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Titel: Die Feder folgt dem Wind

Die Feder folgt dem Wind

Eine weiße Frau bei den Sioux

von Kerstin Groeper

Seiten: (ca.) 513
Erscheinungsform: Neuausgabe
Erscheinungsdatum: 27.7.2015
ISBN: eBook 9783956070228
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)

US$ 5,99

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Autor

Autor: Kerstin Groeper
Kerstin Groeper (Autor)
6 eBooks
Übersicht Leseprobe Autor

Theresa Bruckner hat alles, was sie sich je erträumt hat – ein gemütliches Heim, einen liebevollen Ehemann und einen bezaubernden kleinen Sohn. Nur widerwillig beugt sich die junge Frau den Wünschen ihres Mannes Jonathan, als er beschließt, in Amerika nach dem großen Glück zu suchen. Von Anfang an steht die Reise der kleinen Familie unter einem schlechten Stern, denn schon bald fällt Theresas geliebtes Kind einer tückischen Krankheit zum Opfer und kaum in Julesburg angekommen, muss sie mit ansehen, wie Jonathan während eines Indianerüberfalls getötet wird. Die Lakota-Krieger lassen die junge Witwe am Leben. Doch fortan muss sie dem stolzen Wakinyan-gleschka dienen, dessen Launen sie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Überwältigt von der Trauer um ihre Lieben und dem Hass auf ihre Entführer weigert sich Theresa zunächst, die Sitten und Bräuche der Lakota zu erlernen - bis sie beginnt in Wakinyan-gleschka mehr zu sehen als einen gewissenlosen Mörder…

Details

Titel
Die Feder folgt dem Wind
Untertitel
Eine weiße Frau bei den Sioux
Autor
Kerstin Groeper
Seiten
513
Erscheinungsform
Neuausgabe
Preis (eBook)
5,99 EUR
ISBN (eBook)
9783956070228
Sprache
Deutsch

Leseprobe

Die Überfahrt

(Hamburg, Frühjahr 1863)

Theresa Bruckner stand an der Reling des Schiffes und schaute mit beklommenem Herzen auf den Hafen zurück, der im morgendlichen Dunst allmählich verschwand. Ihre Hand umklammerte fest das Kopftuch, das sie sich tief ins Gesicht gezogen hatte, so als könnte sie damit die eisige Kälte aufhalten, die in ihr hochstieg. Nur gedämpft vernahm sie die aufgeregten Stimmen der anderen Reisenden, die einen wehmütigen Blick auf ihre Heimat warfen. Oh! Vielleicht zum ersten Mal in dem Trubel der letzten Wochen erkannte sie mit völliger Klarheit, dass sie nie mehr zurückkehren würde. Die schemenhaften Umrisse der Hafengebäude wären das Letzte, was sie an die Heimat erinnern würde. Ein endgültiger Abschied von ihren Eltern, ihren Geschwistern, der kleinen Schmiede, die ihnen ein Auskommen gesichert hatte. Es war nicht viel gewesen, gewiss, aber ihr hatte es gereicht.

„In Amerika wird alles viel besser!“, hatte ihr Mann voller Enthusiasmus prophezeit. Er war berauscht von dem Gedanken an Freiheit und welche Möglichkeiten sich ihm eröffnen würden. „Ich bin Schmied! So etwas suchen sie dort drüben!“

Dort drüben! Wie oft hatte sie diese Worte in den vergangenen Wochen und Monaten gehört, manchmal auch verwünscht!

Einige Möwen flogen kreischend um die Masten des Schiffes und Theresa hob gedankenverloren den Kopf. Wie gerne würde sie sich jetzt in einen Vogel verwandeln und einfach wieder zurückfliegen! Aber es gab kein Zurück. Sie hatte eingewilligt oder sich in endlosen Diskussionen überreden lassen, und nun war sie hier. An dem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab. „Oh Herr! Gib mir Kraft!“, betete sie inbrünstig.

„Mama, sieh die Vögel! Sie fliegen mit uns!“, erklang die begeisterte Stimme ihres Sohnes. Seine pummelige Hand streckte sich den Vögeln entgegen, als wollte er sie ergreifen.

„Oh, Thomas! Sie begleiten uns nur ein Stück, dann kehren sie um!“, erklärte sie voller Sehnsucht.

„Wirklich! Zu Großvater und Großmama?“

Sie schluckte die Tränen hinunter und presste ein mühsames „Ja“ heraus. Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Zitternd tastete sie nach der Hand des Kindes, suchte Trost und Halt ausgerechnet bei ihrem Sohn. Für ihn taten sie all dies. Damit er es einmal besser hatte!

„Stell dir nur vor, welche Zukunft er in Amerika haben wird! Es wird großartig!“, hatte ihr Mann versucht sie zu begeistern.

„Aber er hat doch auch hier ein sicheres Zuhause!“

„Sicher!“, hatte er gelästert. „Bei dir muss immer alles sicher sein und seine Ordnung haben! Fortschritt ist nicht sicher! Man muss Risiken eingehen, wenn man etwas erreichen will!“

Wie konnte sie, als Mutter, ein kaum dreijähriges Kind irgendeinem Risiko aussetzen?

Eine kräftige Hand umschlang ihre Hüften und eine dunkle Stimme jubelte voller Freude in ihr Ohr: „Resi, Resi, ist es nicht wunderbar! Oh, riechst du die Luft? Ich schmecke das Salz auf meiner Zunge! Komm, lass uns nach vorne gehen!“

Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie ihren Kopf an die Schulter ihres Mannes legte: „Oh Jonathan!“

„Komm Mädchen! Schau nicht zurück! Wir gehen nach Amerika, ins gelobte Land! Dort, wo uns die gebratenen Tauben in den Mund fliegen!“

„Ach du!“, wehrte sie ihn entrüstet ab, aber ein klein wenig fühlte sie sich besser. „Weißt du, ich dachte gerade an meine Eltern und unsere …“

„Wir werden Briefe schreiben!“, lachte er sorglos. „Wir sind doch nicht aus der Welt!“

„Ja, aber ich werde sie nie mehr wiedersehen!“

„Wie kannst du so etwas sagen? Wir werden so viel Geld verdienen, dass wir uns die Reise mehrmals leisten können! Stell dir vor, was deine Eltern sagen werden, wenn wir als reiche Leute heimkehren!“

„Meinst du?“

„Aber ja! Du hast doch die Anwerber gehört! In einem Land, in dem Milch und Honig fließen, werden auch wir unser Auskommen haben. Sonst würden ja nicht so viele Leute gehen!“

Unsicher blickte Theresa auf die Mitreisenden, aber alle schienen in Hochstimmung zu sein. War sie undankbar? Widerwillig ließ sie sich von der Hand ihres Mannes nach vorne ziehen, dorthin wo die Spitze des Schiffes nach Westen zeigte.

„Sieh nur“, flüsterte Jonathan. „Dort liegt unsere Zukunft!“

Es sprach so viel Glück und Zufriedenheit aus seiner Stimme, dass sie ihm nicht widersprechen wollte.

Sie hatte Glück gehabt, einen solch gut aussehenden Mann zu bekommen und so hütete sie sich davor, ihn zu verärgern. Sie war keine Schönheit. Sie war groß und kräftig, taugte zur Arbeit, aber wenigstens hatte sie Rundungen an den richtigen Stellen – jetzt, unter den vielen Lagen Kleidung, kaum noch zu erahnen. Ihr Gesicht war eher kantig, mit hohen Backenknochen und einem energischen Kinn. Nicht viele Männer hatten ihr den Hof gemacht und so war sie voller Zweifel, fast Ablehnung, gewesen, als Jonathan erschienen war. Doch er war geblieben, höflich und zielstrebig hatte er um ihre Hand angehalten. „Findest du mich denn schön?“, hatte sie geflüstert.

„Aber ja! Sieh nur, deine schöne gerade Nase und deine hübschen braunen Augen! Du wirst eine wunderbare Ehefrau für einen Schmied sein!“

Schmied! Die letzten Jahre waren hart gewesen. Voller Arbeit und Plackerei, aber sie hatte sich nicht beklagt. Ihr Glück war vollkommen gewesen, als Thomas geboren wurde. Ihr kleiner, zarter Engel. Damals hatte es angefangen! Jonathans Idee vom Auswandern. Jeden Taler ihres geringen Auskommens hatte er gespart und nun standen sie alle hier, an Bord der „Seabird“. Voller Begeisterung nahm Jonathan seinen Sohn Huckepack und zeigte auf die Möwen: „Wir sind so frei wie diese Vögel! Wir können fliegen!“

„Fliegen!“, jauchzte das Kind, als der Vater sich wie ein Verrückter im Kreis drehte.

Theresa schaute nach oben, wo in Schwindel erregender Höhe die Matrosen wie die Affen in den Masten kletterten und die Segel setzten. Sie blähten sich wie Bettwäsche auf der Leine, wenn der Wind die Laken trocknete, und sie blinzelte. Wann würde sie je wieder saubere Bettwäsche sehen? Mit Schaudern dachte sie an den dunklen Schiffsrumpf, der für die nächsten Wochen ihr Zuhause sein würde. Sie genoss die Augenblicke auf dem Deck, denn in Zukunft würde der Aufenthalt im Freien geregelt sein. Wie in einem Gefängnis!

„Meine Männer müssen arbeiten!“, hatte der Kapitän gesagt. „Da geht es nicht, dass ständig irgendjemand im Weg herumsteht!“

Sie fürchtete sich vor der Ansprache des Kapitäns, die für den späten Vormittag angesetzt war. Dabei war ihr der Mann nicht einmal unsympathisch. Ein hagerer, disziplinierter Mann mit sorgsam gestutztem Bart, der seine Mannschaft offensichtlich gut im Griff hatte. Aber mit der gleichen Strenge, mit der er seine Leute befehligte, richtete er seine Worte auch an die Passagiere.

„Ich gehe nach unten“, murmelte sie.

„Ja, geh nur, ich komme gleich!“, lachte Jonathan.

Sie nickte kurz und ging über den schwankenden Boden zurück zu der Luke, die zu ihrer Unterkunft führte. Sie raffte ihre Röcke und kletterte vorsichtig nach unten. Mit jeder Stufe wurde es heißer und stickiger. „Wie der Weg in die Hölle!“, dachte sie in einer plötzlichen Vorahnung, die ihr Herz zusammenkrampfen ließ. Sie murmelte schnell ein Gebet, dann hastete sie zu ihrer Unterkunft. Ein niedriger Raum, dunkel und stickig, den sie sich mit noch fünfzig anderen Reisenden teilen musste. Schmale Kojen standen an den Wänden ringsum, drei übereinander, mit denen der Raum eigentlich schon restlos überfüllt war, dennoch lagen auch in der Mitte noch Säcke, auf denen sich Menschen niedergelassen hatten. Sie drängte sich durch das Gewimmel, bis sie ihr Bett erreichte und mutlos darauf niedersank. Es war zu niedrig, um zu sitzen und so lag sie einfach da, musterte das Chaos, in dem sie nun leben sollte.

Mütter versuchten ihre aufgeregten Kinder zu beruhigen und Männer waren lauthals in heftige Diskussionen vertieft. Schon jetzt gab es Streit um die besten Plätze.

Theresa schloss einfach die Augen und versuchte das alles nicht mehr zu hören. Ihre Hand suchte nach der ledernen Truhe neben dem Bett, in der ihre Habseligkeiten untergebracht waren. Wäsche zum Wechseln, einige Andenken, das war alles, was von ihrem früheren Leben übrig geblieben war. Die Truhe war noch da und erleichtert atmete sie durch. Aber wer sollte hier etwas stehlen? Der einzige Reichtum befand sich in zwei Gürteln, die Jonathan und sie unter der Wäsche auf dem Leibe trugen. Geld, um in Amerika einen Neuanfang zu wagen. Sie döste ein wenig, erschöpft von den letzten Tagen, die sie mit Hunderten anderer Menschen im Auswandererhaus im Hafenviertel verbracht hatte.

„Mama!“, weckte sie die vorwurfsvolle Stimme ihres Sohnes.

Orientierungslos fuhr sie hoch, nur um sich gewaltig den Kopf anzustoßen. „Autsch!“, entfuhr es ihr. Ihr Sohn kicherte ausgelassen und sie tadelte ihn mit einem wütenden Blick. „Man lacht nicht, wenn jemand sich weh tut!“

Sofort verschwand das Lachen aus den blitzenden blauen Augen und schon taten ihr die Worte leid. Sanft streichelte sie durch die blonden Locken. „Ach, macht nichts. Es hat überhaupt nicht wehgetan!“

„Die Betten sind so klein!“, schimpfte Thomas.

„Ja, sehr klein!“

„Wo schlafe ich?“

„Na, hier bei mir“, lächelte Theresa. Sie hatten nicht das Geld gehabt, um drei Kojen zu bezahlen.

„Und wo schläft Papa?“

„Über uns!“ Theresa deutete auf die Koje über ihrem Bett.

Schon stand Jonathan neben ihr und grinste breit. „Nein, ich schlafe ganz oben. Dieses Mädchen hier schläft in der Mitte. Sie heißt Cäcilie. Ihre Familie hat die Kojen neben uns.“

„Oh, herzlich willkommen“, begrüßte Theresa das vielleicht fünfzehnjährige Mädchen. „Ich heiße Theresa Bruckner! Wandert ihr auch nach Amerika aus?“

Höflich reichte ihr das Mädchen die Hand und machte einen Knicks. „Ja, wir haben einen Onkel in Ohio. Dort wollen wir erstmals hin.“

„Oh, es ist schön, dass ihr dort drüben jemanden kennt. Wir sind ganz allein!“

Das Mädchen sagte nichts mehr und Theresa blickte sich um. Irgendwie hatten es die Frauen geschafft, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen. In der Mitte des Raumes blieb sogar ein wenig Platz frei, sodass man sich setzen konnte. Überall waren die Familien dabei, sich gegenseitig vorzustellen. Jonathan stand schon wieder mitten in der Menge und schwang großartige Reden. Sie lächelte über seinen Eifer, aber eben deswegen liebte sie ihn. Seine Abenteuerlust war geradezu ansteckend und sie hatte sich von seiner Phantasie und seinen Geschichten buchstäblich verführen lassen. Aber tatsächlich war es etwas anderes, in ihn verliebt zu sein, ihn wie ein kleines Mädchen anzuhimmeln, als nun mit ihm verheiratet zu sein und die Verantwortung für einen kleinen Jungen zu haben.

„Eigentlich habe ich jetzt zwei kleine Jungen!“, dachte sie ein wenig spöttisch, als ihr Mann so dastand, mit den Daumen unter den Hosenträgern, breit und groß, mit einigen Fransen seiner Stirnhaare, die ihm ins Gesicht fielen. Er warf sie immer mit einem Ruck nach hinten, wie ein wildes Pferd, das die Mähne schüttelt.

Eine schrille Pfeife ertönte und sie wusste bereits, dass dies die Aufforderung war, an Deck zu erscheinen. Zusammen mit den anderen bildete sie eine ordentliche Reihe, außerdem mischten sich einige junge Männer, die allein reisten, unter die Familien. Sie waren in einer anderen Kajüte untergebracht, um den Frauen wenigstens einen Rest an Intimität zu gewähren. Langsam kletterten alle an Deck und Theresa atmete die frische Luft ein. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie stickig und heiß es unter Deck war. Erwartungsvoll stellten sich alle auf, warteten auf die Worte, die der Kapitän sprechen würde. Einige Kinder sprangen aufgeregt umher, wurden jedoch sofort still, als der Kapitän auftauchte.

„Nun!“, hallte es überraschend laut über das Schiff. „Ich bin Kapitän Masterson! Ich befehlige dieses Schiff! Die Seabird wird Sie alle sicher nach Amerika bringen, so Gott will!“ Er machte eine künstlerische Pause und blickte ernst auf die versammelten Menschen. „Wir werden eine lange Zeit zusammen sein und deshalb ist es nötig, dass Sie alle gewisse Regeln einhalten. In erster Linie bin ich dafür verantwortlich, dass Sie alle gesund und munter Ihr Ziel erreichen. Deswegen werde ich mit aller Härte gegen jeden vorgehen, der sich nicht an die Regeln hält! Ist das klar?“

Wieder schweiften seine Augen über die versammelten Menschen und leises Murmeln antwortete ihm auf diese Frage. „Das Essen und das Wasser sind rationiert! Zum Waschen oder Saubermachen wird Meerwasser benutzt. Einmal am Tag wird mit Meerwasser geduscht. Männlein und Weiblein fein säuberlich voneinander getrennt. Ist das klar?“

Theresa blickte ungläubig auf den Kapitän. Wollte er ihnen etwa befehlen, wann sie zu baden hatten? Mit Meerwasser?

Ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, fuhr der Kapitän in seiner Ansprache fort: „Jede Familie bekommt einen Eimer für ihre Notdurft. Dieser ist sofort zu entleeren und zu säubern! Der Waschtag für die Wäsche wird vorher angekündigt. Das hängt davon ab, ob wir gutes Wetter haben. Ausgenommen sind die Binden der Damen oder die Windeln der Säuglinge!“

Theresa wurde knallrot. Es war das erste Mal, dass ein Mann ein so unanständiges Wort überhaupt in den Mund nahm! Wie konnte er nur? Binden! Über so etwas redete man doch nicht!

Ungerührt sprach der Kapitän weiter: „Für alle gibt es täglich einen Spaziergang an Deck. Wer dazu imstande ist, sollte ihn nicht verpassen, denn er fördert die Gesundheit. Besonders Mütter mit Kindern sollten die Zeit nutzen, auch wenn es vielleicht windig oder kalt ist. Bald erreichen wir ohnehin wärmere Gewässer. Ansonsten möchte ich Sie bitten, die Routine der Mannschaft möglichst wenig zu stören. Das ist alles! Bitte gehen Sie nun wieder unter Deck. Der Koch wird in Kürze das Essen bringen. Jeder erhält für die Reise sein Geschirr, für das er dann selbst verantwortlich ist!“

„Wo sollen wir es denn waschen?“, wagte eine Frau zu fragen.

„Na, in dem Eimer! Da könnt ihr auch eure Wäsche waschen!“

Theresa drehte sich vor Ekel der Magen um. Ein und derselbe Eimer zum Waschen, Urinieren und Geschirrabwaschen? Herr im Himmel!

Aber es kam noch schlimmer. Ernüchtert kehrten die Passagiere in ihr Quartier zurück und blickten voller Entsetzen auf den Kessel, den ein Matrose lieblos auf den einzigen Tisch des Raumes knallte. In ihm schwamm eine undefinierbare Suppe aus allerlei Gemüse und Kartoffeln. Das war also das Mittagessen.

Theresa erkannte in diesem Augenblick, dass sie diesem Schiff auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren. Sie nahm Thomas an der Hand und stellte sich in die Reihe, um eine Kelle zu ergattern. Selbst ihr Mann war merkwürdig ruhig geworden und dachte vermutlich an das Geräucherte und Eingelegte, das es sonst immer zum Essen gegeben hatte.

Sie erhielten jeder einen Napf, einen Becher und Besteck, dann klatschte der Matrose eine Kelle der Brühe in ein Behältnis, von dem niemand sagen konnte, für was es sonst schon gebraucht worden war. Für die kleineren Kinder gab es tatsächlich einen Brei und so stellte sie sich an, um etwas für Thomas zu bekommen.

„Ab morgen dürfen die Mütter in die Kombüse und selbst etwas für die Kinder kochen“, knurrte der Matrose. „Wasser gibt es an Deck!“

Schon war er verschwunden und hinterließ einige ratlose Menschen. „Gibt es diesen Fraß jetzt jeden Tag?“

„Wohlan! Mitgefangen, mitgehangen! Wir können ja schlecht wieder aussteigen!“, meinte ein älterer Mann.

Lustlos fischte Theresa einige Kartoffelstückchen aus der Suppe, denn ihr war der Appetit restlos vergangen.

Ihr Mann dagegen stopfte mit Heißhunger das Zeug in sich hinein, so als müsse er beweisen, dass alles seine Ordnung hat. „Schmeckt doch gut!“, brummte er mit vollem Mund.

Am Nachmittag durften die Frauen und Kinder wieder an Deck und still sah Theresa zu, wie Thomas mit einem kleinen Mädchen spielte. Die Mutter versuchte ein Gespräch mit ihr, aber Theresa gab einsilbige Antworten.

