
Das Mädchen und der Deserteur
von
Luke Sinclair
Seiten: (ca.) 82
Erscheinungsform: Originalausgabe
Erscheinungsdatum: 1.7.2015
ISBN: eBook 9783956071263
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)
Autor

Joe Weelock ist mit Leib und Seele Soldat. Hartgesotten, kampferprobt und stolz hat der Kavallerist im Dienst der Armee schon so manchen Kampf bestritten. Als er jedoch auf Befehl seines Kommandanten ein Dorf der Sioux, in dem sich ausschließlich Frauen und Kinder befinden, dem Erdboden gleich machen soll, packt Weelock das Gewissen. Während seine Kameraden die wehrlosen Indianer skrupellos abschlachten, entdeckt er auf dem Schlachtfeld eine junge Squaw und verhilft ihr entgegen aller Vernunft zur Flucht. Von nun an versuchen das Mädchen Elk Woman und der Soldat gemeinsam ihren Feinden zu entkommen, zu denen nicht nur Weelocks wütender Befehlshaber, sondern auch Elk Womans kriegerischer Verlobter zählt, der sich die schöne Frau zurückholen will – koste es, was es wolle...
Details
- Titel
- Das Mädchen und der Deserteur
- Untertitel
- Luke Sinclair Western, Band 27
- Autor
- Luke Sinclair
- Seiten
- 82
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Preis (eBook)
- 1,99 EUR
- ISBN (eBook)
- 9783956071263
- Sprache
- Deutsch
Leseprobe
Luke Sinclair
Das Mädchen und der Deserteur
Zwei Menschen in der Hölle des Indianerkrieges
Es war die Zeit der Wildheit und der Gnadenlosigkeit. Es waren die bitteren Tage, an denen die letzten Reste der ehemals stolzen Sioux-Stämme um das nackte Überleben kämpften. In dieser vom Tod beherrschten, blutigen Epoche des amerikanischen Westens lernte der Kavallerist Joe Weelock das Indianermädchen Elk Woman kennen. Die beiden jungen Menschen verliebten sich ineinander, und gemeinsam traten sie einen Weg an, von dem es keine Wiederkehr geben sollte. Ihr Ritt wurde zu einem Trail der Tränen. Joe Weelock wurde als Deserteur gejagt, und Elk Woman lebte in der furchtbaren Angst, von den Männern ihres eigenen Stammes getötet zu werden …
Die Gesichter der Soldaten wirkten hohl und abgespannt. Die Männer in den staubigen blauen Uniformen hatten einen dreitägigen Ritt hinter sich. Einen harten Marsch über die windgepeitschten Grasebenen von Fort Reno bis hierher zum Tongue River.
Sie alle kannten das Gefühl vor einem Gefecht, diese eigenartige tödliche Stille, wenn alle Stimmen der Natur in düsterer Vorahnung betroffen schweigen. Dieses unbestimmte leise Beben tief in der Brust. Die Angst, die wie Alkohol die Sinne betäubt und von der niemand spricht.
Joe Weelock betrachtete verstohlen alle diese Gesichter, die er kannte und die ihm vertraut waren. Alle waren sie stumm, denn sie wußten, daß jenseits dieser flachen Hügel vor ihnen der Tod auf seine Ernte wartete.
Nur die Augen von Colonel James L. Forsyth unterschieden sich von den anderen. Sie glitzerten erregt wie blanke Orden. Die Vorfreude des Siegers. Er blickte aus der Deckung der Föhren heraus auf die Tipis des Oglalla Dorfes.
»Bringt die Kanone in Stellung!« befahl er ohne den Kopf zu bewegen.
Lieutenant Tom Ashley räusperte sich verlegen.
»Sir, die Krieger sind vermutlich auf der Jagd«, wandte er ein. »Es befinden sich fast nur Frauen und Kinder im Dorf. Wir könnten sie mit Leichtigkeit …«
»Sorgen Sie dafür, daß mein Befehl ausgeführt wird, Lieutenant!« unterbrach der Colonel ihn mit Nachdruck. »Ich gehe kein Risiko ein. Fünfzig dieser lausigen Rothäute sind mir nicht annähernd so viel wert wie das Leben eines meiner Soldaten.«
Vor etlichen Tagen hatte man weiße Siedler gefunden, die an die Räder ihrer verbrannten Wagen gebunden worden waren. Die Cheyennes waren dafür verantwortlich. Aber Colonel Forsyth hatte diese Berichterstattung schnell verbessert. Es waren Indianer. Und das da in den Tipis am Flußufer waren ebenfalls Indianer, die wegen dieser Greueltaten, von denen sie vermutlich nichts wußten, ihr Leben verwirkt hatten.
Lieutenant Ashley war lange genug bei der Armee um zu wissen, daß es nichts einbrachte, einem Vorgesetzten zu widersprechen. Es verstieß zwar gegen seine Auffassung von soldatischer Ehre, Frauen und Kinder zu töten, aber schließlich war der Krieg kein Kinderspiel. Deshalb handelte man sich keine Schwierigkeiten ein. Widerwillig, aber ohne weiteren Protest gab er den Befehl weiter.
