihrer Ohnmacht erwachte. Sie wehrte sich gegen das Erwachen, denn es brachte furchtbare Erinnerungen in ihr hoch. Sie wollte sich nicht erinnern und sie wollte diesen dumpfen, pochenden Schmerz nicht aushalten, der sich von ihrer Schulter strahlenförmig in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Wieder sah sie die beiden Männer vor sich, die erhobene Keule und die zusammengekniffenen Augen, in denen der deutliche Wille lag, sie zu töten. „Hiya!“ Immer noch dröhnte dieses eine Wort in ihrem Kopf, das über Leben und Tod entschied. „Hiya!“
Sie erinnerte sich an erschrockene Augen, die sich über sie gebeugt hatten und an sanfte Hände, die sie auf ein Lager gebettet hatten, ehe sie in das schwarze Schattenreich fiel. Warum hatte er sie nicht getötet? Oder war sie längst tot, und all das nur eine Täuschung? Noch hatte sie nicht die Kraft, ihre Augen zu öffnen. So versuchte sie mit ihren anderen Sinnen zu ertasten, wo sie war. Es roch nach Fleisch, nach Kräutern und jemand arbeitete leise neben ihr, in dem Versuch sie nicht zu stören. Sie ahnte die Anwesenheit ihrer Mutter und schluchzte auf, ließ ihre Angst und ihren Schmerz in dieser tröstenden Gegenwart heraus.
„Mutter!“
„Meine Tochter!“, hörte sie die beruhigende Stimme neben ihrem Ohr, gleichzeitig spürte sie die Hand, die sanft über ihr Gesicht strich. „Du hast so lange geschlafen! Wir dachten schon, dass du zu den Schatten gehst!“
Taischeé bemühte sich die Augen zu öffnen und blinzelte unter ihren langen Wimpern. Sie war daheim! Ihre Mutter kniete neben ihr, ihre immer noch rabenschwarzes Haar zu zwei festen Zöpfen geflochten. Sie trug ein locker geschnittenes Wildlederkleid, das ihren schlanken Körper weich umhüllte und ihr durchaus Bewegungsfreiheit ließ. Es war mit Erdfarben gelb gefärbt und hatte am Ausschnitt ein kleines Muster aus blauen Stachelschweinborsten. Es war nur eine winzige Borte, und doch verlieh es dem Kleid Anmut und Wert. Ihre Mutter hatte ewig daran gesessen die Borsten mit einem flachen Stein zu plätten, zu färben und in einer komplizierten Falttechnik auf das Kleid anzubringen. Sie trug den wunderschönen Namen Ménonéhné, was wörtlich übersetzt „Frau, die singend hereinkommt“ bedeutet.
Vorsichtig hob sie den Kopf ihrer Tochter, um sie an einer Schale mit Wasser nippen zu lassen. Ihre Züge waren kräftig, mit leichten Falten, die sich noch zu vertiefen schienen, als sie nach der Verletzung ihrer Tochter sah. Ihre hohen Lider öffneten sich voller Besorgnis, vermittelten den Eindruck von Klugheit und einem bedächtigen Wesen.
„Es tut so weh“, hauchte Taischeé fast unhörbar, hatte nicht die Kraft ihre Stimme zu heben.
„Du bist schwer verletzt! Ein Pfeil hat dich an der Schulter getroffen“, erklärte ihre Mutter in dem flüsternden Singsang der Cheyennesprache.
Taischeé nickte mit ihrem Kopf, obwohl dieses Nicken im Grunde nicht zu sehen war. „Da waren zwei Männer. Sie verfolgten mich. Der Jüngere wollte mich töten, aber der andere hat es verhindert. Mutter, ich hatte solche Angst!“
„Ich weiß, meine Tochter! Wir alle hatten Angst um dich. Aber nun wird es dir bald besser gehen.“
„Wie habt ihr mich gefunden?“, flüsterte Taischeé, denn plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie sich weit vom Dorf entfernt hatte.
„Die Männer, die dich verwundet haben, haben ein großes Feuer gemacht, damit wir dich finden.“
„Wirklich?“, fragte Taischeé verwundert. „Das macht aber keinen Sinn. Haben unsere Krieger sie denn nicht verfolgt?“
„Natürlich!“, kicherte ihre Mutter. „Aber die beiden haben unsere Krieger an der Nase herumgeführt und sind verschwunden.“
Taischeé schloss erleichtert die Augen und wunderte sich über ihre Gefühle. Warum nahm sie irgendwelchen Anteil an dem Schicksal dieser Feinde, die sie fast getötet hätten? Ihre Schulter schmerzte entsetzlich und eigentlich müsste sie froh sein, wenn die Skalpe dieser beiden Feinde an den Gürteln ihrer Krieger hingen. Warum hatten sie ein Feuer angezündet? Und warum hatte der eine der jungen Männer Mitleid mit ihr gehabt? Wieder hatte sie die beiden vor Augen, ihre muskulösen Körper, ihre Spannkraft, die Wildheit in den Augen des jüngeren Bruders. Brüder! Ja, das war es! Sie waren sich ähnlich, das konnte man deutlich sehen, und doch waren sie anders. Wieder schoss die Erinnerung an das ehrliche Entsetzen in den Augen des Älteren, der sich über sie gebeugt hatte, in ihr hoch. Er würde ihr niemals wehtun!
„Weißt du, von welchem Volk sie waren?“, fragte Ménonéhné.
Taischeé riss sich von ihren Gedanken los und versuchte, sich an irgendwelche Merkmale zu erinnern, die auf eine Stammeszugehörigkeit deuteten. „Nein! Aber einer von ihnen sagte ‚Hiya‘, um den andern zu hindern, mich zu töten!“
„Hiya?“, wiederholte ihre Mutter sinnend.
„Ja!“
„Es könnten welche vom Volk der Halsabschneider sein, aber ich habe noch nie gehört, dass sie so weit westlich leben.“
„Halsabschneider“, hauchte Taischeé ehrlich entsetzt.
Ihre Mutter lachte harmlos. „Ja, sie nennen sich selbst Lakota, Verbündete, aber ihre Feinde nennen sie Halsabschneider. Eigentlich leben sie auf der anderen Seite des großen Flusses, haben ihre Felder im Gebiet der großen Seen. Ist dir sonst etwas an ihnen aufgefallen?“
„Nein, im Grunde sahen sie aus wie unsere Männer. Sie trugen Adlerfedern im Haar und waren jung.“
Ihre Mutter zwinkerte vertraulich. „Vielleicht sahen sie auch gut aus?“
Taischeé lachte ein wenig, dann stöhnte sie, als der Schmerz wieder durch ihren Körper schoss. „Abgesehen davon, dass sie auf mich geschossen haben, sahen sie ganz gut aus.“ Es klang ziemlich patzig und doch freute sich ihre Mutter über diesen kleinen Ausbruch, denn er zeigte ihr, dass ihre Tochter bald auf dem Weg der Besserung sein würde. „Schlaf ein wenig! Mit jedem Tag wird es dir besser gehen.“
Taischeé nickte erschöpft ein und in ihren fieberhaften Träumen erschien immer wieder ein junger Mann mit erschrockenen Augen, der sie sanft auf den Händen trug.
Ihre Heilung brauchte viel Zeit. Es dauerte mehrere Tage, ehe sie in der Lage war, an einer Rückenlehne zu sitzen und einen weiteren halben Mond ehe sie zum ersten Mal ihre Behausung verlassen konnte. Den Arm immer noch in einer Schlinge ließ sie sich zum Bach führen, damit sie sich endlich gründlich waschen konnte. Ihre Mutter schrubbte sie mit Yukkaseife ein, wie in einer Zeremonie, während sie nackt im Schnee hockte und endlich all den Schweiß und Gestank ihrer langen Krankheit los wurde. Selbst ihre verfilzten Haare legte sie in das eisige Wasser und anschließend brauchte ihre Mutter eine Ewigkeit, um es zu kämmen und in feste Zöpfe zu flechten.
Sie lebte mit ihrer Mutter allein in der kleinen Hütte, denn Ménonéhné war eine Heilige Frau, eine Frau mit Kenntnissen über Kräuter und Heilkunst. Für kurze Zeit hatte sie sich dem Glück einer Partnerschaft hingegeben, aber nach dem Tod ihres Mannes bei einem Überfall der Crow hatte sie beschlossen, allein zu leben und ihr Leben dem Volk zu widmen.
Taischeé war ganz natürlich mit dem gleichen Wissen aufgewachsen, hatte ihre Mutter, kaum dass sie laufen konnte, beim Kräutersammeln begleitet. Die Männer des Dorfes hatten gewaltigen Respekt vor ihr, sodass bisher noch niemand gewagt hatte, um ihre Hand anzuhalten. Sie fragte auch nicht danach. Ihr war es genug, mit ihrer Mutter durch die Wälder zu streifen, in letzter Zeit auch oft genug alleine, um nach den verschiedenen Pflanzen zu suchen. Sie genoss die Einsamkeit und die Stille, lauschte auf den Gesang der Vögel oder das Röhren des Hirsches und wunderte sich manchmal über das sinnlose Geschnatter der anderen Mädchen in ihrem Dorf. Sie war es gewohnt, mit ihrer Mutter über ernste Dinge zu reden, über die Wirkung von Heilpflanzen oder die Auswirkungen des Mondes auf den Zyklus der Frauen. Oft saß sie still dabei, wenn ihre Mutter einen Kranken behandelte oder einer Frau bei ihren Beschwerden half. Sie bewunderte deren geschickten Hände, wenn sie einem Baby auf die Welt half und der werdenden Mutter die Schmerzen nahm. Sie wollte auch eine so gute Heilerin werden!
Seit Urzeiten war ihr Volk im Sommer zu diesen heiligen Bergen gezogen, erst im Herbst kehrten sie wieder in ihre Dörfer am großen Fluss zurück, um den Mais zu ernten, den sie im Frühjahr gepflanzt hatten. Doch die letzten Jahre waren schwer gewesen. Immer mehr Feinde hatten ihre Dörfer am großen Fluss errichtet, ebenso von ihren Feinden verdrängt. Ihr Volk war klein und so hatte es dem Druck nachgeben, sich hierher zurückgezogen, mitten in die Berge, in denen sie früher höchstens gejagt oder ihre heiligen Zeremonien veranstaltet hatten. Letztendlich hatte es sie gerettet, denn ihre früheren Feinde am großen Fluss waren durch seltsame Krankheiten schwer getroffen worden. Die Lebensgewohnheiten hatten sich geändert. Anstelle von erdbedeckten Hütten, lebten sie nun in Zelten, die mit Büffelfellen bespannt waren. Ihre neuen Feinde waren Crow, Kiowa und Pawnee, die ebenfalls in diesem wildreichen Gebiet jagten und ihre Dörfer entweder weiter westlich oder südlich aufschlugen. Nun weitere Feinde in ihrem Gebiet zu wissen, beunruhigte die Männer zutiefst.
Im nächsten Mond zeigte sich tatsächlich eine gewisse Nervosität und Wachsamkeit bei den Cheyenne, doch mit zunehmendem Wintereinbruch glaubte niemand mehr an einen Angriff. Der Schnee lag einfach zu hoch, als dass es irgendeinem Menschen möglich gewesen wäre, durchzukommen. Selbst die Cheyenne waren kaum noch in der Lage, ihr Dorf zu verlassen und so breitete sich winterliche Ruhe aus. Niemand ging mehr von einer Gefahr aus, solange der Schnee nicht schmolz und die Pässe wieder frei waren. Alle freuten sich, dass es Taischeé wieder besser ging, obwohl es fast den ganzen Winter dauerte, ehe die Wunde wirklich verheilt war. Besonders beim Gerben fehlte dem Mädchen die Kraft oder beim Holzsammeln. Sie blieb meist bei ihrer Mutter in der Hütte, half ihr beim Kochen oder Nähen, ohne die Schulter groß zu bewegen. Wahrscheinlich war es nur dem Wissen ihrer Mutter zu verdanken, dass die Wunde so gut heilte, vielleicht hatte sie aber auch nur Glück gehabt, dass kaum Dreck eingedrungen war. Schließlich erinnerte nur noch eine Narbe an den ausgestandenen Schrecken und die wiederkehrenden Alpträume in der Nacht. Sie redete viel mit ihrer Mutter über die Begegnung, sinnierte über das seltsame Verhalten der fremden Männer. Besonders die Wildheit des Jüngeren machte ihr immer noch Angst, denn sie erkannte instinktiv, dass er kein Mitleid mit ihr gehabt hätte.
„Junge Männer haben oft noch nicht die innere Ausgewogenheit“, erklärte ihre Mutter. „Das macht sie grausam und unüberlegt!“
„Sind unsere Männer auch so?“, fragte Taischeé.
„Oh ja! Aber, wenn sie erst ihren Mut bei irgendwelchen Kriegszügen abgekühlt haben, werden sie sanfter. Vielleicht schätzen sie dann das Leben mehr.“
„Schätzen Männer denn das Leben nicht?“, wunderte sich Taischeé.
Ihre Mutter blickte sinnend in das Feuer und überlegte sich ihre Antwort. „Männer sind anders. Sie haben andere Aufgaben und manche werden nie weise. Ich denke, dass es damit zu tun hat, dass sie kein Leben in sich tragen können. Wir Frauen haben ein Gespür für die Schönheit des Lebens, weil wir Leben schenken können. Männer sehen nur die Vergänglichkeit. Deswegen hat der Tod für sie auch keine solche Bedeutung. Sie töten, weil sie wissen, dass auch ihr Leben im gleichen Augenblick zu Ende sein kann, während wir an die Zukunft des Volkes denken.“
„Ich glaube, ohne Männer gäbe es keinen Krieg zwischen den Völkern“, erklärte Taischeé nüchtern.
Ménonéhné lachte amüsiert. „Vielleicht nicht, aber dann gäbe es auch keine Kinder und keine Hoffnung. Wir Frauen müssen sie immer wieder an die schönen Dinge im Leben erinnern. Das ist unsere Aufgabe.“
Ihre Tochter schnaubte empört. „Indem wir ihnen Kinder gebären, Brennholz sammeln, Kleidung herstellen und ihnen die Töpfe füllen? Ist das unsere Bestimmung?“
Ihre Mutter strich ihr sanft über die Wange. „Kind, du musst noch eine Menge lernen. Es gibt auch schöne Dinge zwischen einem Mann und einer Frau.“
„Warum habe ich das bisher nicht gespürt?“, wunderte sich Taischeé mit sehnsüchtigen Augen. „Bin ich anders als die anderen Mädchen?“
„Nein, aber du bist bereits weiser als die anderen Mädchen. Du ignorierst die Blicke der jungen Männer, weil sie im Grunde nur sich selbst sehen und noch nicht gelernt haben, auf die Wünsche oder Bedürfnisse einer Frau Rücksicht zu nehmen. Du bist bereits eine Frau, kein verliebtes junges Mädchen mehr. Eines Tages wird ein Mann kommen, der dies zu schätzen weiß. Warte nur ab!“
Taischeé senkte getröstet den Kopf und dachte über die Worte ihrer Mutter nach. Sie hatte recht! Wie sie das aufgeblasene Gehabe von Falke-am-Boden oder den anderen jungen Männern satt hatte! Sie verbrachten weit mehr Zeit ihre Haare zu flechten, als sie es tat. Sie schienen nur auf ihr Aussehen bedacht zu sein, und wie viele Mädchen ihnen nachschauten. Dabei würde doch eins durchaus reichen, wenn es die Richtige war. Nein, hier konnte keine zuverlässige Partnerschaft entstehen, keine Vertrautheit, keine Liebe! Diese jungen Männer liebten nur sich selbst, sonnten sich im Rausch der Gefahr oder versuchten, sich an Tapferkeit gegenseitig zu übertreffen. Selbst das Verführen von Mädchen schien nur ein Wettbewerb zu sein, mit dem sie protzen konnten. Taischeé ging ihnen aus dem Weg und konzentrierte sich auf die Worte ihre Mutter.
Der Winter war eine harte Zeit und bald wurden die beiden von anderen Sorgen abgelenkt. Die Winterkrankheit breitete sich aus, schwerer Husten plagte die Menschen und hohes Fieber, das ihre Mutter mit Kräutern und Tees zu lindern versuchte.
Die Nahrungsvorräte wurden knapp, wie jedes Jahr zum Ende des Winters hin. Zwar gingen die Krieger zur Jagd, doch noch konnten sie sich nicht weit vom Lager entfernen und die Gegend war überjagt. Alle hofften auf die Schneeschmelze und die Rückkehr der Zugvögel. Lawinen rollten zu Tale, machten die Berge zu einem gefährlichen Ort. Die Menschen magerten ab. Außerdem wurde die Nahrung einseitig, weil die getrockneten Früchte, Nüsse oder Prärierüben längst verzehrt waren. Selbst die Wildtiere waren ausgezehrt, eingefallene Flanken zeugten von der Not des Winters. Überall trieben Kadaver von Tieren in den Fluten der reißenden Flüsse, die den Winter nicht überstanden hatten. Krähen und andere Aasfresser lebten im Überfluss, während andere verzweifelt den matschigen Schnee beiseite scharrten, um an das verdorrte Gras zu kommen.
Die Vögel dagegen kehrten wohlgenährt aus den warmen Gefilden im Süden zurück, landeten platschend in den Flüssen und Seen oder bauten sich ihre Nester in den Wipfeln der Bäume. Nach der Ruhe des Winters erfüllte plötzlich Zwitschern, Kreischen und Schnattern die Luft, das die Menschen mit Freude erfüllte. Der Duft nach gebratenen Enten ließ einem den Speichel im Mund zusammenlaufen und erinnerte die Menschen an ihre knurrenden Mägen.
Gute Stimmung breitete sich aus und mit dem besseren Essen verschwanden auch die Krankheiten. Die Sonne gewann an Kraft, trotzdem brachte das wärmere Wetter erst einmal völliges Chaos. Der schmelzende Schnee verwandelte die Umgebung in eine Landschaft aus Sumpf und Matsch. Die Feuchtigkeit durchdrang jeden Winkel, schien sich selbst in den Schlaffellen und in der Kleidung festzusetzen.
Die Frauen fanden kaum noch trockenes Holz und brachen dazu die trockenen Äste der Fichten ab. Es qualmte, wenn man es entzündete, weil selbst das dichte Dach der oberen Zweige kein Schutz für die vordringende Nässe war. Die Menschen hatten ihre eigene Weise, damit umzugehen: Sie bewegten sich mehr und erreichten so, dass sich die Wärme in ihren Körpern ausbreitete. Krieger brachen im Dauerlauf zur Jagd auf, Frauen klopften Decken und Felle aus, huschten geschäftig zwischen den Hütten hin und her, Kinder machten ihre Wettspiele.
Unvermittelt wurde es warm. Der Boden saugte die Feuchtigkeit auf, grünes Gras schoss anscheinend über Nacht in die Höhe und an den Büschen entfalteten sich die Blätter. Nach einem weiteren Mond mit warmem Wetter waren die Wälder voller Waldbeeren, die von den Frauen eifrig gesammelt wurden. Der leicht saure Geschmack war eine Wohltat auf der Zunge, außerdem wussten die Menschen instinktiv, dass sie frische Früchte brauchten. Kichernd verteilten sich die Frauen und Mädchen in den Wäldern, füllten ihre selbst geflochtenen Körbe mit den köstlichen Früchten, die meist am gleichen Tag verzehrt wurden.
Taischeé vermied es, allein in den Wald zu gehen. Immer noch saß der Schreck in ihr und so hatte das Durchstreifen der Wälder seinen Reiz verloren. Irgendwie erschienen sie ihr nun dunkel und bedrohlich. Sie genoss das Beisammensein mit ihrer Mutter und lauschte auf deren Stimme, wenn sie ihr etwas erklärte. „Du kannst die Beeren auch trocknen und daraus einen Tee brühen!“
„Ah, hat der Tee eine Heilwirkung?“
„Ja, er reinigt den Magen und wirkt bei Blähungen! Babys vertragen ihn gut! Auch die Blätter sind gut! Der Tee hilft den Frauen bei der Geburt!“
Ihre Unterhaltung plätscherte dahin, während die beiden Frauen auf der Lichtung knieten und die Beeren sammelten. Taischeé hatte dazu ihr Kleid ein wenig hochgeschoben, um es vor der Feuchtigkeit des Bodens zu schützen. Ihre Knie schmerzten bereits und sie wusste, dass ihre Mutter mit ihrem Alter wahrscheinlich weit größere Schmerzen hatte. „Setz dich auf einen Stein und ruhe dich aus!“, meinte sie daher freundlich.
Mit einem erleichterten Seufzen richtete Ménonéhné sich mühsam auf und hockte sich auf einen großen Felsen, der mitten auf der Wiese lag, als hätte ihn eine Lawine oder das Hochwasser aus den Bergen bis hierher geschoben.
Taischeé beugte sich mit einem Lächeln über die kleinen Früchte und füllte weiter ihren Korb. Bald wäre es Zeit heimzugehen, und sie wollte ihn noch voll bekommen.
Eine feste Hand presste sich von hinten auf ihren Mund, zerrte sie hoch und ein Messer setzte sich an ihre Kehle. Ihre Hände griffen in völliger Panik nach dem Unterarm des Mannes, der sie gepackt hatte und dessen Körper sich an sie heranpresste. Alles war unnatürlich still, und sie wunderte sich, dass ihre Mutter nicht schrie. Das Messer drückte stärker gegen ihre Kehle, bohrte sich gegen ihre Halsschlagader und ihre Gegenwehr erschlaffte. Plötzlich waren vier weitere Männer in ihrem Gesichtsfeld und sie erkannte den Jüngeren wieder, der sie zu Beginn des Winters mit seinem Pfeil verletzt hatte. Die Halsabschneider waren wiedergekommen! Mit sichtlich zufriedenem Gesichtsausdruck musterte sie der junge Krieger abschätzend, dann machte er eine befehlende Handbewegung das wehrlose Mädchen zu fesseln.
Wo war der ältere Bruder? Der ruhige Krieger mit dem freundlichen Blick? Ihre Augen versuchten mehr von der Umgebung zu sehen, doch er war nicht da. Und sie war sich auch ziemlich sicher, dass es nicht der Mann war, der sie immer noch umklammert hielt. Dazu war er zu grob. Stattdessen blieben ihre Augen auf ihrer Mutter haften, die ebenso von einem Mann umklammert wurde, mit einem Messer an ihrer Kehle. Der Mann machte eine leichte Bewegung mit seiner Hand, deutete damit an, dass er sie töten wollte.
Taischeé blieb das Herz stehen. Nein! Nicht ihre Mutter! Sie durfte nicht sterben! Ein verzweifeltes Stöhnen stieg in ihr hoch und ihre Augen waren blank vor Angst. Nicht ihre Mutter! Sie fühlte kaum, wie ihre Hände auf den Rücken gefesselt wurden, all ihre Sinne galten der Szene, die sich einige Schritte entfernt vor ihr abspielte. Der jüngere Mann diskutierte mit schnellen Handbewegungen mit den anderen, während der Mann, der ihre Mutter bedrohte, wenig begeistert zu sein schien. „Zwei Frauen sind zu umständlich!“, las Taischeé voller Schrecken die Zeichen. „Diese hier ist zu alt!“
Taischeé merkte, wie Tränen in ihr hochstiegen und konnte sie nicht zurückhalten. Diese Männer entschieden über das Leben ihrer Mutter, als wäre sie ein Ding und kein lebender Mensch. Plötzlich benutzten sie keine Gestensprache mehr, sondern flüsterten in dieser Sprache, die Taischeé nicht verstand. Mehrmals hörte sie „hiya“ von dem Jüngeren und sein energisches Kopfschütteln gab ihr Hoffnung. Er wollte ihre Mutter offensichtlich nicht töten, obwohl sie nicht verstand, warum. Kurz lockerte sich die Hand auf ihrem Mund und sie ruckte ihren Kopf frei. „Hiya!“, bat sie mit tränenerstickter Stimme. Ein Knebel wurde dem Mädchen in den Mund geschoben und unterdrückte das hilflose Schluchzen. Der Jüngere musterte sie mit gerunzelter Stirn, sichtlich überrascht, dass sie ein Wort in seiner Sprache gestammelt hatte. Er schien die Situation zu überdenken, dann machte er eine Bemerkung, die anscheinend lustig war, denn die anderen kicherten unterdrückt. „Wir lassen die Frau hier zurück!“, machte er eine abschließende Handbewegung.
Ihre Mutter wurde gefesselt ins Gras geworfen und Taischeés Knie wurden schwach vor Erleichterung, kurz wallte die Dankbarkeit für den Jüngeren in ihr hoch.
Die Männer zerrten das widerstrebende Mädchen zwischen die Bäume und machten ihr mit Handzeichen klar, dass sie ihre Mutter doch noch töten würden, wenn sie sich nicht beeilte. Taischeé war so geschockt über diese erneute Drohung, dass sie widerstandslos mitlief, obwohl die gefesselten Hände einen ruhigen Dauerlauf unmöglich machten. Immer wieder überprüfte sie die Anzahl der Männer, hatte Angst, dass doch einer umkehrte und sich den Skalp ihrer Mutter holte.
Nach kurzer Zeit hatte Taischeé entsetzliches Seitenstechen, außerdem bekam sie mit dem Knebel im Mund nicht genügend Luft, um das schnelle Tempo durchzuhalten. Ihr wurde schwindelig und rote Lichter tanzten vor ihren Augen, ihre Schritte wurden zunehmend unsicherer. Zwei der Männer packten sie daraufhin rechts und links unter ihren Armen und schleiften sie weiter. Ihre gefesselten Hände brannten, außerdem hatte sie das Gefühl, dass ihre Arme aus den Gelenken kugelten. Wo war der ältere Bruder, der so sanft zu ihr gewesen war? Plötzlich sehnte sie seine Anwesenheit herbei, während ihr diese Männer mit ihrer Grobheit entsetzliche Angst machten. Wo wurde sie hingebracht?
Als sie schließlich die wartenden Pferde erreichten, war sie zu Tode erschöpft. Wie ein schweres Fell wurde sie kopfüber auf ein Pferd gelegt und mit einem Strick um den Bauch festgeschnürt. Ihre Hände und Arme wurden taub, dafür spürte sie ihre Rippen umso mehr und Übelkeit stieg in ihr hoch. Die Männer schlugen ein schnelles Tempo an, trieben dabei einige Pferde vor sich her, die sie offensichtlich ebenfalls geraubt hatten. Sie waren so mit ihrer Flucht beschäftigt, dass sie kaum auf das Mädchen achteten, dass auf dem Pferd durchgeschüttelt wurde und unter entsetzlichen Schmerzen litt.
Die Männer ritten durch einen schmalen Canyon, trieben dann ihre Pferde in einen Bach, dessen kiesigem Bett sie eine Weile folgten. Erst nach einer geraumen Weile kehrten sie im Wasser um, plantschen den ganzen Weg wieder zurück, ehe sie den Bach wieder verließen und einen Geröllhang hinaufkletterten. Taischeé rutschte auf dem Pony immer weiter nach hinten, nur noch von dem Strick gehalten. Mit ihren gefesselten Händen war sie nicht in der Lage, ihre Position zu korrigieren und sie stöhnte, als die Fesseln durch den Druck immer tiefer in das Fleisch schnitten. Das Pony machte bei dem steilen Aufstieg manchmal einen Satz, der weitere Schmerzen auslöste.
Das Pony kletterte den steilen Grad entlang und hatte nun selbst Probleme das Gewicht des Mädchens auszugleichen, weil es nur noch an einer Seite hing und drohte ganz herunterzufallen. Einer der Männer, der hinter der Gefangenen ritt, glitt schließlich von seinem Pferd und machte die anderen auf ihre missliche Lage aufmerksam. Mit einem Messer durchschnitt er den Strick und Taischeé plumpste hilflos auf den steinigen Boden.
Ein Würgen stieg in ihr hoch und Tränen traten in ihre Augen, als sie verzweifelt versuchte, das Erbrechen zu verhindern. Sie würde ersticken, wenn sie weiter den Knebel im Mund behielt. Sie raffte sich etwas auf, hoffte, dass der Mann ihre Not erkannte, dann drehte sich ihr Magen um. Sie fühlte, wie das Erbrechen in ihr hochstieg und konnte es nicht mehr unterbinden. Im letzten Moment wurde der Knebel entfernt und das Erbrochene kam wie ein Schwall aus ihrem Mund. Schweißgebadet brach sie zusammen, ihre Augen vor Erschöpfung geschlossen. Sie hörte die Stimmen der Männer, die über ihren Zustand berieten und offensichtlich nicht wussten, was sie mit ihr machen sollten. Ihre Atmung beruhigte sich und wieder wurde sie unter den Armen gepackt und hoch gezerrt. Ihr Stöhnen wurde dieses Mal von keinem Knebel mehr unterbunden, doch stieß es bei den Männern auf kein Mitleid. Sie hatten es eilig und die Gefangene erregte mit ihrem Verhalten höchstens ihren Unwillen. Nach kurzer Diskussion wurde sie wieder auf das Pony gesetzt, diesmal wenigstens in aufrechter Position.
Taischeé biss die Zähne zusammen, unterdrückte ihr Stöhnen, als die Fesseln an ihren wunden Handgelenken scheuerten, denn sie wollte die Männer nicht verärgern. Hauptsache sie hing nicht mehr kopfüber auf dem Rücken des Pferdes. Ihr Magen beruhigte sich langsam und sie versuchte, die Arme möglichst ruhig zu halten, damit die Fesseln nicht noch tiefer in ihre Handgelenke schnitten. „Maheo! Bitte hilf mir!“, betete sie zu ihrem Schöpfer, versuchte die Angst zu verscheuchen, um wieder klar denken zu können. Sie atmete tief und gleichmäßig die klare Luft ein, kam langsam wieder zu Kräften.
Ihre Lage besserte sich, denn sie konnte nun den Ästen ausweichen, die gegen ihr Gesicht zu schlagen drohten oder sie gab einen kurzen Druck mit ihren Schenkeln, damit das Pony nicht zu nah an einem Baum entlanglief. Endlich konnte sie sich ein wenig auf den Weg konzentrieren, den die Feinde nahmen, und über ihre Flucht nachdenken. Sie schimpfte über die Gerissenheit dieser jungen Männer, denn sie schlugen so viele Haken, dass es den Cheyenne unmöglich gemacht wurde, ihnen zu folgen. Sie kreuzten ihre eigene Spur mindestens zweimal, verloren auf diese Weise viel Zeit, aber verwirrten ihre Verfolger damit völlig.
Dann wurde es Nacht und die Feinde wechselten mehrmals scheinbar wahllos die Richtung, aber Taischeé merkte, dass diese Flucht durchaus klug geplant war. Diese Männer hatten vorgesorgt, sodass ihr Diebstahl ein Erfolg werden würde. Sie hatten sogar vorhergesehen, dass der Himmel in der Nacht klar war und das helle Licht des Vollmondes ihnen den Weg leuchten würde. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Männer den dunklen Wald verlassen und überschritten einen hohen Pass in den Bergen. Manchmal lag hier noch Schnee, aber selbst diese Tatsache war geeignet, die Sicht zu verbessern.
Die Männer hatten damit gerechnet, hier zu dieser Zeit zu reiten! Taischeé fröstelte, als der kalte Wind nach ihr griff. Ihr Wildlederkleid war warm, aber bei diesen Temperaturen hätte sie vermutlich noch unter einem Bisonfell gefroren. Ihre Zähne klapperten hörbar und ihre Lippen wurden blau.
Ohne Rast ritten die Männer weiter, gönnten sich selbst keine Pause und verzichteten auf wärmende Umhänge. Wachsam beobachteten sie die Landschaft. Hier auf dem Gipfel des Berges gab es kaum Deckung und das wussten sie. Niemand überraschte die Männer und erleichtert wandten sie sich dem nächsten Tal zu. Sie verschwendeten nun keine Zeit mehr eine falsche Spur zu legen, sondern beeilten sich, die schützenden Bäume zu erreichen. Kurze Zeit später erkannte Taischeé, warum sie es so eilig hatten, denn sie erreichten ein Jagdlager, das die Männer hier bereits auf dem Hinweg errichtet hatten. Es war fast nicht zu sehen: Ein Windschutz aus Zweigen, ein Stapel Feuerholz und einige Taschen mit Lebensmitteln, die umsichtig an einem Ast des Baumes festgebunden waren, damit kein Tier sie erreichen konnte. Einige Decken lagen einladend am Boden und eine erkaltete Feuerstelle zeugte davon, dass die Männer hier bereits gelagert hatten. Taischeé wurde unsanft vom Pferd gezogen und auf ein Fell geschubst, dann beschäftigten sich die Männer eingehend mit den erbeuteten Pferden. Ihnen widmeten sie weit mehr Aufmerksamkeit als dem gefangenen Mädchen und Taischeé atmete auf. Sie hatte Angst vor dem Moment, in dem die Männer endlich Zeit hatten, sich ihre menschliche Beute anzusehen. Mit dunklen Stimmen bewunderten die Männer die Pferde, dann näherten sie sich wieder dem Lager.