Schließlich entschuldigte sie sich für ihre Unhöflichkeit: „Ich bin ein wenig unpässlich! Hoffentlich vergeht es wieder!“

„Oh, das tut mir leid! Legen Sie sich doch hin! Ich passe gerne auf Ihren Thomas auf!“

„Nein, es geht schon! Die frische Luft tut mir gut!“

Mit diesen Worten stellte sie sich an die Reling und schaute in das Wasser, das unter ihnen hinwegglitt. Weit in der Ferne konnte sie noch die Küste erkennen und sie seufzte tief.

Das Schiff schaukelte sanft auf und ab und manchmal wehte ihr die Gischt ins Gesicht. Es graute ihr davor, wieder in das Verlies, wie sie es nannte, hinunterzusteigen.

Zum Abendessen gab es frisch gebackenes Brot mit Käse und erleichtert biss Theresa in die Schnitte. Die Stimmung stieg, als ein Mann seine Fidel hervorzog und musizierte. Bald klatschten alle den Rhythmus und die Kinder hüpften lachend im Kreis. Irgendwie war es doch schön!

Theresa wurde müde und bereitete sich für die Nacht vor. Sie band ihre komplizierte Flechtfrisur auf und bürstete ihr langes braunes Haar. Dann machte sie sich einen Zopf und setzte ihre Nachthaube auf. Thomas steckte bereits in seinem langen Hemd und wartete darauf, dass seine Mutter sich zu ihm legte. Jonathan hielt eine Decke als Sichtschutz vor seine Frau, damit sie sich ausziehen konnte.

Schnell entledigte sie sich der Röcke und Mieder und schlüpfte in ihr bequemes Nachtgewand. Nur den Gürtel mit dem Geld behielt sie am Körper. Über ihr knarrte es, als das Mädchen sich ruhelos hin und her warf. Theresa bekam Platzangst, schielte immer wieder ängstlich nach oben, ob die Betten wohl halten würden. Vielleicht sollte sie lieber mit ihrem Mann tauschen? Wie sollte sie hier nur schlafen? Steif lag sie in der engen Koje, in der kaum Platz für sie, geschweige denn für ihr Kind war! Wie sehr beneidete sie plötzlich die Frauen, die auf den Schlafsäcken am Boden schliefen. Vielleicht sollte sie auch mit jemandem tauschen?

Sie horchte auf die Geräusche, die zu ihr hinüberdrangen. Leises Geflüster, lautes Schnarchen, hier und da ein Husten, im hinteren Teil des Raumes brüllte ein Baby, das sich nicht beruhigen ließ. Hier würde es nie Ruhe geben! Hinzu kam die schwere, stickige Luft von den Ausdünstungen der Menschen. Warum konnte man keine der Fensterluken öffnen? Die einzige Luftzufuhr kam durch die Tür, die nun geschlossen war.

Sie kletterte aus der Koje und stellte sich an die winzige Luke, um einen Blick auf das Meer zu erhaschen. Stockfinstere Nacht schlug ihr entgegen, tiefe Schwärze, nicht einmal die Sterne spiegelten sich im Wasser, aber vielleicht war es auch bewölkt. Wie gern wäre sie jetzt an Deck gegangen und hätte einen tiefen Atemzug genommen. Aber es schickte sich nicht, nachts den Raum zu verlassen. „Die Matrosen sind wilde Gesellen!“, hatte ihr Mann sie gewarnt. „Du solltest sie meiden!“

Sie kicherte ein wenig, als sie sich vorstellte, dass sie vielleicht barfuß und mit Nachthemd bekleidet an Deck schlich. Allein der Gedanke war schon Sünde und so schlug sie sich erschrocken die Hand vor den Mund. Sie wollte in ihre Koje zurück, doch Thomas hatte sich quer gelegt, so dass nun überhaupt kein Platz mehr für sie war. Seufzend wickelte sie eine Decke um ihre Schultern und setzte sich in eine Ecke. Quer durch den Raum erkannte sie schemenhaft eine Frau, die ihr Baby an der Brust angelegt hatte, um es zu beruhigen. Das Saugen des Babys war deutlich über den Atemzügen der anderen zu hören und Theresa lächelte gerührt. Irgendwann döste sie ein, träumte von milchigweißen Flüssen und grünen Wiesen, auf denen ihre zukünftigen Kinder spielten.

Die nächsten Tage verliefen ereignislos, fast langweilig. Eine gewisse Routine spielte sich ein, als das Schiff langsam nach Süden fuhr und auf günstigen Wind wartete, um sie über den großen Teich zu segeln.

Morgens durften als Erstes die Frauen und Kinder zum Waschen auf Deck. Mit den stinkenden Eimern in der Hand kletterten die Frauen nach oben und leerten diese mit dem Wind über die Bordwand. Hinter großen Leinentüchern konnten sie sich schließlich waschen, abgeschirmt vor den begehrlichen Blicken der Matrosen. Nur der Ausguck des Schiffes war ein beliebter Arbeitsplatz, weil man von dort einen Blick auf die Frauen erhaschen konnte. Das Salzwasser trocknete die Haut aus, machte sie spröde und rau, doch der Kapitän gab nur jeweils einen kleinen Eimer mit Süßwasser für die Pflege der drei Babys. Die Mütter konnten es nicht lassen, wenigstens ihre Gesichter ein wenig mit dem lauwarmen Wasser zu waschen und ernteten sofort neidische Blicke der anderen Frauen. So ein Luxus!

Wehmütig schlüpften die Frauen wieder in ihre unbequeme Kleidung, schnürten sich gegenseitig die Mieder und kämmten sich sorgsam die Haare, nur um sie sofort unter irgendwelchen Hauben oder Kopftüchern verschwinden zu lassen. Dann durften sich die Männer und Junggesellen waschen, nun nicht mehr von Leinentüchern gegen Blicke geschützt. Oft wurde es eine ausgelassene Balgerei, die einzige Möglichkeit, am Tag etwas Dampf abzulassen. Anschließend saßen alle auf ihren Plätzen und warteten auf die erste Mahlzeit des Tages. Das Essen blieb gleichbleibend gut oder schlecht, je nach Ansicht. Man gewöhnte sich auch nicht daran!

Theresa ernährte sich ausschließlich von dem Brot mit Käse und ließ regelmäßig eine Mahlzeit aus. „Du wirst bald so dürr wie eine Bohnenstange sein!“, schimpfte ihr Mann.

„Ich esse nichts, wenn ich nicht weiß, was darin ist!“

„Du solltest froh sein, dass es überhaupt etwas gibt.“

Es wurde merklich wärmer und die Frauen schwitzten in ihrer warmen Kleidung. Sehnsüchtig sahen sie zu den Männern hinüber, die in ihren Hosen und einfachen Hemden wesentlich zweckmäßiger gekleidet waren als sie selbst in ihren langen Röcken. Unter Deck war es nicht zum Aushalten und sich Luft zufächelnd saßen die Frauen auf ihren Matratzen und sehnten den Deckspaziergang herbei.

Der Kapitän hatte schließlich ein Einsehen und dehnte die Stunden für die Passagiere aus. So herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, ein Gewirr aus Kindern und Frauen, Babys und Männern, die sich auf den Vorbauten und Kisten des Schiffes niederließen oder dazwischen Verstecken spielten. Der Kapitän übersah das Chaos mit ruhiger Gelassenheit. Er berechnete den Kurs, maß die Entfernung mit seinem Sextanten oder ließ sich die Geschwindigkeit von einem Maat zurufen. „Sieben Knoten!“, ertönte es über das Deck. Geschickt hielt der Kapitän das Schiff vor dem Wind, kreuzte immer wieder, bis sich die Segel blähten.

Erste Freundschaften entstanden, kurze Kontakte, denn alle wussten, dass sie sich nach ihrer Ankunft in alle Winde verstreuen würden. Trotzdem nutzten gerade die Männer die Möglichkeit, Informationen auszutauschen. Viele Weisheiten kamen nur vom Hörensagen, Märchen, die weitererzählt wurden, trotzdem schöpften alle Hoffnung aus ihnen.

„Wir gehen nach Oregon! Dort soll der Boden besonders fruchtbar sein!“, erzählte ein Mann aus dem Schwarzwald. Andere wollten nach Ohio, zum Missouri oder nach Chicago. Jeder erzählte etwas anderes und beim abendlichen Kartenspiel wurden die Träume immer großspuriger.

Die Gespräche der Frauen drehten sich um praktischere Dinge. Welches Gemüse könnten sie anpflanzen, wie waren die Jahreszeiten in dem neuen Land, würde es Schulen für die Kinder geben und gab es schon eine Kirche? Jonathan hatte eine Einladung von den Bewohnern von Julesburg erhalten, dort eine Schmiede zu gründen. Eigentlich war es eine Anzeige in der Zeitung gewesen, die er zufällig gelesen hatte. Er wusste nicht, wie viele darauf geantwortet hatten, aber er war der Einzige, der nun tatsächlich auf dem Weg dorthin war.

„So, ihr geht nach Julesburg!“, lächelte Jonas Bergbauer, ein grobschlächtiger Mann mit breiten Schultern, die verrieten, dass auch er anpacken konnte.

„Ja, ich dachte, dass ich es mir mal anschaue!“, meinte Jonathan.

„Dort gibt es viele deutsche Familien! Ihr werdet euch dort sicher wohlfühlen. Gutes Farmland! Der Platte-Fluss bringt genügend Wasser.“

„Woher weißt du das?“, wunderte sich Jonathan.

 „Ich habe einen Onkel dort!“

„Warum geht ihr dann nicht auch dorthin?“

„Ach, ich versuche mein Glück in Oregon! Aber bis Julesburg können wir zusammenbleiben! Der Bozeman Trail führt daran vorbei!“

„Der Bozeman Trail?“

„Ja! Das ist der Weg nach Oregon. Ein Herr Bozeman hat ihn entdeckt. Daher der Name.“

„Ich freue mich, wenn wir beisammen sind“, erklärte Jonathan offen.

Dann erreichten sie eine Inselkette und der Kapitän nahm ein letztes Mal vor der langen Reise frisches Wasser an Bord. Es war eine Abwechslung in der täglichen Routine und so standen die meisten Passagiere an Bord, als das kleine Beiboot zu Wasser gelassen wurde.

Einige junge Männer und Jungen nutzten den Aufenthalt, um zu schwimmen und neidisch schauten ihnen die Frauen zu. Schließlich zogen zwei unverheiratete Mädchen unter den Protest ihrer Eltern einfach ihre Nachthemden an und kletterten an der Strickleiter ins Wasser hinunter. Der Stoff blähte sich im Wasser auf und es sah aus, als wären zwei Schmetterlinge ins Meer gefallen. Unter dem Gelächter und Gejohle der Matrosen kletterten die beiden schließlich verlegen an Bord. Der Stoff klebte an ihrer Haut und offenbarte jede Kleinigkeit ihrer Rundungen bis ins Detail. Ihre besorgten Mütter wickelten sofort eine Decke um die Mädchen und brachten sie laut schimpfend aus der Sichtweite der lüsternen Augen. Der Kapitän schüttelte nur gutmütig den Kopf. Er wusste um die lange, langweilige Überfahrt und gestand allen gern diesen Übermut zu. Noch waren alle gesund und es versprach, eine gute Überfahrt zu werden.

In den nächsten Tagen glitt das Schiff zum ersten Mal nach Westen. Eine frische Brise erleichterte das Vorwärtskommen und alle waren frohen Mutes. Oft standen die Menschen an der Reling und schauten den Delfinen zu, die das Schiff übermütig begleite-ten. „Sieh nur!“, kreischte Thomas. „Die Fische können fliegen!“

„Nein!“, korrigierte ihn Theresa. „Die Fische springen nur.“

„Lass ihn doch!“, meinte ihr Mann amüsiert. „Natürlich können die Fische fliegen! Sie fliegen immer weiter in die Sonne hinein!“

„Wirklich?“, staunte das Kind.

„Ja! Sie fliegen in die Sonne hinein und landen dann gebraten auf unserem Tisch!“

„Jetzt rede doch nicht solchen Unsinn! Du verwirrst das Kind ja völlig!“

„Aber nein! In Amerika gibt es überall fliegende Fische! Da brauche ich nur noch ein großes Netz, um sie zu fangen!“

„Oder die Schürze von der Mama!“, meinte Thomas mit glänzenden Augen.

„Ja, die Fische fliegen direkt in die Schürze und Mama muss sie dann nur noch in den Kochtopf werfen!“

Beide kicherten ausgelassen und selbst Theresa musste schmunzeln. Ihr Mann war wirklich ein lustiger Vogel!

Ein frischer, aber auch kräftiger Wind trieb das Schiff vorwärts und sofort wurden die ersten Passagiere seekrank. Auch Theresa kämpfte mit der Übelkeit und ein penetranter Gestank breitete sich im Zwischendeck aus.

Theresa lag in ihrer Koje und wünschte sich nur noch, dass das Schiff endlich stehen blieb. „Bitte, halt es an! Oh, mein Gott! Halt es doch an!“, flehte sie zum hundertsten Male. Doch erbarmungslos stürzte das Schiff den nächsten Wellenberg hinunter, nur um dann wieder emporgehoben zu werden. Unermüdlich, ständig, pausenlos und ohne Gnade für die Menschen, die mit dem Brechreiz zu kämpfen hatten. Oft wurde das Bettzeug beschmutzt und der saure Gestank haftete an den Menschen.

Dann wurde aus der frischen Brise ein Sturm. Ohne Warnung schlug das Wetter um und mit knapper Müh und Not rafften die Matrosen die Segel, sonst wären sie bei den Böen wohl zerrissen. Wie ein Ball auf dem Polofeld wurde das Schiff hin und her gestoßen. Immer höhere Wellenberge türmten sich auf und das Schiff wurde wie von einer riesigen Faust emporgetragen und wieder fallengelassen. Alles, was nicht irgendwie befestigt war, wurde kreuz und quer geschleudert, auch die Menschen. Hilflos klammerten sie sich an den Kojen oder an sonst irgendetwas fest, als das Schiff sich wie ein bockendes Pony hin und her warf.

„Wir werden alle ertrinken!“, kreischte eine Frau völlig hysterisch. Gepäckstücke flogen durch den Raum und ein Baby wurde der Mutter aus dem Arm gerissen und prallte mit voller Wucht gegen die Wand.

Verzweifelte Hände griffen nach dem Kind, aber ihm konnte nicht mehr geholfen werden. Die abgehackten Schreie der Mutter zeugten von dem entsetzlichen Leid, das hier geschehen war. Mit der nächsten Böe stürzte das Schiff nach vorne und ein riesiger Schwall Wasser ergoss sich in den Raum. Alle waren klatschnass und das Schreien der Menschen wurde zu einem flehenden Gebet, als viele sich in ihrer Verzweiflung an Gott wandten. Theresa hielt ihren Sohn im Arm und betete unablässig das Vaterunser. Wie in Trance murmelte sie die wohlbekannten Zeilen, ihre Lippen zitterten vor Angst. Thomas hatte aufgehört zu schreien und hatte sich wie ein Äffchen an seine Mutter geklammert. Vor ihrer Koje kniete Jonathan, bemüht seine Familie zu schützen, aber dieses Unwetter ging über seine Kraft. Immer wieder wurde er durch den Raum geschleudert, trug Blutergüsse und Schorfwunden davon.

Der Sturm dauerte die ganze Nacht, erst in der Morgendämmerung legte er sich so plötzlich, wie er gekommen war. Völlig erschöpft sanken die Menschen zusammen, schliefen dort ein, wo sie gerade lagen oder saßen.

Nur die Mutter hielt ihr totes Baby im Arm und schaukelte summend vor und zurück. Ihr Mann hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen gebrochenen Arm, unfähig seine Frau irgendwie zu trösten. Niemand von der Mannschaft ließ sich blicken, nicht einmal der Arzt, denn dieser musste erst nach den Verletzungen der Matrosen sehen. Wer sich noch auf den Beinen halten konnte, wurde in den Kielraum des Schiffes geschickt, um das Wasser herauszupumpen. Wertvolle Ladung war zerstört worden und die Mannschaft rettete, was noch zu retten war. Schlimmer war der Verlust einiger Lebensmittel und der Kapitän ließ sofort eine Bestandsaufnahme machen. Zwei wertvolle Wasserfässer waren zerstört und einige Lagen von getrocknetem Fisch und Fleisch waren durchnässt worden.

„Wasser wird ab sofort rationiert und das Fleisch wird in den nächsten Tagen gegessen, ehe es verdirbt!“, ordnete der Kapitän an. Dann schickte er die Zimmerleute, um Reparaturen durchzuführen. Endlich erschien auch der Arzt im Zwischendeck und kümmerte sich um die Verletzungen der Passagiere.

Traurig senkte er den Kopf, als er den Körper des Babys mitnahm. Es war das erste Opfer auf dieser Reise und andere sollten noch folgen.

Der Kapitän hielt eine kurze Andacht, las ein wenig aus der Bibel und schloss mit dem Vaterunser, dann überließ er die Leiche des Babys der See. Die Andacht war entsetzlich kurz, fast kalt, so als wollte der Kapitän das Leid nicht an sich heranlassen.

Der kleine Körper platschte ins Wasser, wurde sofort unter Wasser gezogen, dann war er auf immer verschwunden. Wehklagend sank die Mutter in die Knie, verstand nicht, was hier so schnell geschehen war. Hysterisch schreiend verlangte sie ihr Baby zurück. „Nicht so, nicht so!“, rief sie die ganze Zeit.

Ihr Mann führte die schluchzende Frau unter Deck, doch auch dort konnte er sie nicht beruhigen. Tagelang heulte und weinte die Frau, so dass ein normales Leben unmöglich wurde. Ständig wurden alle mit ihrer Trauer konfrontiert und niemand fand Worte, um die Frau zu trösten.

Nach dem Unwetter versuchten die Passagiere, ihre Sachen wieder zu trocknen, doch die Nässe hatte sich in die Matratzen und Decken gesogen. Es roch nach Moder und Schimmel, vermischt mit dem sauren Gestank des Erbrochenen. Immer noch plagte viele die Seekrankheit, obwohl der Schiffsarzt sein Möglichstes tat, um zu helfen. Großzügig verteilte er Äpfel, die ohnehin faul zu werden drohten.

Der saure Geschmack half tatsächlich ein wenig und zumindest Theresa fühlte sich besser. Inzwischen gab es dreimal am Tag Fisch. Fisch, der nach Salzwasser stank und nach Salzwasser schmeckte. Aber niemand beschwerte sich, denn allen war klar, dass es anschließend kein Fleisch oder Fisch mehr geben würde. „Was essen wir dann?“, fragte Jonathan den Koch.

„Nun, nicht alles ist verdorben! Wir haben noch einige Fässer mit Kraut. Und Mehl ist auch noch da. Außerdem können wir angeln!“

„Na, das ist ja wunderbar“, meinte Jonathan sarkastisch. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein paar Fische für über hundert Leute reichen würden.

Wieder vergingen die Tage, trostlos und niederschmetternd. Von dem anfänglichen Enthusiasmus war nichts mehr geblieben, außer blanker Verzweiflung. Erste Fälle von Skorbut breiteten sich aus, obwohl der Koch vorbeugend Sauerkraut verteilte. Aber nicht jeder verstand den Sinn dieser Maßnahme und so weigerten sich viele, davon zu essen!

Die geschwächten Menschen kamen kaum noch aus ihren Kojen hoch und unweigerlich breiteten sich Krankheiten aus. Nur die Widerstandsfähigsten, wie Jonathan, versammelten sich noch an Deck und unterhielten sich aufgebracht über die Situation. Aber es war lediglich Ausdruck ihrer Hilflosigkeit, ein Dampfablassen, denn ändern konnten sie nichts. Wütend forderten sie eine Erklärung von dem Kapitän, wie er auf die Situation reagieren würde, und senkten betreten die Köpfe, als dieser unumwunden gestand, dass es keine Lösung und auch kein Zurück mehr gab. Hier half nur noch beten!

Besorgt kehrte Jonathan zu seiner Koje zurück, in der seit Tagen sein kleiner Sohn fieberte. Beten! Sein Sohn brauchte Medikamente oder einen kompetenten Arzt und nicht diesen unfähigen Quacksalber, der sich manchmal äußert widerwillig in die Quartiere der Passagiere verirrte.