Joe Weelock sah, wie die Hotchkiss-Kanone zwischen einem Dickicht aus Balsamfichten auf eine Steinplatte geschoben wurde. Das dicke Rohr richtete sich kalt und todbringend auf etwas jenseits der Hügel, das er noch nicht genau sehen konnte.
Eines der Pferde schnaubte leise und nervös.
Colonel James L. Forsyth drehte sich zu seinen Männern um. Seine dunklen Augen waren hart und glänzend, und die linke Hand lag auf dem Griff des Säbels.
»Ihr alle wißt, um was es geht, Männer«, sagte er pathetisch, aber mit gedämpfter Stimme. »Ihr kennt die Rothäute, und ich brauche euch nichts mehr über sie zu sagen. Aber wenn ihr jetzt gegen sie ins Feld zieht, dann denkt an Namen wie: Big Mound, Killdeer Mountains, Wagonbox Fight und Hayfield. Und denkt an die Männer, die dabei ihr Leben gaben. Und jeder erinnert sich noch gut an Colonel Fetterman. Also keinen Pardon und keine Gefangenen!«
»Keine Gefangenen?« entfuhr es Weelock unwillkürlich. »Aber wenn …«
Sergeant Ranse O’Leary, der unweit von ihm stand, spuckte einen braunen Strahl Tabaksaft in das welke Gras. »Du hast doch gehört, was der Colonel gesagt hat! Die Indianer ermorden ihre Gefangenen auch.«
Weelock schwieg. Was der Sergeant sagte, stimmte. Aber es befriedigte ihn nicht. Er schaute zu den bleigrauen Wolken hinauf, die rasch über die Hügel trieben. So stand er da, bis ihn der harte Donner der Hotchkiss-Kanone aus seinen Gedanken riß und die bedrückende Stille abrupt beendete.
Es war soweit.
Die braunen Armeepferde drängten unruhig hin und her, als ihre Reiter in die Sättel stiegen. Die aufgestaute Nervosität drängte nach Entladung. Aber noch hatte der Trompeter nicht das Signal zur Attacke geblasen.
Die Hotchkiss-Kanone krachte zum zweiten Male und schleuderte eine Wolke von Rauch zu den Tipis am Flußufer hinunter.
Dreck spritzte hoch. Metallsplitter und Steine zischten durch die Luft, rissen die Zeltbahnen aus Büffelhaut auf. Einige wenige Krieger stürzten aus ihren Behausungen. Sie hielten Gewehre in den Händen und spähten mit verzweifelter Entschlossenheit nach dem Feind aus. Aber sie fanden nichts, auf das sie hätten schießen können. Ohnmächtig und schutzlos mußten sie dem Sterben zusehen.
Eine Frau versuchte schreiend, dem Inferno zu entrinnen.
Wieder zischte ein Geschoß heran. Die Squaw riß entsetzt die Augen auf. Eine neue Detonation ließ die Erde erzittern. Die Druckwelle warf die Frau gegen ein Tipi. Wie durch ein Wunder blieb sie unverletzt. Aber das Grauen riß ihr einen gellenden Schrei von den Lippen. Ziellos lief sie weiter. Sie rannte, fiel hin, rannte weiter, ohne zu wissen, wohin.
Dann schwieg dieses krachende Rohr auf den Hügeln plötzlich und machte einem anderen Donnern Platz, das einem grellen Trompetensignal folgte. Unzählige Pferdehufe trommelten über den Boden. Eine schreiende Masse wälzte sich den Hang hinunter. Blanker Stahl glänzte hart und tödlich in der Herbstsonne.
Weelock befand sich mitten in dem Haufen. Er hatte seinen Säbel in der Hand und schrie genau wie die anderen. Ein seltsamer Rausch schaltete seine Gedanken aus und ließ alles abrollen, wie etwas, an dem er nicht wirklich teilnahm. Er sah die wilden Gesichter seiner Kameraden um sich, den eigenartigen Ausdruck in ihren Augen. Das waren nicht mehr die Männer, die er vorher gekannt hatte. Und er selbst war nicht mehr derselbe wie noch vor wenigen Augenblicken.
Die Lawine aus braunen Pferden und blauen Uniformen ergoß sich in das Siouxlager. In das heisere Geschrei der Kavalleristen mischte sich das schrille Schreien, das die Todesangst aus den Kehlen der entsetzten Opfer preßte. Immer wieder versuchten einige zu fliehen.
Hier und da stellte sich ihnen ein Krieger in sinnloser Verzweiflung entgegen. Einzelne Schüsse fielen. Weelock sah, wie Tom West sich plötzlich entsetzt an den Hals griff. Blut rann durch seine Finger, und er brach stöhnend zusammen.
Der Tod eines einzigen Menschen, den er gekannt hatte, schockte Weelock mehr, als das, was um ihn geschah. Diese Tatsache erschreckte ihn. Waren die anderen keine Menschen? Diese Schatten, die um ihr Leben liefen?