Taischeé rutschte ein Stück zurück, versuchte, sich diesen Männern zu entziehen, aber ohne Erfolg. Mit grinsenden Gesichtern nahmen die Feinde sie in Augenschein, betasteten ihr Gesicht und ihre langen Zöpfe, wobei sie anerkennend mit den Zungen schnalzten. Taischeé konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken, versuchte, sich wegzudrehen, irgendwie dieser Situation zu entkommen. „Hiya!“, flüsterte sie bittend. „Hiya!“ Nach einer kurzen Anweisung des Bruders ließen die Männer schließlich von ihr ab, flüsterten irgendwelche Scherze, die von leisem Gelächter begleitet wurden, und machten sich am Feuer zu schaffen. Einer der Männer, der sein Gesicht mit weißen Tupfen bemalt hatte, löste plötzlich ihre Fesseln und machte eine großzügige Geste, dass sie sich in den nahen Büschen erleichtern konnte. Taischeé war so überrascht, dass sie einen Augenblick lang befürchtete, dass er sie dort belästigen wollte, aber wozu sollte er sie dann losbinden? Unsicher stand sie auf, beobachtete argwöhnisch die anderen Männer, ob sie eine verdächtige Bewegung in ihre Richtung machten. Nichts geschah, und so massierte sie vorsichtig ihre Hände, versuchte, das Blut zum Zirkulieren zu bringen. Sie zischte, als ein unerträgliches Kribbeln durch ihre Arme schoss, während der Mann mit ausdruckslosem Gesicht neben ihr stand. Sie schwankte ein wenig, doch dann ging sie einige Schritte zwischen die Büsche, weil sie tatsächlich einen unerträglichen Druck auf ihrer Blase verspürte. Der Mann blieb, wo er war, beobachtete sie nur wachsam.
Sie hockte sich hin und ließ den Urin laufen, schämte sich ein bisschen, weil der Mann immer noch in ihre Richtung schaute und ganz offensichtlich ihre Not mitbekam. Der Strahl wollte nicht aufhören, andererseits atmete sie auf, dass der Mann wenigstens ihre Fesseln gelöst hatte. Sie ging zurück und ignorierte das dümmliche Grinsen, während sie nach einer Decke griff und sich damit einhüllte.
Er strafte ihren Hochmut, indem er den anderen von ihrem peinlichen körperlichen Bedürfnis erzählte. Er deutete einen imaginären Penis an und ahmte mit einem Zischen durch die Zähne an, was er vorher in den Büschen gehört hatte. Sein Kopf wurde röter und röter, als ihm die Luft bei dieser Demonstration ausging und seine Freunde kugelten sich vor Lachen.
Taischeé dagegen blieb die Spucke weg vor Wut, am liebsten hätte sie diesem Geck ein Messer ins Herz gestoßen. Gönnerhaft beugte er sich zu ihr hinunter und reichte ihr ein Stück Trockenfleisch. Sie bedankte sich mit einem freundlichen Lächeln, dann imitierte sie täuschend echt einen ebenso langen Furz. Herausfordernd schaute sie ihn an, erntete aber lediglich ein ausgesprochen gut gelauntes und wohlwollendes Lachen. Dieses Mädchen hatte Mut!
Hungrig biss Taischeé in das Fleisch, konnte es sich nicht erlauben, es abzulehnen, denn sie wollte bei Kräften bleiben. Sie konnte nicht wissen, wann die Männer das nächste Mal so großzügig sein würden. Außerdem hoffte sie auf eine Möglichkeit zu fliehen, wenn die Aufmerksamkeit der Männer nachließ.
Darin täuschte sie sich allerdings. Kaum hatte sie das Fleisch verzehrt, als ihre Hände wieder auf den Rücken gefesselt wurden. Sie wimmerte laut, weil sie hoffte, dass die Fesseln dann nicht so fest sitzen würden. Sie spielte das kleine Mädchen, drückte ein paar Tränen aus ihren Augen, die ihre Hilflosigkeit unterstreichen sollten. Wenig beeindruckt band der Mann ihre Füße an einem Baum fest, dann warf er eine Decke über ihren Körper. Die Männer waren müde und nutzen die verbleibenden Stunden der Nacht, um sich zu erholen. Sie dösten schnell ein, während einer am Feuer sitzen blieb und Wache hielt.
Taischeé war ebenso erschöpft, aber die unbequeme Lage verhinderte ein Einschlafen. Vorsichtig ruckte sie an den Fesseln, nutzte die Möglichkeit, dass unter der schweren Decke ihre Befreiungsversuche fast nicht zu sehen waren. Es brannte entsetzlich und sie fühlte, wie ihr Blut das Leder der Fesseln verschmierte. Trotzdem drehte und wendete sie ihre Hände, versuchte, das schmale Band durch Druck zu dehnen. Die Fesseln saßen tatsächlich locker und sie verstärkte ihre Bemühungen. Tränen des Schmerzes traten in ihre Augen, doch schließlich schaffte sie es, ihre schmale Hand durch die Fessel zu winden.
Einen Augenblick blieb sie bewegungslos liegen, ihre Lippen bebten vor Schmerz und sie fühlte sich elend. Es dauerte eine geraume Zeit, ehe sie die Augen öffnete und sich nach der Wache umsah. Plötzliche Angst erfüllte sie, was passieren würde, wenn die Männer ihren Befreiungsversuch entdeckten. Sie musste schnellstens verschwinden. Die Wache am Feuer schien zu dösen, aber sie konnte nicht erkennen, ob der Mann tatsächlich schlief. Vorsichtig krümmte sie sich zusammen, versuchte, näher an ihre gefesselten Beine zu rutschen. Die Wache rührte sich nicht. Sein Gesicht war dem schwach glimmenden Feuer zugewandt, nicht ihr. Unter der Decke tastete sie nach den Fußfesseln und knüpfte geduldig an den Knoten. Sie waren nicht besonders fest und sie hatte sich gehütet die Knoten durch unbedachtsame Bewegungen festzuziehen. Jetzt! Ihre Beine waren frei und sie versuchte, das heftige Klopfen ihres Herzens zu kontrollieren. Sie hatte die Befürchtung, dass allein ihr lauter Herzschlag die Männer wecken könnte. Ein verräterischer Schein am Horizont verriet ihr, dass es bald Morgen werden würde und sie nicht mehr viel Zeit hatte. Sie bewegte sich vorsichtig unter der Decke, schätzte ab, ob die Bewegung sie verraten würde. Der Mann am Feuer rührte sich nicht, schien tatsächlich zu dösen oder sogar zu schlafen.
Unendlich langsam rollte sie sich unter der Decke hervor, dann wartete sie ab, ob die Wache es bemerkt hatte, versteckte ihre Hände auf den Rücken, als ob sie noch gefesselt wären.
Mit einem Seufzen warf die Wache die Decke von den Schultern, stand auf und trat in ihre Richtung. Taischeé fühlte, wie der Schreck in ihre Glieder kroch. Gleich! Gleich würde er entdecken, dass sie sich befreit hatte! Völlige Panik griff nach ihr, als sie fieberhaft überlegte, was sie nun tun sollte. Gleich! Gleich würde er sie erreichen! Oh Maheo! Wieso ließ ihr Schöpfer sie im Stich? Wie ein aufgescheuchtes Reh hechtete sie hoch, gab dem verblüfften Mann mit ihren Händen einen kräftigen Schubs, dann rannte sie blindlings in den Wald.
Ein Warnruf erschallte, wütende Stimmen drangen an ihr Ohr, als sie mit Höchstgeschwindigkeit durch das Dickicht stürzte. Mit ihren Händen wehrte sie Äste ab, die ihr vor das Gesicht kamen und sie suchte mit hektischen Blicken nach einer Möglichkeit sich zu verstecken. Die Männer waren ihr dicht auf den Fersen und sie erhöhte ihre Geschwindigkeit. Nach kurzer Zeit brannten ihre Lungen, ihr Mund war weit offen, als sie in Todesangst nach Luft schnappte, während sie hören konnte, dass die Verfolger aufholten. Sie sprang über einen Baumstamm, dann rutschte sie auf dem taunassen Boden ein wenig aus. Das genügte!
Ein Mann erreichte sie, griff nach einem ihrer Zöpfe und schleuderte sie voller Wucht um sich herum. Taischeé kreischte vor Schmerz, griff mit ihren Händen nach ihrem Haar, dann krachte sie ungebremst gegen einen Baum. Die Luft ging ihr aus, Sterne tanzten vor ihren Augen, als alles um sie herum schwarz wurde. Ihr Körper rutschte an der rauen Rinde des Baumes zu Boden, schlaff und hilflos. Der Mann gab ihr verächtlich einen Tritt in die Seite, dann wartete er, bis die anderen ihn einholten. Sie waren sichtlich wütend, ärgerten sich über die Zeit, die sie mit diesem Mädchen vergeudeten. Ein Mann holte schließlich ein Pony und wenig einfühlsam warfen sie die lästige Gefangene wieder auf dessen Rücken. Trotz der blutenden Handgelenke legten sie ihr wieder Fesseln an, riskierten es nicht, dass sie ein weiteres Mal die Flucht ergriff.
Taischeé erwachte erst am Nachmittag des gleichen Tages, wurde von stechenden Schmerzen geweckt, die so schlimm waren, dass sie selbst den Nebel der Ohnmacht durchdrangen. Wieder lag sie quer über dem Pony, ihr Kopf baumelte nach unten und die stechenden Rippen nahmen ihr die Luft. Dicker Schweiß lag auf ihrem Gesicht, als sie versuchte, möglichst flach zu atmen und sie spürte, wie die Fesseln ihr die Handgelenke abschnürten. Sie konnte ein Stöhnen nicht mehr unterdrücken, konnte diese Pein keinen Augenblick länger aushalten. Nur nicht mehr auf diesem Pony liegen!
Stimmen drangen an ihr Ohr, aber sie hatte nicht die Kraft, den Kopf zu heben. Anscheinend hatten sie das Dorf der Fremden erreicht und sie hoffte nur noch auf einen gnädigen Tod, auf ein Ende dieser Qualen.
Endlich hielt das Pony an und kurz ebbte der Schmerz in ihrer Brust ab. Sie atmete einige Züge und versuchte, die roten Flecken vor ihren Augen zu vertreiben. Ihr Mund war trocken und wieder stieg Übelkeit in ihr hoch.
Sie wurde unsanft vom Pony gezogen und der plötzliche Druck auf ihre Beine, als sie den Boden berührten, ließ wieder die pulsierenden Wellen der Agonie durch ihren Körper jagen. Nur die Hände, die sie rechts und links unter den Armen gepackt hatten, verhinderten, dass sie in den Staub fiel. Fremde Menschen und Gesichter drehten sich im Kreis, als sie schwankend vorwärts gezogen wurde. Sie pfiff zwischen den Zähnen hindurch, während sie den Schweiß aus ihren Augen blinzelte. Dann blieb ihr Blick auf einem Gesicht hängen, das sich langsam aus der Menge löste. Da waren sie wieder! Die Augen, die so sorgenvoll auf sie geblickt hatten! Nur jetzt waren sie vor Wut zusammengekniffen. Der ganze Mann, der mit schnellen Schritten auf sie zukam, bebte vor Zorn. Mit heftigen Gesten schrie er auf sie ein, seine Stimme hatte nichts Sanftes mehr in ihrem Ausdruck. Taischeé war so entsetzt, dass sie ihre Schmerzen vergaß. All die Zeit, in der sie vielleicht auf sein Mitleid gehofft hatte, war vergebens gewesen. Hier gab es keine Hilfe! Sie war diesen Menschen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ihre Beine knickten weg und ihr Körper erschlaffte in den Händen ihrer Peiniger.
Tsistsistas
Tanzt-im-Feuer fing den zusammensinkenden Körper des Mädchens auf und nahm ihn behutsam in die Arme. Seine Stimme versagte vor Entsetzen zu einem Hauch, als er ihre völlige Erschöpfung spürte. „Was hast du getan?“, herrschte er seinen Bruder an.
Taschunka-ayuchtata zuckte mit den Schultern und antwortete mit einem herausfordernden Grinsen: „Den ganzen Winter hast du von ihr geträumt! Sie saß in deinem Kopf wie ein böser Geist. Also habe ich sie dir gebracht. Nimm sie auf dein Lager und vertreibe endlich den Geist in deinem Kopf!“
Tanzt-im-Feuer sammelte vor Wut die Spucke in seinem Mund, als er seinen Bruder mit Augen aus schwarzer Lava musterte. „Sie ist kein böser Geist! Sie sitzt nicht in meinem Kopf, sondern in meinem Herzen!“
Sein Bruder staunte über die offensichtliche Liebeserklärung und machte eine großzügige Geste zu dem Mädchen. „Nun habe ich sie dir gebracht! Mach mit ihr, was du willst!“
Tanzt-im-Feuers Stimme wurde zynisch: „Sehr gut, mich wundert, dass du es geschafft hast, sie lebend hierher zu bringen!“
Taschunka-ayuchtata versuchte, sich zu verteidigen: „Sie ist eine kleine Wildkatze! Wir haben sie gut behandelt, bis sie einen Fluchtversuch unternommen hat.“
„Schade, dass sie euch nicht entwischt ist!“, fauchte Tanzt-im-Feuer ungehalten.
„Du kannst sie ja wieder laufen lassen!“, höhnte Taschunka-ayuchtata. „Ich wollte dich von diesem Geist in deinem Kopf befreien. Mehr nicht!“
Tanzt-im-Feuer schluckte schwer, dann wurde seine Stimme leise vor Ärger. „Indem du das Mädchen misshandelst, das mir am Herzen liegt? Indem du sie halb tot hierher schleppst? Ihr wehtust?“ Ein furchtbarer Verdacht stieg in ihm hoch, als er seine Stimme hob: „Hast du jemanden in ihrem Dorf getötet?“
Sein Bruder machte eine abwehrende Handbewegung: „Nein, wir ließen ihre Mutter unverletzt zurück. Nichts ist geschehen. Wir haben nur einige Ponys geholt. Sonst nichts! Es war ein guter Raubzug!“
Tanzt-im-Feuer schwindelte vor Erleichterung, dann nickte er energisch, als er das Mädchen in seinen Armen musterte. „Gut! Sobald es ihr besser geht, bringe ich sie wieder zurück.“
„Was!?“ Sein Bruder riss vor Überraschung die Augen auf und einige ratlose Falten zeichneten sich auf seiner Stirn ab.
„Ich bringe sie zurück! Sie gehört nicht hierher. Und ich will nicht, dass sie traurig ist“, wiederholte Tanzt-im-Feuer ruhig, dann machte er eine eindeutige Bewegung zu dem Zelt, damit sein Bruder ihm den Eingang öffnete.
Mit seiner Last glitt er in das sanfte Halbdunkel, dann legte er sie auf das Lager seiner Schwester. Seine Mutter rutschte näher und betrachte verwundert das fremde Mädchen. „Wer ist sie?“, fragte sie leise.
„Das Mädchen, das wir im Herbst verletzt hatten. Mein kleiner Bruder macht sie mir zum Geschenk, damit ich sie endlich aus meinen Gedanken vertreibe.“
Seine Mutter lachte leise, dann zwinkerte sie gutmütig. „Warum bist du dann so wütend?“
Tanzt-im-Feuer antwortete nicht, sondern drehte den Körper des Mädchens auf die Seite, um ihre Fesseln zu lösen. Er schluckte schwer, als er ihre blutigen Handgelenke sah. Aber diese erklärten noch nicht ihre tiefe Ohnmacht. „Sie scheint verletzt zu sein. Kannst du nach ihr sehen?“
Seine Schwester rutschte neugierig näher und musterte die Gefangene eingehend. „Sie wird uns nicht mögen, wenn sie aufwacht!“, meinte sie altklug, als sie den schlechten Zustand der fremden Frau erkannte.
Tanzt-im-Feuer lachte dunkel, ließ die Anspannung aus seinem Körper. „Nein! Wahrhaftig nicht. Sie wird uns hassen.“
Er senkte den Blick, als seine Mutter das Mädchen aus ihrem Kleid schälte, obwohl seine Augen flüchtig ihre weiblichen Rundungen und ihre festen Brüste streiften. Sein Herz pochte plötzlich viel zu laut und eine ungewohnte Hitze stieg in seinem Körper auf. Zum Glück verdeckte nun seine Mutter den Blick auf das nackte Mädchen und er atmete tief ein, als er seine Gefühle kontrollierte. Seine Mutter interpretierte dieses Einatmen als Besorgnis und schüttelte bedächtig ihren Kopf. „Yun! Sieh ihre Rippen an! Sie scheinen gebrochen zu sein.“
Tanzt-im-Feuer warf einen kurzen Blick auf die bezeichnete Stelle und tastete nach der üblen Schwellung. „Scheint so“, meinte er betont unbeeindruckt. „Wird sie reiten können?“
„Vielleicht in ein paar Tagen. Wenn ein fester Verband sie stützt.“
„Gut!“, brummte Tanzt-im-Feuer und riss sich von dem Anblick des verletzten Mädchens los. „Ich gehe und schaue, welch hinkenden Gäule mein kleiner Bruder erwischt hat. Wahrscheinlich müssen wir sie alle schlachten, wenn er sie genauso schlecht behandelt hat wie diese Gefangene.“
Seine Mutter kicherte in sich hinein und winkte gutmütig. „Geh nur! Ich kümmere mich um sie. Ich werde einen Umschlag machen und die Hitze aus der Schwellung ziehen.“
„Gut! Und sieh nach ihren Händen!“
Mit einem Satz war Tanzt-im-Feuer auf den Beinen und huschte aus dem kleinen Zelt, das sie inzwischen zur Behausung hatten. Man konnte kaum darin stehen, aber im Winter war es warm gewesen. Seine Mutter hatte nun große Pläne. Nach der nächsten erfolgreichen Jagd wollte sie mit ihrer Tochter an einem größeren Zelt arbeiten. Sie hatte ein Schnittmuster entworfen, das sie ausprobieren wollte: mehrere Häute, die zu einer großen, halbkreisförmigen Plane zusammengenäht wurden, mit Flügeln an den beiden oberen Seiten, die später den Rauchabzug bildeten. Ihr kleines Zelt war bereits genauso geschnitten, hatte jedoch anfangs keine Flügel als Rauchabzug gehabt, was kein Problem für den aufsteigenden Rauch, aber ein großer Nachteil bei eindringendem Regen war. Erst mit den Flügeln für den Rauchabzug konnten sie das Zelt auch oben so verschließen, dass der Rauch hinaus, der Regen aber nicht hinein konnte.
Tanzt-im-Feuer schritt zur Mitte des Dorfes, wo sein Bruder immer noch bei seinen Freunden stand und die geraubten Pferde begutachtete. Tanzt-im-Feuer erlaubte sich ein gutmütiges Schmunzeln, als er das Gaunerstück seines Bruders bewunderte. Kein schlechter Coup! Aber musste er dazu unbedingt ein Mädchen entführen?
Taschunka-ayuchtata bemerkte seine Anwesenheit und zeigte ihm einen prächtigen Rotschimmel. Fast schuldbewusst hielt er seinem Bruder die Leine hin. „Nimm dieses Pferd, wenn dir das Mädchen nicht gefällt!“
Tanzt-im-Feuer seufzte laut, dann meinte er freundlich: „Sie gefällt mir, kleiner Bruder!“
Wieder riss Taschunka-ayuchtata die Augen auf, wusste überhaupt nicht mehr, was er davon halten sollte. „Warum willst du sie dann zurückbringen?“
„Weil ich nicht ein Leben lang ihre traurigen Augen sehen möchte. Du hast sie hierher gebracht und nun weiß ich, dass es ihr gut geht. Das hat mich den Winter über beschäftigt. Ich danke dir dafür. Aber ich möchte nicht, dass sie weint und traurig ist, also bringe ich sie wieder zurück. Hetschetu-welo!“
„Wenn sie dir so viel bedeutet, warum nimmst du sie nicht einfach zur Frau?“
Tanzt-im-Feuer lachte leise, dann meinte er herausfordernd: „Vielleicht tue ich das eines Tages, aber nur, wenn sie mich will!“
„Hohch! Wenn du sie zurückbringst, wirst du nie erfahren, ob sie dich vielleicht ebenfalls will, weil du dann nämlich tot bist!“
„Wahrscheinlich! Sage mir, kleiner Bruder, wie vorsichtig seid ihr auf dem Rückweg gewesen? Werden die Feinde euren Spuren folgen und unser Dorf entdecken?“
Sein Bruder prustete entrüstet die Backen auf über eine solche Frechheit. „Natürlich nicht! Wir sind verschwunden wie ein Adler im Flug. Niemand findet unsere Spuren.“
„Ihr hattet viele Ponys mit euch! Woher willst du das wissen?“
Die Augen seines Bruders funkelten herausfordernd: „Weil auch die Ponys Schwingen wie die Adler hatten und einfach mit uns geflogen sind!“
„Gut!“, lächelte Tanzt-im-Feuer. „Dann werden wir eure Rückkehr feiern und in ein paar Tagen reiten wir und bringen das Mädchen zurück.“
„Hohch!“, murrte Taschunka-ayuchtata. „Wie geht es ihr?“
„Ihr habt ihr ein paar Rippen gebrochen! Sehr mutig!“ Wieder wurde sein Ton ungewohnt scharf. Sein Bruder erwiderte nichts, sondern hielt ihm lediglich die Leine des schönen Rotschimmels hin. Tanzt-im-Feuer deutete diese Geste als Versuch der Wiedergutmachung. Sein Bruder hatte nicht wissen können, was er wirklich für dieses unbekannte Mädchen fühlte. Mit einem Nicken nahm er die Leine und bedankte sich: „Waschté!“ Es ist gut.
Die anderen Pferde wurden aufgeteilt, nur sein Bruder bekam keines. Aber er hatte seine Schuld gegenüber dem Bruder beglichen und seine Scharte ausgewetzt. Der Name blieb nun in leicht abgewandelter Form: Thoka-Taschunka-ayuchtata, der seinem Feind die Pferde losbindet! Meistens wurde das „thoka“ weggelassen, aber jeder wusste trotzdem, was gemeint war.
Tanzt-im-Feuer brachte sein neues Pony zur Herde am Fluss und bewunderte, wie es zusammen mit den anderen erbeuteten Pferden eine kleine Herde bildete. Sie waren wunderschön! Bunt gescheckt, mit stämmigen Beinen und ausdrucksvollen Köpfen. Eine wahre Pracht. Die Feinde würden nicht begeistert sein, auch wenn er ihnen zumindest das Mädchen zurückbrachte!
Er ging mit langen Schritten zu seinem Zelt und bückte sich hinein. Das fremde Mädchen lag unverändert auf dem Lager, nur mit einer leichten Hirschhaut bedeckt, die kaum etwas verbarg. Ihr Kleid lag ordentlich gesäubert neben ihr. Seine Mutter kam mit einer Schüssel Essen herein, hatte das Kochfeuer bei dem warmen Wetter ins Freie verlegt und somit im Tipi mehr Platz geschaffen. Er kostete genüsslich von dem Eintopf und deutete mit seinen Lippen auf das Mädchen. „Wie geht es ihr?“
„Ich habe ihr einen Tee eingeflößt und die Wunden behandelt. Sie wird bis zum Morgen schlafen.“
„Gut!“, brummte er mit vollem Mund.
In der Nacht wachten er und die Mutter abwechselnd am Lager des Mädchens, auch weil sie plötzlich Fieber bekam. „Das treibt die Krankheit aus ihrem Körper“, erklärte seine Mutter, als sie sein besorgtes Gesicht sah. Das Mädchen warf sich unruhig hin und her, schien von Alpträumen geplagt zu werden. Seine Mutter kühlte ihre Stirn mit nassen Lappen, ansonsten konnte sie nicht viel für sie tun.
Tanzt-im-Feuer saß in Gedanken versunken neben ihr, manchmal streichelte er ganz vorsichtig über ihre Konturen, stellte sich vor, wie es wäre, bei ihr zu liegen. In ihm glühte mindestens die gleiche Hitze wie in dem Mädchen.
Am Morgen starrte sie ihn mit großen verwirrten, fast panischen Augen an und klammerte sich an der Decke fest, als hätte sie Angst, dass er jeden Augenblick über sie herfallen könnte. Er machte eine beruhigende Handbewegung und murmelte: „Ich tue dir nicht weh!“
Sie verstand ihn natürlich nicht, aber die Zeichen seiner Hände waren hoffentlich deutlich genug. Sein leises Murmeln weckte auch die anderen Bewohner des Zeltes, die sich verschlafen aufrichteten. Sein Bruder kroch nur mit seinem Lendenschurz bekleidet neben ihn und musterte das Mädchen. Ihre Reaktion schockierte Tanzt-im-Feuer, denn ihre Lippen zitterten plötzlich unkontrolliert und ihre Augen waren weit vor Furcht. Sie hatte Todesangst!
Mit einer hastigen Bewegung seines Kopfes verscheuchte er seinen Bruder, während er selber ein wenig zurückwich, um ihr mehr Sicherheit zu geben. „Wir tun dir nicht weh!“, wiederholte er behutsam seine Handzeichen. Dann zeigte er auf seine Mutter, die abwartend hinter ihm aufgetaucht war. „Meine Mutter“, erklärte er mit einem Lächeln. „Das ist meine kleine Schwester und mein Bruder“, stellte er seine Familie vor, versuchte einen kleinen Witz, indem er zu dem Zeichen „kleiner Bruder“ noch die Geste für „wild“ machte. Wörtlich sagte er somit: „Mein kleiner, wilder Bruder!“
Ein tiefes Schluchzen stieg in dem Mädchen hoch und Tränen liefen plötzlich über ihr Gesicht, sodass er völlig entsetzt über ihre seelische Verfassung war. Schützend warf sie ihre Hände vor das Gesicht und versuchte so, ihr Leid vor der Welt zu verstecken. Tanzt-im-Feuer biss sich auf die Lippen, als er darüber nachdachte, wie er sie beruhigen konnte. Auch sein Bruder war ehrlich betroffen und schüttelte betreten den Kopf.
„Geh raus!“, bat Tanzt-im-Feuer und hoffte, dass das Mädchen sich dann erholen würde. Er warf seiner Mutter einen hilflosen Blick zu und verließ ebenfalls das Zelt. Vielleicht wäre es besser, wenn sie versuchte, mit dem Mädchen zu reden.
„Was ist noch passiert!“, herrschte er seinen Bruder an, der betreten vor dem Eingang des Zeltes stand.
„Nichts!“, beteuerte Taschunka-ayuchtata. „Wir haben sie gefesselt, das ist wahr. Aber wir haben sie nicht angerührt.“
„Wieso hat sie dann gebrochene Rippen?“
„Sie hat versucht zu fliehen! Sie hat sich von ihren Fesseln befreit und ist in den Wald gerannt! Schota-sapa, Schwarzer Rauch, hatte Wache und hat ihr sofort nachgesetzt. Er packte sie an ihren Zöpfen und wirbelte sie gegen einen Baum. Was hätte er sonst tun sollen? Ein anderer Mann hätte sie getötet!“
Tanzt-im-Feuer blickte auf seine Mokassins und versuchte, den Ärger zu unterdrücken, der in ihm hochstieg. Schwarzer-Rauch hatte sie fast getötet! So war das! Ein wenig mehr Schwung und er hätte vermutlich ihren Schädel eingeschlagen oder ihr das Genick gebrochen. „Sie hat Angst“, sagte er tonlos.
Er entfernte sich in Richtung Fluss, um sein Morgenbad zu nehmen und seine Gedanken zu ordnen. Sein Bruder folgte ihm wortlos, wusste nicht, wie er auf den Ärger seines Bruders reagieren sollte. Wieso berührte ihn dieses fremde Mädchen so sehr? Er hatte gehofft, dass ihre Anwesenheit seinen Bruder in die Wirklichkeit zurückbringen würde, aber alles, was er erreicht hatte, war, dass er noch stärker in ihren Bann gezogen wurde. Vielleicht war sie die Hirschfrau, die Männer in ihren Wald lockte und nie mehr gehen ließ? Nein, er musste hinter die Macht schauen, die in dieser Frau ruhte oder er würde seinen Bruder verlieren. Er entkleidete sich und schwamm in ruhigen Zügen neben seinem Bruder her, ließ ihn nicht aus den Augen, als fürchtete er, dass er sonst etwas Verrücktes tun könnte. Die Frau zu ihrem Volk zurückzubringen, das war so etwas Verrücktes!
Sie kehrten zum Ufer zurück und setzten sich zum Trocknen auf einen Felsen. Wieder hatte Tanzt-im-Feuer diesen abwesenden Blick, den Taschunka-ayuchtata so fürchtete, weil er ihm seinen Bruder so entfremdete. „Ich werde dich begleiten, wenn du dieses Mädchen zu ihrem Volk zurückbringst“, erklärte er unvermittelt.
„Was?!“, wunderte sich Tanzt-im-Feuer und jetzt lag es an ihm völlig ratlos zu schauen.
„Ja, ich habe sie hierher gebracht und nun begleite ich sie zurück. Ich möchte nicht, dass ihr beide in feindliche Hände geratet! Du bist so mit deinen Gedanken beschäftigt, dass du die Feinde nicht einmal sehen würdest, wenn sie dir bereits die Haut abziehen!“
„Wan!“, lachte Tanzt-im-Feuer etwas besser gelaunt. „Meine Augen und Ohren sind noch genauso gut wie vorher, kleiner Bruder. Ich werde schon auf mich aufpassen.“
„Gut! Dann reiten wir gemeinsam. Das wird ein Spaß!“
„Was verstehst du unter Spaß?“ Tanzt-im-Feuer wurde sofort misstrauisch.
„Na, an ein Dorf heranzuschleichen und das Mädchen in deren Mitte abzusetzen“, erklärte Taschunka-ayuchtata.
Tanzt-im-Feuer seufzte laut über den Eifer seines Bruder, dann dämpfte er dessen Begeisterung: „ Ich habe nicht vor, sie in der Mitte des Dorfes abzusetzen!“
„Was hast du dann vor?“
„Ich werde sie ehrenvoll zurückbegleiten, indem ich offen zu ihrem Dorf reite!“
Sein Bruder grunzte verächtlich. „Sie werden dich rösten! So einfach ist das.“
„Vielleicht!“
„Das ist nicht dein Ernst!“, versuchte Taschunka-ayuchtata ihn zur Vernunft zu bringen. „Oder hast du deinen Tod gesehen?“
Tanzt-im-Feuer dachte darüber nach. Aber er hatte weder seinen Tod gesehen, noch irgendeine andere Vision gehabt. Nur die Augen dieses Mädchens, die ihn den ganzen Winter über verfolgt hatten. Er lächelte, als er die Schultern zuckte, selbst verwirrt über seine Entscheidung. „Nein, ich habe nur dieses Mädchen gesehen!“
„Ich hätte sie töten sollen!“, stöhnte Taschunka-ayuchtata ehrlich entsetzt. „Sie raubt meinem Bruder den Verstand!“
Tanzt-im-Feuer lachte tief, als er ebenso ehrlich seine Gefühle gestand: „Nein, sie raubt mein Herz, kleiner Bruder, und davor kannst du mich nicht beschützen.“
„Also schön, dann werde ich bei dir sein, wenn dir diese Feinde dein verliebtes Herz herausschneiden und meins gleich dazu!“
„Mein Herz sagt mir, dass sie das nicht tun werden“, meinte Tanzt-im-Feuer zuversichtlich.
Der Finger von Taschunka-ayuchtata deutete vielsagend auf die Ponyherde. „Du vergisst die Ponys!“
„Wan! Ich habe ihre Pferdeherde gesehen! Sie können den Verlust von ein paar Ponys leicht verschmerzen! Aber nicht den Verlust eines hübschen Mädchens. Du wirst sehen!“
„Schön! Wir reiten inmitten unserer Feinde, erklären den Diebstahl einiger wertloser Ponys und bringen ein verletztes Mädchen zurück! Das ist doch ein guter Spaß, findest du nicht?“
Tanzt-im-Feuer hielt sich den Bauch vor Lachen, auch, weil ihm die Absurdität seines eigenen Handelns klar wurde, aber er konnte nicht anders. Er hatte sich entschieden und würde es auf diese Weise durchführen. Er schlug seinem Bruder kräftig auf die Schulter und meinte wohlwollend: „Du wolltest es doch so! Tapfer sein, Coups erringen, Spaß haben! Jetzt hast du deine Chance.“ „Aber ich wollte triumphierend heimkehren! Nicht mein Leben opfern!“, maulte Taschunka-ayuchtata wenig begeistert.
„Wir werden heimkehren! Das habe ich gesehen“, meinte Tanzt-im-Feuer versonnen.
Eine solche Zufriedenheit sprach aus seiner Stimme, ein solches Vertrauen, dass Taschunka-ayuchtata verblüfft innehielt. „Du liebst sie wirklich?“, fragte er leise.
„Ja!“
„Aber du kennst sie überhaupt nicht, hast sie nur einmal kurz gesehen, das macht doch keinen Sinn!“
„Manchmal genügt ein Augenblick“, erklärte sein Bruder mit der Weisheit aller Männer, die je wahre Liebe empfunden haben.
Taschunka-ayuchtata lehnte sich zurück und dachte darüber nach. Sein Leben für ein völlig unbekanntes Mädchen aufs Spiel zu setzen, war das Liebe? Was empfand sein Bruder, dass er so handelte?
Sie kehrten in ihr Zelt zurück und schlüpften in wärmere Kleidung. Das Mädchen trug wieder sittsam ihr Kleid und lehnte bereits an einer Rückenstütze. Sie warf den beiden Brüdern einen scheuen Blick zu und stürzte sich auf das Essen, das die ältere Frau ihr reichte. Alle schwiegen, während sie aß, nur Tanzt-im-Feuer fragte kurz nach ihren Verletzungen.
„Das Fieber ist gesunken“, antwortete seine Mutter. „Die Schwellung geht langsam zurück, aber sie wird noch lange Schmerzen haben, wenn sie sich bewegt!“
„Wann wird sie reiten können?“
„Bald“, winkte seine Mutter ab.
Tanzt-im-Feuer wartete, bis das Mädchen ihre Schüssel geleert hatte, dann setzte er sich zu ihr.
Sie senkte den Blick, schien aber keine Angst mehr zu haben.