Jonathan umklammerte seine Hosenträger, als suche er Halt bei ihnen, und blickte auf seinen Sohn, dessen kleines Gesicht glühte. Theresa kühlte ihm die Stirn mit einem Lappen und sah ihren Mann mit haselnussbraunen Augen an. „Sein Fieber ist so hoch!“

„Vielleicht hat er sich nur ein bisschen erkältet!“

Sie nickte erleichtert und wandte sich dann wieder dem Kind zu.

Aber das Fieber breitete sich aus. Bald lag mehr als die Hälfte aller Passagiere mit hohem Fieber und fleckigen Gesichtern darnieder. Beunruhigt beugte sich der Arzt über die Kranken und befürchtete eine Epidemie.

„Die Matrosen sollen die Passagiere meiden“, empfahl er dem Kapitän.

„So?“ Eine steile Falte zeigte sich im Gesicht des Kapitäns. „Ist es ernst?“

„Ich befürchte, es ist Typhus!“

Der Kapitän biss die Lippen aufeinander. Er wusste, was das bedeutete. Er hatte schon einmal fast die Hälfte aller Passagiere durch eine Epidemie verloren. „Und jetzt?“

Der Arzt zuckte die Schultern. „Wir können nur abwarten!“

Theresa saß die nächsten zwei Tage neben ihrem kleinen Sohn und hielt dessen heiße Hand. Sie war so klein, so zart, fast zerbrechlich. Die Haut des Kindes schien durchsichtig zu sein und die Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Ihr war schlecht vor Angst, als sie immer wieder kühle Umschläge machte und versuchte, das Fieber zu senken.

„Mama? Fahren wir wieder zu Großvater und Großmama?“, hauchte der kleine Junge. Ihr zerbrach fast das Herz, als sie versuchte zu lächeln. „Wir wollen doch nach Amerika!“

„Dort, wo die Fische fliegen?“

„Ja, weißt du noch? Wir fangen die Fische und werfen sie in den Kochtopf!“

„Ich mag keine Fische mehr“, erklärte Thomas. „Ich will zu Großvater und Großmama!“

Müde schloss das Kind die Augen, die Lippen leicht geöffnet, als versuchte es, auf diese Weise seinen Körper zu kühlen. Theresa strich durch die verschwitzten Haare und versuchte sich selbst zu beruhigen.

„Kinder haben leicht hohes Fieber. Das vergeht bald wieder“, hatte der Arzt ihr versichert.

Sie döste ein wenig und träumte von der Zukunft in diesem neuen Land. Vielleicht konnte sie einen kleinen Gemüsegarten anlegen? Sie stellte sich vor, wie Jonathan in der neuen Schmiede arbeitete, und sie für das Abendessen eine Vase mit Blumen auf den Tisch stellte. Welche Blumen wuchsen dort eigentlich? Gab es in Amerika Rosen?

Der Atem des Kindes war schwer und holte sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Eigentlich wusste sie nichts über dieses neue Land. Wie hatte sie sich nur zu so einem Abenteuer überreden lassen können?

Dann war auf einmal alles still. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie die Wahrheit erkannte. Alles war so schnell gegangen, dass ihr keine Zeit geblieben war, sich darauf einzustellen oder es zu begreifen. Ihr kleiner Engel war tot.

Sie weinte nicht einmal, so sehr traf sie der Schock. Völlig apathisch saß sie neben dem Kind, so dass ihr Mann erst glaubte, dass sie ein wenig ausruhte, als er vom Deckspaziergang zurückkehrte. Das Kind lag so ruhig, so friedlich, als schliefe es. Doch dann erkannte Jonathan an den blicklosen Augen seiner Frau, dass etwas nicht stimmte. Hastig setzte er sich neben sie, tastete erschrocken nach der Brust des Kindes, doch dann erkannte auch er, dass Thomas zu Gott gegangen war.

Ein trockenes Schluchzen stieg in ihm hoch, eine entsetzliche Trauer, die ihn lähmte.

„Für Thomas gibt es keine Zukunft mehr“, sagte seine Frau tonlos, nicht einmal vorwurfsvoll.

„Oh Gott! Das habe ich nicht gewollt“, flüsterte Jonathan heiser.

„Nein! Das hat niemand gewollt! Aber es ist geschehen!“

„Oh Resi! Ich mache es wieder gut! Bitte! Ich mache es wieder gut!“ Heiße Tränen liefen über sein Gesicht und nun konnte auch Theresa nicht mehr an sich halten. Schluchzend brach sie zusammen, klammerte sich an ihren Mann, der ebenso hilflos dasaß und sie festhielt. „Es tut mir so leid! Es tut mir so leid“, stammelte Jonathan immer wieder.

Der kleine Junge zählte zu den ersten Opfern der Seuche, doch im Laufe des Tages starben noch weitere Passagiere an der heimtückischen Krankheit.

Fassungslos sahen die Hinterbliebenen zu, wie ihre Lieben in Leinen eingenäht und dann der See übergeben wurden. „Wir haben nicht einmal ein Grab für ihn, an dem wir ihn besuchen können“, schluchzte Theresa.

Der Typhus wütete unter den Menschen. Nach nur einer Woche waren zehn Kinder und dreiundzwanzig Erwachsene gestorben.

Cäcilie war plötzlich Vollwaise geworden, hilflos stand sie auf dem Schiffsdeck, als ihre gesamte Familie fast wie Abfall über Bord geworfen wurde. Traurig, aber betont sachlich wandte sich der Kapitän an das Mädchen: „Hast du noch Familie?“

„Ja, einen Onkel in Ohio!“

Der Kapitän war sichtlich erleichtert, denn es war offensichtlich, dass er nicht wusste, wie er mit dem Waisenmädchen umgehen sollte. „Gut, dann werde ich ihn benachrichtigen, damit du zu ihm kannst!“ Cäcilie nickte nur gehorsam mit dem Kopf, konnte das Geschehene überhaupt noch nicht begreifen. Aber auch andere Familien hatte die Krankheit getroffen. Bei Familie Bergbauer war ein Kind gestorben und die Trauer vereinte die beiden betroffenen Familien. „Ihr seid noch so jung! Ihr werdet bestimmt noch andere Kinder haben“, meinte Jonas voller Mitgefühl. Wenigstens waren ihm noch drei Kinder geblieben.

„Thomas war einzigartig, etwas Besonderes, genauso wie eure Vroni! Niemals kann ein anderes Kind diese Kinder ersetzen!“, meinte Theresa ernst. Dann schickte sie ihre Gedanken zu Gott: „Oh, Vater im Himmel, warum schickst du uns diese Krankheit? Haben wir gesündigt? Haben wir dein Missfallen erregt? Und warum nimmst du uns Thomas? Er war so unschuldig, so rein! Warum hast du nicht uns bestraft? Warum hast du ausgerechnet die Kinder zu dir gerufen?“

Doch der sonst so gnädige oder grausame Gott schwieg. Vielleicht waren die Menschen auf dem winzigen Schiff, das auf dem endlosen Meer hin und her geworfen wurde, einfach zu klein, sodass er ihre Gebete nicht erhörte.

Wakinyan-gleschka

(Nebraska, Winter 1864)

Wakinyan-gleschka lag in seinem Tipi und kämpfte gegen die bleierne Schwäche in seinen Gliedern. Sein ganzer Körper war mit nässenden Pusteln bedeckt, die langsam verschorften und hässliche Narben hinterließen. Seine Frau und seine beiden Kinder waren bereits an der Weißschorfkrankheit gestorben, aufgebahrt lagen sie auf den Totengerüsten neben all den anderen. Mehr als die Hälfte ihres Dorfes hatte die Krankheit dahingerafft und die wenigen Menschen, die noch stehen konnten, kamen kaum nach, die vielen Toten zu bestatten. Ein eisiger Wind pfiff um die Zelte und manchmal wollte Wakinyan-gleschka hinauslaufen und seinen heißen Körper im Schnee kühlen. Welchen Sinn hatte sein Leben jetzt noch? Warum nahm der Große Geist nicht auch sein Leben, führte ihn mit seiner Frau und seinen Kinder zusammen? Sie waren so schnell gestorben, kampflos und leise, hatten einfach zu atmen aufgehört. Wie viel musste sein Volk noch ertragen? War es nicht genug, dass die Waschitschu, diese seltsamen weißen Menschen, ihnen das Land nahmen? Mussten sie ihnen jetzt auch noch die Krankheiten schicken? Diese Weißen brachten nur Tod und Verderben! Sonst nichts!

Eine unbändige Wut erfüllte ihn, ein Hass, der ihn leben ließ, denn er wollte sein Volk rächen! Diese Weißen würden für jeden einzelnen Toten in seinem Dorf büßen! Er wusste nicht wirklich, wer alles gestorben war, aber es mussten viele sein. Wenn es ihm besser ging, dann würde er vorschriftsmäßig trauern, Abschied nehmen, um anschließend seine Kriegsfarben aufzutragen. Diese weiße Flut musste endgültig aufgehalten werden!

Warum hielten sie sich nicht an die Verträge und schickten weiterhin diese Siedler in ihr Land? Diese Menschen, die in Erdlöchern hausten, behaart wie Bären, sich vermehrten wie die Kaninchen und die Mutter Erde mit ihren Werkzeugen aufrissen. Die Weißen gehörten nicht hierher!

Dieses Land gehörte dem Wind, den Büffeln und den Mustangs. Es war wild und gefährlich, so wie die Klapperschlangen, die es beherbergte, aber die Weißen hatten keinen Respekt vor diesem Land und beugten es unter ihrem Pflug.

Mit zitternden Händen, die deutlich seine Schwäche zeigten, warf er einen Ast in die glimmende Glut. Eine ältere Frau, die ihre gesamte Familie verloren hatte, versorgte ihn und suchte auf diese Weise Schutz und Hilfe bei ihm. Er war dankbar und beschloss, sich auch um sie zu kümmern, wenn es ihm besser ging. Sie mussten zusammenhalten, wenn sie überleben wollten. Diese alte Frau wäre keine Gefährtin für ihn, aber sie konnte seine Sachen flicken, kochen und Feuerholz holen, so wie eine Mutter. „Winuchtschala“, nannte er sie. „Alte Frau“. Es war weder respektlos, noch abwertend gemeint, sondern einfach eine Tatsache. Sie war eine alte Frau, eine „Winuchtschala“ und umgekehrt nannte sie ihn „Tschinktschi“, Sohn.

Am nächsten Morgen fühlte er sich zum ersten Mal kräftig genug, um zum Fluss zu gehen. Um sein Zelt herum zeugten gelbe gefrorene Flecken davon, wie oft er hier uriniert hatte, etwas, das ihn zutiefst beschämte, aber er hatte einfach nicht die Kraft gehabt, weiter weg zu gehen. Sein hagerer, ausgezehrter Körper zeugte von der schweren Krankheit und seine sonst so leuchtenden Augen waren blicklos und blass. Ungepflegte Haare hingen wie Zotteln über seine nackten Schultern, denn er trug nur einen Lendenschurz und hatte sich ansonsten in eine blaue Wolldecke gewickelt. Seine Füße steckten in schmucklosen, gefütterten Mokassins. Noch fühlte er sich zu schwach, um wirklich zu baden, aber er genoss das kalte Wasser auf seiner Haut und wusch sich gründlich den Schweiß ab. Das Fieber schüttelte ihn und so kehrte er schnell wieder in sein Tipi zurück. Dabei fiel sein Blick auf die Totengerüste, die überall wie Mahnmale schwankend im Wind standen. Unzählige! Überall in dem Tal verstreut, in dem sie ihr Winterlager aufgeschlagen hatten.

Wakinyan-gleschka kroch erschöpft in sein Tipi, dann kniete er bewegungslos vor dem glimmenden Feuer. Ohne Eile, wie abwesend, zog er sein Messer und begann seine Haare abzuschneiden. Die langen Zotteln fielen zu Boden und er ließ sie einfach liegen. Sein kantiges Gesicht mit der scharfen Nase sah aus wie der Kopf eines Raubvogels, mit hohen Backenknochen und einer flachen Stirn. Fiebrige dunkle Augen starrten ausdruckslos, wie die gebrochenen Augen eines erlegten Hirsches, in die Glut, dazwischen bildete sich eine steile, sorgenvolle Falte. Mit Holzkohle färbte er sein Gesicht schwarz, dann sank er in sich zusammen. Er weinte nicht, aber sein Herz fühlte sich an wie ein schwerer, kalter Felsen. Überall lagen noch die vertrauten Dinge seiner Familie: die Puppen seiner Tochter, der kleine Bogen seines Sohnes, die Kochutensilien seiner Frau. Es war keine Zeit gewesen, den Toten diese Dinge mitzugeben, aber er würde sie an die Totengestelle hängen, wenn er die Kraft dazu fand.

Zähneklappernd vor innerer Kälte rollte er sich unter dem warmen Büffelfell zusammen und döste eine Weile. Er hörte im Halbschlaf seine Familie lachen, obwohl er wusste, dass sie nicht mehr da war. Aber in seinen Träumen würde sie zu ihm kommen und das tröstete ihn.

Leise kletterte Winuchtschala in sein Tipi und stellte eine dampfende Schüssel mit Essen an sein Lager. Auch ihr Aussehen zeigte deutliche Anzeichen der Trauer: kurze graue Haare, Asche in ihrem faltigen Gesicht, Narben an den Armen, ein einfaches Trauerkleid.

Er schnupperte vorsichtig und fühlte zum ersten Mal wieder wirklichen Hunger. Dankbar richtete er sich auf, wickelte die Decke um seinen Körper und nahm das Essen langsam zu sich. Die alte Frau wartete höflich, bis er fertig war, dann verschwand sie mit der Schüssel. An dem Gestell neben dem Eingang hing eine Büffelblase mit frischem Wasser. Mit tiefen Zügen trank er das Wasser und fühlte sich etwas besser. Das Fieber war gesunken, nur seine Haut juckte entsetzlich. Er zerrieb getrockneten Salbei zwischen seinen Händen und rieb sich das Pulver auf die Wunden. Er hatte zumindest den Eindruck, dass es half!

Er verbrachte den ganzen Tag in seinem Tipi, gedankenlos dem Wind lauschend, der seine eigene Trauermelodie sang.

Eine völlige Gleichgültigkeit erfüllte ihn, eine tiefe Lähmung. Es interessierte ihn nicht einmal, wer die Krankheit überlebt hatte oder wer nicht. Als müsste er sich vor weiteren schlechten Nachrichten schützen, versank er im Nebel des Vergessens. Seine Familie, seine Verwandten, seine Freunde, all dies hatte keinerlei Bedeutung mehr für ihn! Er würde trauern, seine Gebete verrichten und dann in den Krieg ziehen! Diese Weißen würden seinen Kriegsschrei fürchten lernen!

Am nächsten Morgen fühlte er sich stark genug, um im Fluss zu baden und so tauchte er in das eisige Wasser. Die Kälte nahm ihm die Luft, als sich alles in ihm zusammenzog, aber er fühlte sich erfrischt und klar. Zwei andere Männer kamen zum Fluss und er erkannte Tschan-ihakab-naschin, Steht-hinter-dem-Baum, und Wambli-tokahe, Adler-der-führt. Wambli-tokahe schien gesund zu sein, obwohl er sichtlich angespannt wirkte. Seine dichten Augenbrauen zogen sich besorgt zusammen und eine steile Falte erschien zwischen seinen Augen, als er seine Freunde prüfend musterte.

„Hokahey!“, meinte er übertrieben lässig. „Wir wären im Moment eine leichte Beute für unsere Feinde!“

Die freundlich gemeinte Bemerkung entlockte Wakinyan-gleschka nicht einmal ein müdes Grinsen. Er fühlte weder Freude noch Dankbarkeit, dass seine Freunde noch lebten, sondern nahm lediglich zur Kenntnis, dass sie noch da waren. Er sah keinen Unterschied mehr zwischen Leben und Tod. Es war lediglich eine andere Form des Seins. Irgendwann würden alle auf den Geisterpfad gehen, die einen früher, die anderen etwas später. Das war alles.

Die Männer nickten sich zu und niemand befragte den anderen über die Toten. „Eine Schwitzhütte würde uns guttun!“, meinte Tschan-ihakab-naschin. Auch er sah geschwächt aus, seine pechschwarzen, glänzenden Haare waren stumpf und fransig. Sein sonst muskulöser Körper mit leichtem Bauchansatz wirkte erschreckend abgemagert und hager. Sein kantiges Gesicht wurde von einer breiten, gebogenen Nase unterstrichen und seine schmalen herabgezogenen Lippen vermittelten den Eindruck, als wäre er ständig verärgert. Mit einer flüchtigen Bewegung strich er seine langen Stirnhaare aus dem Gesicht und musterte seine Freunde prüfend. Erst jetzt war zu erkennen, dass er ein ausgeschossenes Auge hatte, dessen leere Augenhöhle sein Gesicht verunstaltete. Er hatte die Angewohnheit, seinen Kopf schief zu legen und alles mit dem verbliebenen Auge zu mustern, wie ein Adler, ehe er die Beute schlägt. Auffordernd nickte er mit dem Kopf und wartete auf eine Antwort.

„Waschté!“, stimmte Wambli-tokahe zu, obwohl seine Freunde reichlich mitgenommen aussahen. Aber eine Schwitzhütte war immer der erste, manchmal auch der letzte Schritt auf dem Weg der seelischen Heilung.

„Der heilige Mann ist tot!“, wandte Wakinyan-gleschka ein. Ihr Medizinmann war einer der ersten gewesen, der an der Weißschorfkrankheit gestorben war, vielleicht, weil er gleich mehrere dieser weichen Decken der Weißen in sein Tipi gebracht hatte.

„Dann bereiten wir die Schwitzhütte eben alleine vor.“

Alle nickten zustimmend und gingen zu der kleinen Hütte aus gebogenen Weiden, die in der Nähe des Flusses stand. Unberührt stand sie da, ein Gerüst aus geflochtenen Stämmen und Ästen, so niedrig, dass ein Mann nur sitzend hineinpasste.

„Ich hole Decken“, meinte Wakinyan-gleschka.

„Gut, und ich richte die Steine und das Feuer“, bot sich Tschan-ihakab-naschin an.

Wambli-tokahe lächelte ohne Freude. „Ich bitte Hiyu-iyanka, unser Feuerhüter zu sein!“

Alle nahmen regungslos zur Kenntnis, dass also auch Hiyu-iyanka, Kommt-angerannt, noch am Leben war. Die Weißschorfkrankheit hatte hauptsächlich unter den Alten, Frauen und Kindern gewütet!

Kunstvoll errichteten Tschan-ihakab-naschin und Hiyu-iyanka sieben Schritte von der Hütte entfernt eine Pyramide aus Holzscheiten und Steinen. Das Feuer brannte wie ein Scheiterhaufen und es dauerte fast den halben Tag, ehe die Steine die nötige Hitze für die Zeremonie hatten. Schweigend entblößten sich die Männer, dann hängten sie einige Bündel mit Tabak vor den Eingang und krochen in die Dunkelheit der winzigen Hütte. Sie sammelten sich um die Grube, in die nacheinander die glühenden Steine mit einem Geweih hineingerollt wurden. Ein angenehmer Geruch nach verbranntem Salbei und Süßgras stieg auf und leise stimmten die Männer das erste Gebet an. Die Zeremonie dauerte vier Runden, in denen immer wieder Steine hereingerollt und mit Wasser bespritzt wurden, damit sich heißer Dampf entwickelte. Mit einem Lied wurden die Geister eingeladen und eigentlich verlangte es die Sitte, dass man sich bei ihnen bedankte. Aber wofür sollten sie dankbar sein? Ihre Familien waren tot, ihr Stamm fast ausgelöscht, ihre Jagdgründe wurden von Fremden überrannt und die Büffel blieben aus!

Trotzdem dankte Wakinyan-gleschka den Geistern für die Stärke, durch die wenigstens er überlebt hatte. Dann bat er sie um Kraft, mit diesem Verlust fertigzuwerden. Er bat um Hilfe für seine Rache und flehte um Gnade, damit auch er einst in die Geisterwelt ziehen konnte.

Mit einem weiteren Lied dankten sie den Geistern, dann murmelten sie leise: „Mitakuye oyas‘in!“, denn alle waren miteinander verwandt. Die Tiere, die Pflanzen, die Steine, die Erde, das Wasser und der Mensch, nur die Weißen nicht!