Die Ereignisse ließen keine Zeit für einen Gedanken. Die Reiter verteilten sich zwischen den Tipis und jagten den Schatten nach.
»Keine Gefangenen!« hallte Colonel Forsyths Stimme noch immer in Weelocks Ohren nach. »Kein Pardon! Fetterman …! Hayfield …! Killdeer Mountains …!«
Sein Pferd wurde gegen eines der Tipis gedrängt. Das Tier stieg wiehernd hoch und schlug die Vorderhufe auf die Zeltbahn aus Büffelhaut. Das Gestänge knackte und gab nach. Das Pferd scheute zur Seite. Weelock trieb es weiter. Eine Gestalt tauchte vor ihm auf. Ein gesichtsloser Schatten wie all die anderen. Sie lief nicht weg. Ein Gewehrschuß peitschte vor Weelock auf, und etwas zischte an seinem Kopf vorbei. Das Pferd prallte gegen einen anderen Körper. Er riß es zur Seite und trieb es weiter.
Ein halbwüchsiger Junge lief hinter einem Zelt hervor. Er hielt einen Bogen in der Hand, wie ihn die Kinder zum Üben benutzten. Aber er wußte nicht einmal mehr, daß er ihn noch in der Hand hatte. Angst machte seine dunklen Augen groß und rund.
Er sah Don Merrick, und er würde nie dieses irre Flackern seiner Augen vergessen. Was war es, das zivilisierte Menschen plötzlich so veränderte und die wildesten Instinkte in ihnen aufbrechen ließ?
Die Squaw hatte das Ende des Dorfes nicht mehr erreicht.
Ein Horn übertönte plötzlich den Lärm. Und mit einem Mal war alles anders. Flußabwärts fielen Schüsse. Viele Schüsse. Hufe prasselten heran, begleitet von so wildem Geschrei, daß allein davon das Blut in den Adern gerinnen konnte. Es gab keinen unter den Kavalleristen, der den Kriegsruf der Sioux nicht schon gehört und fürchten gelernt hatte.
Die zurückkehrenden Krieger des Dorfes waren so plötzlich und erwartet aufgetaucht, daß die Soldaten davon völlig überrascht wurden. Und der grausame Tod ihrer Angehörigen mußte die Siouxkrieger zu rasender Wut anstacheln.
In dem aufwallenden Staub und vor dem Wind ziehenden Pulverrauch war kaum noch etwas zu erkennen. Nur die brennenden Tipis leuchteten wie Riesenfackeln aus dem düsteren Grau.
Das Gesicht des Colonel tauchte vor Weelock aus dem Staub. Seine Augen glänzten vor Erregung.
»Gebt es ihnen!« schrie er und schwang seinen Säbel. Weelock riß entsetzt sein Pferd zurück.
»Mein Gott, sie haben den Verstand verloren!« stammelte er vor sich hin. »Sie haben alle den Verstand verloren!«
Eine der Frauen rief verzweifelt: »Tötet uns nicht! Wir ergeben uns!«
Der Ruf verhallte ungehört.
Weelock drehte sein Pferd im Kreis. Wohin er auch blickte, er sah nichts als Tod und Blut. Sein Herz schlug ihm bis zum Halse, und das Entsetzen jagte in langen, heißen Intervallen durch seinen Körper. Er riß den Mund auf und brüllte aus Leibeskräften.
»Ihr Mörder! Ihr dreckigen, feigen Mörder!« Aber in dem Lärm, der ihn umbrandete, war es, als ob ihm die Stimme versagte. Die entsetzlichen Schreie, die ihm in den Ohren hallten, waren lauter. Das Wiehern der Pferde, ihr Hufgetrappel und das Peitschen der Schüsse. Wer vermochte da noch die verzweifelte Anklage eines einzelnen zu hören?
Ein Trupp berittener Sioux prallte unverhofft wie ein Keil in die Flanke der Reiter, und trieb ihren Pulk in zwei Hälften auseinander. Drei, vier der Soldaten sanken getroffen aus den Sätteln. Das gellende Geschrei beendete jäh ihren Siegesrausch und brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Die Sioux hatten längst ihre Gewehre leergeschossen und wehrten sich nun mit ihren Obsidianäxten wie besessen. Die Wut und der Schmerz über das Geschehen verzerrten ihre dunklen Gesichter zu wilden Grimassen und ließ sie als Kämpfer über sich hinauswachsen.
Die eine Hälfte des kleinen Reitertrupps wurde zu den Tipis zurückgedrängt. Einige Kavalleristen jedoch waren vom Rückzug abgeschnitten und wurden getötet.
Die Sioux rissen ihre kleinen, scheckigen Pferde herum und griffen ohne Zögern weiter an. Ein anderer Trupp von etwa sechs Kriegern erreichte den Kampfplatz von einer anderen Seite. Sie fielen in das Dorf ein und trieben die zunächst völlig überraschten Kavalleristen auseinander. Mündungsblitze flackerten hektisch durch den aufgewirbelten Staub. Befehle wurden vom Lärm zerrissen und drangen nur in Fetzen an die Ohren der Kämpfenden.