„Mein Bruder brachte dich hierher, um mich zu erfreuen“, erklärte Tanzt-im-Feuer mit deutlichen Handzeichen. „Aber ich mag keine mageren Mädchen und deshalb werde ich dich wieder zu deiner Mutter zurückbringen!“
Sie schaute überrascht zu ihm auf, dann stieg ein hysterisches Kichern in ihr hoch, als sie ihm kein Wort glaubte. Er hatte mageres Mädchen zu ihr gesagt. Sie war beileibe nicht mager! Oh nein! Sie hatte die Rundungen genau an den richtigen Stellen, dort, wo die Männer gerne hinsahen. „Du bringst mich zurück?“, fragten ihre Hände.
„Ja!“, bedeutete Tanzt-im-Feuer, dann erhob er sich brüsk und verließ das Zelt, weil er befürchtete, dass er seine Meinung vielleicht ändern könnte, wenn er weiter in ihre Augen sah.
Das Mädchen schloss verblüfft die Augen und dachte über seine Gesten nach. Sie bedeuteten nicht nur, dass er sie zurückbrachte, sondern dass sie hier sein Gast war. Sie bedeuteten Sicherheit! Oh, all die Panik, die sie empfunden hatte, als sie aufgewacht war und die beiden Männer neben sich gesehen hatte, war wie weggewischt. Sie hatte aufgeatmet, als sie zurückgewichen und das Zelt verlassen hatten.
Die Mutter war freundlich und sanft gewesen, nichtsdestotrotz änderte das nichts an ihrem Schicksal, dass sie eine Gefangene war und es im Belieben dieser Menschen stand, was mit ihr geschah. Nun zu wissen, dass sie heimkehren durfte, dass der jüngere Mann offensichtlich gegen den Willen des Älteren gehandelt hatte, war eine völlig neue Wendung.
Sie fasste an den festen Verband, der um ihre Rippen lag und überlegte, wann sie wohl aufbrechen könnten. Sie wollte so schnell wie möglich zu ihrer Mutter zurück, wollte nun sichergehen, dass sie nicht getötet worden war. Ob sie das diesen wilden Bruder fragen durfte oder würde er dann wütend reagieren? Ihr Blick wurde abwesend, als sie über die beiden so unterschiedlichen Brüder nachdachte. Es war deutlich zu sehen, was der Ältere für sie empfand, obwohl er sich bemühte, es nicht zu zeigen. Ein feines Lächeln glitzerte in ihren Augen, ein fast sehnsüchtiges Leuchten, als sie an ihn dachte. Immer wieder war sein Gesicht in ihren Träumen aufgetaucht und nun seine Anwesenheit zu spüren, war beruhigend. Er war nicht nur nett und sanft, sondern er würde sie heimbringen! Nur ein Ehemann handelte so, nicht ein feindlicher Mann. Sie dachte an ihre Träume im Winter und an die Worte ihrer Mutter, dass eines Tages der richtige Mann auftauchen würde. Einer, der nicht nur sich sah, sondern ihre Wünsche respektierte. Dieser Lakota würde sein Leben für sie aufs Spiel setzen, das war deutlich zu sehen. Aber was trieb ihn dazu, wieso fühlte sie diese Vertrautheit? War es Liebe?
Mato-tschikala setzte sich zu ihr und versuchte, ihr einige Informationen zu entlocken. Auch er war über das Verhalten seines Sohnes verwirrt. Was sollte das bedeuten, dass er das fremde Mädchen zurückbrachte? Wollte er mitten in das Dorf eines feindlichen Stammes reiten? Verwechselte er Mut mit Dummheit? „Von welchem Stamm bist du?“, fragte er in Zeichensprache, auch, weil er abschätzen wollte, welches Risiko sein Sohn tatsächlich einging.
„Tsistsistas!“, antworte das Mädchen ehrlich.
„Tsistsistas!“, wiederholte Mato-tschikala nachdenklich. Er hatte vage von diesem Volk gehört, das von ihnen Shahiyela genannt wurde. Es gab einige Gruppen seines Stammes, die durchaus freundschaftliche Beziehungen zu diesen Cheyenne hatten, aber wahrscheinlich nicht unbedingt, wenn man ihnen die Ponys und Mädchen stahl! Er seufzte tief und überdachte die komplizierte Situation. Wie würde er reagieren, wenn man ihm eines Tages seine geraubte Tochter zurückbrachte? Der Gedanke stach wie ein Pfeil in seinem Herzen, brachte unliebsame Erinnerungen zurück. Kornblume war sein zweites Kind gewesen, das ihm geboren worden war und ihr Verlust schmerzte noch immer. Er senkte den Blick auf seinen verletzten Fuß, bleibende Erinnerung, wie er um sein Kind gekämpft hatte. Könnte er je einem Mann verzeihen, was er ihm und seiner Familie angetan hatte? Ja, stellte er fest. Er würde jeden Feind mit offenen Armen begrüßen, wenn er dafür seine Tochter wiedersehen durfte. Vielleicht hatte er bereits Enkelkinder und er wusste nichts von ihnen. Oder seine Tochter war längst auf dem Weg zu den Sternen.
Er nahm einige Blätter getrockneten Salbeis in die Hand, entzündete sie über dem Feuer und ließ den Rauch über sein Gesicht nach oben steigen. Mit geschlossenen Augen betete er zu dem großen Geheimnis und bat die Geister darum, seine Tochter, aber auch dieses fremde Mädchen zu beschützen. Er wedelte kurz vor ihrem Gesicht und sie schloss überrascht die Augen, nahm diese Geste des Wohlwollens dankbar an.
Tanzt-im-Feuer blieb dem Zelt den ganzen Tag fern. Er unterhielt sich lange mit seinem Freund Mni-Luzahe, Schnelles-Wasser, der von seinem Unterfangen ebenfalls wenig begeistert war. Nur drückte er seine Sorgen etwas verworren aus, denn Mni-Luzahe war ein Heyoka, ein Mann, der von den Donnerwesen geträumt hat. Nur weil sie als Kinder unzertrennlich gewesen waren, konnte Tanzt-im-Feuer überhaupt die Aussagen deuten und die seltsame Sprache interpretieren. „Geh nur!“, höhnte Mni-Luzahe mit einer abfälligen Handbewegung. „Die Feinde sind feige Weiber und fürchten schon deinen Hund!“ Übersetzt hieß das ungefähr, dass Tanzt-im-Feuer besser nicht reiten sollte, weil der Heyoka die Kampfkraft ihrer Feinde fürchtete. „Ihr werdet leicht zu zweit mit ihnen fertig!“
Tanzt-im-Feuer nickte bedächtig und musterte schweigend seinen Freund. Er trug nichts als einen Lendenschurz, dabei war es noch frostig kalt. Aber so war eben das Leben eines Heyokas: Er war dazu bestimmt, anders zu sein! Als Kind schon war Mni-Luzahe ein Außenseiter gewesen. Wild und ungestüm, mit wenig Selbstbeherrschung, nur Tanzt-im-Feuer wirkte mit seiner ruhigen Art mäßigend auf seinen Freund. Ansonsten führte Mni-Luzahe das Leben eines Fremden. Die Frauen mieden ihn und die Mädchen zeigten offen ihre Angst. Bei Zeremonien hüllte er sich in seine furchterregenden Umhänge und bewegte sich in gespenstischen Tänzen. Die Kinder versteckten sich, wenn er mit einem Bisonschädel auf dem Kopf tanzte und einen langen Schwanz um sich herumwirbelte, am ganzen Körper mit gelber Farbe bemalt.
Auf seinen Kriegszügen galt er als unberechenbar, obwohl seine Kampfkraft durchaus geschätzt wurde. Aber seine Vision sah vor, dass er auch Frauen tötete und viele Männer schüttelten darüber den Kopf, obwohl niemand diese Vision anzweifelte und ihn offen kritisierte. Mni-Luzahe hatte ein schweres Los zu tragen, und nur die Geister konnten bestimmen, wann sein Schicksal sich endlich erfüllte. „Vielleicht ist es besser, wenn ich hier bleibe“, sinnierte Mni-Luzahe und blickte hoffnungsvoll auf seinen Freund, in dem deutlichen Wunsch, dass dieser ihn auffordern würde, ihn zu begleiten.
Tanzt-im-Feuer schüttelte bedauernd seinen Kopf: „Nein, es ist besser, wenn ich alleine reite. Ich möchte die Feinde nicht reizen. Es ist schon genug geschehen. Ich signalisiere meinen Friedenswillen und gebe ihnen das Mädchen zurück. Waschté-yelo!“
Der Heyoka nickte traurig mit seinem Kopf und machte eine zustimmende Handbewegung. „Ich werde dich jedenfalls nicht vermissen“, meinte er heiser.
„Ich weiß“, lächelte Tanzt-im-Feuer freundlich.
Mit seinem Bruder machte er sich auf den Weg zur Jagd und kehrte erst um, als er einen Wapitihirsch erlegt hatte. Seine Mutter und Schwester nahmen ihm das erlegte Tier ab, als er wortlos in das Tipi kletterte. Das Ausnehmen war Frauensache und er war müde, weniger von der Jagd, als von den Gedanken, mit denen er sich den ganzen Tag beschäftigt hatte. Sein Vater lächelte freundlich und machte eine kurze Bewegung seiner Lippen auf das Mädchen: „Sie ist eine Shahiyela!“
„Ist das gut oder schlecht?“, fragte Tanzt-im-Feuer mit einem Schmunzeln. Bisher hatte er in ihr immer nur das Mädchen gesehen oder die Fremde, manchmal auch den Feind, weniger von welchem Volk sie tatsächlich war. Im Grunde waren alle Fremden gleichzeitig auch seine Feinde.
Sein Vater grinste zurück. „Eigentlich gut, wenn man davon absieht, dass ihr beide auf die Cheyenne geschossen, ihre Mädchen entführt und ihre Ponys geraubt habt!“
„Haun!“, stöhnte Tanzt-im-Feuer ehrlich besorgt. „Du meinst also auch, dass es keine gute Idee ist, in ihr Dorf zu reiten?“
„Manche werden sagen, dass es mutig ist, andere werden dich für verrückt halten!“
„Und was sagst du?“
Sein Vater senkte die Augen und überlegte sich seine Antwort. Er wackelte unentschlossen mit seinem Kopf hin und her, dann seufzte er tief. „Ich denke, dass ich dir keinen Rat geben kann. Du musst auf dein Herz hören! Du musst wissen, was die Geister für dich vorgesehen haben. Vielleicht findest du eine Antwort, wenn du in die Einsamkeit gehst?“
Tanzt-im-Feuer schüttelte den Kopf: „Ich habe die Antwort schon gefunden, Vater. Ich werde gehen!“
„Dann ist das also entschieden“, stimmte sein Vater zu, obwohl sich ein schwerer Stein auf sein Herz legte. Würde sein Sohn auch wiederkommen? Oder beide? Er war nicht bereit, dass er beide Söhne sterben sah, aber er konnte an ihren Visionen nichts ändern, sondern nur hoffen, dass sie von den Geistern gut beschützt wurden. „Denk an deinen Bruder“, bat er mit leiser Stimme. „Er hat vielleicht nicht die gleichen Visionen wie du. Er sieht nur das Abenteuer und die Möglichkeit, Ruhm zu ernten.“
„Ich werde auf ihn achten!“, versprach Tanzt-im-Feuer mit fester Stimme.
In den nächsten Tagen erholte sich das Mädchen zusehends und half bereits bei kleineren Arbeiten. Ihre anmutigen, aber selbst ihre steifen Bewegungen, wenn ihr das Bücken Schmerzen bereitete, nahmen Tanzt-im-Feuer die Luft. Nachts hielt er es manchmal nicht mehr aus, wenn sie nackt unter ihrer Decke schlief, ihr Gesicht entspannt und friedlich. Nacktheit war zwar nichts Besonderes bei seinem Volk, trotzdem galt es gewisse Anstandsregeln einzuhalten. Seine Mutter und Schwester vermieden es, sich den Männern unbekleidet zu zeigen. Stets drehten sie sich zur Zeltwand, wenn sie aus ihren Kleidern schlüpften und huschten dann schnell unter ihre Decken. Auch der Waschplatz der Frauen, am Ufer des jeweiligen Flusses, an dem sie gerade lagerten, war tabu für die Männer. Alle wahrten diese Intimsphäre und zeigten somit den Respekt, den sie für ihre Schwestern, Mütter und Ehefrauen empfanden. Selbst verliebte junge Männer wagten es nicht, den Mädchen am Waschplatz aufzulauern, denn sie fürchteten den Zorn der Mütter und Großmütter.
Taischeé fühlte sich wohl bei der Familie ihrer Häscher. In ihren Gedanken sah sie den älteren Bruder längst als ihren Ehemann, obwohl sie bisher nicht seinen Namen kannte. Sie hatte versucht, ihn in den Gesprächen, die in dieser fremden Sprache flossen, herauszuhören, aber jeder schien ihn anders zu nennen. Die Mutter nannte ihn „Mitschinkschi“, ebenso der Vater, aber das bedeutete sicherlich nur Sohn. Die Schwester redete von ihm als „Mitiblo“, und der jüngere Bruder nannte ihn „Tschiye“, aber beides schien nicht wirklich der Name zu sein. Sie konnte viel verstehen, weil jeder seine Worte mit schnellen Handzeichen begleitete, damit auch sie etwas von der Unterhaltung mitbekam. Es gab über sechshundert Handzeichen mit denen man leicht zweitausend Worte und Gedanken ausdrücken konnte, sogar eine Handlung in der Vergangenheit, und so war die Verständigung kein Problem. Aber etwas so Einfaches wie ein Name schien unlösbar zu sein.
Taischeé saß meist bei der Mutter und Schwester der Familie, half ein wenig beim Kochen, obwohl ihr immer wieder bedeutet wurde, dass sie der Gast war und diese Dinge nicht zu tun brauchte. Manchmal fragten die Frauen etwas über ihr Leben bei den Cheyenne, harmlose Dinge, wie man ein Essen zubereitete, den Schnitt des Kleides, welche Kräuter sie sammelte. Scheinbar wunderten sich die beiden Frauen, wie ähnlich vieles war, während andere Kleinigkeiten sie irritierten.
Tanzt-im-Feuer vermied den Kontakt mit dem fremden Mädchen, hoffte, dass sie bald kräftig genug war, damit sie endlich aufbrechen konnten. Allerdings schwindelte ihm davor, dann tatsächlich allein mit ihr zu sein! Er bereitete sich auf die Abreise vor, packte einige Vorräte ein, und versuchte vergebens, das Mädchen aus seinen Gedanken zu verscheuchen.
Ihm fiel auf, dass er nicht wusste, wie er sie überhaupt ansprechen sollte. Hier im Dorf vermied er das Gespräch mit ihr, aber auf der Reise gab es vielleicht Situationen, in denen er ihr eine Anweisung geben musste. Wie sollte er das sagen? Frau, hol Holz! Oder, Mädchen, steig auf das Pferd? In diesem Fall gab es keine Verwandtschaftsbezeichnungen auf die er zurückgreifen konnte. Er konnte sie nicht „Schwester“ oder „Cousine“ nennen, weil sie das einfach nicht war.
Ihm blieb nichts anderes übrig, sie doch nach ihrem Namen zu fragen und er hoffte, dass sie das nicht als unhöflich empfand. Er leitete seine Frage mit einigen vorsichtigen Handzeichen ein, damit sie die Notwendigkeit seines Begehrens auch verstand. „Wir werden einige Tage unterwegs sein“, erklärte er. „Es wird vielleicht nötig sein, dass ich manchmal mit dir rede.“ Er beobachtete sorgfältig ihre Reaktion und überspielte seine Nervosität mit lockeren Gesten. Wan! Wie einfach war es mit einem Mann zu sprechen und nicht mit einer Frau, die ihn mit ihren seltsamen braunen Augen ansah. Wieso versank er darin, wie in einem Teich, dessen morastiges Wasser die dunklen Tiefen verbarg. „Es könnten Feinde auf uns lauern oder andere Gefahren und dann ist es vielleicht nötig, dass ich nach dir rufe!“
Sie nickte eifrig mit ihrem Kopf und machte ebenfalls schnelle Handzeichen, um ihn zu beruhigen. „Ich habe keine Angst vor der Reise! Du musst dich nicht um mich sorgen!“
Er lächelte freundlich, nun doch etwas aus dem Konzept gebracht. Sie freute sich auf die Heimreise und es war natürlich, dass sie dabei keine Gefahr sah. Er verzichtete auf weitere Umwege und fragte direkt: „Wenn wir unterwegs sind, wie soll ich dich dann nennen?“
Ihr strahlendes Lächeln belohnte ihn für seinen Mut und er lauschte andächtig, als sie ihren Namen hauchte: „Taischeé!“
„Taischeé?“, wiederholte er den fremden Namen.
„Taischeé!“, bestätigte sie freundlich, dann machte sie eine fragende Geste, weil sie seinen Namen wissen wollte. Er war völlig konsterniert, hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass er nun wiederum seinen Namen preisgeben sollte. Würde ihn das schwächen, ihr irgendwelche Macht über ihn verleihen? Er gluckste unterdrückt, als er erkannte, dass sie diese Macht über ihn längst hatte. Was sollte es also schaden, wenn sie nun auch seinen Namen wusste? „Peta-el-watschi!“, sagte er klar und deutlich.
„Peta-el-watschi“, sprach sie nach. „Was bedeutet das?“
„Tanzt-im-Feuer!“, übersetzte er in Zeichensprache.
Sie kicherte fröhlich und zeigte auf seine Mokassins. „Sind deine Füße schwarz?“
Er lachte dunkel und schüttelte verneinend seinen Kopf. „Nein, es ist ein alter Name! Ich weiß nicht, ob je einer meiner Großväter im Feuer getanzt hat!“
„Es ist ein schöner Name“, erklärte sie versonnen. „Wie heißt dein Bruder?“
Huh! Seinen eigenen Namen preiszugeben, war das eine, aber den Namen seines Bruders zu offenbaren, stand ihm nicht zu. Er zögerte unentschlossen und warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu. „Er heißt Sunkala, kleiner Bruder“, meinte er schließlich.
„Sunkala?“, fragte sie neugierig.
Sein Bruder schnaubte empört und setzte sich ungefragt dazu. „Ich heiße Thoka-Taschunka-ayuchtata!“, betonte er mit großartigen Gesten. „Mein Bruder nennt mich ‚Sunkala‘, weil ich sein kleiner Bruder bin; und ich sage ‚Tschiye‘ zu ihm, weil er mein großer Bruder ist. Verstehst du das?“
Sie nickte bestätigend und zwinkerte vertraulich: „Aber dein Name ist Thoka-Taschunka-ayuchtata?“
„So ist es! Du darfst mich so nennen“, erlaubte er großzügig.
„Und du darfst mich Taischeé nennen!“, gestattete sie mit mindestens der gleichen Arroganz in ihrer Stimme. „Das bedeutet Mondmädchen!“
Tanzt-im-Feuer kicherte unterdrückt, während sein Bruder ihm einen indignierten Blick zuwarf. Er wedelte verächtlich mit seiner Hand in ihre Richtung und meinte: „Sie ist ganz schön frech für ein Mädchen! Sie wird uns nichts als Ärger bereiten!“
Tanzt-im-Feuer schlug ihm enthusiastisch auf die Schulter und strahlte ihn gutgelaunt an. „Na und? Ich liebe Ärger!“
„Ärgere du dich nur mit diesen Cheyennemädchen herum! Ich suche mir lieber ein gehorsames Lakotamädchen, das sich meinen Wünschen fügt.“
Tanzt-im-Feuer kniff vergnügt die Augen zusammen und schüttelte etwas ungläubig den Kopf. „Kleiner Bruder, da muss sich dieses Mädchen aber hüten, dass du sie nicht an ihren Beinen gefesselt hinter deinem Pferd her schleifst!“
„Sehr witzig! Unsere Mädchen behandle ich nicht schlecht.“
„Stimmt!“, grinste Tanzt-im-Feuer frech. „Du ignorierst sie!“
„Du doch auch!“, verteidigte sich Taschunka-ayuchtata. „Du bist der Ältere und doch hast du noch kein Weib in dein Zelt geholt.“
Tanzt-im-Feuer funkelte seinen Bruder gefährlich an, aber dann machte er eine weite Handbewegung. „Vielleicht war es gut zu warten?“
Am nächsten Morgen brachen sie auf. Ihre Mutter unterdrückte irgendwelche Gefühlsregungen, stand bescheiden im Hintergrund, hütete sich ihre Ängste zu äußern. Söhne wurden zur Tapferkeit erzogen, auch wenn es der Mutter manchmal das Herz brach, sie wegreiten zu sehen. Mato-tschikala hob seine Hand zum Gruß, als er die kleine Kolonne verabschiedete.
Taschunka-ayuchtata hatte in seinem jugendlichen Übermut die Spitze übernommen, in der Mitte ritt das Mädchen und ihr folgte mit steter Wachsamkeit Tanzt-im-Feuer. Hier hinten hatte er das Geschehen und seinen übereifrigen Bruder besser im Blick. Inzwischen war es warm, sodass sie selbst nachts nur noch leichte Decken verwendeten, die sie vor der nächtlichen Feuchtigkeit des Bodens bewahrten. Taschunka-ayuchtata schlug ein schnelles Tempo vor, doch Tanzt-im-Feuer konnte an der gekrümmten Haltung des Mädchens erkennen, dass ihr der schnelle Schritt der Pferde Schmerzen bereitete. Er pfiff seinen Bruder zurück und erntete einen empörten Blick. „Wir werden wesentlich länger unterwegs sein, wenn unsere Pferde nur zockeln.“
„Wir werden überhaupt nicht mehr vorwärts kommen, wenn sie zusammenbricht. Reite langsam!“
Taschunka-ayuchtata ließ die Beinen baumeln und drückte in seiner ganzen Körperhaltung aus, wie wenig ihn dieses langsame Reiten erfreute. Die Reise würde todlangweilig werden! Der Tag dehnte sich endlos aus und am Abend waren sie kaum die Strecke vorwärts gekommen, die sonst die Frauen und Kinder zurücklegten, wenn der ganze Stamm sein Dorf verlegte.
Taischeé war trotz des langsamen Tempos am Ende ihrer Kräfte. Anfangs hatte sie die Rippen kaum gespürt, aber das lange Reiten löste nach und nach wieder diesen wellenartigen Schmerz aus. Sie jammerte nicht, aber sie schimpfte sich selbst für ihre Ungeduld. Warum hatte sie nicht signalisiert, dass sie noch einige Tage für ihre Genesung brauchte. Sie hatte sich selbst überschätzt und nun kamen Zweifel in ihr hoch, ob sie jemals wieder ein Pferd besteigen konnte, wenn sie erst mal festen Boden unter den Füßen hatte. Tanzt-im-Feuer nahm offensichtlich Rücksicht auf sie, aber sein Bruder hatte deutlich seinen Unwillen kundgetan.
Sie hasste ihn! Seine Jugend, seine Unbekümmertheit, seine Rücksichtslosigkeit, seine Arroganz, seine Wildheit, einfach alles! Sie hätte ihm am liebsten jedes Mal in sein Gesicht gespuckt, wenn er sie mit diesem abschätzenden Blick musterte, als wäre sie eine verletzte Büffelkuh, der man den Todesstoß versetzen musste. Zwei Brüder, die unterschiedlicher nicht sein konnten! Oder war Tanzt-im-Feuer früher genauso gewesen? Sie dachte an sein ausgeglichenes Wesen und schüttelte unmerklich den Kopf. Nein! Er war anders! Tanzt-im-Feuer hatte etwas Beruhigendes, in seiner Gegenwart fühlte sie sich geborgen und beschützt. Ohne ihre gebrochenen Rippen hätte sie es genossen, nur mit ihm durch die Wälder zu reiten. Hier konnte er nicht den ganzen Tag verschwinden und sie ignorieren. Sie wusste längst, was er für sie empfand und amüsierte sich über sein Verhalten. Warum flirtete er nicht mit ihr, wie ein Cheyenne es tun würde, wenn er sie hübsch fand? Warum versuchte er, seine Gefühle zu überhören? Sie kicherte in sich hinein, als sie an das verblüffte Gesicht dachte, das ihre Mutter wahrscheinlich machen würde, wenn sie an der Seite dieses Mannes zurückkehrte.
Dann biss sie sich auf die Lippen, denn die Männer ihres Dorfes würden vielleicht nicht begeistert sein, wenn diese Pferdediebe einfach in ihr Dorf ritten! Würde Tanzt-im-Feuer sterben? Fast fürchtete sie sich vor der Ankunft in ihrem Dorf, weil sie nicht abschätzen konnte, was dann geschah! Sie versank in ihren Gedanken, während die Pferde dahintrotteten und sie hoffte auf den Abend, wenn sie sich endlich ausruhen konnte.
Tanzt-im-Feuer half Taischeé vom Pferd und setzte sie an einen Baum, damit sie sich mit dem Rücken dagegen lehnen konnte. Sie hatte die Augen geschlossen und versuchte, mit tiefen Atemzügen die Schmerzen zu bekämpfen, die offensichtlich durch ihren Körper wallten.
Bereits am ersten Tag hatte sie sich völlig verausgabt und ihre eingefallenen Züge machten Tanzt-im-Feuer Angst. „Wir machen einen Tag Rast!“, teilte er seinem Bruder mit.
„Was!?“ Taschunka-ayuchtata konnten seinen Ärger nicht mehr unterdrücken. „Wieso?“
„Sieh selbst! Es geht ihr schlecht. Wir machen einen Tag Pause und reiten dann langsamer.“
„Noch langsamer! Dann reiten wir ja rückwärts!“, schimpfte Taschunka-ayuchtata gereizt.
Tanzt-im-Feuer stemmte die Hände in die Hüften und musterte seinen Bruder von oben bis unten, dann zog er seine Augenbrauen leicht in die Höhe, als er über dessen schlechte Selbstbeherrschung lästerte. „Wir Männer stellen unsere Bedürfnisse zurück, wenn es um das Wohl des Volkes geht. Von uns wird Selbstbeherrschung und Großzügigkeit erwartet. Warum meckerst du wie eine Bergziege, anstatt dich in Geduld zu üben?“
„Tschiye!“, rief Taschunka-ayuchtata wütend. „Sie ist ein Feind! Warum sollte ich Rücksicht auf sie nehmen?“
„Weil du mich begleitest …“, betonte Tanzt-im-Feuer, „… und nicht sie! Ich habe dich nicht darum gebeten. Also beschwer dich nicht!“
„Haun!“
Taschunka-ayuchtata verschwand kopfschüttelnd und machte sich daran, Feuerholz zu sammeln, während Tanzt-im-Feuer sich zu Taischeé kniete, um nach ihren Rippen zu sehen.
Das Mädchen weigerte sich nachdrücklich, sich untersuchen zu lassen, und winkte erschöpft ab. „Ich bin nur müde. Morgen können wir weiterreiten.“
Tanzt-im-Feuer lachte gutmütig. „Wir rasten morgen! Du musst dich erholen.“ Er breitete eine Decke am Boden aus und sah mit gerunzelter Stirn, wie sie sich dankbar zusammenkugelte, zu müde, um noch an irgendetwas anderes zu denken.
Etwas später brachte er ihr einen gebratenen Fisch, den sein Bruder aus dem nahen Fluss geangelt hatte, doch sie schlief bereits tief und fest. Er wickelte den Fisch in ein Stück Rohhaut, damit sie am Morgen etwas zu essen hatte. Dann setzte er sich zu seinem Bruder ans Feuer. Sie schwiegen lange Zeit, stocherten im Lagerfeuer herum, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt.
Taschunka-ayuchtata ließ sich mit einem Seufzen auf sein Lager zurücksinken und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen den Sternenhimmel. Deutlich war das Band der Milchstraße zu sehen, der Weg, den er einst beschreiten würde, wenn seine Seele zu den Sternen ging. Ihm fiel ein, dass dies bald sein könnte, wenn die Cheyenne auf ihren Besuch nicht so freundlich reagierten, wie sein Bruder es vorhergesehen hatte. War er deshalb so ungeduldig? Er schämte sich für seinen vorherigen Ausbruch und die Zurechtweisung seines älteren Bruders. Er hatte sich benommen wie ein kleines Kind! Letztendlich war es gleichgültig, wann sie das Dorf der Cheyenne erreichten und im Grunde war es sein Verschulden, dass sie nun so langsam reisten. Ohne die gebrochenen Rippen würde das Mädchen sie nicht aufhalten! Taischeé tat ihm leid. Zum ersten Mal tat sie ihm tatsächlich leid.
Er schaute auf Tanzt-im-Feuer, der immer noch mit verbissenem Gesicht am Feuer saß und in der Glut herumstocherte. Taschunka-ayuchtata grinste schief und scheuchte allen Ärger aus seinen Gedanken. Im Grunde war es schön, wieder mit seinem Bruder zu reiten. „Ich hoffe, dass Taischeé die Ruhe gut tut! Wenn es ihr nützt, werde ich auch rückwärts auf meinem Pferd reiten.“ Er hatte mit Absicht den Namen des Mädchens benutzt, damit sein Bruder erkannte, dass er keinen Feind mehr in ihr sah. Das Gesicht seines Bruders hellte sich merklich auf und er antwortete mit einem feinen Lächeln. „Waschté!“
Ménonéhné
Ménonéhné lag still im Gras und beruhigte ihr klopfendes Herz. Sie wusste, dass sie nur mit knapper Not überlebt hatte und dieses Wissen jagte Angstschauer durch ihren Körper. Immer wieder blickte sie in die Richtung, in die ihre Tochter weggeschleppt worden war und befürchtete, dass doch einer der Männer umkehrte, um zu beenden, was ihm vorher verwehrt worden war. Sie hatte die Handzeichen verstanden, auch, dass ihr Leben an dem feinen Faden einer Spinne hing. Sie blieb liegen, wartete einfach ab, bis sich die Luft wieder mit den normalen Geräuschen der Wildnis füllte. Erst dann wagte sie Hoffnung zu schöpfen, erst dann fand sie die Kraft ihre Situation zu überdenken. Versuchsweise zog sie an ihren Fesseln, drehte ihren Körper hin und her, um abzuschätzen, ob sie sich befreien konnte. Wenn es erst dunkel war, würde es schwierig werden, dass man sie fand und sie fürchtete die hereinbrechende Nacht. Zu leicht konnte sie die Beute eines herumstreifenden Tieres werden.
Sie rollte sich herum und suchte mit ihren Augen nach einer Möglichkeit sich zu befreien. Sie spürte den Druck ihrer Messerscheide an ihrer Hüfte und atmete erleichtert ein. Das Messer war noch da! Die Lakota hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, es ihr wegzunehmen! Oder der Jüngere mit dem verwegenen Gesicht hatte es ihr mit Absicht gelassen, damit sie eine Chance bekam sich zu befreien. Während sie sich hin und her wälzte und versuchte nach dem Messer zu greifen, schoss der Gedanke durch ihren Kopf, dass dieses Verhalten keinen Sinn ergab. Man tötete seine Feinde oder man nahm sie mit! Aber sie hatte noch nie gehört, dass man eine Frau gefesselt liegen gelassen hatte! So alt und wertlos war sie nun auch wieder nicht. Sie taugte noch zum Häute gerben oder Holz sammeln und wäre durchaus eine Hilfe im Haushalt eines angesehenen Kriegers. Warum hatten die Lakota nur ihre Tochter entführt? Überhaupt! Wie war es ihnen gelungen, sie hier im Wald zu finden? Während sie geduldig nach ihrem Messer tastete, kam sie zu der Überzeugung, dass diese Entführung geplant gewesen war. Diese Männer wollten nicht irgendwelche Mädchen rauben, sonders dieses eine! Ihre Tochter! Der Gedanke beruhigte sie ein wenig, denn er bedeutete, dass Taischeé halbwegs sicher war. Irgendein Mann hatte Gefallen an ihr gefunden und sich die Mühe gemacht, ihr hier aufzulauern, vielleicht sogar derselbe, der sie zu Beginn des Winters verletzt hatte. Ihre Finger fanden schließlich das Messer und mit unendlicher Geduld zog sie es Stück für Stück aus der Scheide. Endlich hielt sie es in den Händen und zog die Füße näher heran, um das schmale Leder durchzuschneiden, mit dem sie gefesselt waren. Auf diese Weise konnte sie wenigstens ins Dorf zurück, selbst wenn es ihr nicht gelang die Hände zu befreien. Sie säbelte vorsichtig an dem Leder, dann waren ihre Füße frei. Sie hielt sich nicht mit irgendwelchen Verrenkungen auf, die nötig wären, wenn sie auch ihre Hände befreien wollte. Zu leicht konnte sie sich dabei verletzen, außerdem verlor sie nur unnötig Zeit. Sie schlug den Weg zum Dorf ein und beeilte sich, damit die Krieger noch vor der Dämmerung die Verfolgung aufnehmen konnten.
Im Dorf eilten sofort erschrockene Menschen zusammen, die ihr die Fesseln abnahmen und den Knebel aus dem Mund zogen. Keuchend rang sie nach Luft, brauchte einige Zeit, ehe sie erzählen konnte, was passiert war. Sie wunderte sich, dass kaum Krieger im Dorf waren, doch eine Frau schüttelte wütend ihre Faust. „Diese Lakota haben nicht nur deine Tochter entführt, sondern sich auch noch einige gute Ponys geschnappt! Ein großer Trupp Krieger, unter der Führung von Falke-am-Boden, ist ihnen bereits hinterher!“
Ménonéhné seufzte vor Erleichterung, denn das bedeutete, dass sie Taischeé vielleicht doch noch fanden. Sie ließ sich von den Frauen in ihre Hütte begleiten und fiel erschöpft auf ein Fell. Hier, in der Sicherheit ihrer Hütte, konnte sie endlich ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und weinte ihren Schmerz heraus. Es war die Erleichterung, nicht getötet worden zu sein, aber auch die Angst um ihre Tochter. Wenn es den Männern nicht gelang, die Pferdediebe einzuholen, dann wäre ihre Tochter für immer verloren! Tröstende Worte drangen an ihr Ohr, aber sie sah nur noch das Bild vor sich, wie Taischeé von groben Händen gepackt in den Wald gezerrt wurde. Nein, so hatte sie sich die Zukunft ihrer Tochter nicht vorgestellt. Immer war sie behütet gewesen, mit sanften Worten und zärtlichen Gesten erzogen worden. Sie nun der Willkür dieser fremden Männer ausgesetzt zu wissen, raubte ihr den Verstand. Welches Schicksal stand ihr bevor? Sie betete, dass Falke-am-Boden dieses Mal mehr Erfolg hatte und flehte die Geister um Beistand an.