Wakinyan-gleschka tauchte seinen erhitzten Körper in den Fluss und fühlte, wie alle Krankheit, alle Schwäche von ihm abfiel. Er ging in sein Tipi zurück und sammelte die Gegenstände seiner Familie ein, dann schritt er langsam zu den Totengerüsten, auf denen seine Liebsten aufgebahrt waren. Tränen sammelten sich in seinen Augen und jetzt ließ er sie ohne Hemmungen laufen. Bedächtig legte er die Kleinigkeiten zu seiner Frau und seinen Kindern, dann rief er nach seinem Lieblingshund. Vertrauensvoll kam er näher und legte sich winselnd zu seinen Füßen, froh darüber, dass sein Herr ihn endlich wieder bemerkte. Sanft streichelte er das treue Tier, dann nahm er sein Messer und tötete es mit einem sauberen Stich ins Herz.

Seiner Familie würde die Reise in die Geisterwelt leichter fallen, wenn etwas Vertrautes sie begleitete. Er wickelte die Decke enger um seinen Leib und verharrte in der Kälte, übernahm die Totenwache, zu der er vorher nicht fähig gewesen war. Mit heiserer Stimme sang er ein nicht enden wollendes Klagelied.

Erst bei Einbruch der Dunkelheit kehrte er in sein Zelt zurück. Es war warm und eine Schüssel mit Essen wartete bereits auf ihn. Dankbar schlang er den Eintopf hinunter, dann kroch er wieder unter seine Decken.

Die nächsten Tage vergingen in einem seltsamen Rhythmus aus Schlafen, Essen und Trauern. So, als würde es nichts anderes mehr geben. Die plötzliche Leere in seinem Tipi schmerzte und ihm fehlte der Grund zum Weiterleben. Ohne seine Familie war er nichts! Für wen sollte er nun jagen und kämpfen? Warum war er nicht ebenso gestorben und begleitete seine Familie in die Geisterwelt?

„Du bist noch jung“, versuchte ihn Winuchtschala zu ermuntern. „So viele junge Frauen sind Witwen! Du solltest eine neue Familie gründen!“

„Wozu?“, sinnierte Wakinyan-gleschka tonlos.

„Damit unser Volk lebt!“

Der Krieger ließ nur traurig den Kopf hängen und winkte mutlos ab. Mit seinen Lippen wies er die alte Frau an, das Tipi zu verlassen und ihn in Ruhe zu lassen.

Sie waren weit im Süden ihrer Jagdgründe. Sein Häuptling Sinte-gleschka versuchte Frieden mit den weißen Einwanderern zu halten, aber einige Dogsoldiers der Cheyenne versuchten verzweifelt die weiße Flut aufzuhalten. Die Situation war angespannt. Überall im Tal des Pankeska-Wakpa, des Platte-Flusses, entstanden unrechtmäßig weiße Siedlungen und im Frühjahr riss der Strom der Planwagen, die ihr Land durchkreuzten, nicht mehr ab. Anfangs hatte Sinte-gleschka sich noch mit dem Tauschhandel einen Vorteil versprochen, inzwischen jedoch sah er bereits in dem bloßen Kontakt mit den Weißen eine Gefahr. Während andere Dörfer gern ihre Lager in der Nähe der weißen Forts aufschlugen und dort von den Almosen der Weißen lebten, wich Sinte-gleschka ihnen lieber aus und jagte auf die alte Weise den Büffel. Wie recht er damit hatte! Wakinyan-gleschka schloss die Augen und hing seinen Gedanken nach. Die Weißen brachten nur Tod und Verderben in ihre Dörfer!

Verstummt war das Gelächter der Frauen und Kinder, verhallt der Klang der Trommel, erloschen die Wärme der Feuer. Alles erschien wie gelähmt, erstarrt in der klirrenden Kälte des Winters und in den trauernden Seelen der Überlebenden. „Tunkáschila! Omakiya-yo“, flehte er leise um den Beistand seines Schöpfers.

Leises, unterdrücktes Hufgetrappel erklang, als eine Gruppe Cheyennekrieger in ihr Lager ritt. Wakinyan-gleschka horchte kaum interessiert auf, aber dann raffte er sich doch auf, um ins Ratszelt zu gehen. Teilnahmslos saß er zwischen den anderen, ließ müde seinen Blick über die Versammlung schweifen. Sinte-gleschka lebte noch und Pawnee-Killer, ein weiterer Kriegshäuptling, aber er erkannte auch andere Gesichter, gezeichnet von der schweren Krankheit. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Cheyennekrieger, die höflich darauf warteten, dass das Wort an sie gerichtet wurde. Sie schienen keine guten Nachrichten zu bringen. Ihre Gesichter waren düster, verbissen und von unsagbarer Traurigkeit erfüllt.

Sinte-gleschkas freundliche Augen richteten sich auf die Ankömmlinge. Seine gescheitelten Haare hingen lose über die Schulter, als Zeichen seiner Trauer, und seine sonst so vollen Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengekniffen, als er das Schlimmste befürchtete. „Seid uns willkommen! Doch eure Herzen sind schwer! Was ist der Grund eurer Trauer?“

Einer der Krieger stand auf und suchte mit steinernem Gesicht nach Worten. Nur zögernd kamen sie aus seinem Mund, als würde ihm jede Silbe erneut Schmerzen zufügen. „Schreckliches ist passiert! Hört meine Worte und fällt euer eigenes Urteil! Dann könnt ihr über unsere Bitte beratschlagen!“

Sinte-gleschka nickte nur und setzte sich abwartend auf seinen Platz.

„Ich bin aus dem Dorf von War Bonnet! Unsere Dörfer standen am Sand Creek, zusammen mit den Dörfern von White Antelope, Lone Bear, Left Hand und Black Kettle. Wir lagerten dort unter der Fahne des Friedens, die uns die weißen Soldaten gegeben hatten!“ Er spuckte verächtlich auf den Boden und blickte anklagend in die Runde. „Vor wenigen Tagen wurden wir im Morgengrauen angegriffen. Ohne Vorwarnung! Ohne Provokation! Unter der Fahne des Friedens!“

Ein entsetztes Raunen ging durch die Versammlung, doch der Krieger bat um Ruhe. „Jetzt ist keine Zeit zum Trauern. Wir wollen Rache! Die Soldaten haben angegriffen und ohne Gnade jeden getötet. Gleichgültig ob Mann, Frau oder Kind! Selbst Frauen, die sich ergeben wollten, haben sie abgeschlachtet! Die wenigen, die fliehen konnten, sind nun am Smoky Hill Fluss. Ohne Kleidung, Nahrung und Tipis.“

„Warum töten die Soldaten wehrlose Frauen und Kinder?“

„Sie haben Schlimmeres getan! Ich habe die Toten gesehen. Geschändete Frauen, denen man die Leiber aufgeschnitten hatte. Frauen, die mit ihren Kindern im Arm abgeknallt worden waren. Das war kein Kampf! Niemals werde ich diesen Anblick vergessen. Im Kampf werde ich mich daran erinnern und Kraft daraus schöpfen. Ich werde den Weißen das Gleiche antun. Das sind keine Menschen. Das sind nur böse Geister, die man bekämpfen muss!“

„Aho“, murmelten die anderen schockiert und senkten betreten den Blick. Unverhohlener Hass sprach aus der Stimme des Cheyennekriegers und jeder konnte seine Gefühle verstehen.

Mit fester Stimme fuhr dieser fort: „Ich bringe die heilige Pfeife! Wollt ihr sie mit mir rauchen und uns bei unserem Kampf unterstützen? Wollt ihr uns helfen, die Frauen und Kinder zu rächen?“

Erregtes Gemurmel war zu hören und herausfordernd blickte der Krieger auf die Häuptlinge: „Beratet euch und lasst mich eure Entscheidung wissen!“ Mit diesen Worten verließ er mit den anderen Cheyennekriegern das Tipi.

Wakinyan-gleschka sah ihm lange nach, dann wandte er sich der hitzigen Diskussion zu, die im Gange war. Sein Freund Tschan-ihakab-naschin zischte vor Zorn: „Erst sterben wir an Krankheiten und dann kommen die Soldaten und töten den Rest von uns! Black Kettle wollte den Frieden, das weiß jeder hier, und doch schützte das sein Dorf schlecht! Mit den Weißen kann man keinen Frieden schließen! Wir müssen sie vertreiben!“

„Aho“, murmelten viele zustimmend.

Dann stand Pawnee-Killer auf. „Du hast recht! Wie oft haben wir schon versucht, in Frieden mit ihnen zu leben! Ebenso wie Black Kettle. Wir sollten diesen Feiglingen zeigen, was es heißt, ein Cheyennedorf anzugreifen. Die Weißen sind schwach! Sie haben hier nur wenige Forts. Wir werden deren Dörfer angreifen! Deren Frauen und Kinder töten und deren Häuser verbrennen!“

Alle schrien ihre Zustimmung und nur mit Mühe konnte Sinte-gleschka die Männer wieder beruhigen: „Aber auch unsere Dörfer müssen mit der Vergeltung der Soldaten rechnen, wenn wir auf Kriegszug gehen! Das dürft ihr nicht vergessen!“

Kurzes Schweigen folgte nach diesen bedächtigen Worten, doch die Wut in den Herzen der Menschen war größer als die Vernunft. „Wir folgen den Cheyenne! Wir sind stark und werden unsere Dörfer schützen!“, meinte Pawnee-Killer zuversichtlich. „Wenn wir uns einig sind, dann treiben wir die Weißen zurück!“

„Hokahey!“, stimmten ihm die anderen mit dem alten Schlachtruf der Lakota zu.

Der Krieg war nicht mehr aufzuhalten, zu tief saß der Hass in den Menschen. Die Pfeife wurde geraucht und ein großer Trupp Krieger brach auf, um die Toten der Cheyenne zu rächen.

Einige Krieger jedoch machten sich auf den Weg nach Süden, um den Cheyenne zu helfen, ihre Verwandten zu beerdigen. Auch Wakinyan-gleschka schloss sich ihnen an, denn er wollte Kraft für den bevorstehenden Kampf sammeln. Einige Tage auf seinem Pony würden ihn stählen und die letzte Schwäche der Krankheit vertreiben.

Es war ein stiller Zug, der zum Sand Creek zog. Keiner wusste, was sie erwarten würde, und so hingen die Männer ihren Gedanken nach. Immer mehr Menschen schlossen sich ihnen an, bis sie schließlich das Schlachtfeld erreichten. Es hatte geschneit und eine weiße Decke verhüllte gnädig die Überreste der getöteten Frauen, Kinder und Männer.

Klagend gingen die Frauen über das Schlachtfeld und wischten den Schnee von den Gesichtern der Toten, um nach ihren Verwandten zu suchen. Unfassbares eröffnete sich vor ihnen und vor Entsetzen schlugen die Frauen die Hände vor den Mund. Die Gesichter der Männer wurden zu Stein, als sie erkanten, was die Soldaten den Toten angetan hatten. Jeder Einzelne war skalpiert worden, selbst Kleinkinder, und ihre Gesichtszüge waren so verzerrt, dass man sie fast nicht mehr wiedererkannte.

Frauen lagen mit entblößtem Unterleib im Schnee, mit durchschnittenen Kehlen, nachdem man sie missbraucht hatte, manchmal ihrer Geschlechtsteile beraubt. Wakinyan-gleschka musste sich unkontrolliert übergeben, als er den eingetretenen Kopf eines Säuglings sah. Seine Knie wurden weich und hilflos sank er in den Schnee. Daneben lag die Leiche einer Frau, der man das Ungeborene aus dem Leib geschnitten hatte. Was waren das für Menschen, die solche Grausamkeiten verübten? Hilflos blickte er auf die klagenden Menschen, sah den Schmerz, den es ihnen bereitete, ihre Familienangehörigen auf diese Weise verstümmelt zu sehen. Wieder stieg der Hass in ihm hoch, der Wunsch zu töten, zu zerstören, jemand anderem weh zu tun!

Er nahm die Decke seines Pferdes, legte den toten Säugling auf den Bauch seiner Mutter und wickelte die beiden vorsichtig darin ein. Er konnte diesen Anblick einfach nicht mehr ertragen. In einem halb eingestürzten Zelt stieß er auf drei Kinder, die sich in Todesangst aneinander geklammert hatten. Sie waren erbarmungslos erschossen und ebenfalls skalpiert worden. Ihre Hände waren so in Todesstarre ineinander verkrampft, dass es nicht möglich war, sie zu lösen. So bestatteten sie die Kinder auf einem Totengerüst, ließen sie gemeinsam den Weg in die Geisterwelt beschreiten.

Es dauerte mehrere Tage, alle Toten zu bestatten, und dies lenkte Wakinyan-gleschka von seiner eigenen Trauer ab. Er half die Bäume für die Gerüste zu fällen und hob die Leichen auf die Plattform. Die eingewickelten Körper waren so leicht! Kinder! Kinder, die spielen wollten, und deren Leben auf so brutale Weise ausgelöscht worden war.

Mit zusammengekniffenen Augen blickte er auf die Totengerüste, die nun ein weiteres Tal bevölkerten. Wie er diesen Anblick satt hatte! Er war bereit zu kämpfen. Und er war bereit zu sterben.

Mit einem Trupp Krieger machte er sich auf, das Tal des Pankeska -Wakpa von den Weißen zu befreien.

Kleinere Gruppen hatten bereits begonnen, die entlegenen Farmen zu überfallen, unorganisiert, und doch mit tödlicher Entschlossenheit. Wakinyan-gleschka stieß auf seine Freunde und musterte sie abschätzend. Tschan-ihakab-naschin sah erholt aus, kräftig, ohne die überflüssigen Fettschichten, die sonst seine Hüften umgaben. Sein verbliebenes Auge war mit roter Farbe ummalt, wie eine Zielscheibe, als Herausforderung an den Feind, ihm auch dieses Auge zu nehmen. An seiner Seite ritt Hiyu-iyanka, seine schmalen Lippen zu einem energischen Strich zusammengezogen. Die Namen der beiden Krieger waren in besonderer Weise miteinander verbunden.

Als junger Mann war Tschan-ihakab-naschin in einen Hinterhalt von feindlichen Crow-Indianern geraten. Nur mit einem Bogen bewaffnet war er hinter einem Baum in Deckung gegangen und hatte von dort seine Feinde in Schach gehalten. Daher der Name Steht-hinter-dem-Baum! Bei diesem Angriff hatte er sein Auge verloren und wahrscheinlich hätte er auch sein Leben eingebüßt, wenn nicht Hiyu-iyanka angerannt gekommen wäre, um seinen Freund zu helfen. Am Ende waren die beiden jungen Männer siegreich mit acht Skalpen heimgekehrt und das ganze Dorf hatte staunend den Erzählungen gelauscht. Damals hatte man beschlossen, die Männer für diese heldenhafte Tat mit neuen Namen zu ehren: Tschan-ihakab-naschin, Der-hinter-dem-Baum-steht, und Hiyu-iyanka, eine Abkürzung für Kommt-angerannt-um-seinem-Freund-zu-helfen! Seitdem waren die zwei unzertrennlich und formten mit Wambli-tokahe und Wakinyan-gleschka eine todbringende Kampfgemeinschaft.

Wambli-tokahe schüttelte drohend den Speer und ließ sein Pferd herausfordernd auf der Stelle drehen. „Bist du bereit?“, forderte er Wakinyan-gleschka heraus. Die geflochtenen Zöpfe flogen ruckartig nach hinten und auf dem Kopf wackelte eine ausgestopfte Krähe, Zeichen der Krähen-Gesellschaft, der er angehörte. Von seinem Gesicht war unter der schwarzen Farbe nicht mehr viel zu sehen. Selbst die Lippen waren schwarz gefärbt, nur das Weiß seiner Augen trat überdeutlich hervor.

„Immer!“, bestätigte Wakinyan-gleschka mit ernster Stimme. Er war seltsam ruhig, fühlte nicht die Aufregung des bevorstehenden Kampfes in sich wie seine Freunde. Bislang hatte sein Herz immer höher geschlagen, wenn er auf einen Raubzug ging, doch jetzt war es kalt, erstarrt. Eigentlich war er schon tot. Er wartete nur noch auf den Feind, der ihn von seinen Erinnerungen erlöste.

Sorgsam legte er seine Kriegsbemalung an, eine tief religiöse Handlung, die ihn schützen oder wenigstens auf den Tod vorbereiten sollte. Lange schwarze Streifen, die über sein ganzes Gesicht liefen, so wie er es einst als Junge geträumt hatte. Auch er befestigte eine Krähe in seinem Haar, deren blicklose, erstarrte Augen alle an den bevorstehenden Tod ermahnten. Dann nahm er entschlossen den Bogen in die Hand und stieß seine Fersen in die Flanken des Ponys.

Die ersten Strahlen der Morgensonne tanzten über dem Schnee und über dem niedrigen Haus aus Grassoden, das in einer Senke lag. Er empfand kein Mitleid mit diesen Menschen! Sie gehörten hier nicht her!

Wie in einer Welle ritten die Krieger über die Anhöhe, eine leise, tödliche Flut. Im Nu war die kleine Pferdeherde weggetrieben und schreiend stürmten die Krieger das Haus des Farmers. Die beiden Männer wurden überrumpelt, getötet und ihre Körper den Flammen überlassen. Dann suchten die Krieger ihr nächstes Ziel. Ein großer Trupp machte sich auf den Weg nach Julesburg, um diese Niederlassung auszulöschen, andere zogen gegen ein kleines Fort, das in der Nähe stand. Es gelang den Männern nicht, das Fort einzunehmen, aber einige Soldaten fanden den Tod, als sie mit dem Mut der Verzweiflung die Palisaden verteidigten.

Andere Krieger plünderten indessen das Warenlager von Julesburg und am Abend feierten sie ihren Triumph. Die Zelte füllten sich mit den Dingen der Weißen, teils Plunder, mit denen sie überhaupt nichts anfangen konnten. Wie Kinder freuten sie sich über die scharfen Messer und Äxte. Die Frauen jubelten über die bunten Stoffe, den Zucker und das Mehl, doch mit Petroleumlampen, Kerzenleuchtern, Kaffeemühlen oder Dosen konnten sie nichts anfangen. Viele wussten nicht einmal, dass diese Dosen Nahrungsmittel enthielten. Aber auch andere Dinge waren fremd. Enttäuscht warfen sie die Seife weg, als sie merkten, dass es nichts Essbares war oder schütteten das Salz in den Fluss, weil es nicht süß schmeckte.

Wakinyan-gleschka hatte einige Pferde erbeutet und aus dem Warenlager einen ganzen Ballen Stoff mitgenommen, den er der freudestrahlenden Winuchtschala schenkte. Andere Dinge ließ er schnell wieder fallen, weil sie ihn nur behindern würden. Eine goldene Uhr hatte ihn fasziniert, deren Pendel unter einer Glashaube immer hin und her schlug, aber er wollte sich nicht mit diesem Plunder belasten. Wie sollte er so etwas Fragiles von einem Lagerplatz zum anderen transportieren? Messer, Äxte, Stoffe, Decken, Vorräte oder Pferde, das waren die Dinge, die sein Volk benötigte. Oder Waffen!

Andere Krieger dagegen behängten sich voller Stolz mit den erbeuteten Ketten und Taschenuhren oder trugen bunte Sonnenschirme über ihren Köpfen, die schließlich achtlos im Schmutz liegen blieben, weil sie auf dem Pferderücken denkbar ungeeignet waren.

Nördlich von Julesburg entstand ein großes Lager, in dem ausgelassene Siegesfeiern abgehalten wurden. Lachend wurden die geraubten Gegenstände vorgezeigt und über ihren Sinn gerätselt. Frauen tanzten trällernd mit den Skalpstangen und hüllten sich in die bunten Stoffe. Bis spät in die Nacht wurde gefeiert, ehe sich die Männer und Frauen in ihre Zelte zurückzogen. Sie hatten ihrer Wut Luft gemacht und fühlten sich überlegen. Schon lange nicht mehr hatte eine solche Einigkeit geherrscht und das machte sie stark.

Wakinyan-gleschka schlüpfte unter seine Decke und fühlte das Pochen seines Herzens. Ja, er hatte gekämpft und es fühlte sich gut an, etwas gegen diese Eindringlinge zu tun. Nur gedämpft hörte er von draußen das Lallen einiger betrunkener Männer, die sich gegenseitig anfeuerten, noch mehr zu trinken. Er schüttelte den Kopf über sie, andererseits wünschte er sich auch manchmal ein solches Vergessen, die Möglichkeit, nie wieder an irgendetwas denken zu müssen.