Ein Kavalleriepferd mit leerem Sattel und baumelnden Steigbügeln raste auf Weelock zu. Es rollte wild mit den Augen und streifte ihn fast.
»Joe!« schrie eine Stimme hinter ihm. »Hilf mir, Joe!«
Er glaubte diese Stimme zu kennen, aber sie klang so verzerrt und gräßlich, wie alles hier verzerrt und unwirklich war. Er fuhr im Sattel herum und erblickte Don Merrick, der auf ihn zugeritten kam. Seine Augen waren groß und weiß in seinem verschmutzten Gesicht.
»Joe …« Die Stimme klang matt und zerbrochen. Dann kippte Don Merrick aus dem Sattel. Ihm war nicht mehr zu helfen.
Weelock war wie erstarrt. Ein eiskalter Klumpen lag in seinem Magen. Er schluckte das würgende Entsetzen hinunter, und ein spontaner Haß wallte plötzlich in ihm hoch.
Der mörderische Kampf schoß wie eine Brandungswoge hinter dem unglücklichen Don Merrick her und erreichte Weelock in diesem Moment. Er riß wie in Trance den Arm mit dem Säbel hoch, schrie wild und unkontrolliert und schlug hart zu.
Jemand sprang ihn von hinten an und versuchte, ihn aus dem Sattel zu reißen. Weelock stemmte die Füße breit in die Bügel und beugte sich zur Seite. Dabei stieß er seinen Ellenbogen gegen den Körper des Gegners, der den Halt verlor und zu Boden glitt. Weelocks Pferd drehte sich im Kreise. Der Gegner kam vom Boden hoch und versuchte, sich an sein Bein zu hängen. Weelock keuchte. Die Spitze seines Säbels streifte den Angreifer. Das Pferd stürmte weiter, und er hielt sich am Sattelhorn fest, um nicht herunterzufallen. Er schrie und schwang seinen Säbel. Nur so konnte er dem Gemetzel entkommen. Eine Kugel pfiff an ihm vorbei, aber er achtete nicht darauf. Überall um ihn herum wurde gekämpft. Die Kavalleristen hatten ihren Schock überwunden, sich neu formiert und trieben die Oglallakrieger auseinander. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Kampf ein Ende fand.
Hier und da liefen reiterlose Pferde von Panik ergriffen mit geblähten Nüstern und rollenden Augen ziellos umher. Gestalten wälzten sich kämpfend am Boden. Irgendwo war die schreiende Stimme von Sergeant O’Leary.
»Zeigt ihnen, daß man nicht ungestraft Weiße an Wagenräder binden darf!«
Ein Reiter raste plötzlich auf Weelock zu. Der schrille Schrei ließ ihn fast erstarren. Er sah die hell schimmernden Zähne des Pferdes. Dahinter ein verzerrtes, wildes Gesicht und vom Wind hochgepeitschte Haare. Weelock riß sein Pferd zur Seite. Das Pferd streifte sein eigenes und stürmte vorbei. Der Säbel wurde Weelock aus der Hand gerissen und blieb im sandigen Boden stecken.
Einen Moment hielt Weelock sich die schmerzende Hand. Er sah Colonel Forsyth wie in einem Alptraum auftauchen. Er setzte einem fliehenden Sioux nach und verschwand wie ein Dämon zwischen zwei brennenden Tipis.
Eine Kugel traf Weelocks Pferd. Wie ein gefällter Baum sackte das Tier unter ihm weg. Er konnte gerade noch die Füße aus den Bügeln reißen und sich zur Seite werfen. Staub und Pulverrauch trieb in Schwaden über ihn hinweg. Hilflosigkeit überkam ihn. Er hatte keinen Säbel und kein Pferd mehr.
Eine in ein großes Büffelfell gehüllte Gestalt hastete angstvoll keuchend an ihm vorbei. Sie wurde von einem Reiter verfolgt, der sich vom Sattel aus auf sie warf.
Weelock zerrte an seinem Springfield-Karabiner im Sattelschuh. Aber das tote Pferd lag darauf, und er bekam ihn nicht frei.
Die Gestalt unter der Büffelhaut war zu Boden gefallen, und der Soldat war über ihr.
»Cash!« schrie Weelock ihn an. »Cash!«
Der Mann fuhr herum. Das Gewehr in beiden Händen blickte er wild herüber. Cash antwortete etwas, das Weelock bei dem Lärm, der um sie war, nicht verstehen konnte. Dann fielen plötzlich Schüsse, ganz in der Nähe. Hufe polterten vorbei.
Eine Kugel riß Cash das Gewehr aus der Hand. Eine zweite traf ihn am Bein.
Er sackte zu Boden und umklammerte schreiend sein verletztes Bein.
Weelock gelang es endlich, den Karabiner freizubekommen. Ein Krieger sah sich gehetzt und wild um. Weelock wußte nicht, ob es Angst oder Haß oder Wut war, was seine Augen so unheimlich flackern ließ. Am liebsten hätte er die Augen geschlossen, aber irgend etwas hielt sie ihm gewaltsam auf. Er krümmte mechanisch den Finger, der am Abzug seiner Waffe lag. Feuer und Rauch löschten für Sekundenbruchteile alles aus, was um ihn vorging. Dann sah er den Indianer am Boden liegen.