Falke-am-Boden wusste, dass er es mit gerissenen Pferdedieben zu tun hatte. Noch einmal wollte er sich nicht an der Nase herumführen lassen, deshalb untersuchte er die Spuren genau, achtete auf jede Kleinigkeit und vor allen Dingen auf Ablenkungsmanöver. Diese Diebe würden ihn kein zweites Mal zum Dorf zurückführen!
Noch wusste er nichts davon, dass die Lakota auch Taischeé entführt hatten, aber diese Tatsache hätte ihn höchstens noch mehr angespornt. Mit gerunzelter Stirn untersuchte er die Fährte, dann ließ er die anderen Krieger nachrücken. Er musste vorsichtig sein, oder die zwanzig Männer, die ihn begleiteten, verwischten vielleicht die Spur, wenn sie darüber ritten.
Immer nur einer führte weit vor den anderen den Trupp an, sicherte die deutliche Spur und gab mit Handzeichen zu verstehen, was er sah. Es war gefährlich, denn die Lakota konnten sich auch in einen Hinterhalt legen und auf die Verfolger warten. Falke-am-Boden war dies gleichgültig. Er ging bewusst die Gefahr ein, hing fast über dem Hals des Pferdes, das ihm auf diese Weise wenigstens etwas Deckung verschaffte. Die Lakota waren mutig und er schätzte, dass sie den offenen Kampf suchen und ihn nicht mit einem Pfeil aus dem Hinterhalt niederschießen würden.
Er folgte der deutlichen Spur der Pferde in dem kiesigen Bett eines Baches und lächelte ohne Freude. Der Vorteil lag dieses Mal eindeutig auf seiner Seite, denn die Spuren von vielen Pferden ließen sich nicht so einfach verbergen! Er ritt durch den Lauf des Baches, die Augen fest auf den kiesigen Untergrund geheftet, der nur manchmal den Hufabdruck eines Pferdes preisgab. In einiger Entfernung folgte ihm die Schar der Krieger, einige im Bach, andere am Ufer, die Augen wachsam auf die Bäume und Büsche gerichtet, falls doch einige Feinde dort auf sie lauerten. Sie trugen ihre Bögen griffbereit in der Hand, ihre Gesichter waren mit grellen Farben bemalt und vermittelten einen gefährlichen Eindruck. Viele trugen nur ihre Lendenschurze, hielten ihre bunt bemalten Schilde zum Schutz vor den Körper, der ebenso bunt bemalt war. Sie waren auf dem Kriegszug! Wild entschlossen die Pferdediebe einzuholen und zu töten.
Auch Falke-am-Boden trug nur einen Lendenschurz, sein drahtiger Körper war mit roten Kreisen bemalt und sein Gesicht war auf einer Seite rot auf der anderen Seite schwarz gefärbt. Seine Haare hingen lose über seinen Rücken, nur in einer Skalplocke steckten einige lange Falkenfedern. Seine scharfe Nase witterte wie die eines Hundes, während seine ausdrucksstarken Augen wie gebannt über dem Wasser hingen, damit ihnen nichts entging.
Er hielt inne, als die Spur unvermittelt aufhörte. Umsichtig untersuchte er das Kiesbett, stieg dazu von seinem Pferd und ignorierte, dass seine Mokassins dabei nass wurden. Auf einem Kriegszug achtete niemand auf solche Kleinigkeiten. Er ging vorsichtig einige Schritte weiter, bückte sich über das gurgelnde Wasser und untersuchte den Boden. Er schob sogar einige Steine zur Seite, untersuchte den Schlick auf den Kieselsteinen, aber dann war er sich sicher, dass die Fährte hier endete. Triumphierend winkte er seine Freunde heran. „Sie haben den Bach verlassen! Sucht auf beiden Seiten, wo die Spur weitergeht! Seid vorsichtig!“ Falke-am-Boden suchte selbst am rechten Ufer, während zwei weitere Männer am anderen Ufer sorgsam den Boden beobachteten. Sie gingen zu Fuß, während die anderen im Bach auf ihren Pferden warteten, um nicht eine mögliche Fährte zu verwischen. Falke-am-Boden schritt das Flussufer in jeder Richtung in einer Länge von zwei Pfeilschüssen ab, aber er fand nichts. Auch am anderen Ufer signalisierten die zwei Fährtenleser enttäuscht, dass sie nichts gefunden hatten.
Falke-am-Boden ließ sich mit schweren Gedanken auf einen umgestürzten Baumstamm sinken. Sie waren wieder hereingelegt worden! Die Lakota hatten kehrtgemacht, waren in ihrer eigenen Spur zurückgeritten und hatten den Bach flussabwärts wieder verlassen. Ihm war klar, dass diese Spur kaum noch zu finden sein würde, weil seine Freunde längst darüber getrampelt waren, ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet, als auf mögliche Spuren, die den Bach verließen. Sie waren der allzu deutlichen Fährte gefolgt und hatten übersehen, dass irgendwo eine gut getarnte Fährte wegführte. Er biss enttäuscht die Lippen zusammen, bewunderte die Raffinesse seiner Feinde und überdachte sein weiteres Tun. Es wurde dunkel und es machte keinen Sinn, jetzt noch weiterzusuchen. Sie mussten am Morgen versuchen, die Spur wieder aufzunehmen, und dazu brauchten sie den Beistand der Geister. Er machte eine nachlässige Handbewegung, dann gab er mit einem leichten Rucken seines Kopfes das Zeichen zum Rückzug. Sie würden ins Dorf zurückkehren und am Morgen von vorne beginnen.
Es war ein leiser Trupp, der ins Dorf zurückkehrte. Sie waren ein zweites Mal gedemütigt worden und das versetzte ihnen einen gewaltigen Dämpfer.
Ménonéhné sah ihnen entgegen und erkannte sofort, dass sie keine guten Nachrichten brachten. Die Pferdediebe waren ihnen entwischt und damit sank die Chance, dass sie ihre Tochter wiedersah.
Falke-am-Boden biss die Zähne zusammen, als er erfuhr, dass auch Taischeé geraubt worden war. Er war kein Mann, der tröstende Worte fand, außerdem wusste er genau, dass der Vorsprung der Diebe immer größer wurde. Er hatte keine Ahnung, wo er am Morgen die Spur wieder aufnehmen sollte. Er war davon ausgegangen, dass sie Diebe erneut im Kreis geritten waren und hatte diese Taktik nicht vorhergesehen. Am späten Abend versammelten sich die Männer im Zelt des Häuptlings und berieten ihr weiteres Vorgehen. Gebrochene-Pfeife äußerte sich besorgt über die Tatsache, dass ein zweites Mal Feinde ihr Dorf heimsuchten. Schnell konnte daraus ein Konflikt werden, die Möglichkeit, dass ihr Dorf angegriffen wurde. Falke-am-Boden senkte die Augen und versuchte, diese Tatsache zu verdauen. Sie hatten sich auf den Schutz der Berge verlassen! „Morgen werde ich die Spur wieder aufnehmen“, erklärte er ernst.
„Das ist gut!“, nickte der Häuptling. „Es ist nicht weise, wenn unsere Feinde denken, dass wir zu schwach sind, um auf unsere Ponys und Mädchen zu achten. Das provoziert weitere Angriffe. Nur, wenn wir stark sind, wird das unsere Feinde von weiteren Übergriffen abhalten.“
Bei der ersten Morgendämmerung setzten sich die Männer also wieder in Bewegung. Sie teilten sich in mehrere Gruppen auf, die den Lauf des Baches in beide Richtungen absuchten. Am Mittag fanden sie tatsächlich die Spur, die in die hohen Berge führte. Falke-am-Boden folgte ihr, sein Herz kalt vor Wut. Er fühlte den Triumph, weil er die Spur wieder aufgenommen hatte und malte sich aus, wie die Menschen jubeln würden, wenn er mit den geraubten Pferden zurückkehrte.
Vielleicht würde dann auch seine Frau, die ihn wegen eines anderen Mannes verlassen hatte, einsehen, welch großartiger Krieger er im Grunde war. Der Gedanke stach in seinem Herzen und so wischte er ihn ungeduldig beiseite. Seine Frau war weg! Er hätte ihren Ehebruch strafen können, indem er sie zurückholte und ihr für ihre Untreue die Nase abschnitt, aber wozu sich noch mit einem Weib herumärgern, das ihn so hintergangen hatte. Nein! Vielleicht wäre ein gewisses anderes Mädchen etwas zugänglicher, wenn er sie aus den Händen der Lakota befreite. Noch hatte er es nicht gewagt, sich Taischeé zu nähern, auch weil sie ihn mit ihrem Wissen verunsicherte. Eigentlich fand er sie ganz hübsch und vielleicht ließ sie diesen Unsinn sein, im Wald herumzustreifen, wenn sie erst die Ehefrau eines angesehenen Kriegers war.
Er konzentrierte sich wieder auf die Fährte, die zunehmend schlechter zu sehen war. Sie hatten die Baumgrenze erreicht und der Boden wurde felsig. Nur noch selten fanden sie den Abdruck eines Hufes und einmal wurde ihre Suche belohnt, weil sie den Kot eines Pferdes fanden. Dann wurden alle Hoffnungen mit einem Mal weggewischt, denn es begann zu schneien. Nicht viel, es war auch nicht besonders kalt, aber Falke-am-Boden wusste, dass er verloren hatte. Unter diesen Umständen würden sie nichts mehr finden. Die Lakota hatten den Weg durch das Gebirge gewählt, weil sie genau das erhofft oder vorhergesehen hatten. Es war völlig unsinnig, weiter nach Spuren zu suchen, weil im Grunde jede Richtung in Frage kam. Dies hier war ein Ablenkungsmanöver. Eine Fährte, die ins Nichts führte. Falke-am-Boden schaute ins Land und fühlte Bewunderung für die Lakota. Dann ließ er mutlos den Kopf hängen, als er an Taischeé dachte. Hoffentlich waren die Feinde gut zu ihr!
„Was machen wir nun?“, fragte sein Freund Rote-Lanze.
„Wir kehren um“, erklärte Falke-am-Boden nüchtern.
„Warum suchen wir nicht im Tal nach ihnen?“
Falke-am-Boden machte eine allumfassende Geste über das weite Land. „Wo willst du anfangen?“
Sein Freund schwieg frustriert, dann legte er herausfordernd den Kopf schief. „Wir sollten deren Dorf suchen. Dann finden wir auch unsere Ponys!“
Falke-am-Boden nickte nachdenklich mit seinem Kopf: „Das werden wir! Aber erst werden wir verschwinden, damit die Feinde unser Dorf nicht erneut behelligen. Dann schicken wir einen großen Kriegszug gegen deren Dorf aus. Ihre Weiber und Kinder werden weinen und wir holen uns ihre Ponys und Mädchen!“
Seine Worte fielen auf fruchtbaren Boden, denn die Männer sahen entschlossen in das weite Land, wo sich irgendwo ein Lakotadorf befand, das es zu bestrafen galt.
Die Männer wendeten ihre Ponys und machten sich auf den Heimweg, froh aus der kalten und unwirtlichen Gegend zu verschwinden.
Ménonéhné konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, als die Männer unverrichteter Dinge ins Dorf zurückkehrten. Verzweifelt schrie sie ihren Schmerz heraus, nahm ihr Messer und schnitt sich vor Trauer die langen Zöpfe ab. Sie hatte ihre Tochter verloren, dessen war sie sich sicher. Das Land war unendlich weit und ihre Tochter nun noch zu finden, war schier unmöglich. Die Männer bissen verbittert die Zähne zusammen, als sie ihre Trauer sahen, schworen Rache, aber selbst sie wussten, dass sie vielleicht ein anderes feindliches Dorf fanden, an dem sie sich rächen konnten, aber nicht unbedingt das Dorf, in dem Taischeé nun lebte.
Gebrochene-Pfeife wandte sich an die Ältesten und beriet mit ihnen das weitere Vorgehen: „Es ist Zeit, dass wir unser Dorf verlegen. Die Feinde haben uns zweimal gefunden und werden wiederkommen.“
Ein alter Mann mit zahnlosem Mund und schlohweißem Haar nickte kaum sichtbar und doch schwiegen sofort alle voller Respekt, als klar wurde, dass er etwas sagen wollte. In seiner Jugend war er ein großer Kriegshäuptling gewesen, selbst jetzt noch war sein Körper drahtig, obwohl er bereits so viele Winter gesehen hatte, dass keiner mehr wusste, wie alt er tatsächlich war. Seine Stimme war nur noch ein hohes Fisteln, man musste sich vorbeugen, um überhaupt seine Worte zu vernehmen. Alles war still, als er flüsternd seine Meinung kundtat. Er hieß Moeheva, der Hirsch, denn früher hatte seine Stimme gedröhnt vor Kraft und die Menschen waren ihm gefolgt. „Der Verlust von Taischeé ist schwer“, erklärte er traurig, „aber unsere Pflicht gilt dem Wohl des Volkes. Wir müssen verhindern, dass die Feinde wiederkommen und weitere Mädchen aus unserer Mitte reißen. Außerdem ist es Zeit an den nächsten Winter zu denken. Wir sollten die Berge verlassen und nach den Herden der Büffel suchen. Das sind meine Worte!“
Leises Gemurmel antwortete ihm, nur Falke-am-Boden erhob sich wütend und wartete darauf, dass man ihm das Wort erteilte. Er war zu respektvoll, dass er Moeheva widersprochen hätte, aber er machte kein Hehl aus seiner Meinung: „Es ist gut, den Büffeln zu folgen, aber es ist nicht gut, Taischeé in den Händen der Feinde zu lassen. Diese Pferdediebe müssen bestraft werden! Das sage ich!“
Der alte Mann legte seinen Kopf schief und blinzelte ihm listig zu. „Kraftvolle Worte! Finde du ihre Spur, dann bringen wir Taischeé zurück!“ Es war ein klarer Tadel für den jungen Mann, der beschämt auf seinen Platz zurückkehrte. Kurzes Schweigen erfüllte die Hütte, dann erhob Falke-am-Boden sich erneut. „Ich habe falsch gehandelt. Ich habe die Taktik meiner Feinde nicht vorhergesehen, das ist wahr! Also werde ich versuchen, ihr Dorf zu finden, während ihr in der Zwischenzeit den Büffeln folgt. Ich bringe Taischeé zurück!“
Wohlwollendes Brummen erfüllte die Hütte und alle schätzten die Entscheidung von Falke-am-Boden, dass er versuchen würde, diesen Fehler auszumerzen. Zwei weitere Männer wollten ihn begleiten und Gebrochene-Pfeife nickte anerkennend. „Das ist gut! Ihr werdet nicht nur ihr Dorf finden und Taischeé zurückbringen, sondern ihr werdet uns wissen lassen, wo die Feinde sind und was sie vorhaben. Noch einmal überraschen sie uns nicht!“
Falke-am-Boden machte sich mit seinen Freunden auf den Weg, obwohl er keine Ahnung hatte, wo er mit seiner Suche beginnen sollte. Die Feinde waren zweimal gekommen und hatten sich anschließend in Luft aufgelöst. Er vermutete lediglich eine ungefähre Richtung, in die er seine Freunde führte.
Das Volk brach unterdessen auf. Nur die Gerippe und Äste der Hütten blieben stehen, als sie sich auf Wanderschaft begaben.
Ménonéhné schlurfte neben den anderen Frauen her, ihre Gedanken voller Sorgen. Sie schöpfte Trost aus der Tatsache, dass Falke-am-Boden nach Taischeé suchen wollte, ohne wirklich an einen Erfolg zu glauben. Schon oft waren Mädchen von Feinden entführt worden und niemals wiedergekehrt.
Andererseits lebten auch Frauen in ihren Zelten, die früher einmal eine andere Sprache gesprochen hatten. Manche waren geachtete Ehefrauen, hatten fast vergessen, dass sie brutal von ihren Familien weggerissen worden waren, andere waren die Drittfrau eines älteren Kriegers, fristeten das Dasein einer Sklavin, ohne dass es diese Bezeichnung gab. Aber sie schufteten für die anderen Frauen des Mannes und wurden mit niedrigen Arbeiten betraut. Erst, wenn sie vielleicht einen Sohn gebaren, besserte sich ihre Situation oder wenn ein jüngerer Mann Gefallen an ihnen fand und sie eintauschte.
Ménonéhné wusste dies alles und immer wieder wanderten ihre Gedanken zu ihrer Tochter. Wurde sie gerade auf das Fell eines älteren Mannes gezwungen, der Gefallen an ihrem schlanken Körper und ihrer Jugend gefunden hatte? Oder steckte dieser junge Mann dahinter, der ihr bereits einmal das Leben geschenkt hatte? Aber warum hatte er sie dann nicht bereits damals verschleppt? Hatte er auf ihre schwere Verletzung Rücksicht genommen? Sie zerrte an den Zügeln des Ponys, das ihre Habe auf einem Schleppgerüst trug und half ihm eine kleine Bodenunebenheit zu überwinden. Ihr Herz war schwer, denn der Stamm ging immer weiter aus den Bergen fort, dort, wo ihre Tochter gefangen gehalten wurde.
Nach Tagen befanden sie sich nördlich der Berge, eine Gegend, wo der Boden oft rot war und die Cheyenne dachten, dass dies das Blut der Büffel sei. Hier wanderten die Herden der Büffel, hinterließen manchmal eine Spur der Verwüstung, wenn sie im vollen Galopp einem Feuer entflohen oder einer anderen Gefahr auswichen. Der Boden war dann aufgerissen, alles Leben darunter vernichtet oder niedergetrampelt von den scharfen Kanten der Hufe. Das Land verkraftete eine solche Urgewalt. Sowie nach einem Feuer neues Leben erwachte, spross auch hier das frische Gras im nächsten Frühling, genährt von der Verwüstung des letzten Jahres. Es war ein ewiger Kreislauf aus Leben und Tod, Wiedergeburt und Vergänglichkeit.
Ménonéhné drehte sich zu ihren zwei Hunden um, die ebenfalls zwei kleine Schleppgerüste hinter sich herzogen. Sie waren an langen Leinen festgebunden, die mit dem Schleppgerüst des Pferdes verbunden wurden. Gleichgültig, wo das Pferd seine Schritte hinsetzte, die Hunde wurden mitgezerrt. Manchmal jaulten und kläfften sie unwillig, wehrten sich gegen das Gerüst, das sie ziehen mussten. Aber Ménonéhné konnte sich Verschwendung nicht leisten. Entweder die Hunde trugen zu ihrem Lebensunterhalt bei, indem sie wenigstens die Bündel schleppten oder sie landeten im Kochsack. Sonst wären sie die Knochen nicht wert, die Ménonéhné ihnen zuwarf.
Die Cheyenne wanderten weit nach Norden, in die offene Prärie, die nur manchmal von lang gezogenen Pinienhainen unterbrochen wurde oder von den mit Bäumen bewachsenen Flussufern. Das Land breitete sich in hohen Wellen vor ihnen aus, endlos wie der Himmel und soweit das Auge reichte. Manchmal halfen seltsame Landschaftsformationen oder Tafelberge, dass die Menschen sich orientieren konnten, manchmal wurden sie von dem ewigen Grasland einfach verschluckt. Hierher kamen sie nur, um Nahrung zu finden. Im Winter wären sie hier den Schneestürmen gnadenlos ausgeliefert. Selbst die Büffel suchten dann den Schutz der Berge und Wälder oder wanderten nach Süden.
Unterdessen hatte Falke-am-Boden das kleine Jagdlager der Lakota zwischen den Bäumen gefunden und jubelte vor Freude. Hier waren diese Halsabscheider also entlanggekommen! Es war reiner Zufall gewesen, dass er den Windschutz gesehen hatte, weil er selbst nach einem Platz zum Übernachten gesucht hatte. Trotz der Möglichkeit, dass es völlig sinnlos war, hatte er doch versucht, die Spur wieder von dem hohen Berggrad aufzunehmen. Es war Nacht gewesen, als die Lakota dort geritten waren und er hatte überlegt, wo sie vielleicht schnell einen Platz zum Lagern gefunden hatten. Eine Möglichkeit war dieses Wäldchen gewesen, in dem er nun die alte Lagerstelle gefunden hatte, einfach, weil sie im Schutz eines hohen Felsens lag. Es war Glück gewesen, denn vom Gipfel des Berges wären auch noch zwei andere Möglichkeiten einladend gewesen. Die Geister hatten ihn geführt und er glaubte ganz fest daran, dass seine Kriegsmedizin zu ihm zurückgekehrt sei. Die Stimmung am Lagerfeuer war gut, als er mit seinen Freunden scherzte und den nächsten Tag plante. Sie hatten keine weiteren Spuren gefunden, denn nach den vergangenen Tagen hatte sich das Gras wieder aufgerichtet. Selbst Hufabdrücke waren keine zu sehen. Vielleicht waren die Lakota aber auch weiterhin vorsichtig gewesen. Aber Falke-am-Boden war sich sicher, dass sie dem Dorf der Feinde näher kamen. Irgendwann würden sie auf Spuren stoßen, nicht von den Pferdedieben, aber vielleicht von anderen Jagdgruppen, die nicht ahnten, dass die Cheyenne ihnen auf den Fersen waren.
Am nächsten Tag ritt Falke-am-Boden kreuz und quer durch die Täler, seine Augen fest auf den Boden gerichtet, damit ihm kein Zeichen entging. Er hatte kaum Augen für die Schönheit dieser Umgebung, registrierte die Veränderungen nur in seinem Unterbewusstsein. Hier waren die Berge bis zum Gipfel bewaldet und leuchteten in einem satten Dunkelgrün. Täler mit klaren Bächen und grünen Wiesen wechselten sich ab mit Hängen, in denen ein Blitzschlag den gesamten Wald vernichtet hatte. Graue, abgestorbene Baumstämme ragten in den Himmel, von dem verheerenden Feuer verbrannt. Andere Hänge waren von einem Sturm verwüstet worden, der eine Bresche in den Wald gerissen und sämtliche Bäume wie feine Halme umgeknickt hatte.
Falke-am-Boden wählte den Weg durch ein weites Tal, das nur noch von einigen Hügeln umgeben war, Zeichen dafür, dass sie die Berge bald verließen. Noch immer gab es keinerlei Hinweise auf die Anwesenheit eines anderen Stammes und so änderte er die Richtung. Vielleicht hatte er in einem der nächsten Täler mehr Glück. Sie galoppierten einen sanften Hang hinauf und blickten aufmerksam über das Land, achteten auf den verräterischen Rauch von Kochfeuern oder die bunten Punkte einer Ponyherde. Auch hier zeigte sich nichts und Falke-am-Boden machte eine enttäuschte Handbewegung. „Vielleicht haben diese Halsabschneider die Berge längst verlassen und sind auch auf der Jagd!“
Sein Freund Wirbelt-Staub-auf drehte sein Pferd einmal im Kreis, weniger um die Landschaft zu sehen, sondern um seinen Ärger abzulassen. „Kehren wir um?“, fragte er mit verbissenem Gesicht.
Alles wirkte zusammengekniffen und verschoben an dem Krieger. Sein Gesicht wurde dominiert von einer viel zu breiten Nase und wulstigen Lippen. Sein muskulöser, aber etwas untersetzter Körper glänzte vor Schweiß von dem schnellen Galopp der Pferde. Es war plötzlich tagsüber heiß geworden. Ein Moskito setzte sich auf seinen Arm und er schlug unwillig danach. „Lass uns dort unten zu dem Fluss reiten und uns abkühlen! Dann können wir immer noch entscheiden, was wir tun!“
Falke-am-Boden nickte zustimmend, denn auch er fühlte sich verschwitzt und durstig. Seinen Ärger abzukühlen war eine gute Idee. Die Pferde suchten sich selbst den Weg ins Tal, drängten ebenso durstig zu dem Wasser und die Männer ließen sie laufen, während sie die Umgebung beobachteten. Dann zügelte Falke-am-Boden plötzlich sein Pferd und hob warnend die Hand. „Seht, dort!“, flüsterte er heiser vor Erregung. Sprachlos starrten die anderen in die angegebene Richtung und tauschten triumphierende Blicke. Sie hatten das Lager gefunden! Bereits aus einiger Entfernung waren deutlich die Kreise aus niedergetrampeltem Gras, erloschene Feuerstellen und die abgegrasten Weideflächen der Pferde zu sehen. Alles deutete darauf hin, dass hier bis vor kurzem noch Menschen gelebt hatten. Doch nun war alles still, bis auf einige Vögel, die aufflatterten und eine Herde Antilopen, die vor ihnen flüchtete. Hier waren bestimmt keine anderen Menschen mehr! „Sie sind weg!“, stellte Wirbelt-Staub-auf lakonisch fest.
Falke-am-Boden nickte mutlos mit seinem Kopf. Manchmal erschienen ihm die Lakota wie Geister, die einfach auftauchten und verschwanden, wie es ihnen beliebte. Eine breite Spur führte nach Osten, zeigte den Cheyenne, dass dieser Stamm die Berge bereits verlassen hatte. Sie würden mit den Schleppgerüsten nur langsam vorankommen und so verspürte Falke-am-Boden keine besondere Eile. „Wir rasten und überlegen dann, was wir zu tun gedenken!“, schlug er vor.
Die drei Männer ritten ohne Hast ins Tal, wussten genau, dass die Feinde keine Späher zurückgelassen hatten. Wozu auch! Hierher kam so schnell niemand zurück. Erst musste sich die Natur von dem langen Aufenthalt des Stammes wieder erholen.
Die Cheyenne suchten sich eine Stelle am Ufer, an der das weiche Gras bis zum Wasser führte und sie nicht durch einen sumpfigen Schilfgürtel waten mussten. Durstig planschten die Ponys ins Wasser, tauchten zufrieden ihren Nüstern in das kühle Nass, während die Männer abstiegen und sich ihrer Kleidung entledigten. Nackt wie sie waren tauchten sie in das flache Wasser, kaum tief genug, um ihre Körper ganz zu bedecken. Nur in der Mitte des Flusses war eine Rinne, in der sie bis zu den Hüften im Wasser standen. Trotzdem war es angenehm kühl auf der Haut und es schmeckte frisch. Unbedarft spritzten sie sich gegenseitig nass und Wirbelt-Staub-auf versuchte seinen Freund unterzutauchen. Er umklammerte Falke-am-Boden an den Hüften und versuchte, ihn umzuwerfen. Die Männer rangen lachend miteinander und schließlich fielen sie beide in die Strömung und ließen sich ein Stück treiben. Sie wurden auf einen Knick des Flusses zu- getrieben und setzten sich auf der anderen Seite in den warmen Sand, der dort angespült worden war. Der dritte Krieger, eigentlich noch ein Jugendlicher mit dem Namen Rote-Sonne, führte kopfschüttelnd die Pferde über den Fluss und brachte sie seinen Freunden. Er saß lächelnd auf seinem Pony, während er die anderen beiden Pferde an den Zügeln führte. Er hatte ein junges, fast noch kindliches Gesicht ohne ausgeprägte Linien und Falten. Ein kleiner Bauchansatz wirkte bei ihm wie Babyspeck, als würde eine besorgte Mutter ihm immer wieder Leckereien zustecken. Am lustigsten jedoch war sein Schmollmund, den er gern spitzte, wenn er über etwas nachdachte oder überrascht war. Plötzlich pfiff er erstaunt durch die Lippen und deutete auf eine Spur, die sich deutlich in dem sandigen Boden abzeichnete. „Seht!“, rief er verwundert.
Die beiden anderen waren sofort auf den Beinen und stellten sich immer noch nackt zu den Pferden. Misstrauisch schauten sie auf die Abdrücke und sicherten dann mit ihren Augen die Umgebung. Fast hastig schlüpften sie in ihre Lendenschurze und Mokassins, verzichteten auf ihre Hemden und Leggins. Diese Spuren führten nicht in die Richtung, die der Stamm genommen hatte, sondern in die entgegengesetzte Richtung! Hatten sich einige feindliche Krieger von ihrer Gruppe entfernt?
Mit Schwung zogen sich die Cheyenne auf ihre Pferde und folgten eine Weile der Spur, die am Ufer des Flusses entlang führte. Es war der Instinkt des Jägers, der sie auf diese Spur setzte, die Überlegung, dass es wesentlich leichter war mit einigen wenigen Gegnern fertig zu werden als mit dem ganzen Stamm. Wieso hatten sich einige Menschen aus der Sicherheit des Dorfes entfernt? Wieso zogen sie nicht mit den anderen? Geduldig, aber auch wachsam folgten sie den deutlichen Hufabdrücken im Sand des Flussufers. Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten, als sie schließlich eine erkaltete Lagerstelle fanden. Abrupt riss Falke-am-Boden sein Pony zurück und gab das Zeichen zum Halten.
Er stieg als Einziger ab, während die anderen umsichtig abwarteten, um keine Spuren zu verwischen. Schließlich kehrte Falke-am-Boden zurück und legte verwirrt den Kopf schief. „Drei Menschen haben hier gelagert! Am Morgen haben sie den Weg in diese Richtung genommen!“ Er zeigte in die ungefähre Richtung nach Westen.
„Dort liegt unser Dorf“, meinte Wirbelt-Staub-auf trocken.
Falke-am-Boden grinste zynisch. „Nicht mehr! Aber mich beunruhigt, dass diese Halsabschneider anscheinend erneut versuchen, unsere Ponys zu holen. Wir sollten ihren Übermut ein wenig kühlen. Mit drei Kriegern werden wir fertig! Was meint ihr?“
„Und ihr Dorf?“, fragte Rote-Sonne.
„Ach! Hier haben wir viel eher die Möglichkeit Ruhm zu ernten! Unser Dorf ist längst weg und so stellen diese Männer keine Gefahr mehr dar. Holen wir uns ihre Skalpe!“
„Wenn es die gleichen sind, die uns bereits vorher überrascht haben, dann ist ihre Kriegsmedizin vielleicht zu stark für uns?“, wandte Wirbelt-Staub-auf ein.
Falke-am-Boden zischte vor Verachtung. „Hast du Angst?“
Wirbelt-Staub-auf schüttelte vehement den Kopf. „Nein, ich bin nur vorsichtig! Wir müssen uns gut auf einen Kampf vorbereiten und die Geister um Schutz anflehen.“
Falke-am-Boden verzog nachdenklich die Lippen, dann stimmte er zu: „Es ist wichtig, gut vorbereitet in den Kampf zu ziehen! Wir werden flehen und unsere Kriegsfarben auftragen. Dann sind wir besser geschützt!“
Er sah die Erleichterung in den Augen der anderen und spürte seine eigene Verunsicherung. Was hatten diese Lakota vor? Ihr Verhalten ergab im Grunde keinen Sinn. Sie mussten doch damit rechnen, dass die Cheyenne keinen weiteren Diebstahl dulden würden! War ihre Kriegsmedizin vielleicht doch stärker?
Jeder nahm sein Bündel, in dem er seine heiligen Dinge aufbewahrte, vertiefte sich ins Gebet und flehte nach Schutz für den bevorstehenden Kampf. Dann entnahmen sie dem Bündel ihre Ledersäckchen, in denen die Farbe aufbewahrt wurde. Jeder malte sich nach seiner Vision an, ruhig und konzentriert, mit dem Bewusstsein, dass diese Zeichen Schutz bedeuteten.
Falke-am-Boden bemalte seinen Körper wieder mit den roten Kreisen, dann färbte er sein Gesicht auf der einen Seite rot, auf der anderen Seite schwarz. Sein Freund Wirbelt-Staub-auf färbte sein gesamtes Gesicht rot und malte blaue Streifen auf seinen Körper, während der jüngste von ihnen sein Gesicht mit roten Streifen versah und seinen Körper mit gelben Punkten. Auf den braunen Körpern leuchteten die Farben und sie vermittelten einen gefährlichen, kriegerischen Eindruck.
Mit stoischen Gesichtern machten sie sich an die Verfolgung der Fährte, die frisch vor ihnen lag. Ganz sicher rechneten die Lakota nicht damit, dass die Cheyenne plötzlich in ihrem Rücken auftauchen würden.
Falke-am-Boden schlug einen ausdauernden Trab an, wollte die Feinde möglichst noch vor Sonnenuntergang einholen. Er hatte keine Angst zu sterben, denn er war auf den Tod vorbereitet. So machte es ihm nichts aus, dass der Trab der Pferde sie vielleicht verraten würde, denn er suchte den offenen Kampf mit diesen Feinden. Indem er sie besiegte, würde die Kraft dieser Männer auf ihn übergehen!
Schweigend folgten sie der Spur, grinsten manchmal über die mangelnde Vorsicht ihrer Feinde. Hier lösten sie sich nicht einfach in der Luft auf, nein, diese Abdrücke würden sie direkt zu ihnen führen!
Wie ein Wolf, der Blut geleckt hatte, setzte sich Falke-am-Boden auf diese Fährte, in der festen Absicht diese Feinde aufzuspüren und zu töten.
Er fühlte seinen dumpfen Herzschlag und schöpfte Kraft aus dem Gedanken, dass er seine Blamage endlich auslöschen konnte. Alle seine Sinne waren geschärft und er fühlte das Spiel seiner Muskeln. Er war jung, er war bereit!