Am nächsten Morgen konnte er die Nachwirkungen dieser Gelage am Fluss beobachten. Die Männer erbrachen sich unkontrolliert und versuchten ihre Stirn mit Schnee zu kühlen. Beschämt zogen sie die Decken über ihre Köpfe, als sie seinen Blick auf sich ruhen sahen. Aber auch andere torkelten sichtbar beeinträchtigt durch das Lager und kämpften mit Kopfschmerzen und Übelkeit.

Wakinyan-gleschka zuckte nur die Achseln. Jeder war selbst verantwortlich für seine Taten!

Er traf auf einige Dogsoldiers der Cheyenne, die bereits im vollen Kriegsschmuck aus Hunderten von Rabenfedern im Haar auf ihren Ponys saßen. „Kommst du mit uns?“, forderten sie ihn auf und deuteten mit ihren Lippen auf einige der kampfuntauglichen Gestalten. „Jene Männer werden heute nicht mit uns reiten!“

Wakinyan-gleschka grinste amüsiert. „Wohl kaum! Aber ich reite mit euch!“

„Hokahey!“, imitierten die Cheyenne den Schlachtruf der Lakota. „Wir werden auf dich warten!“

Wakinyan-gleschka brauchte nicht lange. Er bemalte sich sein Gesicht in der vorgeschriebenen Weise, setzte die Krähe in sein Haar und griff nach seinen Waffen. Das war alles! Im Nu ritt er an der Seite der Cheyenne und suchte nach der nächsten Ansiedlung der Weißen.

Mit schmalen Augen blickten die Männer auf das kleine Haus, das sich vor ihnen im Dunst der Morgendämmerung erhob. Halb eingegraben in dem sandigen Hügel ähnelte es mehr der Behausung eines Bären und nicht der eines Menschen. Hinter dem Haus waren einige Ackerfurchen und auf einer provisorischen Koppel stand ein klapperiges Pferd. Verächtlich zogen die Männer die Mundwinkel nach unten. Viel gab es hier nicht zu holen! „Holen wir uns ihre Skalpe!“, flüsterte ein Mann herausfordernd.

Sie überraschten die Familie im Schlaf. Äxte schlugen gegen die Tür und noch ehe der überraschte Mann reagieren konnte, wurde er aus dem Haus gezerrt und von den aufgebrachten Kriegern niedergezwungen. Winselnd flehte der Mann um sein Leben, kroch auf allen Vieren über den gefrorenen Boden, doch immer wieder beugte sich ein Krieger über ihn und fügte ihm eine weitere tiefe Verletzung zu. Der Mann schrie wie ein Kojote, in einer Sprache, die bisher keiner je gehört hatte. Im Haus kreischte die Frau genauso hysterisch, begleitet von dem grölenden Lachen der aufgeheizten Männer.

Irgendein Krieger beugte sich schließlich über den Mann und schnitt ihm kurzerhand die Kehle durch. Mit einem triumphierenden Schrei skalpierte er den Unglücklichen, dann ließ er die blutige Trophäe verächtlich in den Schnee fallen: „Dieser Feind ist ohne Ehre gestorben!“

Im Haus hatten einige Männer einen Krug mit Schnaps gefunden, der schnell die Runde machte. Wakinyan-gleschka zögerte erst, aber dann fühlte er eine angenehme Wärme, als er doch einen tiefen Schluck nahm. Ein wunderbarer Nebel breitete sich um ihn herum aus, ein seltsames Schweben, so als weilte er schon gar nicht mehr auf dieser Welt. Teilnahmslos sah er zu, wie die Cheyennekrieger die kreischende Frau an den Haaren durch das Zimmer schleuderten und ihr Nachthemd zerrissen.

Sie krachte gegen die Wand und hielt sich wimmernd den Arm, versuchte dann verzweifelt unter das Bett zu krabbeln. Doch schon zogen die Männer die sich windende Frau an den Knöcheln heraus und drehten sie auf den Rücken. Wakinyan-gleschka dachte an die geschändeten Leichen im Schnee und verzog freudlos die Lippen. Ja, jetzt rächten sie sich!

Wehrlos lag die Frau unter ihnen, ihre Hände von zwei Männern zu Boden gedrückt. Trotzdem bäumte sie sich auf und versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien. Sie war stämmig, ihre Brüste waren schwer und sie hatte das lockige Haar eines Büffels. Ihr gehetzter Blick blieb an einer geschnitzten Wiege kleben, die neben dem Bett stand. Unwillkürlich folgte Wakinyan-gleschka ihrem Blick und kurz wunderte er sich, dass der Säugling in dem Bett nicht geschrien hatte. Aber das kleine Bettchen war leer, bedeckt mit einem schwarzen Tuch.

Da war kein Baby. Nicht mehr.

Selbst er erkannte, dass offensichtlich auch die weißen Menschen die Farbe Schwarz für ihre Trauer verwendeten. Die Augen der Frau wurden leer und Wakinyan-gleschka sah, wie der Geist von Tunkáschila den Verstand der Frau berührte.

Das war alles nicht richtig! Bisher hatte er gegen Männer gekämpft, manche mutiger, manche feige, so wie der Mann dieser Frau, der um sein Leben gefleht hatte. Doch durch den Nebel des Alkohols fühlte er plötzlich ein tiefes Schamgefühl, die Tatsache, dass sie sich genauso verhielten wie die Soldaten in dem Dorf am Sand-Creek.

Ein Cheyennekrieger zog sein Messer und setzte es der Frau an die Brust. Immer noch wurden ihre Hände festgehalten, so dass sie sich nicht wehren konnte. „Wir können auch ihre Frauen verstümmeln!“, zischte der Mann voller Hass. Die scharfe Klinge seines Messers hinterließ eine blutige Spur, dann wurde die Hand plötzlich gebremst, als Wakinyan-gleschka geistesgegenwärtig die schreckliche Tat verhinderte. „Freund! Hör auf!“

„Was?“, vor Verblüffung riss der Krieger seine Augen auf.

„Hör auf!“, bat Wakinyan-gleschka mit eindringlicher Stimme. „Es ist nicht richtig!“ Seine dunklen Augen hefteten sich bittend auf seinen Kampfgefährten.

„Nicht richtig?“, wiederholte der Mann ungläubig.

„Wir vergreifen uns nicht an wehrlosen Frauen!“

„Hast du gesehen, was die Soldaten unseren Frauen angetan haben?“, forderte ihn der Mann heraus.

Wakinyan-gleschka ließ dessen Hand los und senkte die Augen. „Ich war dort! Ich habe die Frauen und Kinder bestattet. Trotzdem bitte ich dich. Sie gehört jetzt mir.“

Es entstand ein kurzer Augenblick des Schweigens, in dem nur das abgehackte Weinen der Frau zu hören war.

„Was willst du mit ihr machen?“, fragte der Cheyenne schließlich.

„Ich nehme sie mit! Sie wird meine Frau ersetzen, die durch die Krankheit der Weißen gestorben ist.“

„Eine weiße Frau …?“, staunte der Cheyenne ehrlich verblüfft. „Sie wird dir keine Hilfe sein! Weiße Frauen sind dumm und sie wissen nicht, wie sie einen Mann versorgen können.“

„Nun, zumindest wird sie mein Bett wärmen und alles andere wird sie lernen“, meinte Wakinyan-gleschka versöhnlich.

„Das ist wahr!“, grinste der andere zurück. „Nun gut, dann nimm sie dir!“

Wakinyan-gleschka seufzte erleichtert, dann griff er nach einer bunten Decke und reichte sie der Frau. Mit einem leichten Schnalzen seiner Zunge deutete er den anderen Männern an, die Handgelenke der Frau loszulassen. Mit einem Aufschrei zog die Frau die Decke zu sich heran und kroch weinend in eine Ecke des Zimmers.

Wakinyan-gleschka hatte keine Lust, sich hier lange aufzuhalten. Suchend sah er sich in dem Zimmer um und fand schließlich ihre Kleidung. Er warf die Sachen der verängstigten Frau zu und befahl ihr unmissverständlich sich anzuziehen.

Ihre braunen Augen waren weit vor Angst, ihre Lippen zitterten unkontrolliert, als sie hastig nach der Kleidung griff. Männer standen im Zimmer und freuten sich auf das Spektakel, das sich ihnen nun bieten würde. Ihre Stimmung war gut, fast ausgelassen, denn es war ein leichter Sieg gewesen. Sie plünderten die wenigen Vorräte und machten unfeine Scherze.

Wakinyan-gleschka zog die widerstrebende Frau auf die Beine und wiederholte die Geste, dass sie sich anziehen sollte. Schließlich verlor er die Geduld und mit ruckartigen Bewegungen riss er ihr das ohnehin schon zerfetzte Nachthemd vom Leib.

Zerplatzte Träume

(Nebraska, Januar 1865, Plattetal)

Theresa Bruckner schrie wie am Spieß! Sie fühlte das Messer an ihrer Brust und schrie gellend ihre Angst heraus. Nicht so, nicht verstümmelt!

In ihrer Todesangst bemerkte sie nicht, wie zwei Indianer plötzlich über sie verhandelten. Erst als der Pockennarbige mit dem ekelerregenden Vogelbalg im Haar ihr eine Decke reichte und ihre Hände wie durch ein Wunder frei waren, schöpfte sie ein wenig Hoffnung. Sie drückte sich an die Wand, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Nur nicht mehr hilflos sein!

Wieder rissen derbe Hände ungeduldig das Nachthemd entzwei, der kurze Moment des Schutzes, den ihr die Decke gegeben hatte, war wie eine Seifenblase zerplatzt. Nein! Sie fühlte den Schmerz an ihrer Brust und wollte nur noch weg. Sie drückte sich an die kalte Wand, suchte mit flackernden Augen nach einer Möglichkeit zur Flucht. Überall standen diese grässlich bemalten Indianer und starrten sie mit teuflischen Augen an. Warum erwachte sie nicht aus diesem Alptraum? Sonst waren es immer nur Geschichten von anderen, denen so etwas passierte! Schauergeschichten, die man sich unter vorgehaltener Hand nach der Kirche erzählte und die einem einen angenehmen Schauer über den Rücken laufen ließen. Doch nun befand sie sich selbst in der Gewalt dieser Wilden, war ihnen wehrlos ausgeliefert. Der plötzliche Schmerz hatte ihr den Atem genommen, so brutal, so unschicklich, ohne dass jemand kam und ihr half.

Der Schock war so vollständig, dass sie mit keinem Gedanken an ihren Mann dachte. Alles, was blieb, war der Augenblick und ihr schmerzender Körper. Die Gesichter und Stimmen verschwammen zu einem unwirklichen Bild, bemalte Fratzen, die für sie keine Bedeutung hatten. Es würde nicht aufhören! Niemand würde das Buch zuschlagen und die Geschichte beenden! Sie würde hier sterben!

Sie verstand die Sprache und auch die Gesten nicht, sondern starrte nur entsetzt auf die Männer, die ein solches Unglück über sie gebracht hatten. Sie ahnte plötzlich, dass ihr Mann nicht mehr lebte und Tränen der Verzweiflung liefen über ihr Gesicht, als sie sich wie ein gehetztes Reh in die Ecke drückte.

Fassungslos ließ sie es zu, dass der Indianer ihr die letzten Fetzen vom Leib riss, wartete darauf, dass die anderen über sie herfallen würden. Wenn diese Wilden wenigstens so gnädig wären, ihr einen schmerzlosen Tod zu gewähren, ohne diese Demütigung und Folter!

Vorsichtig drückte der Indianer einen Fetzen ihres Nachthemdes auf den blutenden Schnitt, dann nahm er ihre Hand und drückte sie auf die Wunde. Wie in Trance folgte sie dem Befehl, sah zu, wie er einen langen Streifen aus dem Stoff riss und um ihre Brust wickelte. Er verband ihre Wunde! Er wollte sie nicht töten! Hilflos vor Erleichterung schluchzte sie und klammerte sich an die Hoffnung, dass es vorbei war. Wieder drückte der Indianer ihr die Kleidung in die Arme und sie verstand, dass sie sich anziehen sollte. Sie wurde rot, als sie die anderen Männer sah und beeilte sich in ihr Kleid zu schlüpfen. Wollte der Indianer sie etwa mitnehmen? Dieser Mann mit dem pockennarbigen, schwarz bemalten Vogelgesicht? Sie fühlte sich abgestoßen, merkte angeekelt, wie seine schwarzen Augen über ihren Körper wanderten. Oh Gott! Wo würde er sie hinführen?

Der Indianer brummte zufrieden und ließ ihr Zeit, damit sie sich warme Schuhe und eine Jacke suchen konnte. Mit zitternden Händen strich sie ein letztes Mal über die Wiege, drückte das schwarze Tuch an ihre Brust. Wie konnte der Herrgott so etwas zulassen? Erst nahm er ihr den Sohn, dann auch die kleine Tochter! Hier lagen alle ihre Träume begraben, hier, in diesem entsetzlichen Land, das ihr nun auch noch den Ehemann genommen hatte. Es war ein verfluchtes Land!

Der Indianer fesselte ihre Hände mit einem schmalen Lederriemen, dann drängte er sie nach draußen. Starr vor Entsetzen blickte Theresa auf die Leiche ihres Mannes. Sie war nicht gefasst darauf gewesen, ihn so zu sehen. Seine blonden Locken lagen blutverschmiert neben seiner Leiche und sein Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Sie stolperte rückwärts gegen den Indianer und schrie hysterisch. Ihre Stimme schwoll an zu einem panischen Auf und Ab. „Jonathan! Jonathan!“ Oh, diese verfluchten Mörder!

Unbeeindruckt schob der Indianer sie zu einem Pferd und zwang sie aufzusteigen. Nein! Sie konnte doch ihren Mann nicht so zurücklassen! Schutzlos den Aasfressern ausgeliefert. Sie versuchte wieder vom Pferd abzusteigen, doch der Indianer band ihre Hände an dem Sattelknauf fest. „Bitte!“, flehte sie. „Ich muss meinen Mann beerdigen!“

Ohne auf sie zu achten schwang sich der Indianer auf sein Pony und griff nach den Zügeln ihres Pferdes. Zum ersten Mal regte sich Trotz in ihr und wutentbrannt schrie sie ihn an: „Hörst du nicht! Du grässlicher Heide! Ich will meinen Mann begraben!“

Er zeigte keinerlei Reaktion, sondern drehte ihr lediglich den Rücken zu und folgte den anderen.

„Bleib stehen!“, brüllte sie verzweifelt. „Du kannst doch meinen Mann nicht so liegen lassen! Oh Gott! Bleib stehen!“

Ihr Blick fiel zurück auf den ausgestreckten, blutigen Körper ihres Mannes und auf das niedrige, kleine Haus, das für so kurze Zeit ihre Heimat gewesen war. Jetzt brannte es und sie empfand nicht einmal Trauer. Niemals hätte sie gedacht, dass Menschen in einem solchen Schweinestall hausen könnten, doch Jonathan hatte ihr versprochen, dass er ihr ein besseres Haus bauen würde. Immer diese Versprechen, dachte sie bitter. Hier gab es nicht einmal das nötige Holz, um ein besseres Haus zu bauen! Jetzt würde sie als Squaw dieses Wilden in einem stinkenden Zelt leben müssen! Mit verhärmtem Gesicht schaute sie auf das kleine Grab, das seitlich des Hauses lag. Ein kleiner Erdhügel mit einem windschiefen Kreuz. Wenigstens lag ihr Kind in einem richtigen Grab! Ihre kleine Marie! Wie sehr hatte sie sich nach all der Trauer und den vielen Entbehrungen auf das Kind gefreut.

Doch in diesem Land konnte man keine Kinder großziehen! Das Haus war im Winter zugig und kalt. Tatenlos hatte sie mit ansehen müssen, wie ihr Baby dahinsiechte und schließlich starb. Hier gab es keine Ärzte, aber vielleicht hätte ein anständiges Haus ausgereicht, um das Leben des Kindes zu retten. Aber wozu? Dann würde ihr Baby jetzt ebenso leblos im Matsch liegen wie ihr Mann.

Sie richtete ihren Blick nach vorn und musterte den Krieger, der ihr Pferd hinter sich herzog. Er trug diesen ausgestopften Vogelbalg im Haar, ein seltsamer, ungewohnter Anblick. Auch die Kleidung der anderen Indianer war so seltsam, so anders als alles, was sie vorher gesehen hatte. Überall flatterten Fransen und Federn oder die langen Haare der Männer. Manche trugen ganze Hauben aus schwarzen Federn, ihre Gesichter schwarz bemalt wie die Nacht. Wie explodierte Staubwedel, dachte sie abfällig.

Auf dem Rücken ihres Entführers wippte ein Bogen und seine kräftigen Schenkel umschlossen den Bauch des Pferdes. Ganz sicher würde dieser Mann sie niederzwingen wollen, wenn er sie in sein Zelt gebracht hatte! Oh Gott! Wieder wurde sie von einem Mann in die Fremde verschleppt und eigentlich sah sie keinen großen Unterschied zwischen diesem Wilden und ihrem Ehemann. Der Wilde wusste es nicht anders, aber ihr Mann hätte die Gefahren abschätzen müssen! Aber niemand hatte ihnen in Deutschland etwas über Klapperschlangen, Indianer oder schmutzige Erdhäuser erzählt, in denen es vor Insekten nur so wimmelte.

Nichts war so gewesen, wie sie es erwartet hatten! Weder die lange, endlose Reise, bis sie endlich Julesburg erreichten, noch die versprochene Arbeit. Jonathan arbeitete tatsächlich für einen Schmied, doch der Verdienst reichte kaum für die nötigsten Anschaffungen. So waren sie gezwungen gewesen, dieses Stückchen Land zu übernehmen, um vielleicht im Frühjahr ein Feld anlegen zu können. Sprachlos hatte sie vor dem Erdloch gestanden, das Jonathan stolz als sein „Haus“ vorgestellt hatte.

„Hier sollen wir leben?“, hatte sie geflüstert. Natürlich hatte er sein jugendliches Grinsen aufgesetzt und die ganze Sache heruntergespielt: „Es ist doch wunderschön hier!“

Noch immer klangen seine Worte in ihren Ohren! Wunderschön? Theresa blickte über das Land und runzelte die Stirn. Keine Bäume, kaum Sträucher, ewiger Wind und das Geheul dieser merkwürdigen Kojoten, bei dem ihr immer ein Schauer über den Rücken lief. Vögel, die sie noch nie gesehen hatte, Tiere, die ihr fremd waren, Beeren und Gemüse, das sie nicht kannte. Wie sollte sie hier zurechtkommen? Vor allen Dingen jetzt! In der Gewalt dieser Wilden! Sie wusste nichts über Indianer, sie wusste nicht einmal, dass es verschiedene Stämme gab. In ihren Augen waren es gottlose Heiden, Mörder und Verbrecher.

Ihre Hände wurden eisig und sie versuchte sich herabzubeugen, um sie mit ihrem Atem warm zu hauchen.

Es gelang ihr nicht und wieder fühlte sie diese völlige Hilflosigkeit. Tränen liefen über ihr Gesicht, als sie Meile für Meile weiter ritten. Ihre Hände! Die Schmerzen wurden unerträglich und sie wusste nicht, wie sie dem Indianer ihre missliche Lage erklären sollte. „Du da!“, versuchte sie ihr Glück. „Bleib stehen!“

Der Indianer drehte sich nicht einmal um und sie biss sich enttäuscht auf die Lippen. Sie brauchte seine Aufmerksamkeit! Wenigstens einmal einen kurzen, prüfenden Blick.

Kurz entschlossen schwang sie den Fuß über den indianischen Sattel und stieg ab. Die gefesselten Hände zwangen sie weiter zu gehen, doch ihre Füße waren irgendwie taub. Taumelnd knickten ihre Beine weg und nur mit den gefesselten Händen am Sattelknauf wurde sie von dem Pferd weitergeschleift. Rasende Schmerzen schossen durch ihre Handgelenke und sie schrie gellend. Verzweifelt versuchte sie sich aufzurichten, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst.

Dann traf sie eine Peitsche am Kopf und der Indianer redete drohend auf sie ein, sichtbar wütend, dass sie es wagte, ihn aufzuhalten. Ihre Handgelenke brannten und sie stöhnte vor Schmerz. „Bitte“, flüsterte sie. „Meine Hände!“

Der Indianer folgte ihrem Blick und selbst er erkannte, dass hier etwas nicht stimmte. Er zog sein Messer und schnitt die Fesseln einfach durch. Stöhnend sank sie auf den gefrorenen Boden und versuchte die geschwollenen Hände unter die Jacke zu stecken. Ihre Hände waren völlig taub, ohne jedes Gefühl, wie zwei Fremdkörper, die nicht zu ihr gehörten. Wimmernd schaukelte sie vor und zurück, als langsam das Blut in ihre Hände floss und die Schmerzen unerträglich wurden.