Ein Rudel Soldaten preschte über die Wiese.
Die Gestalt unter der Büffelhaut hatte sich nicht mehr bewegt. Langsam erhob sich Weelock hinter seinem toten Pferd und ging zu ihr hinüber. Einen winzigen Augenblick zögerte er, dann hob er den Rand des Büffelfelles hoch und hielt dabei mit der Rechten den Karabiner schußbereit.
Eine schlanke, zitternde Gestalt lag zusammengekrümmt unter dem Fell und starrte ihn aus angstvoll geweiteten Augen an. Weelock begriff sofort, daß es ein Mädchen oder eine junge Squaw war, die bis jetzt dem sinnlosen Massaker entronnen war. Sie sah den Mann vor sich, die blaue, blutbefleckte Uniform und das Gewehr auf sich gerichtet. Sie schien vor Entsetzen gelähmt zu sein, aber sie öffnete den Mund, um ihre schreckliche Angst hinauszuschreien. Rasch ließ Weelock das Büffelfell zurückfallen, das ihr Geschrei dämpfte, und sah sich um. Dieses gräßliche Töten mußte doch einmal ein Ende haben. Warum hörten sie nicht endlich auf damit?
Die Squaw hörte auf zu schreien, und niemand beachtete sie. Weelock legte den Karabiner auf den Boden und schlug erneut das Bisonfell zurück. Das Gesicht blickte ihn stumm und verängstigt an.
»Du mußt hier weg«, sagte er schnell, »sonst werden sie dich töten.« Aber er wußte nicht einmal, ob sie ihn überhaupt verstand. Und dann wurde ihm klar, wie sinnlos seine Worte waren. Was sollte sie denn tun? Wohin sie sich auch wandte, sie lief immer irgendwelchen Soldaten in die Arme. Er konnte ihr nicht helfen.
Weelock wollte sich abwenden, aber dieses Bild der hilflos zitternden Kreatur blieb vor seinen Augen und ließ sich nicht verdrängen.
Konnte er ihr wirklich nicht helfen? Wenn er sie bis zum Fluß hinunter brachte, konnte es ihr vielleicht gelingen, das andere Ufer zu erreichen. Es war Wahnsinn, was er da dachte. Sie waren hier hergekommen, hatten gekämpft, und jetzt wollte er dieses eine Leben retten.
Aber er hob seinen Karabiner wieder auf und sagte stattdessen: »Komm, ich werde dir helfen!«
Die Squaw mußte in ihrer Angst wohl seine Geste anders gedeutet haben. Sie wollte aufspringen und weglaufen. Weelock hielt sie schnell fest. Ließ die Waffe erneut los und legte den rechten Zeigefinger auf den Mund. Sie schrie tatsächlich nicht, schaute ihn nur aus großen Augen an.
»Ich«, er legte die Hand auf seine Brust und redete sehr langsam, »werde dir helfen.«
Zum erstenmal kamen so etwas wie Verwunderung und Zweifel in ihre Augen. Es verschwand jedoch sehr rasch, und die Angst war wieder da. Weelock warf einen hastigen Blick über die Schulter, nahm seinen Karabiner an sich und stand auf. Er ließ dabei ihren Arm nicht los und zog sie hoch, obwohl es besser für ihn gewesen wäre, wenn sie fortlaufen würde. Mit dem Gewehr wies er dort hin, wo sich jenseits der letzten Tipis ein Buschgürtel bis zum Flußufer hinzog. Sie riß sich los und rannte in diese Richtung. Er folgte ihr.
Zwei Kavalleristen trieben ihre Pferde vorbei, ohne auf ihn zu achten. Sie mußten annehmen, er verfolge nur einen fliehenden Gegner.
Kurz vor den Büschen holte Weelock die Squaw ein und lief neben ihr her. Aber noch bevor sie die Deckung erreichten, holte ihn ein scharfer Ruf ein.
»Reiter Weelock!«
Auch ohne sich umzudrehen wußte er, daß es die Stimme von Lieutenant Ashley war, und ein eisiger Schreck fuhr ihm in die Glieder. Ohne anzuhalten schaute er zurück.
Ashley saß auf seinem unruhig tänzelnden Pferd und riß wütend an seiner Revolvertasche.
»Bleiben Sie stehen, Weelock!« schrie er dabei. »Das ist Desertation!«
Es gab kein Zurück mehr. Der Teufel mußte ihn geritten haben. Mit einem langen Sprung folgte er dem Mädchen in die Büsche. Zweige schlugen in ihre Gesichter. Sie keuchten, fielen und rafften sich wieder hoch. Jetzt waren sie beide erbarmungslos Gejagte.
Schüsse knallten in rascher Folge. Die Kugeln prasselten an ihnen vorbei und rissen welke Blätter und kleine Zweige ab. Weelock hielt an. So hatten sie keine Chance, das Ufer zu erreichen, der Lieutenant zu Pferd mußte sie bereits auf der halben Strecke eingeholt haben. Und es war zu spät, sich ein Pferd zu beschaffen.