Die Fährte verließ den Lauf des Flusses und führte einen sanften Pass hinauf, der die Männer in das nächste Tal brachte. Immer weiter stiegen sie die Berge hinauf, dann wieder hinab, bis Rote-Sonne eine erstaunte Handbewegung machte. „Sie sind tatsächlich auf dem Weg in unser Dorf. Warum verbergen sie ihre Fährte nicht besser?“
„Weil sie nicht wissen, dass wir hinter ihnen sind!“, grinste Falke-am-Boden überheblich.
„Aber die letzten beiden Male haben die Feinde alle ihre Spuren verborgen! Auch jene, die zu uns geführt haben!“, wandte Rote-Sonne nachdenklich ein.
Verärgert biss Falke-am-Boden die Lippen zusammen. Sein Freund hatte recht! Hatte er schon wieder etwas übersehen? Spielten die Feinde ihm erneut einen Streich und wussten längst, dass er hinter ihnen her war?
„Wir reiten langsamer!“, meinte er vorsichtig. Was nützte es ihm, wenn er den offenen Kampf suchte, seine Feinde aber in einem Hinterhalt lagen? Es wäre wenig rühmlich einfach nur von einem Pfeil getroffen vom Pferd zu fallen.
Sie folgten der rauer werdenden Landschaft. Längst waren sie an dem Geröllhang vorbei, den sie auf ihrem Hinweg bereits überquert hatten. Weiter unten bemerkten sie eine leichte Bewegung zwischen den Bäumen, aber es konnte auch nur das Flimmern der untergehenden Sonne gewesen sein.
Falke-am-Boden dagegen verschärfte sein Tempo, war sich sicher, dass er seine Feinde vor sich hatte und wollte sie einholen. Die Fremden waren auf der Wanderschaft und würden keinen Hinterhalt legen. Sie waren ahnungslos!
Er vermutete, dass sie den Bach erreichen wollten, der weiter unten durch das Tal floss, um an seinem Ufer zu lagern.
Seine Hand umfasste fester die Lanze, die er nun griffbereit in seiner Hand hielt, während seine Freunde ihre Bögen aus den Köchern zogen. Falke-am-Boden verzog die Mundwinkel nach unten, als er an den bevorstehenden Kampf dachte. Er würde mit seiner Lanze die Nähe seines Feindes suchen, das war tapfer! Er wollte die Überraschung in den Augen des anderen sehen, wenn er ihm die Lanze ins Herz stieß! Er wollte dessen Tod sehen!
Er verließ den Schatten der Bäume und sah plötzlich die drei Reiter in einiger Entfernung vor sich. Er spornte sein Pferd zum Galopp an, hörte, wie seine Freunde das gleiche taten und stieß seinen gellenden Kriegsschrei aus. Sein Herz triumphierte, als die Feinde erschrocken ihre Pferde zügelten und sich der Gefahr, die so plötzlich von hinten kam, zuwandten. Doch ohne sich zu bewegen saßen diese auf ihren Pferden, warteten einfach nur ab, anstatt schnellstens ihre Waffen zu ziehen. Dann fiel Falke-am-Boden vor Verblüffung die Kinnlade herunter und er parierte sein Pferd durch, das schnaubend seine Hufe in das Gras bohrte. Er fiel ein Stück nach vorne vor Schreck, dann balancierte er sein Gewicht wieder aus. Neben ihm kamen seine Freunde ebenso unvermittelt zum Halten, ihr Kriegsruf erstarb zu einem überraschten: „How!“
Die Feinde standen immer noch wie angewurzelt vor ihm, in ihrer Mitte ein Mädchen, das vorsichtig die Hand zum Gruß hob. Es war Taischeé!
Sie klopfte mit ihren Fersen in den Bauch des Ponys und ritt ihm mit einem Lächeln entgegen. Keiner der beiden fremden Männer machte irgendwelche Anstalten, sie aufzuhalten oder Schutz hinter ihrem Rücken zu suchen. Taischeé war keine Gefangene, das war deutlich zu sehen!
Falke-am-Boden blies die Luft durch seine Backen, Zeichen seiner Verwirrung und versuchte, die Situation zu verstehen. Wieso ritten diese Feinde mit einem fremden Mädchen durch das Gebiet der Cheyenne? Machte ihre Kriegsmedizin sie unbesiegbar? Sie hatten es nicht einmal nötig, Taischeé festzuhalten, sondern erlaubten es ihr, sich frei zu bewegen, als wäre sie eine Schwester oder Familienangehörige. All dies war äußerst merkwürdig und ergab überhaupt keinen Sinn!
Taischeé
Tanzt-im-Feuer hörte den schrillen Kriegsschrei und sah den Angreifern entgegen. Ihre Körper waren für den Krieg bemalt, grell und schrecklich, in der Absicht den Feind zu irritieren. Sein Herz rutschte tief und er spielte nervös mit seinen Backenmuskeln. Er sah die Kampfbereitschaft in den Gesichtern der Feinde, den Willen zu töten und doch wollte er nicht kämpfen! Seine Hände hingen deutlich sichtbar nach unten, während er fieberhaft überlegte, was er nun tun sollte. Noch ein paar Galoppsprünge und er musste wenigstens seine Keule ziehen, um nicht einfach abgeschlachtet zu werden. Aus den Augenwinkeln sah er, wie auch sein Bruder nervös auf seinen Lippen kaute, kurz davor seine Waffen zu ziehen. „Warte noch!“, zischte Tanzt-im-Feuer.
Sein Bruder spuckte ins hohe Gras, ließ aber die Hände an den Zügeln des Pferdes. Mit gemischten Gefühlen beobachtete er, wie das Mädchen ihr Pony antrieb und den Angreifern entgegenritt. Wieso ließ sein Bruder die Geisel gehen? Warum benutzte er sie nicht, um es den Feinden schwerer zu machen, sie zu erwischen? Zumindest stoppte ihre Anwesenheit den Angriff und er atmete tief ein, wartete ab, was jetzt geschah.
Tanzt-im-Feuer holte ebenfalls tief Luft, denn kurz hatte er um Taischeé gefürchtet. Einfach auf angreifende Krieger loszureiten, auch wenn es welche ihres Volkes waren, war gefährlich. Sie hatte ihr Pferd wieder gezügelt und wartete nun ab, was die Männer tun würden. Sie blieb in seiner Nähe und er wunderte sich über dieses Verhalten. Vielleicht hatte sie Angst, dass er sie töten würde, wenn sie sich weiter entfernte oder aber sie wollte den Konflikt verhindern. Eigentlich hatte sie Mut!
Wieder musterte er die Männer, die nun in einiger Entfernung auf ihren Pferden saßen, genauso verblüfft über die Situation wie er. Keiner wusste, wie er reagieren sollte und auch Taischeé rührte sich nicht, war anscheinend enttäuscht, dass die Männer nicht näher kamen. Sie machte eine ungeduldige Handbewegung und winkte sie näher heran.
Tanzt-im-Feuer unterdrückte ein Grinsen, als er die Not sah, in die sie die Krieger damit brachte. Einen waghalsigen Angriff durchzuführen wäre ihm jetzt auch lieber gewesen. So eine Situation hatte er noch nie erlebt, genauso wenig wie die anderen.
Die Cheyenne trieben ihre Ponys zögernd in seine Richtung und blieben dann wieder abwartend stehen. Taischeé warf Tanzt-im-Feuer einen prüfenden Blick zu, dann trieb sie ihr Pony noch näher an ihre Stammesbrüder heran, redete mit der flüsternden Sprache auf sie ein. Mit steinernen Gesichtern saßen die Krieger auf ihren Pferden, nahmen das Mädchen kaum zur Kenntnis, während sie unverwandt ihre Feinde im Auge behielten. Tanzt-im-Feuer sah, wie einer der Krieger eine schnelle Antwort flüsterte und Taischeé merklich in sich zusammensank. Die Nachricht schien nicht so gut gewesen zu sein!
„Ich reiße dir das Herz heraus, wenn du ihrer Mutter etwas getan hast!“, flüsterte er drohend zu seinem kleinen Bruder. Taschunka-ayuchtata hob unschuldig die Hände und warf Tanzt-im-Feuer einen gereizten Blick zu. „Ich habe sie nicht angerührt!“, versicherte er flüsternd. Wie oft sollte er diese Tatsache eigentlich noch wiederholen? Er folgte seinem Bruder, der sein Pony einige Schritte in Richtung der Feinde trieb und grüßend die Hand hob. „Hau!“
Dann wandte sich Tanzt-im-Feuer in Zeichensprache an das Mädchen: „Was ist los?“
Taischeé zuckte enttäuscht mit ihren Schultern, als sie ihm mit kurzen Gesten erzählte, was sie gerade erfahren hatte: „Meine Leute haben ihr Dorf verlegt! Sie sind nicht mehr da!“
Tanzt-im-Feuer erlaubte sich ein leichtes Lächeln, obwohl er die drei fremden Krieger nicht aus den Augen ließ. „Wir werden sie finden! Deine Leute wissen, wo das Dorf ist“, signalisierte er freundlich.
Sie seufzte hörbar und wandte sich wieder an die Cheyenne. In dieser Sprache, die für ihn wie das Flüstern des Windes klang, redete sie auf die Männer ein, unterstrichen mit Gesten, damit auch die Lakota verstanden, was sie sagte: „Diese beiden Männer sind Lakota! Sie haben beschlossen, mich nach Hause zu begleiten!“ „Wieso rauben sie dich erst, und wollen dich dann zurückgeben?“, fragte Falke-am-Boden unwirsch. Auch seine Worte wurden durch Zeichen verdeutlicht und so richtete sich diese Frage eindeutig an Tanzt-im-Feuer und nicht an das Mädchen.
Tanzt-im-Feuer spielte amüsiert mit seinen Lippen, weil er die Antwort auf die Frage im Grunde auch nicht wusste. „Ich sah es in meinem Traum!“, erklärte er vage. „Wollen wir einen Lagerplatz für die Nacht suchen? Taischeé ist müde!“
Falke-am-Boden prustete so verblüfft durch seine Backen, dass Tanzt-im-Feuer endgültig lachte. „Wir brauchen Zeit, um die ganze Geschichte zu erzählen“, meinte er freundlich.
Falke-am-Boden versuchte, sein Gesicht zu kontrollieren, während er über das Angebot nachdachte. Die Medizin dieses Mannes musste wahrlich groß sein! Aber er behandelte Taischeé nicht wie einen Feind, ganz im Gegenteil, er zeigte Besorgnis und Achtung. Waren diese Männer nun Freunde oder Feinde?
Er wechselte einen Blick mit seinen Begleitern und sah die gleiche Ratlosigkeit auf deren Gesichtern. Er ließ die Maske aus arroganter Feindseligkeit fallen und lachte dunkel über das freche Angebot dieses Halsabschneiders. „Vielleicht ist das eine gute Idee! Dann können wir endlich eure Ponys rauben!“
Tanzt-im-Feuer erwiderte das Lachen mit einem vertraulichen Zwinkern seiner Augen. „Versuch es!“
Unvermittelt drängte Falke-am-Boden sein Pony an ihm vorbei und setzte sich an die Spitze des Trupps. „Folge mir!“, befahl er mit einer ungeduldigen Handbewegung.
Tanzt-im-Feuer wechselte einen vielsagenden Blick mit seinem Bruder und beschloss, das arrogante Verhalten seines Feindes zu ignorieren. Am Lagerfeuer konnte man immer noch das eine oder andere klarstellen. Hauptsache sie erreichten bald einen Lagerplatz, denn Taischeé brauchte Erholung. Außerdem spürte er ihre Traurigkeit und fühlte sich schlecht dabei. Es konnte Tage, vielleicht einen Mond dauern, ehe sie ihr Dorf fanden und er wusste, dass sie sich nach ihrer Mutter sehnte. Außerdem bedeutete jeder neue Tag weitere Schmerzen, die er ihr nicht zumuten wollte.
Die Sonne ging bereits hinter den Hügeln unter und tauchte die Welt in ihr glühendes Rot. Dunkle Wolken tanzten in dem roten Flammenmeer und erinnerten Tanzt-im-Feuer an wandernde Büffel auf ihrer langen Reise.
Falke-am-Boden wählte einen Lagerplatz in der Nähe des Wassers, unter einigen Kirschbäumen, die dort standen. Er überspielte seine Nervosität, indem er zum üblichen Tagesablauf überging, als wären die Lakota Angehörige seines Stammes. Noch hatte er mit Taischeé kein Wort mehr gewechselt, weil er nicht neugierig erscheinen wollte. Außerdem wäre es unhöflich gewesen, das Wort an ein Mädchen zu richten, wenn Männer anwesend waren. Nachdem er von dem Gedanken, die Lakota zu töten, Abstand genommen hatte, waren sie in erster Linie seine Gäste und da gab es bestimmte Anstandsregeln zu beachten. Trotzdem brannte er darauf, ihre Geschichte zu hören, obwohl er sich bemühte, das Mädchen nicht zu beachten. Mit Argwohn beobachtete er dagegen, dass dieser Lakotakrieger ihr durchaus Beachtung schenkte, geradezu besorgt war!
Der Fremde stützte Taischeé, als sie vom Pferd stieg und zum ersten Mal erkannte Falke-am-Boden, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie schien starke Schmerzen zu haben und ließ sich erschöpft zu Boden sinken. „Was ist mit ihr?“, fragte er unwirsch.
„Ihre Rippen sind gebrochen“, erklärte Tanzt-im-Feuer höflich. „Langes Reiten strengt sie an!“
Falke-am-Boden legte den Kopf schief, als ihm weitere Fragen einfielen, aber er runzelte nur die Stirn und sagte nichts. Die Geschichte, die Taischeé zu erzählen hatte, würde interessant werden! Wieso ritten diese beiden Lakota mit einem verletzten Mädchen durch die Gegend? Das war alles ziemlich merkwürdig.
Er scheuchte seinen jüngeren Freund auf und bat ihn Feuerholz zu sammeln. Dieser wehrte sich mit einer abfälligen Handbewegung gegen diese Aufgabe. „Lass das doch Taischeé machen!“
„Ihre Rippen sind gebrochen. Komm hilf mir!“
Ebenso überrascht stand Rote-Sonne auf und bückte sich nach einigen trockenen Ästen, dann hielt er kurz inne, als auch der jüngere Lakotakrieger ihnen wie selbstverständlich half. Er grinste locker, dann sammelte er die Äste in seinen Armen. Gemeinsam kamen sie zum Lager zurück und warfen die Äste mit Schwung auf einen großen Haufen. Im Nu flackerte ein lustiges Feuer und die Männer ließen sich daran nieder. Alle hatten Proviant dabei, den sie nun aus ihren Taschen holten und verzehrten.
Nur Tanzt-im-Feuer wartete noch ab. Er ging zu Taischeé, die erschöpft an einem Baum lehnte und offensichtlich Schmerzen hatte. So ging das nicht weiter oder sie würde bald überhaupt nicht mehr reiten können. Er reichte ihr die Hand und zog sie auf ihre Füße. Sie stöhnte unterdrückt und er wartete, bis sie sich gefangen hatte. Dann meinte er ruhig: „Komm, ich möchte deine Verletzung sehen! Es geht dir schlechter!“
Sie schüttelte scheu den Kopf und versuchte, ihm die Hand zu entziehen. Er wurde drängender: „Sei klug! Ich werde dir nicht wehtun. Aber deine Rippen heilen nicht gut. Ich will sie sehen! Vielleicht brauchen wir noch viele Tage, ehe wir dein Dorf erreichen. Komm!“
Er zog sie ein Stück den Fluss entlang, wollte das letzte Licht nutzen, um nach der Verletzung zu sehen. Unter dem Arm trug er sein heiliges Bündel mit sich, in dem sich auch ein paar Heilkräuter befanden. Natürlich musste er aufpassen, dass sie seine Kriegsmedizin nicht sah und ihr aus Versehen die Kraft raubte.
Falke-am-Boden sah, wie der fremde Mann Taischeé mit sich fortzog, wusste aber nicht, wie er darauf reagieren sollte. Auch schien sie sich nicht zu wehren und so versuchte er, das Verhalten zu übersehen. Was geschah hier? Er stopfte sich etwas getrocknetes Fleisch in den Mund und wartete darauf, dass die beiden zurückkehrten. Wenn sie zu lang ausblieben, würde er diesem Angeber vielleicht doch folgen und ihm den Schädel einschlagen. Der jüngere Bruder schien seine Gedanken zu spüren und machte eine beruhigende Handbewegung. „Er sieht nach ihrer Verletzung!“
Falke-am-Boden schnaubte wieder durch die Backen, gaukelte damit Gleichgültigkeit vor. Aber im Grunde ärgerte er sich, dass er nicht selbst auf die Idee gekommen war, nach ihr zu sehen. Außerdem wurmte ihn die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Fremde sich um Taischeé kümmerte. Vielleicht wäre es vorher doch besser gewesen, diese Fremden zu töten, anstatt nun friedlich mit ihnen am Feuer zu hocken.
Es wurde Zeit, dass Taischeé ihre Geschichte erzählte.
Tanzt-im-Feuer kniete sich ins Gras und zog Taischeé sanft zu sich herunter. Scheu kniete sie neben ihm, die Augen ängstlich gesenkt. Ihre Brust hob und senkte sich unregelmäßig, als er ihr mit einer deutlichen Geste befahl, das Kleid auszuziehen. „Ich sehe nicht hin“, lächelte Tanzt-im-Feuer nachsichtig. „Aber ich will deine Rippen sehen!“
Taischeé zögerte kurz, dann nahm sie sich ein Herz und zog das Kleid über ihren Kopf. Noch länger zu warten, würde die Situation noch unangenehmer machen, weil er vielleicht annahm, dass sie ihm schlechte Gedanken unterstellte. Tanzt-im-Feuer versuchte, ruhig und regelmäßig zu atmen, mit keiner Bewegung anzudeuten, wie ihm die Hitze in den Körper stieg. Er wollte sie nicht in eine peinliche Situation bringen!
Vorsichtig lockerte er den Verband und erkannte sofort, dass er ihr keinen Halt mehr gab. Er war längst verrutscht, lag nicht mehr über den gebrochenen Rippen, sondern schnürte ihren Bauch ein. Er wickelte das Lederband ab und untersuchte die Schwellung. Selbst in dem schwachen Dämmerlicht konnte er erkennen, dass sie in allen Farben schillerte, aber offensichtlich im Abklingen war. Er grunzte zufrieden, dann erhob er sich, um in seinem Bündel nach einigen Flechten zu suchen, die die Heilung unterstützen würden. Sie blieb nackt im Gras sitzen, ihre Arme vor ihren Brüsten verschränkt. Sie sah einfach wunderschön aus.
Wieder spürte er dieses Verlangen in sich, den Wunsch sie zu berühren und in ihren braunen Augen zu versinken. Die Gefühle tobten in ihm, lenkten ihn ab und er hatte alle Mühe, sich zu beruhigen. Mit den Flechten in der Hand kehrte er zurück, weichte sie ein wenig in dem fließenden Wasser ein, damit sie eine Weile kühlen würden, dann wickelte er den Verband wieder straff um ihre Rippen. Er war ganz nah bei ihr, spürte ihr leichtes Zittern, als sie die Arme hob, damit er den Verband anlegen konnte. Seine Hand streifte unabsichtlich über ihre Brust und doch fuhr sie nicht zurück oder strafte ihn mit einem giftigen Blick. Nichts! Einfach nichts. Nur ein tiefes Einatmen, das fast wie ein Sehnen klang. Es traf ihn wie ein Schock. Sie war bereit für ihn! Dieses Mädchen war bereit für ihn.
Ihre braunen Augen fraßen sich in den Seinen fest, voller Verlangen und Hoffnung. Sie wollte ihn. Diese Tatsache traf ihn so aus heiterem Himmel, dass ihm für einen Augenblick der Atem stockte. Warum jetzt? Warum zeigte sie ihm ausgerechnet jetzt, dass sie bereit für ihn war? In der Ferne waren die Stimmen der Cheyenne zu hören, weit genug weg, dass sie nicht störten. Aber immer noch waren es seine Feinde und es würde seine Kraft schwächen, wenn er jetzt seinen Gefühlen nachgab. Sollte er verzichten? Und was geschah, wenn einer der Männer aufstand, um nach ihnen zu sehen?
Es war inzwischen fast dunkel und sein Verstand schlug Purzelbäume. Nein, überlegte er versonnen, niemand würde kommen, einfach, weil niemand damit rechnete, dass er das Mädchen hier verführen könnte. Und plötzlich wurde ihm auch klar, warum sie es wollte: Sie wollte klare Verhältnisse! Es würde lange dauern, ehe sie ihr Dorf erreichten und sie wollte ihn schützen. Er würde als ihr Ehemann heimkehren, als Verwandter und nicht als Feind. Er gluckste leise in sich hinein, weil er plötzlich wusste, dass es richtig war, was sie hier taten. Sie waren füreinander bestimmt, schon die ganze Zeit und dieses Mädchen würde ihm nicht seine Kraft rauben, sondern, ganz im Gegenteil, ihm Kraft schenken. Er war auf keinem Kriegszug, sondern begleitete seine Ehefrau heim zu ihren Verwandten! Wieder berührte er ihre festen Brüste und dieses Mal war klar, dass er es mit Absicht tat. Sie zitterte leicht, dann seufzte sie erschauernd. Ohne dass er irgendwelchen Druck ausübte, ließ sie sich nach hinten sinken, erlaubte ihm weiter ihre Brust zu streicheln.
Tanzt-im-Feuer holte tief Luft, warf einen prüfenden Blick auf das entfernte Feuer, dann gab er sich seinen aufgestauten Gefühlen hin. Taischeé hier nackt vor sich zu sehen, war alles, was er sich je vorgestellt und gewünscht hatte. Nun würde er sie zu seiner Frau machen. Sanft glitt er auf ihren Körper, vermied es, ihren Brustkorb zu belasten, und tastete nach ihren Brüsten. Seine Hände wurden kalt vor Erregung und er beugte sich nieder, um an ihren aufgerichteten Brustwarzen zu saugen. Sie stöhnte unterdrückt, bäumte sich unter seinen Händen auf, bereit ihn zu empfangen. Sie wollte es genauso sehnlich wie er. Er staunte über ihre Lust, hörte auf ihren schnellen Atem und ihr leises Keuchen. Er warf einen prüfenden Blick in die Dunkelheit, lächelte über das Gefühl, hier etwas Überraschendes zu tun, und presste mit seinen Schenkeln ihre Beine auseinander. Viel Zeit hatten sie wirklich nicht oder die anderen würden misstrauisch werden. Willig folgte sie dem Druck, selbst in Erwartung dessen, was nun geschehen würde.
Er zerrte an seinem Lendenschurz, erlaubte diesem ungeduldigen Ding, das dort hervorquoll, endlich in die Höhle vorzudringen, die sich ihm öffnete. Es war das erste Mal in seinem Leben und kurz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er viel zu lange in seinem Leben gewartet hatte. Ein Feuersturm raste durch seinen Körper und er hatte das Gefühl, dass sein Herz aus der Brust zu springen drohte. Er folgte seinem Instinkt und stieß ein wenig ungeschickt zu, zögerte kurz, als sie zusammenzuckte. Hatte er ihr wehgetan? Verunsichert wollte er sich zurückziehen, doch ihre Hände baten ihn weiterzumachen und ihre Stimme flüsterte verheißungsvoll an sein Ohr. Er überließ sich dem drängenden Bedürfnis seines Körpers, bewegte sich sanft und rhythmisch auf ihrem heißen Geschlecht. Er spürte, wie auch an ihr etwas hart wurde, sie sich ihm entgegendrückte und massierte mit seinem Unterleib diese empfindsame Stelle. Sie wimmerte vor Lust, wölbte sich ihm entgegen, als wären alle Schmerzen vergessen und krallte sich mit ihren Fingern in seine Brust. Tanzt-im-Feuer schwindelte vor aufgestauter Energie, dann explodierte er in ihr, stieß zuckend mit aller Kraft in ihr vor. Stöhnend brach er über ihr zusammen, schwach und ausgepumpt, als wäre er wie neugeboren.
Nur kurz gaben sie sich dem Gefühl der Vereinigung hin, dann richtete er sich auf, versuchte seinen Herzschlag zu kontrollieren, der immer noch viel zu laut in seiner Brust klopfte. Es war kaum Zeit vergangen und doch erschien es ihm wie die ganze Nacht. Taischeé kniete sich nackt vor ihm hin, ebenso verschwitzt wie er. Selbst in der Dunkelheit konnte er ihren glänzenden Körper erkennen. „Bist du nun mein Mann?“, fragten ihre Hände, zeigten eine scheue Unsicherheit, als ob sie plötzlich befürchtete, dass es bei den Lakota ganz andere Sitten und Bräuche gab.
Tanzt-im-Feuer spürte die tiefe Zufriedenheit in sich, die sich wie eine wärmende Decke in seinem Körper ausbreitete. Immer, immer, würde er seine Bedürfnisse den Wünschen seiner Frau unterordnen! Er lebte, um sie zu schützen und ihr Freude zu bereiten. Er lachte dunkel und voller Liebe. „Ja, du bist nun meine Frau!“
Sie seufzte tief, dann kicherte sie wie ein kleines Mädchen. „Wir sollten zurückgehen!“
Wan! Wie sollte er das seinem Bruder erklären? Oder diesen fremden Cheyenne! Noch waren sie weder Freunde noch Bekannte, man könnte höchstens von einem kurzen Waffenstillstand sprechen, und er wagte es, mit dem Mädchen die Ehe zu vollziehen. Was für ein Coup! Er lachte laut und zeigte auf das Wasser: „Ich kühle mich ab, dann gehen wir zurück!“ Er hatte wirklich ein Bad nötig, so wie ihm diese Heldentat zu Kopf stieg.
Taischeé stöhnte leise, als sie versuchte, allein aufzustehen, und sofort plagte ihn das schlechte Gewissen. „Habe ich dir wehgetan?“
„Ja!“, erklärte sie ehrlich. „Alle Männer tun einem Mädchen weh, wenn sie das erste Mal mit ihr schlafen.“ Aber sie lächelte bei diesen Gesten und Tanzt-im-Feuer erkannte, dass sie einen Witz machte.
Taischeé hockte sich in das fließende Wasser, um sich zu reinigen und wieder blieb ihm die Luft weg, als er ihre anmutige Bewegung sah. Mühsam riss er sich von ihrem Anblick los und tauchte kurz unter, um die Hitze in seinem Körper zu vertreiben. Mit Schwung warf er anschließend seine langen triefenden Haare nach hinten und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Er brauchte nur seinen Lendenschurz umzulegen, während er ihr ausgesprochen gerne in das lange Kleid half. Sittsam senkte sie die Augen, scheu, wie sie sich jetzt benehmen sollte. Er strich über ihre zarten Wangen und genoss ein letztes Mal die Zärtlichkeit mit ihr. „Komm, gehen wir zurück!“
Taischeé folgte ihm mit kleinen Schritten, spürte nun doch deutlich ihre Rippen unter dem festen Verband. Sie war seine Ehefrau! Ihre Gefühle waren ganz klar, denn sie hatte es gewollt und herausgefordert. Immer wieder war dieser Mann in ihren Träumen zurückgekehrt und die Vorstellung ihn nun vielleicht zu verlieren, war furchtbar gewesen. Die Gelegenheit war günstig gewesen, einfach weil Falke-am-Boden im Moment noch nicht damit rechnete, aber in den nächsten Tagen wäre es unmöglich gewesen, mit Tanzt-im-Feuer in den Büschen zu verschwinden. Es war eine unüberlegte Entscheidung gewesen, aus ihrem Herzen heraus, und doch fühlte sie, dass es richtig gewesen war. Tanzt-im-Feuer hatte das Feuer in ihr entfacht, während andere Männer noch nicht einmal die Funken in ihr sahen. Allein der Gedanke, dass sie vielleicht einmal die Ehefrau von Falke-am-Boden oder einem der anderen Männer wurde, ließ sie innerlich erschauern. Nein, es war Tanzt-im-Feuer, den sie wollte und sie hatte ihn sich genommen! Nun konnte er unbeschadet an ihrer Seite in ihr Dorf reiten, denn er war ihr Ehemann. Sie gehörten zusammen.
Wie es sich für eine Frau geziemte, trat sie hinter ihm ans Feuer und ließ sich vorsichtig auf ein Fell gleiten. Am Morgen würde sie sich die Zöpfe nach vorn binden, als Zeichen, dass sie nun eine Ehefrau war. Es beruhigte sie, dass die Cheyenne inzwischen ihre Kriegsfarbe abgewaschen hatten und ebenfalls friedlich am Feuer saßen.
Taschunka-ayuchtata blickte vorwurfsvoll hoch, als sein Bruder ans Feuer trat und machte eine ungeduldige Handbewegung. „Wo bist du solange gewesen?“
Tanzt-im-Feuer grinste frech, dann meinte er harmlos: „Ich war schwimmen!“
Seine nassen Haare zeigten, dass er die Wahrheit sagte, trotzdem schüttelten die Cheyenne ungeduldig die Köpfe. Es war unhöflich, seine Gäste so lange warten zu lassen. Andererseits war auch nicht so ganz klar, wer hier wessen Gast war. Tanzt-im-Feuer griff nach dem getrockneten Fleisch und gab auch Taischeé etwas ab. Erst dann schloss er auffordernd einmal seine Augen und deutete damit an, dass er bereit war für die Fragen der Cheyenne.
Falke-am-Boden ließ die Mundwinkel hängen und deutete nachlässig auf Taischeé. Wieder flossen die schnellen Handzeichen zwischen den Männern hin und her, die eine durchaus ausgeklügelte Unterhaltung möglich machten, vom Lagerfeuer gespenstisch beleuchtet. „Sie sagt, dass ihr sie zu unserem Dorf zurückbegleitet! Ist das nicht ungewöhnlich? Wieso habt ihr sie dann gefangen?“
Tanzt-im-Feuer erlaubte sich ein verständnisvolles Schmunzeln, dann erklärte er: „Mein Bruder brachte sie als Gefangene zu mir, weil er dachte, dass er mir damit eine Freude macht. Aber ich sah nur ihre Angst und Trauer, so habe ich beschlossen, sie zu ihrer Mutter zurückzubringen!“
„Schade, dass du nicht auch die geraubten Ponys bringst!“, meinte Falke-am-Boden nicht ohne eine Spur Schärfe in seiner Mimik.
Tanzt-im-Feuer schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich habe sie nicht geraubt, also kann ich sie dir auch nicht bringen.“
Falke-am-Boden senkte den Kopf und überdachte die Situation. Schließlich machte er eine großzügige Geste in Richtung Taischeé. „Du hast uns das Mädchen gebracht. Das ist gut. Morgen werden wir uns trennen, jeder reitet in sein Dorf, in Frieden. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, dann ist wieder Krieg zwischen uns. Was sagst du?“
Tanzt-im-Feuer wechselte einen Blick mit Taischeé und lächelte freundlich: „Nein! Ich versprach, dass ich sie zu ihrer Mutter begleite. Sie ist nun meine Ehefrau.“
Falke-am-Boden stieß überrascht die Luft aus, aber auch Taschunka-ayuchtata schnalzte erstaunt mit seiner Zunge. Alle blickten fragend auf Taischeé, die verlegen die Augen senkte. „Er ist mein Mann“, flüsterte sie leise.
Falke-am-Boden sammelte die Spucke in seinem Mund über diese Frechheit. „Haben sie dich gezwungen?“, herrschte er sie an.
Taischeé hob ihre Augen, in denen sich plötzlich Tränen sammelten, dann schüttelte sie bittend den Kopf. „Nein, ich wollte es! Ich habe so entschieden. Bitte, er ist mein Mann!“ Sie tastete nach der Hand von Tanzt-im-Feuer, hatte plötzlich eine irrsinnige Angst, dass man sie trennen könnte. Tanzt-im-Feuer drückte ihre Hand ganz fest, dann ließ er sie los, weil eine so öffentliche Reaktion nicht männlich war. Seine Feinde mussten an seine Stärke glauben, nicht an seine Liebe zu seiner Ehefrau. „Sie ist meine Ehefrau“, wiederholte er ruhig. „Ich begleite sie zu ihrer Mutter, so wie ich es gesehen habe. Wir können gemeinsam reiten oder allein, aber ich werde meine Meinung nicht ändern. Ich kämpfe nicht gegen euch, denn ich achte die Verwandten meiner Frau. Hetschetu-welo!“
Er warf seinem Bruder einen warnenden Blick zu, denn er konnte sehen, dass auch dieser völlig verblüfft war. Er konnte ihm später immer noch alles erklären, aber jetzt war es besser, wenn er schwieg.
Im Gesicht von Falke-am-Boden arbeitete es, dann biss er sich auf die Lippen, als er mühsam mit dem Kopf nickte. „Also gut, wir reiten gemeinsam. Aber ich kann dir nicht sagen, wie die anderen darauf reagieren, wenn du unsere Mädchen entehrst.“
„Ich ehre sie!“, erklärte Tanzt-im-Feuer scharf. „Taischeé ist meine Frau!“
Die drei Cheyenne knurrten etwas Unverständliches, aber machten die Geste für „Gut“, alles andere konnte immer noch geklärt werden, wenn sie ihr Dorf erreichten.
Mit schiefen Blicken beobachteten sie, wie Tanzt-im-Feuer sein Lager neben Taischeé ausbreitete und sich neben ihr ausstreckte. Taischeé legte ihren Kopf auf seine Brust, zog die Beine an ihren Körper und kuschelte sich wie ein Eichhörnchen an ihn heran. Tanzt-im-Feuer lächelte zufrieden und zog die Decke hoch, nicht ohne seinem Bruder noch einen verschmitzten Blick zuzuwerfen. Er vertraute darauf, dass die Cheyenne in der Nacht nicht einfach ihre Keulen zogen und sie im Schlaf überraschten. Das wäre nicht ehrenhaft und er schätzte zumindest den Anführer der Cheyenne als ziemlich verwegen ein. Er würde den ehrlichen Kampf mit ihm suchen, aber nicht die Hinterlist. Er lächelte, als er daran dachte, dass er vielleicht niemals mit ihm kämpfen würde. Es wäre auch schön, ihn zum Freund zu haben.