Der Indianer stand, ohne die Miene zu verziehen, neben ihr und wartete einfach ab. Seine kalten Augen ruhten auf ihr und sie hatte plötzlich Angst, dass er sein Beil zog und sie kurzerhand tötete. Sie versuchte ihr Stöhnen zu unterdrücken, hatte irgendwo gehört, dass Indianer Mut bewunderten. Sie war nicht mutig! Sie war eine Frau! Der Schmerz ließ etwas nach, dafür spürte sie einen unangenehmen Druck auf ihrer Blase. Sie erhob sich und warf einen vorsichtigen Blick auf den Mann. Ob er sie zwischen die Büsche gehen ließ? Und wie sollte sie ihm das verständlich machen? „Ich muss mal“, murmelte sie und deutete verlegen auf ihre Beine. „Darf ich?“

Sie machte einen zögernden Schritt und misstrauisch folgte ihr der Mann. Offensichtlich hatte er die Geste nicht verstanden. Sie seufzte ergeben und hockte sich einfach in das hohe Gras. Mit klammen Fingern zog sie ihr Kleid hoch und ließ den Urin laufen. Fassungslos starrte der Indianer sie an, dann drehte er sich verlegen um. Wenigstens ein bisschen Anstand hatte er!

Die anderen Männer lachten lauthals und sie hob stolz den Kopf. Selbst der Tod konnte nicht schlimmer sein, als diese Demütigung jetzt. Tränen brannten in ihren Augen, als sie daran dachte, was ihr noch alles bevorstand.

Hastig wischte sie mit dem Ärmel über ihre Augen, versuchte nicht an Jonathan zu denken, der ihr mit seinen Träumereien all dies eingebrockt hatte. Irgendwo in ihrem Herzen fühlte sie nicht nur Trauer, sondern auch Wut.

Der Indianer packte sie am Arm und zog sie energisch zu dem wartenden Pferd. Wie lange würden sie noch unterwegs sein? Theresa zog das schwarze Tuch aus ihrer Jacke und setzte es als Kopftuch auf, um sich vor dem eisigen Wind zu schützen. Dann wartete sie darauf, dass der Indianer sie wieder fesselte. Nichts dergleichen geschah, stattdessen deutete er mit seinen Lippen an, dass sie wieder aufsteigen sollte. Es sah seltsam aus, wie er die untere Lippe vorschob, trotzdem war die Mimik eindeutig. Sie zog sich in den Sattel und hielt sich am Knauf fest. Langes Reiten war sie nicht gewohnt und sie spürte bereits jetzt ihre wunden Schenkel. Der Mann gab ihr eine gestreifte Decke, die sie dankbar um ihren Körper wickelte. Wenigstens blieben nun ihre Hände warm.

Die Männer schlugen einen flotten Trab an und Theresa wurde durchgeschüttelt. Ihre Schenkel rieben sich an dem Sattel, weil sie nicht wusste, wie sie richtig sitzen sollte und immer wieder fiel sie nach vorne, wenn sie das Gleichgewicht verlor. Die Männer um sie herum amüsierten sich über ihre Reitkünste. Ihre krumme Haltung war Anlass zu allerlei Spott und die Männer machten sich einen Spaß daraus, die Frau nachzuahmen. Einer ließ sich sogar vom Pferd fallen und erntete johlenden Beifall von seinen Freunden für diesen Scherz.

Ihr Entführer dagegen schien weniger erfreut zu sein und musterte sie stirnrunzelnd. Aber er unternahm auch nichts, um die Albernheiten zu stoppen oder der Frau irgendwie zu helfen.

Theresa biss sich verzweifelt auf die Lippen. Bei den Indianern sah das Reiten so leicht aus! Ganz entspannt saßen sie auf ihren Pferden, ließen die Beine baumeln und gaben sich dem Rhythmus des Pferdes hin. Sie stemmte die Füße in die einfachen Steigbügel und lehnte sich ein wenig nach hinten, versuchte ebenso gerade zu sitzen. Es war nicht ihre Absicht, die Indianer zu beeindrucken, sondern lediglich der Versuch, ihre Schmerzen erträglicher zu machen.

Im gleichmäßigen Tempo ging es weiter. Hügelige Prärie, wie endlose Sanddünen, leicht mit Schnee bedeckt, so glitzernd und grell, dass es blendete. Theresa hatte die Decke vor ihr Gesicht gezogen und versuchte es vor der beißenden Kälte zu schützen. Die Erleichterung, überlebt zu haben, mischte sich nun mit der Angst vor der Zukunft. Die wilden Gestalten um sie herum wirkten bedrohlich, ohne Mitleid und Gefühle. Alles, was sie auf ihrer langen Reise über Indianer gehört hatte, schien wenig ermutigend zu sein. Mörder und Diebe! Männer mit langen Haaren, die sich mit den Federn von Vögeln schmückten! Waren es überhaupt Menschen? Sie tastete nach dem Schnitt an ihrer Brust und fürchtete, dass dies erst der Anfang war. Welche Teufeleien würden sich diese Ausgeburten der Hölle noch ausdenken? Sollte sie einen Fluchtversuch wagen und auf eine gnädige Kugel hoffen? Diese Männer hätten sicherlich keine Skrupel, ihr Leben zu beenden.

Dann tauchte nach Stunden des ermüdenden Reitens endlich das Lager der Indianer vor ihr auf. Nach oben hin spitz zulaufende Zelte verteilten sich im Tal, die Stangen oft mit Bändern oder Haarschweifen geschmückt. Fast unsichtbarer Rauch stieg nach oben und vermittelte den Eindruck von Wärme und Behaglichkeit. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie daran dachte, was nun geschehen würde. Waren diese Indianer Kannibalen? Würde sie gefoltert werden? Oder waren es Menschen, die mit ihr Mitleid haben würden? Voller Angst starrte sie auf die dunklen Gesichter, hörte das markerschütternde, helle Trällern der Frauen, die plötzlich überall auftauchten, um die Krieger zu begrüßen. Grobe Hände rissen sie vom Pferd und ihre Knie wurden weich vor Angst. Irgendwer zog ihre Decke weg und Schläge prasselten auf sie ein, als die wild gewordenen Frauen ihre ganze Wut an der Gefangenen ausließen. Ihr Kleid wurde in Fetzen gerissen und Theresa wehrte sich mit dem Mut der Verzweiflung.

Sie schlug schreiend um sich, kratzte einer Frau ins Gesicht, die sofort mit einem Knüppel auf sie losging. Der erste Schlag traf sie so heftig an der Schulter, dass sie in die Knie ging, der zweite traf sie am Kopf und mit einem Stöhnen sank sie zu Boden. Ihr war plötzlich schlecht und benommen tastete sie an ihren Kopf. Ein weiterer Schlag traf sie am Rücken, dann wurde die hysterische Frau plötzlich von ihr weggezogen und der Indianer mit dem Vogelgesicht tauchte über ihr auf. Er sagte etwas mit ruhiger Stimme und sogleich traten die Frauen einige Schritte zurück. Mühsam richtete sich Theresa auf, schwankte heftig, als der Schwindel sie erfasste.

Der Mann packte sie grob am Arm und schob sie quer durch das Dorf. Sie hatte keine Kraft mehr sich umzusehen, wollte nur noch weg von diesen dunklen Menschen mit ihren finsteren Augen. Sie wurde in ein Zelt gestoßen und sank stöhnend zu Boden, dann verschwand der Indianer einfach.

Sie fühlte sich so einsam und verlassen, dass sie die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Wenn die Weiber zurückkehrten? Wenn wieder einer kam und sie verstümmeln wollte? Sie fürchtete sich vor den Schmerzen, hatte Angst davor, was diese Teufel ihr antun würden.

„Rette mich Herr, vor bösen Menschen, vor gewalttätigen Leuten, schütze mich“, flüsterte sie einen Psalm.

„Lasse glühende Kohlen auf sie regnen, stürze sie hinab in den Abgrund, so dass sie nie wieder auferstehen!“

Ihr Kopf fiel in ihre verschränkten Arme und sie schloss erschöpft die Augen. Keine Schmerzen mehr, betete sie inbrünstig. „Bitte, oh Herr, steh mir bei!“

Von draußen drangen Stimmen und Gelächter zu ihr herein, dann erklang schneller Trommelschlag. Kreischende Stimmen sangen die Begleitung zu der Trommel und es klang schauerlich. Ein einziges, gellendes Geschrei, das in einer hohen Tonlage anfing und sich langsam nach unten schraubte. Teuflische Musik. Trotzdem beruhigte sie der Trommelschlag, lullte sie ein und sie döste ein wenig, ohne wirklich zu schlafen. Die Erschöpfung forderte ihren Tribut und sie wünschte sich ein Bett herbei, in das sie ihren geschundenen Körper legen konnte.

Sie blinzelte unter Tränen und blickte sich zum ersten Mal in dem Zelt um. Es war warm, stellte sie überrascht fest. Wärmer als ihre ärmliche Hütte. Der Boden war dick mit Fellen ausgelegt und sie erkannte so etwas Ähnliches wie ein Bett. Eigentlich war das Zelt relativ geräumig, man konnte darin sogar stehen. Ganz anders, als sie sich immer die Zelte der Indianer vorgestellt hatte. Zwischen der Außenwand des Zeltes und dem Innenraum hingen weitere Stoffbahnen, die mit einem einfachen Muster bemalt waren, fast wie eine Tapete. Überhaupt sah sie viele bunte Sachen: Taschen, Körbe, Kleidung, das Kriegsschild des Mannes, alles bunt bemalt. Wie die Zeichnungen eines Kindes, doch mit vielen Details. Sie hatte Durst und fühlte sich schlapp, suchte mit ihren Augen das Tipi nach etwas zu trinken ab. Schade, dass sie vorher nicht ein wenig Schnee gelutscht hatte, als es ihr noch möglich war.

Es wurde spät, ehe der Mann zurückkehrte. Ängstlich blickte sie hoch und sah zu, wie er einige Äste in die glimmende Glut warf. Dann beugte er sich zu ihr, packte ihre Fäuste und zog sie in eine sitzende Position. Er roch ein wenig nach Alkohol und sie schreckte zurück. Der Indianer reichte ihr eine Schüssel mit Essen und machte eine auffordernde Handbewegung. Sie schüttelte vorsichtig den Kopf und deutete mit ihrer hohlen Hand an, dass sie Durst hatte. Ihr wurde ein seltsamer Behälter gereicht, der aussah wie ein ausgehöhlter Kürbis. Zumindest war Wasser darin und sie trank durstig.

Dann beugte sie sich misstrauisch über die Schüssel, versuchte zu ergründen, was der Indianer ihr dort anbot. Es sah aus wie ein Eintopf aus Fleisch und Gemüse und sie probierte ihn vorsichtig. Sie vermisste Salz oder andere Gewürze, abgesehen davon, dass das Ganze leicht süßlich schmeckte.

Das flaue Gefühl in ihrem Magen verschwand und sie fühlte sich etwas besser. Unsicher blickte sie auf, als der Indianer das Essensgeschirr an die Seite räumte. Dann zog er ihr ohne Hemmungen das zerrissene Kleid über die Schultern nach unten, entblößte dabei wie selbstverständlich ihre Brust. Sie hielt die Luft an vor Schreck, sah entsetzt, wie seine Hände den provisorischen Verband lösten. Sie wollte nicht, dass dieser schmierige Indianer sie berührte!

Der Fetzen an ihrer Brust hatte sich mit dem geronnenen Blut verbunden und sie stöhnte leicht, als der Mann ihn mit einem Ruck entfernte. Sorgsam tupfte er den Schnitt sauber und legte einige Flechten auf den Riss. Geduldig wartete er, bis sich die Wunde schloss, dann kletterte er über die Felle zu seinem Lager und verschwand unter einem Fell, um zu schlafen.

Verunsichert blieb Theresa einfach sitzen und sammelte ihre Gedanken, froh darum, dass er im Moment nichts von ihr wollte. Wie hätte sie sich auch wehren sollen? Vielleicht konnte sie in der Nacht verschwinden, nachdem es dieser Indianer nicht einmal für nötig hielt, sie zu fesseln! Sie wischte mit ihrer schmutzigen Hand über ihr Gesicht und suchte nach einer Decke, mit der sie sich zudecken konnte.

Es war die erste Nacht für sie in diesem Indianerlager, aber ihr kam es vor, als wären hundert Jahre vergangen, seitdem sie am Morgen so brutal aus dem Haus gerissen worden war. Sie war so erschöpft, dass sie nicht einmal weinen konnte. Wenigstens lebte sie noch und anscheinend hatte dieser Mann Gefallen an ihr gefunden. Sie war jetzt eine Squaw, eine Wilde, dabei hatte sie nichts Falsches getan, war nur ein Spielball dieser übermächtigen Männer.

Vielleicht sollte sie den Freitod wählen, aber sie hatte Angst vor diesem endgültigen Schritt. Und wie sollte sie an ein Messer kommen oder an einen Strick? Sie schreckte vor dem Gedanken zurück, auch weil er Sünde war, und überdachte ihre Situation. Sie fürchtete sich davor, was dieser Mann vielleicht morgen oder in den nächsten Tagen von ihr fordern würde. Sie hasste seinen fettigen Körper, seine schwieligen Hände und sein abstoßendes Gesicht. Sie konnte nicht einmal schätzen, wie alt er war. Sein Körper war drahtig und voller Spannkraft, nur sein Gesicht war überzogen mit den Narben einer Krankheit, sicherlich vom Teufel gezeichnet für all seine Untaten.

Sie fiel in einen unruhigen Schlaf, wälzte sich hin und her, weil immer wieder die Bilder des schrecklichen Tages in ihr hochstiegen. Mehrmals schreckte sie hoch, orientierungslos, fühlte sich in einen einzigen, langen Alptraum versetzt. Nur der Indianer schien ruhig zu schlafen und sie hütete sich, ihn zu wecken.

In aller Früh richtete sie sich schließlich ruhelos auf. Ihr ganzer Körper fühlte sich steif und schwer an. Es war frostig kalt im Zelt und sie erschauerte.

Der Indianer fuhr hoch und musterte sie mit seinen schwarzen Augen. Dann deutete er mit einer ungeduldigen Bewegung auf das Feuer. Verlegen zog sie die Fetzen des Kleides über ihre Blöße, tastete vorsichtig über den Schnitt. Die Wunde war verkrustet und heilte offensichtlich. Sie wollte einen Verband anlegen, aber der Indianer griff nach ihrer Hand und schüttelte den Kopf. „Hiya!“ Es war ziemlich deutlich. Hiya bedeutete „Nein“. Das war doch schon ein Anfang. Wenigstens ein Wort, dessen Sinn sie in dieser grässlichen Sprache verstand.

Gehorsam beugte sie sich über die Feuerstelle und stocherte in der Asche herum. Sie brauchte etwas Zunder, um das Feuer zu entfachen und sah sich suchend um. Was benutzten die Indianer als Zunder? Alles war hier so fremd, sie fühlte sich als Gestrandete in einer fernen Welt, von der sie überhaupt nichts wusste. Würde der Indianer ungeduldig werden, wenn sie ihm keine Hilfe war? Was taten Indianerfrauen eigentlich?

Sie suchte einige dürre Zweige, legte sie in die Glut und versuchte vorsichtig das Feuer anzublasen. Asche wirbelte hoch, mehr geschah nicht. Mit einem Seufzen beugte sich der Mann zu ihr, nahm ein Büschel trockenes Gras und entzündete damit das Feuer. Sie fühlte sich entsetzlich dumm, dabei war sie es doch, die zivilisiert war, lesen und schreiben konnte oder sticken, einen Haushalt führen, doch hier schienen diese Kenntnisse kaum weiterzuhelfen. Untätig sanken ihre Hände in den Schoß. Sie wusste nicht einmal, was diese Menschen zum Frühstück aßen oder ob sie überhaupt etwas aßen!

Der Mann stand auf und packte sie auffordernd am Arm. „Hiyu-wo!“

Mitkommen? Jetzt? Mit dem zerrissenen Kleid? Wohin? Ihre Augen wurden weit vor Angst. Was würde jetzt geschehen?

Unbeeindruckt zog der Mann sie auf die Füße und drängte sie aus dem Zelt. Voller Scham zog sie die Kleiderfetzen enger um sich und schaute sich erschrocken um. Noch schien niemand sonst auf zu sein und sie seufzte erleichtert.

Die Zelte standen in unregelmäßigen Abständen in der Nähe des Flusses und fast unsichtbarer Rauch stieg über die geöffneten Rauchklappen nach oben, eigentlich nur als Irritation der Luft wahrnehmbar.

Manchmal war ein Pferd neben dem Eingang eines Zeltes angepflockt, ansonsten rührte sich nichts. Selbst die Hunde schienen noch zu Füßen der Menschen auf den warmen Fellen zu schlafen.

Der Indianer führte sie zum Fluss und deutete an, dass sie das Kleid ausziehen sollte. Hier? Vor allen Leuten?

Sie wollte vor Scham am liebsten im Boden versinken. Wollte er etwa hier mit ihr kopulieren? Wie einer dieser Lagerhunde?

Fassungslos stand sie am Ufer und sah zu, wie sich dieser Heide entkleidete. Zum ersten Mal erkannte sie, wie dieser seltsame Lendenschurz gefertigt war. Einfach nur ein langes Tuch, das sich der Mann zwischen den Beinen durchzog und über einen Gürtel schlug. Diese Menschen waren so primitiv, dass sie noch nicht einmal Hosen kannten! Die Beinkleider wurden ebenfalls an dem Gürtel festgebunden, damit sie nicht herunter rutschten. Und hier sollte sie nun leben?

Der Mann riss ein Büschel einer Pflanze heraus und löste einige Knollen von der Wurzel. Mit einem Nicken reichte er ihr eine Knolle und deutete an, dass sie sich waschen sollte.

Waschen! Das Wort klang so sauber, so rein, so unschuldig.

Beschämt blickte sie an sich herunter und erkannte, dass sie wirklich ein Bad nötig hatte. Vorsichtig roch sie an der Knolle und vernahm erstaunt den leichten Geruch nach Seife. Seife, die einfach in der Natur wuchs.

Der Indianer stand bereits in dem eisigen Wasser und rubbelte sich sauber. Sie genierte sich vor seiner Blöße und versuchte, nicht auf sein Geschlecht zu sehen. Zögernd glitt sie aus dem Kleid und stieg ebenfalls mit den Füßen in das Wasser. Sie fröstelte, wünschte sich in ein Haus zurück. Selbst dieses furchtbare Erdhaus schien ihr nun geradezu luxuriös.

Der Indianer lächelte flüchtig und zum ersten Mal sah er menschlich aus, zeigte er überhaupt ein Gefühl. Blitzende Zähne zeigten ihr, dass der Indianer doch jünger sein müsste, sie schätzte ihn nun auf etwas über dreißig. Seine Hand fuhr staunend über ihre helle Haut, ganz sanft und doch wich sie unwillkürlich zurück. Sofort zog er seine Hand zurück, fast scheu und sie erkannte, dass es reine Neugier war, die ihn zu dieser Berührung verleitet hatte. Dann kletterte der Mann wieder ans Ufer und wartete, dass auch sie sich wusch. Das eisige Wasser ließ sie frösteln und doch genoss sie es, den Schmutz abzuwaschen. Ihre Haut war rot, als sie schließlich aus dem Wasser stieg. Sie schlüpfte in ihre Schuhe und zog die Überreste ihres Kleides wieder an. Es stank und sie bereute, dass sie kein anderes Kleid mitgenommen hatte. Der Mann stellte sich mit erhobenen Armen zur Sonne hin und sang mit leiser Stimme. Dann drehte er sich in alle Richtungen und wiederholte den Gesang. Ungläubig erkannte sie, dass der Indianer betete. Sicherlich zu einem heidnischen Gott, aber es irritierte sie, dass er überhaupt betete. Teufel beteten doch nicht!