Weelock hob den Karabiner an die Schulter und verhielt für einen Moment seinen keuchenden Atem. Der Schuß peitschte durch die Zweige, und das Pferd des Lieutenant brach zusammen. Weelock rannte weiter, ohne noch einen Blick zu verschwenden. Er stolperte durch die nach ihm schlagenden Zweige und hörte die laute Stimme von Lieutenant Ashley hinter sich.
Kurz hinter dem Indianermädchen erreichte er das Ufer und sprang ohne zu zögern in das knietiefe Wasser. Zum Glück war das Flußbett seicht und hatte um diese Jahreszeit nur wenig Wasser. Schwimmend hätten sie in dem eiskalten Wasser wohl kaum das andere Ufer erreicht.
Das Mädchen lief ihm voraus und tauchte bereits in die grauen Nebelbänke, die über dem Fluß schwebten wie dünne Schleier. Das Wasser spritzte an ihm hoch und durchnäßte seine Hose bis hinauf zum Gürtel. Aber im Augenblick spürte er die Kälte noch nicht.
Die Kräfte des Mädchens schienen nachzulassen. Weelock holte sie ein und nahm ihr die schwere Büffelhaut ab, die sie noch immer bei sich hatte. In der Mitte war die Strömung stärker. Das Wasser reichte ihnen bis an die Oberschenkel. Sie kamen über dem unebenen Grund nur langsam voran. Hinter ihnen hörten sie noch immer Schüsse und Geschrei.
Weelock hatte in seinem Leben bisher nicht viel Glück gehabt. Aber das, was er jetzt gerade tat, würde ihn mit Sicherheit das Leben kosten. Hinter ihm kämpften seine ehemaligen Kameraden, für die er jetzt ein Deserteur war. Sie würden ihm vermutlich eine Patrouille nachschicken, um ihn vor ein Kriegsgericht zu bringen. Vor ihm erstreckte sich das Siouxland. Und wenn er den Indianern über den Weg lief, konnte ihn keine Macht der Welt retten. Für sie war er ein Weißer, der die verhaßte blaue Uniform trug und an dessen Händen das Blut von Oglallas klebte. Sie würden nicht erst Fragen stellen, weshalb er hier war, ehe sie ihn töteten.
Die Squaw neben ihm glitt plötzlich auf einem der glatten Steine aus und verlor das Gleichgewicht. Mit ihrer ganzen Gestalt fiel sie in das eisige Wasser und warf prustend den Kopf hoch. Weelock bückte sich und griff nach ihrer Schulter, rutschte auf dem nassen Hirschleder ihres Kleides ab und erwischte ihren Oberarm. Mit hartem Griff zog er sie hoch. Sie triefte vor Nässe, aber sie sagte kein Wort. Nur kurz schlug sie die Augen zu ihm auf, und dann hastete sie weiter, platschend und tropfend dem anderen Ufer entgegen.
Lieutenant Ashley hatte inzwischen den Fluß erreicht, aber er folgte ihnen nicht weiter. Im Nebel konnte er ihre Gestalten nur noch undeutlich erkennen. Er gab zwei Schüsse ab, dann war die Trommel seines Dienstrevolvers leer, und er ließ die Hand mit der Waffe sinken.
Die Kugeln fuhren klatschend ins Wasser, ohne von den beiden Flüchtenden beachtet zu werden. Sie erreichten das andere Ufer. Weelock kroch auf allen vieren die steinige Böschung hinauf und zog die Squaw nach. Sie lehnte sich erschöpft an den Stamm einer Kiefer und schloß die Augen. Weelock schaute zurück und begriff nur langsam, was geschehen war.
Er war bestimmt kein Schwächling und auch kein blutiger Neuling bei der Armee. Schon manchen Kampf hatte er ausgetragen, als Zivilist und in Uniform. Und er hatte nie ernsthafte Verletzungen hinnehmen müssen. Nur dieses unsinnige Töten war über seine Kräfte gegangen, und er war einen einzigen Moment schwach geworden. Er hatte das Leben dieser Frau retten wollen, die sich selbst nicht wehren konnte. Verdammt, er hatte sie nur bis zum Flußufer bringen wollen, um dann umzukehren. Denn er war kein Deserteur und wollte auch keiner werden. Aber nun stand er hier drüben auf der anderen Seite und hatte sich des schlimmsten Vergehens schuldig gemacht, das ein Soldat begehen konnte.
Er sah die Gestalten auf der anderen Seite. Der Lieutenant war nicht mehr allein. Sie mußten weg hier.
Als er sich umdrehte, bemerkte er, daß die Squaw ihn beobachtete. Erstaunen und Furcht vermischten sich in ihrem Blick. Sie schien nicht zu wissen, was sie von diesem weißen Mann halten sollte, der sich so seltsam benommen hatte. Was mochte er mit ihr vorhaben? Warum hatte er sie nicht vergewaltigt und getötet wie die anderen es taten? Gab es Dinge, die noch schlimmer waren als das, was sie dort drüben am jenseitigen Ufer erlebt hatte?