Am Morgen brachen sie frühzeitig auf. Die Cheyenne übernahmen die Führung, dann folgten Taschunka-ayuchtata und Taischeé, während Tanzt-im-Feuer die Nachhut bildete. So hatte er seine Frau besser im Blick, achtete sorgsam auf Zeichen der Erschöpfung, um zur Not diesen Cheyenne zum Halten aufzufordern. Hier erfuhr er auch zum ersten Mal den Namen des verwegenen Kriegers, obwohl er sich den komplizierten Namen in der fremden Sprache nicht merken konnte. Er nannte ihn daraufhin „Tahanschi“, Cousin, weil er nun im Grunde ein Verwandter war. Die beiden anderer Krieger belegte er mit einem vertraulichen „Misun“, kleiner Bruder, im Unterschied zu seinem echten Bruder, den er „Misunkala“, mein lieber kleiner Bruder, nannte. Die schwarzen Augen der Cheyenne spiegelten keinen Ausdruck, als er sie wie Familienangehörige behandelte, wahrscheinlich wussten sie selber nicht, was sie davon halten sollten.
Tanzt-im-Feuer dagegen fand es durchaus beruhigend nun mit drei neuen Brüdern durch die unbekannten Berge zu reiten, denn auch hier drohten der kleinen Reisegruppe viele Gefahren. Sechs Menschen waren leichte Beute für jeden feindlichen Kriegszug und so genau konnte Tanzt-im-Feuer noch nicht abschätzen, wer hier seine Zelte aufgeschlagen hatte.
Gegen Mittag erreichten sie das verlassene Cheyennedorf und rasteten an einem der erkalteten Feuer. Taischeé war merkwürdig still, streifte durch das Dorf und blieb bei der Hütte ihrer Mutter stehen. Sie fand die abgeschnittenen Haare, die sichtbar neben der Feuerstelle lagen, und brach in Tränen aus. Sie drückte das Haar an ihr Gesicht, suchte nach dem vertrauten Geruch der Mutter und sank matt auf ihre Knie, als die Gefühle sie übermannten. Sie hatte sich nach dem Schrecken der letzten Zeit so sehr auf die Umarmung mit ihrer Mutter gefreut. Nun die abgeschnittenen Haare der Trauer zu sehen, zu wissen, dass ihre Mutter sie für tot hielt, war zu viel. Tanzt-im-Feuer nahm sie in den Arm, strich tröstend über ihre Haare und wunderte sich über ihre Verzweiflung. „Nitokah-ho?“, fragte er behutsam. Was ist los?
„Meine Mutter weint um mich“, schluchzte Taischeé. Ihr Weinen erfüllte das Tal und die Männer ließen betreten die Köpfe hängen. Tanzt-im-Feuer lächelte tröstend. „Ja! Aber wir gehen zu ihr. Dann wird sie wieder lachen.“
Taischeé lächelte unwillkürlich mit, wischte sich mit einer Hand die Tränen ab.
„Soll ich nach deinem Verband sehen?“, fragte Tanzt-im-Feuer und deutete zum besseren Verständnis auf ihre Rippen.
„Nein! Es geht mir gut“, sagte sie kopfschüttelnd. Dann erhob sie sich hurtig und machte sich an den Taschen zu schaffen, um nach einer Mahlzeit zu suchen. Mit einem strahlenden Lächeln kümmerte sie sich um ihren Mann, drückte ihm Trockenfleisch in die Hand und sah auch nach seinem Bruder. Falke-am-Boden runzelte argwöhnisch die Stirn, konnte sich noch nicht damit abfinden, dass sie nun die Ehefrau dieses Halsabschneiders war. Vielleicht machte er sie bald zur Witwe und dieser ganze Unfug hatte ein Ende. „Warum sind deine Rippen gebrochen?“, fragte er missmutig.
„Ich fiel gegen einen Baum!“, rettete sich das Mädchen mit einer Notlüge, weil sie keine Lust hatte, die Schrecken ihrer Entführung heraufzubeschwören.
„Gegen einen Baum?“, forschte Falke-am-Boden, übersah in seiner unbedarften Art, dass sie nicht darüber sprechen wollte.
Taischeé setzte sich auf einen Baumstamm und knabberte an ihrem Trockenfleisch, zeigte so, dass sie keine weitere Unterhaltung wünschte.
Falke-am-Boden knurrte verärgert und wandte sich direkt an Tanzt-im-Feuer: „Warum sind ihre Rippen gebrochen?“
Yun! Man konnte sehen, wie der junge Ehemann sich wand, aber dann entschloss er sich, die Wahrheit zu sagen, offensichtlich hatte er die Unterhaltung vorher nicht verstanden.
„Sie ist gegen einen Baum geprallt!“, erklärte er mit Handzeichen. Die Reaktion von Falke-am-Boden erstaunte ihn, denn dieser blies ungläubig die Backen auf und prustete vor Empörung. Er glaubte ihm kein Wort! Ganz im Gegenteil, er schien richtig verärgert zu sein.
Tanzt-im-Feuer legte den Kopf schief und musterte sein Gegenüber, dann erzählte er weiter: „Sie versuchte zu fliehen und ein Mann schleuderte sie gegen einen Baum!“
Falke-am-Boden schaute wütend zu Taischeé. „Du sagtest, dass du nicht gezwungen wurdest, aber die Lakota sprechen von Flucht und wie sie dich wieder eingefangen haben! Weißt du eigentlich, was du willst?“
Taischeé biss sich auf die Lippen, dann deutete sie auf Taschunka-ayuchtata. „Er war es, der mich entführt hat! Ich wusste nicht, dass er mich zu seinem Bruder bringt, deshalb bin ich geflohen. Ich hatte Angst!“
„Ach, und sonst wärst du gerne mitgegangen?“, zischte Falke-am-Boden.
„Vielleicht!“, nickte Taischeé ehrlich.
Tanzt-im-Feuer senkte die Augen und konnte ein Schmunzeln nicht mehr verhindern. Sie beide gehörten tatsächlich zusammen!
Auch Taschunka-ayuchtata lachte fröhlich und zeigte mit seinen Lippen auf seinen Bruder. „Hoh, er war wütend, als ich ihm das Mädchen gebracht habe! Sehr wütend!“
„Wieso war er wütend, wenn er sie doch haben wollte?“, wunderte sich Rote-Sonne.
„Na, weil ich sie nicht gut behandelt hatte. Sie war kratzbürstig wie ein Berglöwe.“
Die Männer lachten über diesen Scherz und die Situation entspannte sich sichtlich.
„Wohin sind die Menschen deines Volkes von hier aus gegangen?“, erkundigte sich Tanzt-im-Feuer und wechselte geschickt das Thema.
„Nach Norden“, antwortete Falke-am-Boden. „Sie suchen die Herden der Büffel.“
Tanzt-im-Feuer legte nachdenklich den Kopf schief, dann machte er einige schnelle Bewegungen mit seiner Hand, mit denen er andeutete, dass auch sein Volk nach Norden ziehen würde.
„Wo hattet ihr euer Winterlager?“, forschte Falke-am-Boden neugierig. Tanzt-im-Feuer klimperte ironisch mit seinen Wimpern und sparte sich die Antwort. Diese Männer waren vielleicht nicht mehr seine Feinde, aber er war weit davon entfernt, ihnen den Weg zu seinem Dorf zu erläutern. „Möchtest du deine Ponys suchen?“, spottete er.
Falke-am-Boden grinste gut gelaunt. „Vielleicht!“
Die Männer lachten harmlos, wechselten freundliche Blicke miteinander und schienen sich ganz gut leiden zu können. Sich gegenseitig die Ponys zu stehlen, war ein gelungener Coup und kein Grund sich gegenseitig zu hassen. Tatsächlich bewunderte Falke-am-Boden die Tat. „Es war klug, wie du uns entwischt bist!“, meinte er wohlwollend zu Taschunka-ayuchtata.
„Ich wollte nicht schon wieder im Kreis reiten, also bin ich im Bach umgekehrt!“, lächelte dieser geschmeichelt.
„Hast du noch mehr so gute Ideen?“, fragte Falke-am-Boden mit einem anerkennenden Nicken.
„Genug!“, wehrte Taschunka-ayuchtata großspurig ab.
„Vielleicht rauben wir dann gemeinsam die Ponys unserer Feinde?“, forderte ihn Falke-am-Boden heraus, meinte damit nämlich eindeutig die Pferde der Lakota.
Taschunka-ayuchtata wackelte amüsiert mit seinem Kopf und legte suchend die Hand an die Stirn. „Hokahey! Welche Feinde?“
Alle wieherten vor Lachen, zeigten ihre blitzenden Zähne und amüsierten sich köstlich.
Nach der kurzen Rast verließen sie in nordöstlicher Richtung das Tal und kletterten einen schmalen Pass hinauf. Falke-am-Boden wählte den Weg höher ins Gebirge, dort, wo die Gipfel steinig und kahl waren. Die Ponys quälten sich über den unebenen Boden, suchten mit vorsichtigen Schritten den besten Weg. Bis zum Abend hatten sie einen Gipfel überschritten und befanden sich wieder auf dem Abstieg ins nächste Tal. Kurz hatte Tanzt-im-Feuer die Sicht über das Land genossen, außerdem hatte er erkannt, dass der Weg nun leichter sein würde. Sie befanden sich bereits am nördlichen Ende der Bergkette und in der Ferne konnte er das wellige Land erkennen. Irgendwo dort, in den Senken und Tälern würden sie auf die Cheyenne treffen!
Inyan
Am Abend rasteten sie unter dem Schutz eines überhängenden Felsens. Die Pferde rupften an dem mageren Gras und an den Flechten, die in der Höhenlage nur spärlich wuchsen. Jetzt im Sommer war es in den Bergen angenehm kühl und die Männer hüllten sich sogar in ihre Umhänge, um sich zu wärmen. Tanzt-im-Feuer wechselte Taischeé wieder den Verband, verzichtete darauf sich mit ihr vom Lager zu entfernen, weil er davon ausging, dass die anderen diskret wegsehen würden. Fröstelnd saß seine Frau vor ihm, während er prüfend über die Rippen strich. Sie schienen gut zu heilen, obwohl er wusste, dass es mindestens einen Mond dauerte, bis Knochen wieder zusammenwuchsen. Solange sie nicht stürzte oder eine heftige Bewegung machte, würde die Heilung gut verlaufen.
Taischeé war müde und kuschelte sich auf die Decke, während Tanzt-im-Feuer sich noch zu seinem Bruder setzte und die Sterne am Himmel beobachtete. Die Nacht war klar, fast ohne Mond und sie bewunderten das glitzernde Band der Milchstraße.
„Du siehst sie wirklich als deine Ehefrau, hmh?“, wunderte sich Taschunka-ayuchtata leise.
Tanzt-im-Feuer lächelte freundlich. „Ja!“
„Hast du es schon getan? Ich meine …?“, Taschunka-ayuchtata machte eine ziemlich eindeutige Bewegung mit seinen Händen.
Tanzt-im-Feuer gluckste amüsiert über diese reichlich intime Frage, die seinen Bruder eigentlich nichts anging. Wahrscheinlich sah er es als Coup an, sonst hätte er überhaupt nicht gefragt. „Ja!“, antwortete er ehrlich. „Sie ist meine Ehefrau!“
„Und du wirfst sie nicht weg, wenn wir die Cheyenne erreicht haben?“
Tanzt-im-Feuer schnaubte empört über diese Unterstellung. „Misunkala, du weißt, dass sie in meinen Träumen war! Nun ist sie in meinem Herzen und ich habe nicht vor, Taischeé zu verlassen.“
Sein Bruder schüttelte verwirrt den Kopf. „Ja, aber wo willst du dann leben? Wirst du bei den Cheyenne bleiben?“
„Ich weiß noch nicht“, sinnierte Tanzt-im-Feuer.
„Warum bringst du sie nicht in unser Dorf zurück, wenn sie nun deine Frau ist?“
Tanzt-im-Feuer wurde ungeduldig, denn die Gründe für sein Handeln waren auch ihm nicht ganz klar. „Weil ich es so beschlossen habe!“
Sein Bruder schloss die Lippen und spielte mit den kleinen Kieselsteinen zu seinen Füßen. Tanzt-im-Feuer war ein tapferer Krieger! Warum ordnete er seine Wünsche diesem Mädchen unter? Immer noch fürchtete er irgendeinen Zauber, den sie auf seinen Bruder ausübte. Mit gemischten Gefühlen beobachtete er, wie sein Bruder sich neben seine Frau legte. Ihm ging das alles zu schnell! Normalerweise warb ein Mann lange um ein Mädchen, tauschte mit den Eltern Geschenke aus, wenn nicht die Eltern die Heirat arrangierten. Wo war hier eine so innige Beziehung entstanden und wo hätte sein Bruder Zeit gehabt haben sollen, die Ehe tatsächlich zu vollziehen? Bildete er sich das Ganze nur ein? Er hatte keine verdächtigen Bewegungen unter der Decke seines Bruders bemerkt!
Mit diesen Gedanken schlief er ein und er träumte von einem Hirsch, der seinen Bruder in den Wald lockte, um ihn dort zu töten. Schweißgebadet wachte er davon auf, nur um zu merken, dass der Morgen bereits dämmerte. Lockte dieses Weib seinen Bruder in irgendeine Gefahr?
Grummelnd weckte er die anderen, hatte keine Lust, noch länger in dieser Einöde zu bleiben. Wenn er nicht schlief, sollten auch die anderen nicht mehr schlafen. Niemand protestierte, als er sie unsanft schüttelte, denn es war von jeher so gewesen, dass der erste die anderen zum Aufbruch mahnte.
Nach einer kurzen Mahlzeit brachen sie daher auf, streckten ihre Arme wohlig der Sonne entgegen, die sie ebenfalls mit ihren Strahlen begrüßte. Jeder Morgen war ein Gebet, eine Geburtsstunde der Schöpfung, ein Geheimnis ewigen Lebens.
Sie ritten weiter über die Geröllhänge, vermieden es, nebeneinander zu reiten, denn der Weg war gefährlich. Zu leicht konnte ein Pferd ausrutschen, stürzen und die anderen mit sich ziehen. Manchmal stiegen sie ab, weil der Weg zu steil war. Tanzt-im-Feuer bezweifelte, dass hier der Stamm gewandert war. Offensichtlich nahm Falke-am-Boden eine Abkürzung, um die anderen wieder einzuholen. Aber wie sollte er sie finden, wenn er keinen Wegzeichen oder Hinweisen folgte? „Weißt du, wo dein Volk die Büffel jagt?“
Falke-am-Boden schob ungerührt die Lippen vor und deutete nach Norden. „Wir finden sie dort, wo die Herden der Büffel wandern!“
Tanzt-im-Feuer hob überrascht die Augenbrauen. Das war reichlich ungenau! Eigentlich hatte er keine große Lust, sinnlos durch das Land zu reiten, nur mit einer vagen Vermutung, wo die Cheyenne sein könnten. Aber was blieb ihm anderes übrig? Seufzend schloss er sich den anderen an, zügelte seine Ungeduld und versuchte, die Langeweile zu unterdrücken, die in ihm hochstieg. Lieber hätte er endlich ein kleines Zelt für sich allein gehabt, in dem er sich um seine junge Ehefrau kümmern konnte. Möglichst die ganze Nacht. Die Anwesenheit von weiteren vier Männern war nämlich keineswegs romantisch und so unterließ er weitere Annäherungsversuche.
Wieder wurde der Hang so steil, dass sie absteigen mussten, damit die Pferde entlastet wurden. Tanzt-im-Feuer bildete den Schluss, zusammen mit Falke-am-Boden und Rote-Sonne. Wirbelt-Staub-auf hatte die Führung übernommen, weil er anscheinend den Weg kannte. Hinter ihm gingen Taschunka-ayuchtata und Taischeé.
Tanzt-im-Feuer wischte sich den Schweiß aus den Augen, der ihm bei der kraftraubenden Kletterei ausbrach und schimpfte über die Rücksichtslosigkeit der Cheyenne. Dieser Weg war für Taischeé zu anstrengend! Er hätte lieber einen Umweg in Kauf genommen, damit sie geschont wurde. Am Abend würde er mit Falke-am-Boden ein ernstes Wort reden. Er konzentrierte sich auf den schmalen Pfad, hatte seine Augen auf den steinigen Boden geheftet, der kaum einen sicheren Tritt erlaubte. Einen halben Pfeilschuss unter ihm fiel der Hang über einen scharfen Grad, wie abgebrochen endete hier der Berg und fiel an einer felsigen Steilwand ins Tal. Einige verkrüppelte Pinien hatten sich mit ihren Wurzeln in das felsige Gestein gekrallt, fanden kaum Nährstoffe in dem Boden, um hier zu gedeihen.
Über ihnen im Hang lösten sich plötzlich einige Gesteinsbrocken, prallten gegen die überhängenden Felsen und regneten auf sie hinunter. Tanzt-im-Feuer wurde an der Schulter getroffen, stieß einen Warnruf aus und hob schützend den Arm gegen weitere Kiesel, die auf ihn zuflogen. Die Männer vor ihm zerrten hastig an den Zügeln der Ponys, versuchten, sie vor der drohenden Gefahr wegzureißen.
Das dumpfe Donnern der herabfallenden Steine hallte von den Wänden, löste eine Gesteinslawine aus, die mit unglaublicher Urgewalt ins Tal rutschte. Die Ponys wieherten angstvoll, in ihren Augen spiegelte sich das Weiß der Augäpfel, als sie sich in Panik losrissen und davonstoben.
Taischeé wurde von ihrem Pferd fast umgerissen und fiel auf die Knie. Ihre Hände griffen nach den rollenden Steinen, die plötzlich überall um sie herum waren, und versuchte, irgendwo Halt zu finden. Sie schrie gellend vor Angst, aber niemand war in der Lage, ihr zu helfen. Der Hang verwandelte sich in eine Todesfalle aus rollendem Kies und Stein. Ihre Knie schrammten über den Boden, dann rutsche sie etwas seitwärts und griff nach einem größeren Felsbrocken. Kurz konnte sie Halt finden und schaffte es, sich auf die Füße zu ziehen. Sie rannte einige Sätze weiter, ihr Gesicht verzerrt vor Furcht, dann erreichte sie sicheren Felsen und kletterte daran empor.
Tanzt-im-Feuer war zu weit hinten, um ihr zu helfen. Er fand sich mitten in der Gerölllawine wieder und der Boden rutschte ihm unter den Füßen weg. Er lag rudernd auf dem Geröll, seine Arme und Beine zerkratzen an den scharfen Steinen und er suchte verzweifelt nach Halt. Er drohte über die Felskante ins Tal zu stürzen und konnte nichts gegen diese verheerende Naturgewalt tun. Er schluckte Unmengen Staub, fühlte, wie auch seine Lungen sich mit dem Staub füllten und rang keuchend nach Luft. Die Lawine gewann an Geschwindigkeit und er wusste, dass er gleich über den Grad fallen würde. Er griff nach allem, was seine Hände erreichten und versuchte, seine eigene Geschwindigkeit zu verringern, um den Tod hinauszuzögern. Er stimmte sein Todeslied an, krächzend und heiser, wollte sich wenigstens kurz auf den Tod vorbereiten. Sein Geist war leer, wie gelähmt, seine Arme bewegten sich instinktiv, wie der Schwanz einer Eidechse, der auch noch zuckt, selbst wenn er bereits vom Körper abgetrennt ist. Ein Ast schlug nach ihm und er hob schützend die Hand, als die Nadeln einer Kiefer sich in sein Gesicht drückten. Es war ein ganzer Baum, klein und verkrüppelt, der von der Lawine entwurzelt wurde und sich nun gen Tal neigte.
Tanzt-im-Feuer griff nach einem Ast, als suche er Halt in der Seele des Baumes, der mit ihm sterben würde. Dann ruckte es gewaltig und er war kaum in der Lage, sein eigenes Gewicht zu halten. Seine Beine rutschten über den Abhang und Tanzt-im-Feuer schrie seine Verzweiflung heraus. In dem Donnern der Gerölllawine wurde seine Stimme vollständig verschluckt. Ein weiterer Ruck riss ihm fast den Arm aus dem Leib, aber dann hing er hilflos über dem Abgrund. Irgendwo hatte sich der Baum mit dem Wurzelstock in den Felsen und Spalten verklemmt und damit auch ihn gehalten.
Er blickte nach oben und konnte kaum begreifen, dass dieser kleine Baum ihn hielt. Aber die Äste waren stark, hatten schon den verheerenden Winterstürmen getrotzt. Seine Gedanken flogen, als er prüfend die Stabilität testete, darauf wartete, dass er endgültig in die Tiefe stürzte. Sofort entlastete er sein Gewicht, indem er mit der zweiten Hand nach dem Ast griff. Dann versuchte er, mit seinen Beinen nach oben zu schwingen. Sein Fuß fand den Stamm und er umklammerte ihn mit dem Knie, konnte sich damit wesentlich besser halten. Neben ihm polterte das Geröll in die Tiefe und er atmete tief ein, versuchte die Angst, die erst jetzt in ihm hochstieg zu kontrollieren. Sein Blick wanderte nach oben und er prüfte, ob es ihm gelingen würde an dem Baum nach oben zu klettern. Er bezweifelte es, hatte Angst, dass durch zu viel Bewegung der Baum aus seiner Halterung gerissen wurde.
Dann sah er, wie ein Mann neben ihm in die Tiefe zu stürzen drohte. Hilflos rutschen seine Beine über die Kante, zusammen mit weiteren Steinen und Kies. Der Mann schrie gellend, versuchte, nach irgendetwas zu greifen, um den Sturz in den Tod zu verhindern. Verzweifelt griff er nach den Zweigen der Kiefer und verfehlte sie um Haaresbreite. Ohne zu denken griff Tanzt-im-Feuer nach dessen Hand, packte sie so fest er konnte am Handgelenk. Der Mann stürzte mit weit aufgerissenen Augen in die Tiefe, dann baumelte er hilflos in der Luft, nur von Tanzt-im-Feuers festem Griff gehalten.
Der Ast ächzte unter der Last des Gewichts der beiden Männer und der Baum gab ein weiteres Mal nach, ehe er mit einem Ruck seine endgültige Position erreichte, nun fest zwischen den Felsen eingeklemmt. Tanzt-im-Feuer hielt für einen Augenblick die Luft, als er kurz befürchtete, dass sie nun beide für diese Dummheit sterben würden. Der Baum trug kaum sein Gewicht und die Last des zweiten Mannes war ein unnötiges Risiko. Aber er war Lakota und er starb lieber, als dass er einen anderen Mann im Stich gelassen hätte.
Knirschend biss er die Zähne zusammen, als der Schmerz durch seine Arme schoss, die raue Rinde des Baumes seine rechte Handfläche aufschürfte, aber nicht um alles in der Welt hätte er losgelassen. Jeden Augenblick spürte er, wie das Gewicht des Mannes schwerer und seine Hand feucht wurde. Seine Gedanken schalteten sich aus, als er die Augen schloss und sich nur noch auf seine linke Hand konzentrierte, die fest das Gelenk des anderen umkrallte. Festhalten! Festhalten! Festhalten!
Er hatte keine Kraft mehr, den anderen zu halten und spürte, wie dieser gleich durch seinen Griff zu rutschen drohte. Er betete um Beistand, hörte selbst seine eigenen Worte kaum, weil seine Backenmuskeln unter der ungeheuren Anstrengung zusammengebissen waren. Jede Faser seines Körpers verkrampfte sich, jeder Muskel, jede Sehne war gedehnt, die Arme drohten aus den Gelenken zu reißen. Der Mann unter ihm brüllte etwas zu ihm, aber er hatte nicht einmal die Energie die Augen zu öffnen. Der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht, hinterließ seltsame Spuren auf seiner staubigen Haut. Plötzlich hörte er eine Stimme von oben und er blinzelte kurz, gerade lange genug, um seinen Bruder zu erkennen, der sich über den Grad gebeugt hatte. Taschunka-ayuchtata lebte! Irgendwie beruhigte ihn diese Tatsache! In einem weit entfernten Teil seines Herzens zuckte für einen winzigen Moment die Erinnerung an Taischeé hoch, aber er wischte sie beiseite, weil sie ihn von seiner einzigen Aufgabe abhielt, die sein Leben noch hatte. Festhalten. Festhalten. Festhalten.
Das Gewicht unter ihm wurde leichter und er befürchtete, dass der Mann doch abgestürzt war. War seine Hand schon so taub, dass er nichts mehr fühlte? Dann hörte er durch den Lärm der Lawine, wie die deutliche Stimme seines Bruder immer wieder schrie: „Lass ihn los! Ich habe ihn!“
Tanzt-im-Feuer verstand die Worte, aber er konnte sie nicht umsetzen. Seine Hand war so verkrampft, dass er sie nicht lösen konnte. Sein ganzes Denken konzentrierte sich darauf, die Finger zu entspannen und den Mann freizugeben, den er gehalten hatte. Sein Arm wurde einige Male heftig geschüttelt, dann war seine Hand endlich frei und er spürte die Entlastung auch in seinen Gelenken und Schultern. Trotzdem fühlte er sich schwach wie ein Baby. Es war unmöglich, nach oben zu greifen und sich mit der zweiten Hand zu stabilisieren. Nur sein Bein, das immer noch den Stamm umklammert hatte, verhinderte, dass er in den Abgrund stürzte. Seine Finger brannten, waren wund und rutschig, kaum mehr in der Lage, ihn zu halten.
„Wickle das Lasso um deine Hand!“, kam der ruhige Befehl seines Bruders. Die Stimme strömte Vertrauen und Zuversicht aus, die Gewissheit, dass seine Rettung kurz bevorstand.
Tanzt-im-Feuer versuchte, die Augen zu öffnen, fühlte wie die Schwäche nach ihm griff. Ein Seil aus geflochtenem Leder baumelte vor seiner Nase und unendlich langsam griff er mit seiner freien Hand danach. Umwickeln! Wie in Trance schlang er das Lasso mehrmals um seinen Arm, dann glitten die Finger, die ihn hielten, von dem Ast ab. Kopfüber baumelte er über dem Abgrund, entspannte kurz seine Achseln und Hände, dann fühlte er, wie er an dem Lederriemen hochgezogen wurde. Sein Bein gab den Ast frei, während er gleichzeitig mit der zweiten Hand nach dem Lasso griff, dann rutschte er ein Stück tiefer. Mit nach oben gestreckten Armen hing er an der Felswand, nur von dem Lasso gehalten, das nun tief seinen Arm einschnürte. Er keuchte vor Schmerzen, rote Sterne explodierten vor seinen Augen, als sein Körper gegen die Felswand krachte. Rücksichtslos wurde er nach oben gezogen und die scharfen Felsen schnitten in das Fleisch seiner Unterarme. Er erreichte die Felskante und feste Hände packten ihn unter den Armen, um ihn in Sicherheit zu ziehen. Völlig ausgepumpt lag Tanzt-im-Feuer auf dem felsigen Boden, fühlte seinen geschundenen Körper und sein pochendes Herz. Wan! Aber er lebte!
Nur langsam kam er zu Atem, hustete und spuckte den Staub aus seinen Lungen. Sein Bruder hockte neben ihm, selbst gezeichnet von der ungeheuren Anstrengung, die es ihm gekostet hatte, Tanzt-im-Feuer zu retten. Der Donner des zu Tal stürzenden Gesteins verebbte langsam, verschwand wie das dumpfe Grollen eines entfernten Gewitters. „Tschiye!“, rief sein Bruder besorgt. „Tschiye!“
Tanzt-im-Feuer war zu keiner Bewegung fähig. Der Schock saß zu tief in ihm und lähmte seine Glieder. Seine Lippen zitterten unkontrolliert, Zeichen der völligen Überanstrengung, aber auch der ausgestandenen Angst. Erst langsam kam zu den überdehnten Gelenken und Muskeln auch der Schmerz der vielen Schürfwunden. „Haun!“, stöhnte er leise, zu mehr reichte es nicht. Erst dann schoss ein anderer Gedanke durch seinen Kopf, ein furchtbarer Verdacht! „Taischeé?“
„Hohch!“, beruhigte ihn sein Bruder reichlich ungehalten. „Sie ist auf einige Felsen geklettert! Ich glaube, es geht ihr gut!“ Das stimmte zwar nicht ganz, aber das konnte Taschunka-ayuchtata nicht wissen. Er hatte lediglich gesehen, dass das Mädchen sich in Sicherheit gebracht hatte, mehr nicht!
Nun kam Taischeé angehumpelt, selbst im Schock des Erlebten. Sie hatte ihre Hand auf die Rippen gepresst und sah erbarmungswürdig aus. Weinend stürzte sie auf ihren Mann und strich mit zitternden Händen über seine vielen Verletzungen. Ihre Tränen berührten sein von der Todesnähe gezeichnetes Gesicht und er schmeckte das leichte Salz auf seinen Lippen. Trotz seiner Erschöpfung lächelte er, raffte sich auf, um wenigstens kurz mit seiner klebrigen Hand über ihr Gesicht zu streicheln. Er hinterließ einige blutige Flecken auf ihrer staubigen Wange, aber es störte ihn nicht. „Wani yelo!“, murmelte er. „Ich lebe!“
Er fühlte eine solche Erleichterung in sich, dass er übergangslos zu Lachen anfing. Ein Kichern stieg in ihm hoch, das zu einem ausgelassenen Gelächter anschwoll, das ihm die Tränen in die Augen trieb. Er lebte!
Erst jetzt interessierte er sich dafür, wem er eigentlich das Leben gerettet hatte und mühsam richtete er sich in eine sitzende Position auf. Rote-Sonne und Wirbelt-Staub-auf saßen mit besorgten Augen neben ihm, nur Falke-am-Boden schien genauso ramponiert zu sein wie er. Der Cheyenne rappelte sich auf und sah ihn mit ehrlichen Augen an. Dann machte er ein paar schnelle Handzeichen: „Du bist ein Feind und doch hast du mein Leben gerettet! Ich weiß nicht, ob ich für dich das gleiche getan hätte. Aber nun weiß ich, dass du mein Bruder bist. Nimm meinen Arm, der in Zukunft dein Leben beschützen wird.“
Sprachlos starrte Tanzt-im-Feuer auf den grimmigen Krieger, der ihm hier eine Freundschaft auf Leben und Tod anbot. Er hatte seine Hand ausgestreckt und Tanzt-im-Feuer griff nach ihr, nahm dessen Handgelenk genauso fest, wie er den Krieger vor dem Sturz in den Abgrund bewahrt hatte. „Du bist mein Kola!“, bestätigte er ernsthaft. Die Geste war so eindeutig, dass er nicht erklären musste, dass „Kola“, der beste Freund eines Mannes war. Eine Freundschaft bis in den Tod, so wie es der Cheyennekrieger auch ihm angeboten hatte.
Falke-am-Boden nickte erfreut und erlaubte sich ein dankbares Lächeln, zum ersten Mal ohne Vorbehalte und Argwohn. Ein Lächeln von tief empfundener Dankbarkeit und wahrer Freundschaft. „Ho‘ve!“, mein Freund, wiederholte er in der Sprache der Cheyenne. Tanzt-im-Feuer wusste instinktiv, dass er hier jemanden gefunden hatte, auf den er sich vollkommen verlassen konnte. Dieser Mann würde eines Tages die Schuld begleichen.
Falke-am-Boden musterte seinen Freund eingehend und legte grinsend den Kopf schief. „Du siehst übel aus!“
„Hohch! Ich fühle mich auch übel!“, bestätigte Tanzt-im-Feuer und sah prüfend an sich hinunter. Seine Arme waren blutig und voller Schürfwunden, seine Hand, die den Ast umklammert hatte, schien rohes Fleisch zu sein, und seine Leggins und Beine sahen auch nicht besser aus. „Haun! Ein Bad täte jetzt gut!“, meinte er stöhnend. „Wo sind die Pferde?“
Sein Bruder wedelte verärgert mit der Hand. „Frag den Wind!“
Wan! Wie sollten sie ohne Pferde das Dorf der Cheyenne erreichen? Tanzt-im-Feuer ließ sich erschöpft zurücksinken, hatte im Moment nicht die Kraft, schon wieder an neue Probleme zu denken. Keine Pferde! „Und unser Proviant?“, hauchte er müde.
„Fort!“, berichtete sein Bruder wenig einfühlsam.
„Waffen?“, forschte Tanzt-im-Feuer nach ihrer verbliebenen Kampfkraft.
„Oh! Taischeé hat noch ihr Messer und könnte uns jetzt allen die Kehle durchschneiden!“, bemerkte sein Bruder frech.
Die Cheyenne lachten laut, ließen ebenfalls ihre aufgestauten Gefühle heraus. Sie hockten alle am Rande des Abgrunds und blickten mit klopfenden Herzen in das Tal hinunter. Erst langsam begriffen sie, was sie gerade überlebt hatten und ergriffen nahmen sie die Eindrücke in sich auf, als wären sie gerade erst geboren. Die Wolken, die am Himmel tanzten; der leichte Wind, der ihren Schweiß trocknete; Vögel, die immer noch hektisch zwitschernd durch die Luft flogen; der Staub, der sich langsam senkte; die Wärme der Sonnenstrahlen.