Sie kniete sich hin und betete ebenso, still und in sich gekehrt. „Oh Herr, nimm Jonathan zu dir! Er war ein guter Mann! Nimm seine Seele und führe sie zu unseren Kindern, auf dass sie nicht mehr alleine sind!“ Der Gedanke war tröstend und kurz träumte sie davon, wie ihr Mann mit den zwei Kindern auf einer grünen Wiese spielte. Ganz deutlich sah sie Marie vor sich, nicht als Baby, sondern als fröhliches Mädchen. Lebten ihre Kinder im Himmel weiter? Wuchsen sie dort heran?

Der Indianer wartete geduldig, bis sie fertig war, dann führte er sie ins Zelt zurück. Aus einer Ecke zog er ein anderes Kleid he-raus und reichte es ihr. Es war aus dunkelblauer Wolle, gerade geschnitten, aber warm. Sie schlüpfte hinein und fühlte sich wie mit einem Sack gekleidet. Wenigstens bedeckte es ihre Blöße und mit einem Gürtel konnte sie es vielleicht ein wenig in Form bringen. Die Wolle fühlte sich seltsam an auf der Haut, auch weil sie kein Mieder oder andere Unterkleider trug. Als sie von dem Mann gefangen genommen wurde, hatte er ihr nur das Kleid gegeben. Wahrscheinlich kannte er nicht einmal Mieder oder Unterwäsche, dachte sie abfällig.

Sie rieb ihre kalten Füße und streckte sie in die Nähe des Feuers. Angenehme Wärme breitete sich in ihrem Körper aus und irgendwie fühlte sie sich seltsam erfrischt.

Der Krieger band seine kurzen Zöpfe auf, dann nahm er einen geschnitzten Kamm und forderte sie auf ihm die Haare zu kämmen. Ungläubig starrte sie ihn an, doch sein ungeduldiger Blick ließ keinen Zweifel zu.

Zögernd kniete sie sich hinter den Mann und begann seine Strähnen zu ordnen. Dann fuhr sie methodisch durch seine Haare und löste die verfilzten Knoten. Sie kam sich vor wie bei den Affen, fehlte nur noch, dass sie seine Haare nach Läusen durchsuchte!

Schließlich waren seine Haare ordentlich gekämmt und fielen lose über seine Schultern. Wieder sanken ihre Hände untätig in den Schoß und sie wünschte sich eine Bürste herbei, mit der sie ihre Haare kämmen konnte. Ob sie sich die Haare mit dem Kamm kämmen durfte? Sie hob ihn gegen ihre Haare und wagte einen fragenden Blick.

„Han!“, meinte der Mann freundlich.

Vorsichtig machte sie sich an die Arbeit, ihre Locken zu entwirren, während der Indianer interessiert dabei zusah. In sanften Wellen umrahmten die dunklen Locken schließlich ihr Gesicht und der Krieger nahm eine Strähne in seine Hand. „Pte-pehin!“, meinte er lachend.

Sie hatte keine Ahnung, was er damit meinte, aber zum zweiten Mal verlor sein Gesicht den Ausdruck eines Raubvogels. Er schien ehrlich belustigt zu sein und Lachfältchen umspielten seine dunklen Augen. Wie konnte er jetzt so freundlich sein, nach dem, was er ihr angetan hatte? Dachte er etwa, dass sie je vergessen könnte, dass er ihr Haus überfallen und ihren Mann getötet hatte? Vielleicht hatte er es sogar selbst getan! Hatte dieser Indianer ihren Jonathan getötet?

Sie versuchte sich zu erinnern, aber die wilden Gesichter verschwammen vor ihren Augen. Ausdruckslos starrte sie ihn an, hatte plötzlich Lust, ihm in das grinsende Gesicht zu spucken. Stattdessen ruckte sie mit ihrem Kopf und riss die Haarsträhne aus seiner Hand. Der Indianer zeigte keine Reaktion. Mit einer ruhigen Bewegung stand er auf und bedeutete ihr ihm zu folgen: „Hiyu-wo!“

Sie stand auf und nahm erstaunt die bunte Decke entgegen, die er ihr reichte. Was geschah jetzt?

Sie folgte ihm aus dem Tipi und sah sich vorsichtig um. Das Dorf war erwacht und sie sah verstohlene Blicke, mit denen die Menschen sie musterten. Sie beeilte sich dem Indianer zu folgen, hatte Angst, dass diese Frauen wieder auf sie losgehen könnten. Der Mann führte sie zu einem anderen Zelt und ließ sie eintreten. Eine alte Frau mit runzeligem Gesicht schaute überrascht auf, dann lächelte sie freundlich, als auch der Mann sich ins Zelt bückte. Er setzte sich bequem an eine Rückenlehne und streckte seine Beine aus, dann machte er eine einladende Geste in ihre Richtung.

Theresa stand in der Nähe des Eingangs und blickte zwischen den beiden hin und her. Sie fühlte sich überflüssig, wollte am liebsten wieder in das Zelt des Mannes zurück. Was wollte er von der alten Frau?

Die Unterhaltung der beiden floss in dieser seltsamen Sprache dahin, die sie nicht verstand. Manchmal schaute die Frau in ihre Richtung und lächelte zufrieden. Schließlich nickte sie und drückte dem Mann voller Dankbarkeit die Hände.

Mit einem Lächeln stand der Indianer auf und verließ das Zelt. Theresa wollte ihm folgen, doch der Mann schubste sie zurück. „Hiya!“, befahl er eindeutig.

Ungläubig starrte sie ihn an, wollte dieses Wort überhaupt nicht verstehen! Sollte sie etwa hierbleiben?

Die alte Frau griff nach ihrem Ärmel und zog daran. Dann deutete sie auf ein Fell in der Nähe des Eingangs und machte ihr unmissverständlich klar, dass sie nun hier wohnen würde. Theresa wollte sich losreißen, wollte dem Mann hinterher, doch die alte Frau griff nach einem Stock und schlug mit erstaunlicher Kraft auf sie ein. Hilflos sank Theresa auf das Fell und hielt den Arm schützend vor ihr Gesicht! Dieser Indianer hatte sie verkauft! Wie ein Stück Vieh hatte er sie an diese alte Hexe verkauft! Sie war eine Sklavin und sonst nichts! Ihr wurde schlecht vor Wut, doch dann griff die Einsamkeit nach ihrem Herzen. Sie war nicht einmal so viel wert, dass dieser Mann sie in seinem Bett wollte! Was sollte nun aus ihr werden?

Pankeska-Wakpa

(Platte-Fluss, Januar 1865)

Wakinyan-gleschka lächelte zufrieden. Die weiße Frau war keinesfalls ein Ersatz für seine verstorbene Frau, aber sie würde lernen ihm zu gefallen. Er fühlte sich stark, nun diese Frau in seiner Gewalt zu haben, mit ihr machen zu können, was immer er wollte. Sie sollte ihm gehorchen, gefügig sein und vielleicht eines Tages den Platz in seinem Herzen füllen, der nun so schmerzhaft leer war. Winuchtschala würde sich um die weiße Frau kümmern, solange er fort war und wenn er nicht zurückkehrte, würde die Gefangene eben ihr gehören. So hätte die alte Frau eine wertvolle Hilfe, die ihr die schwere Arbeit abnehmen und ihr Leben erleichtern könnte. Es war Aufgabe der Frauen, die Gefangene in ihrer Sprache und ihren Gebräuchen zu unterrichten. Im Moment musste er sich auf andere Dinge konzentrieren. Es war nicht gut, wenn eine Gefangene ihn ablenkte oder seine Kampfkraft schwächte.

Wambli-tokahe näherte sich ihm mit einem breiten Grinsen und Wakinyan-gleschka nahm erleichtert zur Kenntnis, dass er offensichtlich nicht betrunken war. Ohne die Krähe in seinem Haar wirkte sein Freund kleiner als sonst, gedrungener, stämmiger. Nur zu Pferd entwickelte er eine katzenhafte Geschmeidigkeit, bildete er eine vollkommene Einheit, die ihn im Kampf zu einem gefährlichen Gegner machte. Gut gelaunt schlug ihm sein Freund auf die Schulter. „Ich habe gehört, dass du gute Beute gemacht hast?“

Verlegen senkte Wakinyan-gleschka die Augen. „Hmh!“

„Und, wie ist so eine weiße Frau?“ Blanke Neugier sprach aus den Augen seines Freundes.

Ungeduldig winkte Wakinyan-gleschka ab. „Sie ist gebaut wie unsere Frauen! Wie sollte es sonst sein?“

„Hohch! Kein Unterschied?“

„Nein!“, wehrte Wakinyan-gleschka die Frage ab. „Was hast du denn erwartet? Dass weiße Frauen vier Brüste haben?“

Wambli-tokahe riss erstaunt die Augen auf. „Ich meine ja nur! Was hast du jetzt mit ihr vor? Lässt du andere auch mal …?“ Er grinste anzüglich und rieb einen imaginären Penis.

„Nein!“, meinte Wakinyan-gleschka scharf. „Sie wird meine Frau ersetzen!“

„Diese Gefangene?“ Wambli-tokahe konnte seine Verblüffung nicht verbergen. „Kola!“, benutzte er mahnend den Begriff tiefster Freundschaft, um seinen Freund auf eine wirkliche Torheit aufmerksam zu machen. „Sie ist weiß!“

„Das habe ich gesehen!“, antwortete Wakinyan-gleschka trocken.

„Die weißen Soldaten werden nach ihr suchen! Das machen sie immer. Sie wollen nicht, dass ihre Weiber in unseren Dörfern leben.“

„Nun, die Soldaten werden sie nicht finden! Ich werde mich in der Schwitzhütte reinigen und dann wieder gegen die Weißen in den Kampf ziehen! Niemand nimmt sie mir wieder weg!“

„Gut gesprochen, mein Freund“, stimmte Wambli-tokahe zu. „Ich begleite dich!“

Wakinyan-gleschka wusste, dass sein Freund mit diesen Worten die weißen Soldaten gemeint hatte, aber er beschloss, sie auf die Schwitzhütte zu beziehen. „Das hast du auch nötig! Der Geist von diesem Heiligen Wasser hatte dich völlig benebelt!“

Fast schuldbewusst senkte sein Freund den Kopf, dann grinste er frech. „Aber jetzt ist mein Kopf klar! Ich werde kämpfen und dir helfen, dass diese Frau in deinem Zelt bleibt!“

„Hokahey!“

Wakinyan-gleschka tat es gut, seine Gedanken erneut in der Schwitzhütte zu reinigen. Die Gefangennahme der Frau hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht und irgendwie aufgewühlt. Er wollte keine neue Familie, keine weitere Gefährtin, keine Verantwortung mehr, oder doch? Mit seinem monotonen Gesang lud er die Geister der Ahnen ein. Es gab nicht viel, für das er sich im Gebet bedanken konnte, zu tief saß der Verlust seiner Familie. Aber er betete, dass es seinem Volk wieder besser ginge und er betete für diese fremde Frau. Dann bat er die Geister um Kraft für den bevorstehenden Kampf und um den nötigen Mut, damit er ohne Angst dem Tod ins Auge sah. Als er die Schwitzhütte verließ, hatte er die verschreckte Gefangene bereits vergessen. Mit keinem Gedanken dachte er darüber nach, wie sie sich jetzt fühlen würde oder welche Angst sie ausstand.

Ein großer Trupp aus fast tausend Kriegern brach wieder nach Norden auf, um weitere Überfälle zu organisieren. Wakinyan-gleschka fühlte sich stark und sah triumphierend, wie die Ansiedlungen der Weißen in Flammen aufgingen. Dann zog der Stamm bis zum White-Butte-Creek, an dem ein großes Palaver abgehalten wurde. Obwohl Black Kettles Dorf von den Weißen massakriert worden war, weigerte sich der Häuptling, weiterhin Krieg zu führen. Er beschloss, sich den südlichen Cheyenne anzuschließen und verließ mit seiner Gruppe das große Lager. Viele schüttelten voller Unverständnis den Kopf, aber niemand hielt ihn auf. Der Krieg war immer eine freiwillige Sache und niemand wurde gezwungen zu kämpfen.

Wenige Tage später griffen die verbliebenen Kräfte eine größere Ranch an. Wilde Gestalten näherten sich im Morgengrauen, grell bemalt und mit Federn geschmückt. Manche hatten sich auch mit Beutestücken aus früheren Angriffen ausgestattet, trugen Uniformjacken oder Hüte. Hier gab es keine Kleiderordnung, jeder trug, was ihm gefiel. Das Vieh des Ranchers wurde weggetrieben und ein heftiger Kampf entbrannte um das Haus. Kugeln pfiffen den Indianern um die Ohren, ohne wirklich Schaden anzurichten. Dann versuchten die Indianer eine andere Taktik. Das Haus war aus Steinen gebaut, aber das Dach bestand aus einer Holzkonstruktion. Einige Mutige schlichen näher, während die anderen ihnen Deckung gaben, dann legten sie Feuer. Das Dach brannte nicht wirklich gut, aber es qualmte zumindest.

Die Weißen suchten ihr Heil in der Flucht. Schießend rannten sie über den Platz und versuchten die Pferde auf der Koppel zu erreichen. Wakinyan-gleschka tötete einen Mann, während zwei weitere Weiße erbarmungslos von den anderen Kriegern niedergeritten wurden. Noch am Boden kämpften sie verzweifelt um ihr Leben, während eine Frau sich in Panik die Hände vor das Gesicht schlug. Die Indianer wollten töten! Gleich mehrere Krieger zückten ihre Tomahawks und hieben brutal auf die Weißen ein. Es war weder heroisch noch fair. Blut spritzte, als die scharfen Klingen immer wieder in die zuckenden Körper drangen, bis sie schließlich erschlafften.

Ein weiterer Krieger hatte indessen die schreiende Frau gepackt und zu Boden gezwungen. Hokahey! Sie waren siegreich!

Wakinyan-gleschka empfand kein Mitleid, als der Krieger die weinende Frau fesselte und auf ein Pferd setzte. Andere hätten sie mit Sicherheit getötet! Wieso brachten die Weißen ihre Weiber überhaupt hierher? In ein Land, das ihnen nicht gehörte. Er hatte bereits ein paar weiße Kinder gesehen, die andere Cheyennekrieger von einem Raubzug mitgebracht hatten. Sie wurden gut behandelt und in Familien gegeben, damit sie als Cheyenne oder Lakota aufwuchsen. Ja, diese Kinder würden die getöteten Kinder vom Sand Creek ersetzen! Und dieses gefangene Weib würden ihnen nun Kinder mit brauner Haut gebären!

Vielleicht war es doch nicht so schlecht gewesen, dass auch er Mitleid empfunden hatte. Wie zufällig suchte er das Gespräch mit dem Krieger: „Es ist gut, wenn wir den Weißen die Weiber rauben! So wird unser Volk zahlreich und stark!“

Der Krieger lächelte triumphierend. „Sie ist jung und ihr Haar leuchtet wie die Sonne! Mir gefällt sie!“

„Wird sie dir gehorchen?“

„Wenn nicht, dann kann ich sie immer noch gegen Geschenke eintauschen!“

Wakinyan-gleschka warf einen vorsichtigen Blick auf die Gefangene, die mit verheulten Augen auf einem Packpferd saß. Sie sah nicht so aus, als würde sie in geraumer Zeit zu irgendetwas zu gebrauchen sein. Aber diese Zweifel hatte er im Grunde auch mit seiner eigenen Gefangenen.

Abends kehrten sie in ihr Dorf zurück und wieder fanden ausgelassene Siegestänze statt. Wakinyan-gleschka kümmerte sich nicht um seine Gefangene. Er war berauscht vom Kampf und wollte sich nicht von ängstlichen braunen Augen ablenken lassen. Stattdessen blieb er im Zelt seines Kriegerbundes, der Krähen-Gesellschaft, ließ sich von den Frauen seines Stammes bewirten und nahm voller Stolz an den Siegestänzen teil.

Seine Freunde scharten sich wie früher um ihn und er fühlte sich wohl in der vertrauten Gegenwart. Die kleinen Sticheleien halfen ihm über den Verlust seiner Familie hinweg und langsam hatte er das Gefühl, dass das Leben weiter ging oder wenigstens sein Tod einen Sinn haben würde. Er kämpfte für sein Volk! Das war Grund genug, um zu leben.

Am Morgen flankierte er mit den anderen Männern den Zug aus Frauen und Kindern und sah zu, wie sie den zugefrorenen Platte Fluss überschritten. Irgendwo stapfte auch seine Gefangene neben Winuchtschala her. Er erkannte das schwarze Tuch und die bunte Decke, die sie um ihren Körper geschlungen hatte. Sein Blick blieb auf ihr haften und es überraschte ihn, dass er eigentlich nichts empfand. Kein Sehnen nach ihrem Körper, so wie er sich nach seiner Frau gesehnt hatte, wenn er von einem langen Kriegszug zurückkehrte. Nein, er fühlte nur die Befriedigung, dass sie ihm gehörte.

Schon wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt, als seine Freunde ungeduldig winkten. Sie waren auf dem Weg zu einer weiteren Ranch und forderten ihn auf, sie zu begleiten.

Die Männer boten einen kriegerischen Anblick, wie sie nebeneinander in voller Kriegsausrüstung auf ihren Pferden saßen und auf ihn warteten. Lässig hielten sie ihre Schilde in den Händen, kunstvoll mit Traumzeichen bemalt. Wakinyan-gleschka spitzte auffordernd seine vollen Lippen und trieb sein Pony zwischen die wartenden Pferde, zwang damit die anderen, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen.

„Hokahey“, murmelte er herausfordernd.

Gegen Mittag erreichten sie das Tal mit den Gehöften und trieben voller Kampfeslust ihre Pferde über den Kamm eines Hügels. Wakinyan-gleschka folgte ihnen, dann zügelte er überrascht sein Pferd. „Dort unten sind Soldaten!“

„Stimmt!“, bestätigte Hiyu-iyanka. „So macht es viel mehr Spaß!“

„Spaß?“, grunzte Wakinyan-gleschka empört. „Du kämpfst wohl gern gegen eine Übermacht?“

„Wenn meine Freunde in der Nähe sind!“ Hiyu-iyanka lächelte verschmitzt. „Aber ein paar Soldaten empfinde ich nicht als ernstzunehmende Gegner!“

Mit Decken trieben sie die riesige Viehherde des Ranchers fort, doch an das Haus kamen sie nicht heran. Zwar versuchten die Indianer, die Soldaten herauszulocken, doch diese waren bei der Übermacht der Indianer vorsichtig und folgten ihnen nicht.

„Und nun?“, fragte Wakinyan-gleschka ernüchtert.

„Hohch!“, schimpfte Wambli-tokahe, „Wir haben bereits so viele Weiße getötet! Lassen wir diese Feiglinge am Leben! Irgendwann verlassen sie das hölzerne Haus, dann können wir sie immer noch töten. Lasst uns das Vieh zum Dorf treiben und einen Festschmaus veranstalten!“

Die Indianer fanden stattdessen ein anderes interessantes Ziel: eine Wagenkolonne auf dem Weg nach Denver.

Ehe die Kutscher reagieren konnten, fielen über fünfhundert aufgestachelte Indianer über die Todgeweihten her. Schnell lagen die Weißen skalpiert im Schnee und die Wagen mit der Ladung wurden ins Lager gebracht. Es war hauptsächlich eine Lebensmittellieferung gewesen und nun schlugen sich die Indianer die Bäuche voll. Endlich erkannten sie auch den Wert von Konservendosen und zweckentfremdeten ihre Tomahawks, um die Dosen zu öffnen.

Das Plattetal war zu einer Todesfalle geworden. Jeder, der hier zufällig durch wollte, wurde unbarmherzig getötet. Junge Späher verkündeten jeden Reiter, jede Postkutsche und jeden Wagenzug, der sich seinen Weg durch die tief eingegrabenen Wagenspuren bahnte. Nichts entging ihrer Aufmerksamkeit.

So fielen ihnen auch einige Weiße in die Hände, die auf ihren Pferden nach Osten unterwegs waren, fort aus dem umkämpften Gebiet. Sie wären besser in Denver geblieben, in der Sicherheit eines Forts oder einer größeren Stadt.