»Wir müssen weiter!« sagte er. Aber die Squaw bewegte sich nicht. Das Wasser lief aus ihren Haaren und an ihrer Gestalt hinunter. Es machte das Leder ihres sackartigen Kleides glitschig und schwer. Sie sah erbärmlich aus, und Weelock fühlte erneut Mitleid in sich aufsteigen. Stellvertretend für all die Leidenden am anderen Ufer, konzentrierte er sich auf diese Squaw. Es war November, und der Wind, der das Tal des Tongue River entlangstrich, war bereits schneidend kalt. Es wurde ihm klar, daß sie entsetzlich frieren mußte.
Eine Kugel schlug in den Baumstamm, an dem sie lehnte, und ließ sie zusammenzucken. Rindenstücke flogen um Weelocks Kopf. Die Furcht ergriff erneut von ihnen Besitz, und sie rannten weiter, zwischen den Bäumen hindurch und tiefer in den Wald hinein. Keuchend hasteten sie einen Hang hinauf. Der Wald blieb hinter ihnen zurück, und sie brachen durch knackendes Knieholz. Lokkerer Baumbestand wechselte mit Grashügeln und steinigen Hängen, über die sie kletterten und rutschten, in einer instinktiven Flucht, die nur ein Ziel kannte: Dem Tod zu entrinnen.
Erst als es zu dämmern begann, bot die totale Erschöpfung ihnen Einhalt. Das Mädchen stolperte immer öfter, und als sie schließlich einhielten, fiel sie kraftlos gegen Weelocks Gestalt und klammerte sich an ihr fest. Auch er selbst war restlos erledigt. So mußte einem Pferd zumute sein, das man bis zum Zusammenbruch geritten hatte. Er spürte, wie ihr schlanker Körper zitterte. Sie fühlte sich eiskalt an, obwohl die obere Hälfte ihres Kleides bereits am Körper getrocknet war. Sie mußte sich unweigerlich den Tod holen, wenn nicht irgend etwas geschah. Verzweiflung packte Weelock. Hatte er etwa deshalb sein Leben verwirkt, nur um sie hier sterben zu sehen?
Er sackte langsam auf ein Knie nieder, denn er konnte sich und das Mädchen einfach nicht mehr auf den Beinen halten. Seine Lunge brannte, als wäre sie ausgeglüht worden, und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Das Mädchen hockte sich auf den Boden, noch immer gegen ihn gelehnt. Einen Moment gab er sich der restlosen Erschöpfung hin, dann siegte der Wille zum Weiterleben in ihm.
Weelock löste die Schnüre, die ihr Kleid verschlossen, und zog es ihr vom Körper. Dann hüllte er sie in das Büffelfell, das noch immer auf seinen Schultern lag, ohne daß es ihm bewußt geworden war. Jetzt war er froh darüber, daß er es nicht weggeworfen hatte. Er stand mühsam auf und hängte das Kleid auf den niederen Zweig eines Bergahorn, der schon fast keine Blätter mehr hatte. Dann setzte er sich und zog die Stiefel aus. Seine Hose war ebenfalls getrocknet, aber die Füße waren noch immer naß. Sie würden kalt werden, jetzt, wo er zur Ruhe kam.
Er schaute auf die reglose Gestalt in der Bisonhaut, und er wußte, daß sie seine Hilfe brauchte, daß er überleben mußte.
Er zog das Fell etwas auseinander und kroch zu ihr in diese schützende Hülle. Er spürte die Wärme ihres Körpers neben sich und schloß die Augen. Nicht mit einem einzigen Gedanken dachte er daran, daß sie eine junge Frau war und daß sie nichts mehr als ihre Haut am Körper trug. Er war viel zu erschöpft, um dabei irgend etwas zu empfinden.
Als Weelock erwachte, war es bereits heller Tag. Das erste, was ihm dabei auffiel, war, daß er allein in dem Büffelfell lag. Erschrocken hob er den Kopf. Das Kleid des Siouxmädchens, das er gestern abend an jenen Zweig gehängt hatte, war nicht mehr dort. Während er durch die Bäume spähte, tastete seine Hand nach dem Karabiner. Er war zum Glück noch vorhanden. Ebenso seine Stiefel.
Langsam erhob er sich. Die Luft war kalt, und auf einer Lichtung in der Nähe hatte sich ein Hauch von Reif auf das welke Gras gelegt.
Er dachte an die Squaw. Vermutlich war sie zurückgelaufen, in der Hoffnung, auf Überlebende ihrer Sippe zu stoßen. Es war sehr still. Kein Vogelruf war zu hören. Die Einsamkeit bedrückte ihn. Einen Moment dachte er daran, umzukehren und sich dem Kriegsgericht zu stellen. Aber er verwarf diesen Gedanken sogleich wieder. Er war kein Mann, der so leicht aufgab. Er konnte ebenso gut im Kampf sterben, wenn sie ihn einholten, oder wenn die Rothäute ihn erwischten.