Tanzt-im-Feuer musterte seine Frau und strich über ihr zerschlissenes Kleid, das deutlich zeigte, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte. „Wie geht es dir?“
Ihre Hand wackelte unwillig hin und her. „Es geht!“ Ihre Augen wanderten über seinen Körper und sie seufzte laut: „Wo tut es dir weh?“
Tanzt-im-Feuer lachte ironisch: „Überall!“ Besorgt hob er seine rechte Hand, die wahrscheinlich nie mehr einen Bogen führen konnte. „Wir brauchen Wasser und wir müssen nach unseren Pferden suchen!“, meinte er entschlossen. Kurz fiel sein Blick auf die anderen Männer und er nickte beruhigt. Drei Krieger hatten noch ihre Waffen, das musste für den Augenblick genügen. Sein Bogen war vermutlich mit dem Geröll in den Abgrund gefallen und auf immer verloren. Er biss sich auf die Lippen, denn sein Vater hatte viel Sorgfalt darauf verwandt, diese Waffe herzustellen. Es würde dauern, bis er einen gleichwertigen Bogen fand, wahrscheinlich erst, wenn er wieder in sein Dorf zurückkehrte. Solange musste er sich einen Notbehelf basteln, der bei Weitem nicht an die Qualität seines ersten Bogens heranreichen würde. Es wunderte ihn, dass wenigstens sein Messer diese rasende Fahrt überstanden hatte und unbeschadet in der Scheide hing.
„In Zukunft wähle ich den Weg!“, meinte er lakonisch. Er hatte kein besonderes Vertrauen mehr in die Kundschafterdienste dieser Cheyenne. Wirbelt-Staub-auf senkte betreten den Kopf und versuchte, sich zu entschuldigen: „Ich bin diesen Weg bereits geritten und nichts ist geschehen!“
„Deswegen heißt du wohl Wirbelt-Staub-auf! Passiert dir das öfter?“
Wieder kicherten die Männer wie kleine Jungen, froh darum, dass alle noch am Leben waren.
„Aber sicher!“, erklärte Wirbelt-Staub-auf. „Ich strafe damit die Männer, die unsere Mädchen rauben!“
„Uh!“, brummte Tanzt-im-Feuer. „Sehr gut! Du machst Taischeé zur Witwe und nimmst sie dann selbst in dein Zelt! Sehr schlau! Hast du auch einen Plan, wie du anschließend dein Pferd wieder einfängst?“
„Ich laufe ihm hinterher!“, grinste Wirbelt-Staub-auf.
Tanzt-im-Feuer schnalzte auffordernd mit seiner Zunge und erhob sich stöhnend, fühlte sich um hundert Jahre gealtert. „Lasst uns die Ponys suchen! Vielleicht sind sie nicht so weit gelaufen. Außerdem brauche ich Wasser, mein Mund ist so trocken wie der sandige Boden der Wüste.“
Wirbelt-Staub-auf nickte bedächtig mit seinem Kopf und wedelte mit seiner Hand in die Richtung des fernen Tales. „Dort unten ist eine Quelle! Ich bringe dich dorthin und dann suche ich nach den Pferden. Du musst dich ausruhen.“
„Gute Idee!“, knurrte Tanzt-im-Feuer ungehalten, versuchte mit seiner lässigen Art über seinen schlechten Zustand hinwegzutäuschen. Zögernd schlurfte er über den Boden, der nun wieder fest unter seinen Mokassins lag, aber die scheinbare Stabilität war trügerisch und gefährlich. Die Berge gaben Schutz, aber sie konnten in ihrer Wildheit auch Leben vernichten.
Zu Fuß machte sich die kleine Gruppe an den Abstieg ins Tal. Misstrauisch prüfte Tanzt-im-Feuer jeden Schritt, erst dann erlaubte er Taischeé ihm zu folgen. Immer noch rutschten vereinzelte Kiesel unter seinen Füßen weg und dies zeigte ihm, dass er diesen Weg niemals hätte gehen dürfen. Hier mit Pferden zu reiten war glatter Selbstmord gewesen.
Falke-am-Boden folgte ihm vorsichtig, achtete ebenfalls auf Schritt und Tritt. Alle atmeten auf vor Erleichterung, als sie endlich die ersten Bäume erreichten und ihre Füße auf weichem Gras liefen.
Wirbelt-Staub-auf führte sie zu einer kleinen Quelle, die munter zwischen einigen Felsen hervorsprudelte. Tanzt-im-Feuer ließ sich auf seine Knie fallen und tauchte seine verletzte Hand in das Wasser. Es war eine Wohltat seine Verletzungen zu kühlen und sein Gesicht von dem Schmutz zu befreien. Erst dann nahm er einige tiefe Schlucke, löschte seinen Durst mit dem reinen Nass. Sichtlich erholt drehte er sich zu Taischeé um, die bewegungslos in seiner Nähe stand. Dicke Tränen liefen über ihr Gesicht und sein Herz rutschte tief. „Was ist los?“, fragte er behutsam.
„Es tut so weh!“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. „Es tut so weh!“
Er half ihr sich ins Gras zu legen und fasste sanft an ihre verschwitzte Stirn. „Zieh dein Kleid aus! Ich helfe dir!“, befahl er besorgt.
Sie schüttelte mit geschlossenen Augen ihren Kopf und wehrte seine Hilfe mit einer halbherzigen Handbewegung ab. „Ich kann nicht!“
Tanzt-im-Feuer winkte seinen Bruder herbei und gemeinsam zogen sie dem Mädchen das Kleid aus. Unendlich behutsam behandelte Tanzt-im-Feuer die vielen Schürfwunden mit einem abgerissenen Stück Leder, das er immer wieder in das Wasser hielt. Dann untersuchte er ihre Rippen und umwickelte sie wieder fest mit dem Lederband. Die ganze Zeit hatte seine Frau die Augen geschlossen, zu müde noch irgendetwas wahrzunehmen. Tanzt-im-Feuer deckte sie mit dem Kleid zu, strich sanft über ihre Stirn, während er seinen Gedanken nachhing. Nie mehr wollte er ihr solche Schmerzen bereiten! Nie mehr! Er warf seinem Bruder einen harten Blick zu, der mit schlechtem Gewissen neben ihm saß. „Dein Handeln war ohne jede Verantwortung! Siehst du ihre Pein?“
Taschunka-ayuchtata zuckte merklich zusammen und senkte verlegen den Blick. „Ich wollte dir ein Geschenk machen, aber in Wahrheit bereitete ich dir nur Schmerzen, und ihr!“ Er zögerte merklich, dann meinte er: „In Zukunft werde ich mein Handeln überdenken!“
„Waschté!“
Tanzt-im-Feuer versorgte seine eigenen Wunden und wickelte den feuchten Lederfetzen um seine Hand. Sie brannte wie Feuer, und er blickte sich suchend um, ob er irgendwo heilende Kräuter finden würde.
Er sah, wie Wirbelt-Staub-auf, Rote-Sonne und sein Bruder im Dauerlauf die Lichtung verließen, um mit Hilfe der Geister die Pferde zu finden. Tanzt-im-Feuer konnte nur hoffen, dass sein Bruder erfolgreich wäre und mit den Pferden zurückkam. Dann hätten sie wenigstens ihre Schlafdecken und etwas zu essen, um vielleicht einige Tage zu rasten, bis ihre Wunden verschorften. Taischeé brauchte Ruhe und er überlegte ernsthaft, ob es nicht sinnvoller wäre, zu den Lakota zurückzukehren, anstelle irgendwelchen Cheyenne hinterherzujagen, von denen er nicht wusste, wo sie sich befanden.
Frustriert setzte er sich neben seine Frau und horchte auf ihren leichten Atem. Sie schien zu schlafen, erholte sich von den unglaublichen Strapazen. Er fürchtete, dass der Boden sie zu sehr auskühlen könnte und hob das Kleid von ihrem Körper, um es auf dem Boden auszubreiten. Mit einer Handbewegung forderte er Falke-am-Boden auf, ihm zu helfen. Gemeinsam hoben sie Taischeé auf das Kleid und Tanzt-im-Feuer deckte sie mit seinem zerschlissenen Hemd zu. Sie zuckte mit keiner Wimper, schien einer Ohnmacht näher zu sein als dem Schlaf. Falke-am-Boden biss sich auf die Lippen, dann legte er voller Anteilnahme den Kopf schief. „Wir hätten diesen Weg nicht nehmen dürfen!“
„Nein!“
Die Dämmerung senkte sich bereits über das Land und Tanzt-im-Feuer runzelte unwillig die Stirn. Ohne Ausrüstung und Decken würde es nachts ziemlich kalt werden. Abschätzend schaute er auf seine Hand, mit der er sicherlich kein Feuer entfachen konnte. Seine Tasche mit den Feuersteinen und Zunder war verloren gegangen und er nickte auffordernd zu seinem neuen Kola. „Wir brauchen Feuer!“, meinte er ernst.
Falke-am-Boden erhob sich willig und sammelte trockenen Zunder, den er in dem flockigen Samen einer Pflanze fand. Neugierig setzte sich Tanzt-im-Feuer neben ihn, beobachtete interessiert, wie der Cheyenne es zum Brennen bringen würde. Methodisch bereitete Falke-am-Boden die Arbeit vor. Er nahm ein Stück trockenes Holz und bohrte mit seinem Messer ein kleines Loch hinein. Dann suchte er nach einem dünnen Stock, den er glatt schälte und an einem Ende zuspitzte. Mit endloser Geduld begann Falke-am-Boden den Stock zwischen seinen Handflächen zu drehen, begann am oberen Ende und glitt mit schnellen Bewegungen nach unten. Es dauerte endlos, ehe aus dem Loch, in dem der Stock sich drehte, ein wenig Rauch aufstieg. Falke-am-Boden konzentrierte sich nur auf diese eine Aufgabe, obwohl seine Hände längst rot wurden von der ewigen Reibung.
Tanzt-im-Feuer legte behutsam den weichen Flaum neben das Loch, achtete darauf, die Hitze nicht zu ersticken. Dann legte er sein Gesicht daneben, während sein Freund stetig weiterdrehte. Vorsichtig blies er gegen die Glutquelle, gleichmäßig und nicht zu stark. Kurz glimmte es auf und Tanzt-im-Feuer schob den Flaum dagegen, während er behutsam mit aufgeblasenen Backen dagegen pustete. Eine Flamme leuchtete auf und sofort schob Tanzt-im-Feuer mehr Flaum in die entstehenden Flammen. Falke-am-Boden nahm den dünnen Stock auf die Seite und suchte nach einigen dürren Zweigen. Er wählte trockene Fichtenzweige, die schnell Feuer fingen, erst dann schob er größere Äste nach. Es hatte lange gedauert, aber schließlich saßen die beiden vor dem prasselnden Feuer. Inzwischen war es dunkel geworden und sie bissen die Zähne zusammen, weil die anderen noch nicht zurückgekehrt waren. Tiere heulten in der Nacht und Tanzt-im-Feuer war froh, dass sie wenigstens ein Feuer zum Schutz hatten. Noch nie in seinem Leben war Tanzt-im-Feuer so verwundbar gewesen.
Höchstens damals, vor vielen Wintern, als er sich nur mit einem Messer bewaffnet auf Visionssuche begeben hatte. Aber da war irgendwo sein Vater in der Nähe gewesen, bereit, seinen Sohn zu schützen, wenn etwas Unvorhergesehenes geschehen würde.
Tanzt-im-Feuer blickte sinnend in die Flammen, aus denen tanzend die Funken stoben, und dachte an damals zurück. Die vier Tage auf dem Berg waren schwer gewesen, vor allen Dingen der Durst war unerträglich gewesen. Aber er hatte gefastet und gebetet, bis er schließlich von Hunger und Durst geplagt in Halluzinationen verfiel. Der Wind und die Geister hatten zu ihm gesprochen, alle möglichen Tiere waren erschienen, verwundert über den schutzlosen Knaben, der mit heiserer Stimme seine Gebete sang. Die Feuerwesen waren ihm erschienen, Abkömmlinge von Wi, der Sonne, und diese starke Vision hatte seinem geschwächten Körper neue Kraft gegeben. Die Feuerwesen waren eine starke Erscheinung und würden ihm den nötigen Schutz für sein zukünftiges Leben geben. Er konnte auf ihre Macht vertrauen.
Er hatte daraufhin seinen Namen erhalten, Tanzt-im-Feuer, aber natürlich konnte er keiner Frau erzählen, dass sein Name etwas mit seinem Schutzgeist zu tun hatte. Auch sein Großvater hatte einen solchen Traum gehabt und so war der Name in seiner Familie bekannt. Tanzt-im-Feuer trug ihn voller Stolz, in Andenken an seinen Großvater, der ebenfalls ein großer Krieger und weiser Mann gewesen war.
Das laute Knurren seines Magens riss ihn unsanft aus seinen Erinnerungen und führte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er war angeschlagen, denn sonst hätte er längst daran gedacht, wie er aus seinem Messer eine brauchbare Waffe basteln könnte. Bisher hatte er noch keinen Gedanken darauf verschwendet, was er essen könnte, wenn sein Bruder die Pferde nicht fand. Im Grunde konnte er sich damit auch am Morgen beschäftigen. Zwei oder drei Tage ohne Nahrung konnte er ohne Weiteres überstehen, auch wenn sein Bauch darüber schimpfte. Mehr Sorgen bereitete ihm, dass er keine Decke für Taischeé hatte, die immer noch reglos auf ihrem Kleid lag, kaum geschützt vor der Kälte der Nacht.
Erst jetzt wehrte sich auch sein Körper gegen die Überanstrengung und er fühlte sich wie zerschlagen, konnte kaum noch einen Muskel ohne Schmerzen bewegen.
Falke-am-Boden kam mit einem Amvoll Ästen zurück und legte sie neben das Feuer. Schweigend setzte er sich neben Tanzt-im-Feuer, selbst müde und erledigt. Er zog die Beine an, umschlang die Knie mit seinen Armen und legte seinen Kopf darauf. So saßen sie eine Weile beieinander, warteten auf die Rückkehr der Freunde.
Die Sichel des Mondes hatte bereits eine weite Bahn am Himmel gezogen, als Tanzt-im-Feuer den Schrei eines Nachtfalken hörte. Er lächelte, denn er erkannte sofort, dass es sein Bruder war, der seine Rückkehr ankündigte. Auch Falke-am-Boden hörte gespannt auf, dann lächelte er erleichtert, als er deutlich den dumpfen Klang von Hufen erkannte. Sie hatten die Pferde! Zumindest eins oder zwei!
Frohen Herzens sprangen die beiden auf, Tanzt-im-Feuer weniger geschmeidig, aber immerhin kam er auf die Beine. Sie blickten den drei Männern entgegen, die endlich auf die Lichtung traten und hinter sich einige Pferde zogen. Tanzt-im-Feuer lachte fröhlich, als er sein geschecktes Pony erkannte und trat hinzu, um es zu streicheln. Es quiekte übermütig, genauso froh auch ihn zu sehen. „Na du, wo hast du gesteckt?“, fragte er liebevoll, streichelte prüfend über die Beine des Pferdes, ob sie irgendwelchen Schaden genommen hatten. Der Sattel hing noch auf dem Pferd und einige Bündel baumelten locker daran. Sein Medizinbündel! Die Provianttaschen! Er seufzte vor Erleichterung und nahm den Sattel ab, um an die Satteldecke zu kommen, die ihn in der Nacht vor Kälte schützen würde.
Sein Bruder brüstete sich voller Stolz und zeigte prahlerisch auf die Ponys. „Sie sind bis ins Tal hinuntergelaufen und standen dort zitternd beisammen. Sie waren richtig froh, als wir sie endlich gefunden hatten.“
Tanzt-im-Feuer nickte. Es war natürlich, dass die Pferde eine kleine Herde gebildet hatten, im Grunde hatte er darauf gehofft. Aber er hatte nicht abschätzen können, wie weit die Ponys tatsächlich davongestoben waren. Sein Blick wanderte über die anderen Pferde, die sich müde zusammendrängten und die Köpfe hängen ließen. Wan! Sie brauchten alle eine Pause.
Die Männer untersuchten die gerettete Ausrüstung, breiteten ihre Decken um das Feuer aus und stürzten sich auf den Proviant. Tanzt-im-Feuer hob seine Frau behutsam hoch und bettete sie auf das warme Büffelfell, dann deckte er sie mit ihrem Kleid zu. Mit Bestürzung erkannte er, dass sie Fieber hatte. Er fühlte an ihrer heißen Stirn und Wut stieg in ihm hoch. Das ganze war völlig verantwortungslos! Es war genug! Er setzte sich zu den anderen und seine Lippen wurden schmal, als er ihnen seine Entscheidung mitteilte: „Wir bleiben hier, bis Taischeé völlig gesund ist!“
Sein Bruder ächzte erschrocken, dann wedelte er abwehrend mit seiner Hand. „Es kann einen Mond dauern, ehe ihre Rippen geheilt sind! Willst du solange hier herumsitzen? Wir werden die Cheyenne niemals finden!“
„Ich bleibe hier!“, wiederholte Tanzt-im-Feuer stur. „Sie hat wieder Fieber und ich mache keinen Schritt, ehe sie nicht genesen ist!“
„Hier in den Bergen? Was passiert, wenn uns irgendwelche Feinde aufspüren? Hast du daran gedacht?“
„Hier ist kein Mensch! Nur wir waren dumm genug hier zu reiten“, erklärte Tanzt-im-Feuer gereizt.
Falke-am-Boden nahm seinen Kola in Schutz: „Tanzt-im-Feuer hat recht! Wir warten hier, bis es Taischeé besser geht. Hier ist ein guter Platz. Wir haben frisches Wasser und können jagen. Die anderen können wir immer noch einholen oder wir finden sie, wenn sie im Herbst in die Berge zurückehren.“
„Hohch! Willst du den ganzen Sommer getrennt von unserem Volk verbringen? Sie werden denken, dass die Lakota uns getötet haben“, wandte Rote-Sonne ein.
Tanzt-im-Feuer kicherte ausgelassen, als er im Grunde das gleiche bei seinem Volk befürchtete. „Wan! Mein Vater wird vielleicht einen Kriegstrupp gegen euer Dorf ausschicken. Das müssen wir unbedingt verhindern. Aber ich sprach nicht davon, den ganzen Sommer in den Bergen zu verbringen. Taischeé geht es schlecht und ich fühle mich, als hätte mein Pony mich durch den Wald geschleift. Wir brauchen Zeit, um uns zu erholen, aber dann können wir auch wieder schneller reiten. Entweder wir finden die Cheyenne oder wir kehren in unser Dorf zurück. Ich will keinen Krieg zwischen unseren Völkern.“
Sein Bruder zischte empört durch die Zähne, schien immer noch nicht begeistert von dem Gedanken zu sein, dass sie hier ihre Zeit vertrödelten. „Das nächste Mal, wenn ich ein Mädchen raube, achte ich darauf, dass ich ihr kein Haar krümme“, erklärte er ungehalten.
Wolakota
Die nächsten Tage plätscherten in aller Ruhe dahin, wie das leise Murmeln der Quelle, an der sie immer noch lagerten. Zwei Pferde lahmten beträchtlich, brauchten die Erholung genauso wie die Menschen. Die Männer hatten aus Zweigen und Ästen einen dichten Windschutz gebaut, der gleichzeitig den Schein des Lagerfeuers tarnte und nachts die Wärme reflektierte. Er war durchaus praktisch, spendete ein Gefühl von Gemütlichkeit und Geborgenheit. Wie ein kleines Jagdlager oder die selbst gewählte Abgeschiedenheit von ein paar Jungvermählten.
Taischeés Fieber sank, obwohl sie müde und erschöpft am Lagerfeuer hockte, ohne groß etwas zu tun. Ihre Menstruation hatte eingesetzt und Tanzt-im-Feuer baute ihr einen weiteren Unterschlupf, damit ihr Blut den Männern nicht die Kraft nahm. Niemand wunderte sich darüber und so folgerte Tanzt-im-Feuer, dass der Brauch des Menstruationszeltes, in dem die Frauen abgesondert von den anderen ihre Tage verbrachten, auch den Cheyenne bekannt war.
Taschunka-ayuchtata nutzte die Zeit für die Jagd, war meist den ganzen Tag mit seinen neuen Freunden Rote-Sonne und Wirbelt-Staub-auf unterwegs. Tanzt-im-Feuer blieb im Lager, auch, weil er seine rechte Hand kaum bewegen konnte. Sie war inzwischen verschorft, immer noch verkrampft und schmerzte so, dass er kaum etwas damit anfangen konnte. Falke-am-Boden blieb daher meist bei ihm, weil Tanzt-im-Feuer im Ernstfall nicht einmal in der Lage wäre, sich selbst zu verteidigen.
So saßen die Männer beisammen, verarbeiteten die Jagdbeute der anderen, Tanzt-im-Feuer gerbte sogar die Häute, weil Taischeé diese schwere Arbeit noch nicht verrichten konnte. Er benutzte dazu mehr recht als schlecht seine linke Hand, was umständlich und wenig effektiv war. Insgeheim wunderte er sich, dass die Cheyenne ihm beim Gerben nicht halfen, aber er war zu höflich, um zu fragen.
„Wahrscheinlich ein Tabu, oder schlechte Medizin“, dachte er für sich. Es waren meist kleinere Häute, die Taischeé dazu benutzte, um die Mokassins der Männer zu flicken. Nach einigen Tagen häuften sich die Felle und die Männer mussten das Fleisch trocknen, weil sie es unmöglich alles verzehren konnten.
Tanzt-im-Feuer fielen manche Kleinigkeiten auf, die bei den Cheyenne anders zu sein schienen. Warum beten sie nicht in die vier Himmelsrichtungen, sondern drehten sich leicht nach Südost, Südwest, Nordwest und Nordost, aber er war zu höflich, um zu fragen. Irgendwann würde ihm seine Frau etwas über das Mysterium erzählen, wenn sie erst wie eine wahre Frau sprechen konnte.
Die Stimmung war freundlich und gelöst, als wären sie nie Feinde gewesen und oft hallte freundliches Gelächter über die kleine Lichtung. Tagsüber war es so heiß, dass die Männer mit nacktem Oberkörper herumliefen, manchmal ritten sie tief ins Tal, um sich an einem kleinen See zu erfrischen und um die Wette zu schwimmen. Wie kleine Jungen planschten sie in dem klaren Bergsee, alberten herum oder fingen Fische. Die Verständigung klappte ganz gut, weil zusätzlich zu der Zeichensprache auch Wörter in der Sprache der anderen dazukamen.
Besonders Taischeé lernte eifrig die Sprache der Lakota, lauschte konzentriert auf die Unterhaltung der beiden Brüder und versuchte, das Aufgeschnappte nachzusprechen.
Tanzt-im-Feuer dagegen verzweifelte an ihren Versuchen, denn sie benutzte natürlich Wörter, die sie hörte. Aber das war die Sprache der Männer! Wie sollte er ihr klar machen, dass die Frauen der Lakota ganz anders miteinander sprachen? Er war ein Mann und eigentlich war es nicht seine Aufgabe, eine Frau zu unterrichten! So etwas musste Taischeé von den Frauen seines Volkes lernen. Er seufzte tief, als er vor schier unlösbare Aufgaben gestellt wurde und überlegte, wie er damit umgehen sollte. Was würde geschehen, wenn er die weibliche Sprache in den Mund nahm? Würde ihn das schwächen?
Als sie ihn wieder einmal mit einem reichlich männlichen Befehl herbeiwinkte, entschloss er sich, sie auf die Unterschiede in der männlichen und weiblichen Sprache hinzuweisen. So ging das nicht weiter oder er hatte irgendwann ein Mannweib im Bett!
„Taischeé!“, erklärte er mit Gesten. „Die Frauen sprechen anders bei uns. Das musst du lernen. Sie sagen „hiyu-we“, nicht „hiyu-wo“, wenn der Mann ihnen folgen soll.“
„Aber du sagst es doch auch, wenn du deinen Bruder rufst!“
„Ja, weil ich ein Mann bin!“
Sie schaute ihn mit ihren braunen Augen verwundert an. „Gibt es viele Unterschiede, wenn Frauen und Männer sprechen?“
„Ja!“, bestätigte Tanzt-im-Feuer.
„Wirst du mir sagen, wie ich sprechen muss?“
„Ja!“, nickte Tanzt-im-Feuer verhalten, denn im Grunde fürchtete er sich ein wenig davor. Aber die Situation war ungewöhnlich und so erforderte sie eben seltsame Maßnahmen.
Taschunka-ayuchtata spottete natürlich, als er weibliche Ausdrücke aus dem Mund seines Bruders hörte: „Vielleicht wirst du bald ein Winkte, ein Mann, der den Wunsch hat eine Frau zu sein!?“
Tanzt-im-Feuer warf ihm einen bissigen Blick zu und schob herausfordernd die Lippen vor. „Wie würdest du einem fremden Mädchen unsere Sprache lehren? Mit der Peitsche?“
„Das ist Aufgabe der Frauen!“, meinte sein Bruder großspurig.
Tanzt-im-Feuer machte eine kreisförmige Bewegung seines Fingers in die weitere Umgebung und deutete dann auf sein Auge. „Misunkala, ich sehe hier keine Frauen!“
Taschunka-ayuchtata hob verblüfft die Augen, dann zuckte er wortlos mit den Schultern. Seines Erachtens brauchte ein Mädchen überhaupt nichts sagen, solange sie ihm im Bett gefügig war.
„Warte eben, bis sie in unserem Dorf ist!“, meinte er mit einer nachlässigen Handbewegung. Er alberte mit Rote-Sonne herum, drehte sich kokett wie ein Mädchen, das plötzlich die Hände in die Hüften stemmt und die Männer herumkommandiert.
Alle lachten erheitert, obwohl die Cheyenne eigentlich nicht genau wussten, warum Taschunka-ayuchtata seinen Bruder so gerne ärgerte.
In den nächsten Tagen verlegten sie das Lager hinunter an den kleinen See, weil die Pferde das Gras in dem kleinen Tal an der Quelle abgegrast hatten. Taischeé ging es wesentlich besser und alle hofften, dass sie bald wieder aufbrechen konnten. Tanzt-im-Feuer bewegte jeden Tag seine Finger und stellte erleichtert fest, dass sie geschmeidiger wurden. Er hatte begonnen an einem Bogen zu basteln, außerdem schnitzte er an neuen Pfeilen und suchte dazu nach scharfen Steinen, die er als Pfeilspitzen verwenden konnte. Sehnen zum Festbinden der Pfeilspitzen hatte er inzwischen genug und ebenfalls eine gedrehte Sehne für seinen neuen Bogen. Mit dieser Waffe fühlte er sich erheblich sicherer. Wie ein Krieger, der zur Not seine Frau auch verteidigen konnte.
Er ging zum Schwimmen. Der See war wunderbar klar, spiegelte das Blau des Himmels und er genoss es seinen Körper darin zu baden. Unbedarft tauchte Taischeé neben ihm auf, glitt mit ihrem schlanken Körper durch das kühle Nass, freute sich, ebenfalls einige Züge zu schwimmen. Tanzt-im-Feuer war einigermaßen fassungslos, bis ihm einfiel, dass es hier keinen Frauenbadeplatz gab. Wo hätte sie sonst schwimmen sollen? Er grinste frech und kehrte zum Ufer zurück, weil er darauf achten wollte, dass keiner der anderen ihr Vergnügen störte.
Stattdessen beobachtete er wohlwollend ihre geschmeidigen Bewegungen unter gesenkten Wimpern, stellte dabei fest, dass er schon länger nicht mehr gespürt hatte, wie sich seine Frau anfühlte. Er wollte eine richtige Liebesnacht mit ihr und nicht diese kurze Ekstase eines versteckten Liebesaktes. Er runzelte die Stirn und überlegte, wie er dies in der Anwesenheit von vier weiteren Männern bewerkstelligen sollte. Zu sehen, wie Taischeé nackt aus dem Wasser stieg und in ihr Kleid schlüpfte, raubte ihm die Luft.
Andererseits wollte er nicht, dass die anderen an seiner Standhaftigkeit zweifelten. Nein! Erst würde er den Schutz ihres Dorfes suchen und wenn er die Begegnung mit ihrem Vater überlebt hatte, dann würde er sich ihren Rundungen widmen!
Er lächelte, als ihm einfiel, dass er eigentlich überhaupt nichts von ihr wusste. Hatte sie einen Vater oder Geschwister?
Taischeé setzte sich neben ihn und warf ihre nassen Haare nach hinten. „Warum lachst du?“, fragten ihre Hände. Er liebte diese kleinen Bewegungen, wünschte fast, dass sie nie seine Sprache lernte, weil sie dann ihre Hände nicht mehr in dieser feinen Art bewegen würde. „Hast du einen Vater?“, fragte er nicht ohne Hintergedanken.
„Nein! Er starb vor meiner Geburt. Meine Mutter hat nicht mehr geheiratet. Sie ist eine Heilige Frau.“
Wan! Seine Schwiegermutter würde eine Heilige Frau sein! Diese Tatsache musste er erst einmal verdauen. Gut, dass sein Bruder sie nicht getötet hatte! „Hast du deswegen die Kräuter gesammelt? Damals im Herbst?“
„Du hast es gesehen?“, fragte sie mit einem Lächeln.
„Ich habe vieles gesehen!“, bestätigte er mit einem Glucksen.
„Ich möchte auch eine Heilerin sein. So wie meine Mutter“, erzählte sie voller Sehnsucht. Ihre Augen wurden feucht und sie wischte ungeduldig darüber und versuchte so, den Gedanken an ihre Mutter zu verscheuchen.
„Eine Heilerin?“, flüsterte Tanzt-im-Feuer einigermaßen verblüfft. Durfte sie dann überhaupt einen Mann wählen? Und wie würde es für ihn sein, mit einer Heiligen Frau verheiratet zu sein? Wäre ihre Macht zu stark für ihn? Oder würde er über diese Frau Kraft empfangen? Er dachte an seine erste Liebesnacht mit ihr und das anschließende dröhnende Herzklopfen. Schwach hatte er sich danach ganz sicher nicht gefühlt, eher beflügelt, als könnte er die ganze Welt erobern. Ja, diese Frau gab ihm Kraft! Fast sehnte er sich danach, wieder in ihrem Geheimnis zu versinken, dieses Gefühl der Hingabe und völligen Verschmelzung erleben zu dürfen.
„Morgen brechen wir auf“, erklärte er unvermittelt, riss sich damit aus seinen eigenen Tagträumen.
„Wirklich?“, hauchte Taischeé überrascht und ihre Augen wurden feucht vor Heimweh. Ihr Blick schweifte in die Ferne, wo irgendwo ihre Mutter saß und um die Tochter trauerte. „Es ist Zeit!“, meinte sie mit fester Stimme. „Es geht mir gut!“
„Waschté!“, freute sich Tanzt-im-Feuer.
Auch die anderen waren von dieser Idee geradezu begeistert. Sein Bruder schlug ihm enthusiastisch auf die Schulter und rief: „Hokahey! Die Cheyenne warten auf uns! Lass uns noch mehr Ponys rauben!“
Falke-am-Boden verschluckte sich fast, aber dann fiel er gutmütig in das herzhafte Lachen ein. Diese beiden Brüder waren unbeschwert und frech, ganz nach seinem Geschmack. „Es wird schwer werden, mein Volk zu finden!“, dämpfte er ihre Vorfreude.
„Nun, dann finden wir halt unser eigenes Dorf und du versuchst deine Ponys zurück zu stehlen!“, schlug Taschunka-ayuchtata vor.
„Gute Idee!“
Die Männer lachten harmlos und überblickten gut gelaunt ihren Lagerplatz, an dem auf langen Ästen das Fleisch trocknete. Proviant hatten sie reichlich für die nächste Zeit. Taischeé verpackte es umsichtig in die Taschen aus Rohleder, die sie in der Zwischenzeit hergestellt hatte und band sie zu festen Bündeln, die man leicht an die Sättel hängen konnte.
Sie hatte sich wegen der Hitze des Sommers neue Kleider genäht, die kaum noch etwas von ihrem Körper verhüllten. Ein weiches Rehleder hatte sie wie einen Rock um ihre Hüften geschlungen und ein weiteres Leder trug sie wie einen Poncho über ihren Brüsten. Er verhüllte so gut wie nichts, weil er bei jeder ihrer Bewegungen ihre weichen Rundungen preisgab. Normalerweise hätte der Anblick die Männer kaum aus der Fassung gebracht, weil alle Frauen so herumgelaufen wären, aber hier nahm er den Männern die Luft. Ihr schönes Kleid lag sorgsam verstaut in einem Bündel, ebenso wie die verschlissenen Hemden der Männer. Taischeé hatte darauf verzichtet, den Männern neue Hemden zu gerben, einfach, weil es im Moment ohnehin zu heiß war. Das Leder so weich zu gerben, dass die Männer es tragen konnten, brauchte Zeit. Im Moment wurde ihre Arbeitskraft für andere Dinge benötigt, zum Beispiel um Fleisch zu trocknen, Essen zu kochen oder Mokassins zu flicken. Taischeé schien den ganzen Tag nur damit beschäftigt zu sein, die hungrigen Mägen der Männer zu füllen. Aber sie fügte sich klaglos, schien es zu genießen, die gute Ehefrau und Gefährtin zu sein. Nur wenn Tanzt-im-Feuer ihr Wölfe oder Kojoten zum Ausnehmen und Gerben brachte, weigerte sie sich mit einem heftigen Kopfschütteln. Diese Tiere waren für eine Frau Tabu, ebenso wie Bären und Biber, und sie wunderte sich, warum Tanzt-im-Feuer dies nicht wusste. Wortlos entfernte sich dann ihr Mann mit den Bälgen und verarbeitete sie selbst. Weder verlangte er eine Erklärung, noch zeigte er Unwillen, er nahm es einfach hin, dass seine Frau aufgrund ihrer Bestimmung oder ihrer Herkunft gewisse Dinge nicht tun wollte oder durfte. Manchmal warf Taischeé ihrem Mann einen sehnsüchtigen Blick zu, wunderte sich insgeheim, warum er des Nachts nicht mehr zu ihr kam. Sie ahnte, dass es mit der Anwesenheit der anderen Männer zusammenhing und unterdrückte ihr eigenes Bedürfnis, um Tanzt-im-Feuer nicht in Not zu bringen. Aber sie spielte in ihrer Phantasie, wie es wäre, wenn er sie wieder berührte, sanft und zärtlich, voller Hingabe und Liebe. Vielleicht würde er zu ihr kommen, wenn sie endlich ihr Dorf erreichten und die latente Gefahr eines Überfalls ihn nicht mehr ablenkte.
Endlich war alles verstaut und Falke-am-Boden übernahm wie selbstverständlich die Führung der kleinen Gruppe. „Nóheto!“, los geht’s! Umsichtig brachte er sie hinunter ins Tal, wählte dazu einen geeigneten Abstieg und vermied Geröllhänge oder gefährliche Pässe. Er schlug ein moderates Tempo an, wechselte vom schnellen Trab in einen ausdauernden Schritt der Pferde, damit sie nicht zu schnell ermüdeten. Sie machten nur kurze Pausen, aßen dann etwas aus ihren Bündeln. Auch am Abend verschwendeten sie keine Zeit mit Jagen oder Feuer anzünden. Die Nächte waren warm und so legten sie sich nur auf ihre Felle, ruhten während der Dunkelheit und brachen bei Sonnenaufgang wieder auf.
Nach zwei Tagen hatten sie endlich die Berge verlassen und befanden sich auf dem Weg nach Norden. Der Boden war oft rot, die Grasnarbe unterbrochen von erodiertem Gestein. Tanzt-im-Feuer nahm die unbekannte Landschaft in sich auf, zeichnete in Gedanken all die Merkmale auf, die ihm in Zukunft den Weg weisen würden. Auf seinem Rücken trug er einen einfachen Köcher, den Taischeé ihm genäht hatte und darin befanden sich sein neuer Bogen und einige Pfeile. Ohne seine Waffen fühlte er sich nackt und so war er froh, dass er es wenigstens geschafft hatte, einen einfachen Bogen zu fertigen. Inzwischen war es ihm wieder möglich, einen Pfeil abzuschießen und das erfüllte ihn mit neuem Selbstvertrauen. Er würde nicht verletzt und abgekämpft in das Dorf der Cheyenne reiten, sondern als vollwertiger Krieger.
Taischeé hielt einen lockeren Trab mit, wurde von ihren Rippen nicht mehr behindert. Immer noch stützte sie ein Verband, aber das war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Im Dorf würde sie das Lederband nicht mehr brauchen.
Falke-am-Boden hielt sich ungefähr in nordwestlicher Richtung und oft kamen sie in Gegenden, in denen es außer Büffelgras nichts mehr gab. Die Gegend war auch für Falke-am-Boden unbekannt und er stieg ab, um eventuellen bösen Geistern Geschenke zu geben, damit sie nicht behelligt wurden. Er wählte ein weißes Fell für die Geister des Tages und ein schwarzes Fell, um die Geister der Nacht zu besänftigen. Er steckte die Gaben auf einige Äste, verbrannte etwas Salbei und betete um Unterstützung. Die beiden Lakota hockten mit ausdruckslosen Gesichtern auf ihren Ponys und beobachteten die kleine Zeremonie. Sie wussten, dass der Cheyenne um Beistand flehte, auch wenn sie eine solche Handlung bisher nicht gesehen hatten. Sinnend wanderte ihr Blick über das unbekannte Land. Sie waren weit im Norden. Hierher wanderten die riesigen Herden und hier vermuteten sie auch das Dorf der Cheyenne.
Falke-am-Boden hoffte auf irgendwelche Hinweise oder Zeichen, aber die Cheyenne waren in dem endlosen Land scheinbar spurlos verschwunden.
Tagelang ritten sie kreuz und quer, die sanften Hügel hinauf und wieder hinab, durchschritten flache Flüsse, aber bis auf einige Kojoten und aufgescheuchte Präriehühner begegnete ihnen nichts. Nicht einmal Büffel.
Ratlos schaute Falke-am-Boden auf seine Freunde und machte eine wütende Handbewegung zu Wirbelt-Staub-auf. „Wir hätten damals den Zeichen folgen sollen! Jetzt ist es unmöglich, unser Volk zu finden!“
Wirbelt-Staub-auf zog den Kopf ein, dann knabberte er nervös an seinen Lippen. „Vielleicht sind sie weiter westlich!“
Falke-am-Boden schnaubte verächtlich. „Wir sind schon fast bei den Dörfern der Crow! Was meinst du denn, wie weit unsere Leute wandern?“
Rote-Sonne wackelte nachdenklich mit seinem Kopf. „Die Büffel sind noch nicht so weit gekommen, sonst hätten wir ihre Spuren gesehen! Wir sollten weiter südlich suchen! Dort, wo das Land rau und wellig ist.“
„Es ist gefährlich, allein zu reisen! Zu leicht könnte eine Schar Feinde uns überraschen und unsere Skalpe nehmen! Wir sind zu nah an den Dörfern unserer Feinde und wir haben eine Frau bei uns!“
Tanzt-im-Feuer ließ leicht den Kopf hängen, denn ihm waren die gleichen Gedanken gekommen. In den Bergen konnte man sich verstecken, während sie hier als lebendige Zielscheiben herumritten. Die Senken und Täler boten keinen Schutz, selbst Feuerholz war hier kaum zu finden, stattdessen benutzten sie den steinhart getrockneten Büffeldung für ihr Kochfeuer.
Nachts ließen sie das Feuer ausgehen, weil es sie über weite Strecken verraten hätte. Es war heiß, selbst die Nacht brachte kaum Abkühlung. Fliegen und Moskitos setzten sich auf die Hälse der Pferde, die mit einem unwilligen Schütteln der Mähne versuchten, diese Plagegeister loszuwerden. Die Anspannung stieg, denn allen war klar, dass sich auch andere Stämme zur Jagd in diesem Gebiet befinden mussten. Dass sie seit vielen Tagen auf überhaupt keinen Menschen getroffen waren, schien eher ein schlechtes Zeichen zu sein. Längst hätten sie auf andere Cheyenne oder feindliche Crow, Assiniboin, Atsina oder Kiowa treffen müssen. Die Gefahr wuchs, dass sie einer anderen Jagdgruppe in die Hände fielen, die nicht viel Federlesen mit ihnen machen würde.
Falke-am-Boden war vorsichtig und schickte meist einen der anderen als Späher voraus, der ihren Weg sichern sollte. Wachsam spähte dieser dann von einem Hügel über das Land, suchte nach verräterischen Spuren oder den Anzeichen von Menschen, aber meist kam nur das ungeduldige Signal an die anderen, dass alles in Ordnung war.
Die Männer folgten dem Lauf eines breiten Flusses nach Süden, weil sie die Gegend hier nicht kannten und sonst nicht gewusst hätten, wo die nächste Wasserstelle wäre.
Die Pferde trotteten in der Hitze dahin, schlugen müde mit ihren Schweifen, während die Männer nachlässig die Landschaft beobachteten. Es wurde langweilig, nur die latente Gefahr eines möglichen Überfalls ließ die Männer überhaupt noch wachsam sein. Manchmal jagten sie Antilopen, die hier in großen Herden weideten, und in langen Sprüngen vor ihnen flüchteten, wenn sie näher kamen. Wo aber blieben die Büffel?
Ihr Kommen kündigte sich wie das ferne Grollen eines Gewitters an, nur dass der Himmel anfangs strahlend blau blieb. Dann verdunkelte eine riesige Staubwolke die Sonne, der Boden erzitterte wie bei einem Erdbeben und ein Schwarm kreischender Vögel flatterte der dröhnenden Urgewalt voraus. Die Männer duckten sich über ihren Pferden, als die Vögel fast ihre Haare berührten und zügelten die nervös tänzelnden Ponys.
„Iyanka-po!“, rief Tanzt-im-Feuer mit einer eindeutigen Bewegung auf einen nahen Hügel, dessen Bäume wenigstens etwas Deckung geben würden, und dieses Mal brauchte er den Befehl nicht zu übersetzen. „Rennt!“
In rasendem Galopp brachten sich die Menschen in Sicherheit. Die Ponys flitzten über die Ebene, erkannten instinktiv, dass sie sich in Todesgefahr befanden. Ihre Schweife flogen im Wind, als sie vor der herannahenden Herde Reißaus nahmen, ihre Reiter klebten fast auf ihren Hälsen, um möglichst wenig Widerstand zu geben.
Auch Taischeé galoppierte im schnellen Galopp dahin und Tanzt-im-Feuer bewunderte kurz die Reitkünste des Cheyennemädchens. Sie war offensichtlich geübt im Reiten und er brauchte sich um sie keine Sorgen machen. Sie würde entweder mit ihnen den Hügel erreichen, oder niemand. Ungebremst erreichten sie eine kleine Baumgruppe und galoppierten zwischen die Bäume. Zweige und Äste schlugen ihnen gegen die Gesichter, aber die Männer nahmen darauf keine Rücksicht. Erst nach einer gewissen Entfernung zügelten sie die Ponys durch und drehten sich schwer atmend um. Da kamen sie! Ein Ozean aus brauner Wolle und glänzenden Hörnern, eine Flut aus schnaubenden Nüstern und stampfenden Hufen. „Hokahey“, flüsterte Taschunka-ayuchtata ehrfürchtig und sprach damit den anderen aus der Seele. Hier waren sie endlich! Die Büffel, die ihr Überleben sichern würden.
Staunend saßen sie auf ihren Ponys und sahen zu, wie die endlos scheinende Herde an ihnen vorbeidonnerte. Ihre Herzen schlugen höher bei diesem Anblick und tiefe Ergriffenheit erfüllte sie. Diese Büffel waren die Grundlage ihrer Existenz, ein zu Fleisch gewordenes Geheimnis der Schöpfung, das sie ernährte und kleidete.
Die Männer stießen leise Schreie der Erleichterung aus, zeigten enthusiastisch mit ihren Händen auf die große Herde, die an ihnen vorbeischwappte, wie das Hochwasser eines Flusses nach der Schneeschmelze.
Dann erblickten sie die Ursache für die Panik der gewaltigen Tiere. Ein großes Rudel Wölfe lief mit den Büffeln, ihre silbernen Pelze verschmolzen mit dem aufgewirbelten Staub und ließen sie fast unwirklich erscheinen. Sie jagten gezielt nach einem Kalb, das seine Mutter in der Stampede verloren hatte. Kläglich blökend blieb es zurück, von dem Rudel sofort umzingelt. Die Wölfe schnappten nach den Beinen des Kalbes, während einer sich in der Kehle des Tieres verbiss.
Wortlos beobachteten die Männer den grausamen Todeskampf des Tieres, ohne besondere Regung, denn dies war der Lauf der Dinge. Die braunen Augen des Kalbes zeigten den Horror der Qualen, die es ausstand. Noch lebend rissen ihm die Wölfe den Bauch auf und zerrten knurrend die Gedärme heraus. Hier gab es kein Mitleid. Hier hieß es fressen oder gefressen werden. Endlich hörten die Zuckungen des Tieres auf und selbst die Männer atmeten kurz auf. Sie fügten ungern Qualen zu, obwohl sie selbst keine Hemmungen hatten, ein Kalb zu jagen. Sein Fleisch war zart und die Haut bei den Frauen sehr beliebt, um weiche Kinderkleidung herzustellen.
Langsam legte sich der Staub und wie in einem seltsamen Schauspiel tasteten sich die Strahlen der Sonne wieder durch den feinen Dunst. Als erwache die Natur aus einem tiefen Schlaf, erklangen die ersten Geräusche, als wären alle froh, dieses Urgewitter überlebt zu haben. Vögel zwitscherten empört, Krähen flatterten kreischend über das zertrampelte Gras und suchten nach dem Aas von Tieren, die diese tödliche Flut nicht überlebt hatten. Schlangen, Eidechsen, Präriehühner, selbst Kojoten oder Präriehunde waren zu blutigem Matsch getreten worden, kaum noch vom aufgerissenen Boden zu unterscheiden.
Tanzt-im-Feuer dagegen hatte nur noch Augen für seine Frau. Taischeé saß auf ihrem Pony, ihr ganzer Körper drückte die Erwartung aus, die Spannung, die Vorfreude auf die bevorstehende Jagd. Ihr Rock hatte sich bei dem schnellen Galopp nach oben geschoben und Tanzt-im-Feuer bewunderte ihr schlankes Bein, das nur bis zum Knie von diesen seltsam geschnittenen Leggins umhüllt wurde. Aber ihre Schenkel umklammerten den Bauch des Ponys und er wünschte sich, dass eines Nachts diese Beine auch ihn so umschlangen. Ihr Gesicht zeigte deutlich die Aufregung des Erlebten. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und hatten die geschwungene Form eines Bogens. Ihre braunen Augen funkelten und ihre schmale Nase zitterte leicht über die ausgestandene Angst. Sie hatte ein rundes Gesicht mit hohen Backenknochen und einem kleinen Kinn, alles schien so perfekt zu sein, interessant und durchaus weiblich. Tanzt-im-Feuer lächelte, denn er hatte diesen Ausdruck auf ihrem Gesicht schon gesehen, als sie sich in Erwartung der ersten Liebesnacht nach hinten hatte sinken lassen. Es war die Mischung aus Vorfreude und ein kleines bisschen Angst gewesen.
Sinnend blickte Tanzt-im-Feuer der Büffelherde hinterher und lächelte. Ja, auch er hatte ein kleines bisschen Angst, wenn er diese Kolosse jagte! Aber noch mehr Angst hatte er damals vor diesem ersten Mal mit einer Frau gehabt! Wie nah doch die Gefühle beieinander lagen! Neben der Frau zu liegen, ihren Körper zu spüren, hatte die gleiche Ekstase ausgelöst, die er sonst bei der Büffeljagd empfand.
Die Männer verließen die kleine Baumgruppe, umgingen die Wölfe, die misstrauisch witternd in ihre Richtung sahen ohne sich von ihrer Beute vertreiben zu lassen. Falke-am-Boden war unschlüssig, welche Richtung er nun nehmen sollte und beriet sich kurz mit seinen Freunden. Rote-Sonne zeigte mit seinem Bogen auf die deutliche Spur, welche die Büffel hinterlassen hatten und grinste. „Wahrscheinlich werden die Cheyenne uns finden, wenn wir auf sie warten! Sie werden der Spur der Büffel folgen!“
Falke-am-Boden lachte übermütig. „Du meinst, unser Volk sucht uns, nicht wir sie!“
„Ich meine, dass sie die Büffel suchen werden und dann stoßen sie im Grunde auf uns. Wir müssen nur noch warten!“
Falke-am-Boden nagte an seinen Lippen und legte nachdenklich den Kopf schief. „Keine schlechte Idee! Auf jeden Fall besser, als hier offen herumzureiten! Wir legen uns auf die Lauer und warten ab, wer zu uns kommt! Sind es Feinde, dann verstecken wir uns oder holen uns ihre Skalpe. Sind es Freunde, dann geben wir uns zu erkennen!“
„Ja! Wir suchen uns ein gutes Versteck und warten einfach ab!“
Tanzt-im-Feuer nickte ebenfalls sein Einverständnis. Er hatte es schon lange satt, so unverrichteter Dinge durch die Gegend zu reiten. Er wünschte sich einen klaren See, den Schatten einiger Bäume, um dieser Hitze zu entgehen. Seine Sachen waren verschlissen und er brauchte neue Mokassins. Er sah aus wie ein gerupftes Huhn, abgesehen davon, dass keiner der Männer einen besonders guten Eindruck machte. Taischeé flickte die Sachen so gut es ging, aber irgendwann waren auch ihre Künste erschöpft und die Mokassins fielen einfach auseinander.
„Suchen wir einen Platz am Fluss, mit grünem Gras und dem Schatten einiger Bäume! Vielleicht finden wir Kirschen, die Taischeé pflücken kann“, schlug Tanzt-im-Feuer vor.
Falke-am-Boden nickte und zeigte mit seinen Lippen nach Westen. „Reiten wir zum Fluss zurück. Auch die Cheyenne werden dort einen Rastplatz suchen.“
Sie führten die Pferde den Hügel hinunter und ritten am Rande der großen Schneise, welche die Büffel mit ihren Hufen ins Gras gerissen hatten. Eine Spur der Verwüstung ungeheuren Ausmaßes. Hier stand kein Halm mehr und doch würde sich die Natur schnell erholen und neues Gras wachsen.
Die Gruppe überwand mehrere sanfte Hügel, trottete im gleichmäßigen Tempo dahin, immer noch gefangen von den vergangenen Ereignissen. Sie waren mit der Natur vertraut, kannten all ihre Geschöpfe, den Lauf der Jahreszeiten und die versteckten Plätze der essbaren Pflanzen, aber der Anblick einer Büffelherde versetzte auch sie immer wieder in Staunen und Ehrfurcht.
Ein lauter Knall schreckte die Männer aus ihren Gedanken, so plötzlich, so unwirklich, wie ein lauter Donnerhall, nur, dass gar kein Gewitter im Anmarsch war. Stattdessen hörten sie das Laute „Jiep, Jiep, Jiep“ angreifender Feinde und wechselten überraschte Blicke. Flink zogen sie ihre Bögen aus den Köchern, sicherten mit ihren Augen die Umgebung. Schnell war klar, dass der Angriff nicht ihnen galt und so glitten sie von ihren Ponys, um die Lage zu erkunden. Zu Fuß liefen sie die kurze Distanz auf die Kuppe des flachen Hügels und warfen sich ins hohe Gras, um einen Blick auf die Szene zu erhaschen, die sich ihnen bot.
Unter ihnen erstreckte sich das Tal des Flusses, mit fettem Gras und einigen dunkelgrünen Kirschbäumen. Ein Mann versuchte gerade, ein Kanu ins Wasser zu schieben, in dem bereits seine Frau und ein kleines Mädchen saßen.
Tanzt-im-Feuer runzelte überrascht die Stirn, denn dieses Kanu hatte Ähnlichkeit mit den Booten, die sie einst vor langer, langer Zeit im Land der großen Seen hergestellt hatten. Nun brauchten sie diese Kanus nicht mehr, weil sie es vorzogen, frei und unabhängig mit ihren Pferden über das Land zu ziehen. Außerdem fanden sie hier nicht die nötige Rinde, um die Kanus zu bauen. Gebannt verfolgten sie das Schauspiel, das sich vor ihren Augen abspielte und in keiner Weise fair war.
Der Mann ließ das Kanu mit der schreienden Frau ins Wasser treiben, dann wandte er sich wieder den Angreifern zu, die zu sechst über ihn herfielen. Einen Feind hatte er bereits mit seinem ersten Schuss getroffen, aber dann hatte er keine Zeit zum Nachladen gehabt. Mit dem Kolben seiner Muskete versuchte er, sich zu wehren und immerhin schaffte er es, den ersten Angreifer vom Pferd zu schlagen. Zwei andere Männer stürzten ins Wasser und brachten das Kanu zum Kentern. Schreiend stürzte die Frau mit ihrem Kind ins Wasser, versuchte den Männern, die nach ihr griffen, zu entkommen.
Falke-am-Boden griff nach seinem Bogen, pfiff gellend nach seinem Pferd, das in einem kurzen Galopp zu ihm kam und sprang auf. „Los! Greifen wir an!“, schrie er überschlagend vor Eifer. Hier konnten sie Coups erringen! Was für ein Tag!
Ehe Tanzt-im-Feuer es verhindern konnte, saßen die anderen auf ihren Ponys und gingen unüberlegt zum Angriff über. Taischeé schaute ihnen mit großen Augen hinterher, begriff noch gar nicht, was hier vor sich ging. Tanzt-im-Feuer biss die Lippen aufeinander und galoppierte ebenfalls hinterher. Ihre Chancen standen besser, wenn alle Männer kämpften.
Ihr Angriff brachte eine kurze Entlastung für die kleine Familie, denn die beiden Männer, die die Frau bedrängten, ließen von ihr ab und wendeten sich den neuen Angreifern zu. Ihre Schreie gellten durch das Tal, als sie sich gegenseitig herausforderten und sich Schmähungen an den Kopf warfen, die keiner wirklich verstand, aber die wahrscheinlich alle gleich waren.
Tanzt-im-Feuer wählte einen der beiden Männer aus, die sich über die Frau hergemacht hatten und verzog die Mundwinkel nach unten. Er würde ihnen zeigen, was es hieß, gegen einen ebenbürtigen Gegner zu kämpfen! Kurz sah er aus den Augenwinkeln, wie die Frau mit dem Kind das gegenüberliegende Ufer erreichte und sich in Sicherheit brachte. Irgendetwas erschien ihm bekannt, aber er hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Die Keule seines Gegners schlug nach ihm und er duckte sich im letzten Moment zur Seite, hatte kein Schild mehr, den er zur Verteidigung heben konnte. Haun! Das war knapp gewesen. Sein Bruder kämpfte neben ihm, aber er hatte noch alle Waffen und konnte sich somit auch besser verteidigen.
Tanzt-im-Feuer glitt von seinem Pony und hob den Bogen, während er ruhig darauf wartete, dass sein Gegner einen weiteren Angriff startete. Er legte den Pfeil auf die Sehne, zielte auf den heranrasenden Feind, der sein Schild schützend vor die Brust gehalten hatte. Tanzt-im-Feuer sah dessen blaue Kriegsbemalung, den Kopfschmuck aus Eulenfedern, der bei jedem Satz des Pferdes wippte, den hämischen Gesichtsausdruck des anderen. Tanzt-im-Feuer atmete tief ein, dann ließ er den Pfeil von der Sehne fliegen, traf den Feind direkt in den Hals, der von keinem Schild geschützt wurde. Der Mann gurgelte überrascht, wurde von der Wucht des Aufpralls nach hinten geworfen und purzelte vom Pferd.
Tanzt-im-Feuer verschwendete keinen Blick mehr auf diesen Feind, denn es war klar, dass er sterben würde. Stattdessen sah er sich nach seinem Bruder um, der immer noch mit seinem Gegner beschäftigt war. Sein jugendlicher Körper hatte alle Mühe, den wesentlich älteren Feind zu kontrollieren und so keuchte er bereits laut, schnappte mit geöffnetem Mund nach Luft.
Tanzt-im-Feuer kam näher, überlegte, ob er eingreifen sollte, aber dann zögerte er. Sein Bruder würde diesen Mann besiegen, das war zu erkennen, denn er hatte ihn bereits mit seiner Keule verletzt und vom Pferd gerissen. Der Feind unternahm die letzten Anstrengungen, aber seine Kräfte schwanden zusehends. Beide Männer hielten sich an den Handgelenken umklammert, rangen hin und her, um sich zu befreien und dem anderen ein Messer ins Herz zu stoßen. Ihre Keulen und Bögen lagen am Boden verstreut, dann stolperten sie über den Schild von Taschunka-ayuchtata und fielen zu Boden.
Taschunka-ayuchtata nutzte den Schwung des Sturzes und brachte seine Hand mit dem Messer näher an den Bauch des anderen. Verzweifelt stemmte jener seine Hand dagegen, versucht das Unabwendbare zu verhindern. Immer näher kam das Messer des jungen Mannes, bis es schließlich in den Bauch des anderen vorstieß. Taschunka-ayuchtata stieß einen kehligen Siegesschrei aus, dann riss er das Messer aus dem Leib des anderen, der plötzlich schlapp und bewegungslos vor ihm lag, die Augen weit in Erwartung des baldigen Todes. Taschunka-ayuchtata wartete nicht, bis die Augen brachen, sondern griff in die Haare des anderen und säbelte ihm den Skalp ab. Sein Schrei übertönte das qualvolle Stöhnen des Mannes, der immer noch bei vollem Bewusstsein war. Tanzt-im-Feuer fühlte den Triumph für seinen Bruder, der seinen ersten Gegner getötet hatte, aber er sah auch die Tortur des anderen. Er zog sein Messer, setzte es dem Feind an die Brust und stach zu. Jetzt war es gut!
Er wischte sein Messer im Gras sauber und sah sich nach den anderen um. Rote-Sonne saß stöhnend am Boden und hielt sich eine Wunde an seiner Seite, aber die anderen schienen unverletzt zu sein. Sie hatten die sechs Angreifer getötet, auch, weil der fremde Mann seine Chance genutzt hatte und ebenfalls einen weiteren Feind getötet hatte. Nun stand er abwartend da, wusste nicht, ob die Cheyenne ihn ebenfalls überfallen würden oder nicht. Seine Frau dagegen kam mit dem weinenden Kind über den Fluss zurück, schien in den Männern keinerlei Bedrohung zu sehen. Ganz im Gegenteil: Sie schrie ihre Angst heraus, als sie durch das Wasser hastete, stolperte manchmal auf ihre Knie, so eilig hatte sie es, endlich wieder das Ufer zu erreichen. Etwas ratlos blickten die Cheyenne auf die hysterische Frau, die nicht ihrem Mann, sondern Tanzt-im-Feuer entgegenstürzte.
Tanzt-im-Feuer fühlte wie seine Beine weich wurden wie Washabi, das Mus, das seine Mutter immer aus Kirschen kochte, als er vollkommen entgeistert auf die Frau starrte, die ihm entgegenstürzte. Kornblume! Seine Schwester! Gewiss, sie war älter, eine Frau, aber er erkannte sie sofort, hatte im Grunde schon vorher etwas Vertrautes in ihr gesehen. Kornblume! Sie weinte und schrie vor Freude und prallte gegen seine Brust, dass er fast das Gleichgewicht verlor.
Unbewusst schlang er seine Arme um sie, obwohl er früher immer respektvoll die Distanz zu ihr gewahrt hatte, aber in diesem Augenblick waren ihm alle Tabus, alle Regeln für Sitten und Anstand völlig gleichgültig. Hier seine Schwester wieder zu finden, war das Allerletzte, was er je erwartet hätte. Hier, soweit weg von all den bekannten Plätzen seines Volkes. Kurz suchte sein Blick den Mann, mit dem sie reiste und der genauso ratlos am Wasser stand und die Szene beobachtete. Er nahm das weinende Kind in den Arm und das gefiel Tanzt-im-Feuer. Dann schätzte er das Alter des Mädchens und biss traurig die Lippen zusammen. Es zählte bestimmt schon fünf Winter und das bedeutete, dass seine Schwester bereits kurz nach ihrer Entführung in das Bett eines Mannes gezwungen worden war. So jung! Er konnte durch ihr Kleid spüren, dass sie bereits ein weiteres Kind unter ihrem Herzen trug und unterdrückte die Wut. Erst wollte er hören, was sie zu berichten hatte, ehe er über diesen Mann urteilte.
Vorsichtig löste er sich aus der Umklammerung und strich über ihr verweintes Gesicht. „Kornblume!“, flüsterte er überwältigt, „Mitankschi, meine kleine Schwester!“
Sein Bruder näherte sich verblüfft und musterte die Frau, erkannte erst jetzt die verblüffende Ähnlichkeit mit ihrer jüngeren Schwester Taschina-luta. „Wo kommst du her?“, fragte er reichlich verwirrt.
Kornblume kicherte hysterisch, konnte diese Frage beim besten Willen nicht in einem Satz beantworten und wischte sich fahrig die Tränen weg. „Mein Herz lacht, weil ich endlich meine Brüder gefunden habe!“ Sie blickte in den Himmel und sprach zu den Geistern, die sie überall umgaben. „Seht! Mein Flehen ist erhört worden! Meine Brüder Tanzt-im-Feuer und Gnaska, der Frosch, sind wohlauf.“
Taschunka-ayuchtata lächelte breit und tippte sich mit dem Finger auf seine Brust. „Ja! Aber vielleicht sollte meine Schwester wissen, dass mein Name nun Thoka-Taschunka-ayuchtata lautet.“
Tanzt-im-Feuer lächelte ebenfalls, sah, wie seine Schwester ihre Fassung wiederfand. Er deutete mit seinen Lippen auf die anderen und meinte: „Vielleicht erklären wir den anderen, wer diese Frau ist. Und sie wird uns erzählen, mit wem sie reist.“
Kornblume nickte eifrig und wandte sich dem fremden Mann zu. Tröstend nahm sie ihr Kind auf den Arm und flüsterte in einer fremden Sprache, die Tanzt-im-Feuer noch nie gehört hatte. Erst jetzt erkannt Tanzt-im-Feuer, dass der Mann von einer ganz fremden Art war. Seine Haare waren kurz, als wären sie in Trauer abgeschnitten worden. Sie waren schwarz, aber anders als bei den Menschen seines Volkes, nicht so glänzend, sondern eher mit einem Ton ins Braune. Der Fremde hatte Haare in seinem Gesicht und Tanzt-im-Feuer runzelte verblüfft die Stirn, weil er so etwas noch nie gesehen hatte. Auch dessen Augen waren fremdartig, spiegelten die Farbe des Himmels und erinnerten an einen Wolfswelpen. Sie reizten zum Lachen, auch weil viele Grübchen um die Augen davon zeugten, dass dieser Mann gerne und oft lachte. Das Alter konnte Tanzt-im-Feuer schlecht schätzen, weil ihm diese Art so fremd war, auch täuschte der Bart über jedes Alter hinweg. Die Kleidung des Fremden schien ähnlich der Arikara zu sein, nur dass er eine seltsame rote Kopfbedeckung trug.
Kornblume stellte das Kind auf den Boden und lächelte glücklich. „Das ist meine Tochter. Sie heißt Lucy. Und das ist mein Mann. Er heißt Paul.“ Sie blickte ihren Mann an, tat so, als redete sie nur mit ihm.
„Pol?“, versuchte Tanzt-im-Feuer den Namen nachzusprechen. Noch nie hatte er solch merkwürdige Namen gehört.
„Pohl!“, korrigierte ihn seine Schwester vorsichtig. „Er stammt von einem Volk, das sich Frensch nennt.“
Wieder sprach sie schnell in der fremden Sprache und das Gesicht des Mannes hellte sich sichtlich auf. Kornblume übersetzte seine Worte mit einem Lachen: „Er freut sich sehr, dass ausgerechnet jetzt meine beiden Brüder aufgetaucht sind.“
Kornblume warf einen scheuen Blick auf die umstehenden Cheyenne. „Ich frage mich, wer diese Männer sind?“
„Cheyenne! Wir sind auf dem Weg zu ihrem Dorf. Ich habe ein Mädchen ihres Volkes geheiratet. Sie ist hinter dem Hügel. Aber ich werde sie nun holen, denn die Gefahr ist vorbei.“
Mit kurzen Gesten stellte er den Cheyenne seine Schwester vor, die reichlich überrascht die Augenbrauen hochzogen und sich zu einem verhaltenen Nicken herabließen, das weder freundlich noch feindlich war. Im Moment hatten andere Dinge Vorrang. Zu leicht konnten weitere Feinde in der Nähe sein! Nachdenklich blickte Tanzt-im-Feuer auf die Leichen der getöteten Feinde und drehte sich zu Falke-am-Boden um. „Weißt du, von welchem Volk sie sind?“
Falke-am-Boden spuckte vor Verachtung auf den Boden: „Kiowa!“
Tanzt-im-Feuer ordnete diese Information so neutral ein, als lernte er eine neue Tierart kennen. Noch hatte er keine besonderen Gefühle gegenüber diesem Volk, obwohl sie ihm gegenüber nicht besonders freundlich wären, nachdem er gerade einen Mann getötet hatte. Unschlüssig ging er zu dem getöteten Feind zurück und musterte ihn eingehend. Ausgestreckt lag er im Gras, die Augen und den Mund noch weit offen, in dem verzweifelten Versuch nach Luft zu schnappen. Sein Hemd war wunderschön gegerbt und Tanzt-im-Feuer sah, dass es kaum verschmutzt war. Ohne Reue zog er dem Mann das Hemd aus und zog auch die Mokassins von dessen Füßen. Taischeé konnte sie umändern, sodass sie ihm passten und er wurde endlich diese unansehnlichen Lappen los. Mit Kennermiene nahm er dessen Bogen und Schild, dann näherte er sich dem Pony dieses Kriegers, behielt es mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie die anderen Dinge.
Falke-am-Boden und Taschunka-ayuchtata hatten sich ebenfalls der Ausrüstung der Feinde bemächtigt, nun standen sie beisammen und beratschlagten, wo sie die Nacht verbringen sollten. Niemand wollte bei den Geistern der getöteten Feinde bleiben und so beschloss Falke-am-Boden, den Fluss zu überschreiten und am anderen Ufer nach einem geeigneten Lagerplatz zu suchen. Auch Paul schien froh zu sein, den Ort des Überfalls zu verlassen und packte bereits seine Habseligkeiten in das Kanu, das die Männer für ihn aus dem Wasser gezogen hatten.

Kerstin Groeper
Kerstin Groeper, als Tochter des Schriftstellers Klaus Gröper in Berlin geboren, lebte einige Zeit in Kanada. In Kontakt mit nordamerikanischen Indianern entdeckte sie ihre Liebe zur indianischen Kultur. Kerstin Groeper spricht Lakota, die Sprache der Teton-Sioux und führt regelmäßig Vorträge und Seminare über Sprache, Kultur und Spiritualität der Lakota-Indianer durch. Die studierte Sozialpädagogin arbeitete als Journalistin für verschiedene Zeitschriften und schreibt heute Artikel zum Thema Indianer, u.a. für das renommierte Magazin für Amerikanistik. Sie lebt mit ihrem Mann und einem Sohn in der Nähe von München. Zwei erwachsene Kinder sind bereits ausgezogen.Bei hey! sind bereits Kerstin Groepers Geschichten "Die Feder folgt dem Wind" und "Kranichfrau" erschienen. Weitere Romane sind in Vorbereitung.