Ein Stück hangaufwärts bewegte sich etwas, und er riß seine Waffe hoch. Dann sah er die Squaw im blassen Morgenlicht auf sich zukommen. Ein starkes Gefühl der Erleichterung überkam ihn, obwohl sie gewiß keine Hilfe für ihn darstellte.
Sie reichte ihm wortlos einige halbvertrocknete Beeren, die sie in der hohlen Hand trug und machte eine Geste zum Mund. Das erinnerte ihn an den Hunger, den er über den Ereignissen vergessen hatte. Er nahm die Beeren und kaute darauf herum. Sie schmeckten nicht, und er verzog den Mund. Als er sie dabei anschaute, sah er, daß sie zum erstenmal lächelte. Das verwunderte ihn. Für ihn waren Indianer bislang nur ernste, finstere Gesichter gewesen, mit denen er nichts anfangen konnte. Aber jetzt stellte er zum ersten Mal fest, daß sie richtige Menschen waren, wie er selbst. Sie konnten sogar lachen.
»Woynonihan«, sagte sie. Es war das erste Mal, daß er sie sprechen hörte. Von früheren Begegnungen mit Indianern her wußte er, daß es eine Begrüßung war. Ihre Stimme war weich und klangvoll.
Weelock zeigte auf seine Brust und sagte: »Joe. Ich heiße Joe.«
Das Mädchen nickte. Die Angst, die gestern noch in ihren dunklen Augen gewesen war, hatte einer vorsichtigen Scheu Platz gemacht. Sie wußte offenbar noch nicht, was sie von dem fremden weißen Mann halten sollte.
Weelock zeigte auf sie. »Wie ist dein Name?«
»In deiner Sprache ich heiße Elk Woman«, antwortete sie schlicht.
Weelock würgte die Beeren hinunter und starrte sie an. »Du sprichst ja meine Sprache.«
»Wenig. Nicht alle Wasicun sind zu mein Volk gekommen, zu töten.«
Ihre Erklärung beschämte Weelock, und er fragte nicht weiter danach. Er vermied es, ihr in die Augen zu sehen, denn er wußte, daß sie ihn prüfend beobachtete.
»Du, ein Wasicun«, sagte sie ohne Vorwurf in der Stimme. »Du trägst den blauen Rock der Akicita, aber du bist nicht so wie sie. Du haßt unser Volk nicht.«
»Es sind nicht alle gleich«, antwortete er ohne sie anzusehen. Er fühlte die Kälte durch seine Kleider dringen, wenn er stillstand. Elk Woman mußte entsetzlich frieren. Er bückte sich, um das Büffelfell aufzuheben.
»Warum bist du gekommen, um uns zu töten, wenn du unser Volk nicht haßt?«
Er wußte, daß er ihr darauf keine Antwort geben konnte. Jedenfalls keine, die sie verstehen würde.
»Ich wußte nicht, daß Frauen und Kinder getötet würden«, sagte er deshalb. »Wir alle wußten das nicht.«
»Aber alle haben es getan.«
Weelock hob den Blick und sah sie an. Verdammt, es war nicht gut, wenn eine Squaw so viel redete, und er hatte eine heftige Erwiderung bereits auf der Zunge. Aber in ihrer Stimme war kein Vorwurf, kein Haß, keine Anklage, obwohl er das verstanden hätte. Und zum ersten Mal bemerkte er, wie schön sie war. Ihr Gesicht war von einem eigenartig herben, fremden Reiz, den er vorher nicht bemerkt hatte. In ihren dunklen Augen lag noch der tiefe Schmerz über all das Leid, das ihr bisheriges Leben so plötzlich zerstört hatte. Es würde für sie nie mehr so sein wie früher. In ihrem ganzen Leben würde sie nicht vergessen können, was sie dort am Fluß gesehen hatte. Und dieser stumme Schmerz berührte Weelock mehr als die Erinnerung an das furchtbare Gemetzel.

Luke Sinclair
1940 wurde ich in Halle/Saale geboren und wuchs in derselben Stadt auf.1961 wechselte ich in die Bundesrepublik über. Einige Jahre später absolvierte ich bei der Studiengemeinschaft Kamprath in Darmstadt ein zweijähriges Fernstudium >Technik der Erzählkunst<. Danach schrieb ich meine ersten Western für Zauberkreis Verlag und BEWIN Verlag (letzterer für Leihbüchereien) und war dann über nahezu drei Jahrzehnte nebenberuflich als Romanautor für Kelter- und Bastei Verlag tätig.
Da ich mich nun seit einiger Zeit im Ruhestand befinde, habe ich mich größeren Projekten zugewandt. Mein erster gebundener Roman erschien 2008 unter dem Titel: „Roter Bruder Abel“ im WJK Verlag, Hilden. Ein historischer Roman, der sich mit der Eroberung und Besiedelung des nordamerikanischen Kontinents befasst.
Ein weiterer Roman mit dem Titel: „Wer weiß schon, wann die Stunde schlägt“ erschien 2010.