Hier hatten sie keine Chance. In einem schnellen Kampf wurden sie unbarmherzig getötet, ihre Körper mit Pfeilen gespickt. Als die Indianer anschließend die Satteltaschen der Männer durchsuchten, fanden sie allerdings die Skalpe von Indianern. Tief betroffen hielten sie die widerlichen Andenken der Weißen in ihren Händen, fühlten plötzlich einen unbändigen Hass in ihren Herzen. Ein Cheyenne erkannte einen Skalp und strich sanft über die schwarzen Haare. „Das ist der Skalp von Little Wolf! Ich erkenne ihn an der Muschel, die er stets im Haar getragen hatte!“

Wakinyan-gleschka kniete sich erschüttert neben ihn. „Also haben diese Weißen am Sand-Creek gekämpft! Es ist gut, dass wir sie getötet haben!“

„Das ist nicht genug! Für das, was sie unseren Frauen und Kindern angetan haben, müssen wir uns rächen! Auch in der nächsten Welt dürfen sie niemandem mehr Schaden zufügen!“

Grimmig zog der Cheyennekrieger sein Messer und begann die Gliedmaßen der Toten zu verstümmeln. Mit tiefen Schnitten durchtrennte er ihre Muskeln und Sehnen, damit sie auch im Jenseits nie wieder reiten oder kämpfen konnten. Zum Schluss trennte er ihre Finger ab, damit sie nicht mehr in der Lage waren, eine Waffe zu führen.

Alle standen schweigend daneben, plötzlich nicht mehr aufgebracht, sondern nur noch unendlich traurig.

Still und in sich gekehrt ritten sie zurück zum Dorf, nicht wie sonst in der üblichen Siegeslaune, sondern wie zu einem Begräbnis. Ehrfurchtsvoll wurden die Skalpe der Cheyenne dem Heiligen Mann übergeben, der die Seelen der Verstorbenen auf den Weg ins Jenseits schickte. „Nun können sie in Frieden ruhen und ihre Seelen müssen nicht auf ewig die Sklaven jener Weißen sein!“

Alle waren sichtlich erleichtert und an diesem Abend wurde nicht getanzt, sondern der Toten gedacht.

Wakinyan-gleschka besuchte Winuchtschala und hörte eher desinteressiert deren Tiraden über die dumme weiße Frau.

„Wieso bringst du diese Frau hierher? Sie weiß nicht einmal, welches Holz sie sammeln muss, damit es im Tipi nicht qualmt!“

„Dann zeige es ihr!“

„Sie wird dir nie eine wertvolle Hilfe sein! Sie ist so dumm wie ein Hund!“

Wakinyan-gleschka schaute Winuchtschala durchdringend an, eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. „Selbst ein Hund trägt deine Bündel. Eines Tages wird sie in meinem Zelt leben und sie wird lernen, mir zu gefallen!“

„Eine Weiße?“ Die Alte machte eine abfällige Handbewegung.

Wakinyan-gleschka unterdrückte eine scharfe Bemerkung und lächelte anzüglich. „Woher willst du wissen, was einem Mann gefällt?“

„Hasch!“, flüsterte die alte Frau entrüstet.

Er machte eine befehlende Geste zu seiner Gefangenen, die im Hintergrund des Zeltes saß. „Sie soll mir etwas zu essen geben!“

Schimpfend erhob sich die alte Frau und scheuchte die Weiße mit einem Stock auf. „Woyute k‘u we!“, befahl sie.

Mit ungeduldigen Gesten machte sie der Gefangenen deutlich, was sie tun sollte.

Wakinyan-gleschka runzelte die Stirn, als die weiße Frau ihm mit zitternden Händen eine Schüssel füllte und demütig reichte. Sie sah müde und erschöpft aus, wagte nicht den Blick zu heben oder ihn anzusehen. Ihre Haut war unnatürlich blass, fast weiß und sie wirkte kränklich. Eigentlich hatte er keinen großen Hunger und achtlos stellte er die Schüssel auf die Seite. „Was ist mit ihrer Wunde? Heilt sie gut?“

Die alte Frau zuckte ungeduldig die Schultern, ohne zu antworten. Wakinyan-gleschka ärgerte sich, denn es war deutlich, dass es der Gefangenen nicht gut ging. „Sie isst zu wenig“, stellte er fest.

„Warum sollte sie auch essen, wenn sie faul ist?“, nörgelte Winuchtschala gehässig.

„Weil ich es bin, der das Essen bringt. Gib ihr mehr! Ich will nicht, dass sie hungert!“

Winuchtschala erwiderte nichts. Es war deutlich, dass der Krieger langsam seine Geduld verlor. Sie presste die Lippen zusammen und beschloss mit ihren Bestrafungen abzuwarten, bis der Krieger wieder fort war. Wie sollte diese dumme Weiße sonst je lernen, was von ihr erwartet wurde? Sie war unwillig, trödelte gedankenverloren vor sich hin und konnte die einfachsten Handgriffe nicht, zeigte auch keinerlei Interesse sie zu lernen.

Der Mann richtete sich etwas auf und bedeutete der Weißen, das Kleid hochzuziehen. Sie errötete heftig, etwas, was der Indianer so noch nie gesehen hatte. Winuchtschala kicherte schadenfroh. Jetzt würde der Mann diesem fremden Weib zeigen, wo ihr Platz war!

Wakinyan-gleschka hatte nichts dergleichen vor. Mit einem freundlichen Lächeln wiederholte er die Geste und wartete ab, bis die Frau das Kleid ausgezogen hatte. Scheu saß sie vor ihm, ihre Brust hob und senkte sich unregelmäßig vor Angst. Vorsichtig tastete Wakinyan-gleschka nach dem Schnitt an ihrer Brust, aber er schien gut verheilt zu sein. Eine leichte Narbe hatte sich gebildet, eine rosa Spur, die nicht weiter zu stören schien. Aber er sah andere Male auf ihrer Haut. Blaue Flecken, manche blau und lila schimmernd, andere bereits gelb, im Stadium des Abklingens. „Du schlägst sie!“, stellte er fest.

„Nur, wenn sie nicht gehorcht!“, verteidigte sich die Alte.

„Wie soll sie gehorchen, wenn sie überhaupt nicht weiß, was sie tun soll?“ Sein Tonfall wurde zunehmend patzig.

Er machte eine ungeduldige Geste zu seiner Gefangenen und erlaubte ihr, dass sie sich wieder anzog. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung, dann schlüpfte sie erleichtert in ihr Kleid. Freundlich reichte er ihr die Schüssel mit dem Essen und sah zu, wie sie versuchte, nicht gierig alles hinunterzuschlingen. Tränen sammelten sich in ihren Augen, als sie hungrig kaute und einen gehetzten Blick auf die alte Frau warf.

„Wenn der Kriegszug vorbei ist, wird sie in meinem Zelt leben! Bereite sie darauf vor!“, befahl er unwirsch. Mit Schwung sprang er auf die Füße und verließ das Zelt. Die ganze Situation passte ihm nicht, aber im Moment konnte er sie nicht ändern.

Die Häuptlinge hatten einen weiteren Angriff auf Julesburg vorgeschlagen und so machte er sich mit seinen Freunden auf den Weg nach Süden. Sie lachten leise, doch er war zu sehr in Gedanken versunken, um ihrer Unterhaltung zu folgen. Warum stellte sich die weiße Frau so dumm an? Man konnte sich noch nicht einmal in Zeichensprache mit ihr unterhalten und es war offensichtlich, dass sie Angst hatte. Vielleicht war es keine so gute Idee gewesen, die alte Frau zu ihrer Wächterin zu bestimmen. Wahrscheinlich war es auch keine gute Idee gewesen, die Frau überhaupt mitzunehmen!

„Und, was macht die weiße Frau?“, forschte Wambli-tokahe neugierig.

„Nichts!“, wehrte Wakinyan-gleschka die Frage ab. „Hast du keine eigene Frau, über die du sprechen kannst?“

Wambli-tokahe verzog beleidigt die Lippen, dann grinste er unverschämt. „Lässt sie dich nicht an sich heran?“

„Hohch!“, zischte Wakinyan-gleschka ungehalten.

Die Indianer erreichten das umkämpfte Julesburg und beratschlagten ihre weitere Vorgehensweise. Das eigentliche Ziel waren dieses Mal die Soldaten im nahe gelegenen Fort. Immer wieder versuchten sie die Weißen herauszulocken, ritten waghalsige Attacken gegen die Palisaden, die auf keiner Seite wirklich Schaden anrichteten.

Dann überlegten sie sich eine andere Taktik. Die Indianer plünderten ein weiteres Mal das Warenhaus in Julesburg und steckten es anschließend in Brand. Mit ihrem schrillen „Yiep, Yiep, Yiep“ tanzten sie provozierend um das brennende Gebäude herum. Im Fort rührte sich nichts. Kein Schuss hallte herüber, weil die Siedlung ohnehin außerhalb der Schussweite lag. Herausfordernd tanzten die Indianer vor den Augen der Soldaten, machten unfeine Gesten und Scherze. Dann steckten sie ein weiteres Haus in Brand. Schließlich brannte die gesamte Siedlung, doch die Soldaten ließen sich nicht aus der Sicherheit der schützenden Palisaden herauslocken.

Enttäuscht suchten sich die Indianer ein anderes Ziel. Dieses Mal stießen sie auf eine weitere Wagenkolonne, die nach Denver unterwegs war. Die Indianer brachen so schnell aus dem Hinterhalt hervor, dass die Wagenlenker keine Zeit mehr hatten, mit ihren Planwagen eine Wagenburg zu bauen. Trunken vor Kampfeslust fielen die Krieger in Scharen über die unerwünschten Eindringlinge her. Gleich mehrere stürzten auf die Fuhrleute und töteten sie in einem kurzen Kampf. Hier gab

es kein Erbarmen!

Triumphierend lenkten die Krieger die erbeuteten Wagen in ihr Dorf und begannen die Reichtümer zu verteilen. Auf den Wagen war hauptsächlich Whiskey geladen und bald torkelten die Männer, aber auch Frauen, sinnlos betrunken durch das Lager.

Besorgte Mütter nahmen ihre Kinder und flüchteten aus dem Lager, denn schnell brach unter den aufgeheizten Männern Streit aus. Manche Männer versuchten zwar für Ordnung zu sorgen, aber solange der Alkohol floss, war das nicht mehr möglich. Einige machte der Whiskey aggressiv, andere lachten sinnlos vor sich hin, wussten nicht, was sie eigentlich so erheiterte.

Wakinyan-gleschka hielt sich zurück, aber er sah mit Besorgnis, wie seine Freunde sich mit dem Geheimniswasser volllaufen ließen. Lallend wankte Wambli-tokahe durch das Dorf, sodass seine Frau aus dem Tipi flüchtete und sich bei Verwandten versteckte.

Hiyu-iyanka lag besinnungslos im Schnee und Wakinyan-gleschka zog ihn in die Wärme seines Tipis. Plötzlich empfand er die gewonnene Wagenladung nicht als Sieg, sondern als reine Niederlage. Kaum einer der Männer wäre im Ernstfall noch in der Lage sich zu verteidigen. Kopfschüttelnd verschwand Wakinyan-gleschka in seinem Zelt und hoffte, dass dieses Gelage bald ein Ende hatte. Jeder wusste doch, welch schlimmen Einfluss der Alkohol auf die Männer hatte, und er verstand nicht, warum sie dieses Zeug immer noch tranken. In dieser Nacht kam er nicht zur Ruhe, denn immer wieder drang das schrille Kreischen einer Frau oder das Lallen der Männer zu ihm herein.

Kurz entschlossen verließ er sein Tipi und schlüpfte in das Zelt von Winuchtschala. Die beiden Frauen hockten ängstlich im Hintergrund und Winuchtschala hob drohend einen Knüppel gegen ihn. Wakinyan-gleschka lachte dunkel: „Mir geht es gut. Ich habe nichts getrunken! Legt euch schlafen!“

Erleichtert ließ Winuchtschala den Knüppel sinken und fast entschuldigend redete sie auf den Krieger ein: „Wir hatten solche Angst! Mehrere Männer wollten sich die weiße Frau holen! Sie waren betrunken …“ Atemlos brach ihre Stimme ab.

Wakinyan-gleschka biss verärgert die Zähne zusammen. „Sie gehört mir! Niemand hat das Recht sie anzurühren. Ich bin nun hier und niemand wird mehr kommen. Schlaft jetzt!“

Mit schlechtem Gewissen blickte er auf seine Gefangene, die mit tränenüberströmtem Gesicht hinter Winuchtschala kauerte. Es wäre seine Aufgabe gewesen, sie zu beschützen! Vorsichtig näherte er sich ihr und strich sanft über ihre nasse Wange. „Waschté!“, murmelte er beruhigend.

„Weiße Frauen weinen zu viel“, bemerkte Winuchtschala verächtlich.

Seine Lippen wurden schmal. Diese Demütigungen mussten aufhören oder diese Frau würde nie seine Gefährtin werden!

„Sie hat viel durchgemacht! Sie hat mit angesehen, wie ihr Mann starb, und sie hat ihr Baby verloren“, erklärte er ernst.

„Hunhunhe!“, murmelte Winuchtschala bestürzt. „Das wusste ich nicht!“

„Was hast du gedacht? Dass sie ganz allein in so einem Haus gewohnt hat?“

Verunsichert senkte die alte Frau den Blick. „Aber ihr Baby? Welchen Grund hättest du, ihr Kind …?“

„Ich habe es nicht getötet …“, fiel er ihr unhöflich ins Wort, „aber jetzt weißt du, warum sie weint!“

Er griff nach einer Decke und deckte die Frau damit fürsorglich zu. Dann legte er sich neben sie und berührte unbeholfen ihre Schultern. „Ischtinma-yo!“, befahl er sanft. „Schlaf!“

Er spürte an ihren zuckenden Schultern, dass sie immer noch weinte und fühlte sich schlecht. „Du wirst dein altes Leben bald vergessen“, flüsterte er leise.

Am nächsten Tag beschlossen die Häuptlinge, das Lager zu verlegen. Soldaten waren am Platte-Fluss gesichtet worden und sofort brach ein großer Trupp Krieger auf, um sie am Überschreiten des Flusses zu hindern. Die Frauen zogen in anstrengenden Fußmärschen nach Norden, weit außer Reichweite der vermeintlichen Gefahr.

Wakinyan-gleschka lag unterdessen mit den anderen Kriegern am sandigen Flussufer und hielt mit seinem Gewehr die Soldaten in Schach. Der Fluss war hier breit, aber nicht tief und über das gefrorene Eis konnten sogar Pferde laufen. Es war eine größere Abteilung und die Indianer hatten alle Hände voll zu tun, die Soldaten am Überqueren zu hindern. Schließlich bogen die Soldaten nach Süden ab und suchten eine andere Stelle, um den Platte-Fluss zu überqueren. Kaum einer folgte ihnen, denn ein Stellungskrieg war den Indianern zu langweilig. Ihnen fehlte die Disziplin sich am Platte-Fluss einzugraben und die Soldaten am Vorrücken zu hindern. Es lockte die Aussicht, woanders Beute zu machen und so rückte einer nach dem anderen ab.

Der Zug der Frauen und Kinder hatte inzwischen Mud Springs erreicht, in dessen unmittelbarer Nähe sich eine große Ranch befand. Unverzüglich brachen die Indianer auf, auch diese Weißen zu töten. In dem Ranchgebäude war allerdings eine Telegrafenstation und dem Rancher gelang es, einen Hilferuf nach Fort Laramie abzusetzen. Dann wurde die Verbindung unterbrochen, als die Indianer die Leitung kappten und das Holz der Masten als Feuerholz verwendeten. Um sein Leben zu retten, trieb der Rancher seine riesige Herde aus Vieh und Pferden davon. Tatsächlich folgten die Indianer dem entlaufenen Vieh, sammelten lieber die wertvollen Pferde ein, anstatt das Gebäude zu belagern. In der Zwischenzeit traf Verstärkung aus Fort Laramie ein und unverrichteter Dinge zogen die Indianer ab. Sie hatten inzwischen gelernt, dass es keinen Sinn machte, gegen Steinmauern anzurennen. So blieb diese Ranch als eine der wenigen stehen, während andere Familien nicht so viel Glück hatten. Durch das Plattetal zog ein Feuersturm der Verwüstung, um die getöteten Frauen und Kinder der Cheyenne zu rächen.

Gefangenschaft

(Nebraska, Januar/Februar 1865)

Theresa Bruckner hatte jede Orientierung und jede Vorstellung von Zeit verloren. Ihre Tage bestanden aus Mühsal und Plackerei und die Nächte aus traumlosem Schlaf. Sie konnte nicht sagen, ob sie seit Tagen oder Wochen in der Gewalt der Indianer war. Ihr erschien es wie eine Ewigkeit. Inzwischen sehnte sie sogar diesen widerlichen Mann herbei, der sie aus den Klauen der alten Hexe befreien sollte. Sie fühlte sich völlig verloren in dieser fremden Welt, verstand die Anweisungen nicht und wollte sie auch überhaupt nicht verstehen. Tatenlos stand sie da, wartete ab, bis die alte Frau ihr einen Befehl gab, den sie dann widerwillig ausführte. Oft verlor sie sich in Tagträumen, lief apathisch neben dem Pony her, das die Habe der Frau hinter sich herzog. Näherten sich ihr andere Frauen, dann blickte sie bockig zu Boden, denn sie wollte mit diesen Wilden keinen Kontakt.

Bisher verstand sie nur einige Brocken der Sprache, unternahm auch keine großen Anstrengungen, sie zu lernen. Alles war so fremd, so anders, so ohne jede Logik für sie. Täglich musste sie Holz sammeln und wurde doch geschlagen, wenn sie sich nach den Ästen bückte. Kreischend deutete die Alte auf andere Äste, die sie aufheben musste und schlug immer wieder mit einem Stock auf sie ein. Am liebsten wäre sie diesem alten Drachen an die Gurgel gegangen, aber sie fürchtete den Zorn der anderen Wilden. Ihre Arme waren blau von den Schlägen und sie versuchte irgendeinen Sinn in den Anweisungen der Alten zu sehen. Holz war doch Holz!

Versuchsweise griff sie nach einem weiteren Knüppel, doch aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, dass das Weib schon wieder zuschlagen wollte.

Demütig hob sie die Hand und versuchte es mit ihren ersten Sprachkenntnissen: „Inska! Slolwaye schni!“ – Bitte, ich weiß es nicht!

Ein zahnloses Lächeln erschien in dem Gesicht des Ungeheuers und ausgesprochen freundlich deutete sie auf andere Äste. Aber warum? „Takuwe?“, versuchte Theresa ihr Glück in der neuen Sprache.

Zum ersten Mal ließ die Alte den Stock fallen und nahm ihre Hände, um ihr etwas zu zeigen. Sie nahm den Ast, den Theresa aufheben wollte und ließ ihn zerbröckeln. „Schota!“, erklärte sie und machte mit ihren Händen eine spiralförmige Bewegung nach oben. Wie Rauch, der aufsteigt. Dann zeigte sie auf andere Äste, die stark und fest waren. „Schota schni!“

Theresa nickte vorsichtig. Die Indianer sammelten festes Holz, damit das Feuer nicht qualmte! Sie kam sich so dumm vor! Aufmerksam beobachtete sie den Boden und ließ sich von der Frau zeigen, welche Äste sie aufsammeln sollte. Wieder nahm sie ein schweres Bündel auf ihren Rücken, aber sie wusste inzwischen, dass dieses Holz den ganzen Tag reichen würde, damit es in dem Zelt warm blieb. Letztendlich hatte sie auch in ihrem Haus einmal am Tag Holz hacken müssen. Hier sammelte sie es nur oder schlug mit einem Beil die Äste klein. Dazu gab man ihr sogar ein Beil in die Hand, aber sie sah, dass immer ein aufmerksamer Mann in der Nähe stand, bis sie das Beil wieder zurückgegeben hatte.

Mit gebeugtem Rücken stapfte sie ins Dorf zurück, die grummelnde Alte hinter sich, und besorgt blickte sie auf ihre Schuhe. Die Schnürsenkel waren gerissen und so schlurfte sie leicht, damit die Schuhe nicht von ihren Füßen rutschen. Ihre Strümpfe waren völlig zerschlissen und ihre Füße hatten bereits Frostbeulen, die entsetzlich schmerzten. Nur das Wollkleid war verhältnismäßig warm, obwohl sie bisher keine Gelegenheit gehabt hatte, es zu waschen. Täglich durfte sie sich am Fluss baden, aber dann schlüpfte sie wieder in das inzwischen ranzig stinkende Kleid.

Die anderen Frauen lachten offen über sie, wenn sie durch das Lager schlurfte, manchmal schlugen sie auf sie ein, wenn sie sich ohne Begleitung aus dem Zelt wagte. Die Cheyennefrauen unter ihnen hatten allen Grund, ihre Wut an der Weißen auszulassen. Ihre Bewegungsfreiheit war stark eingeschränkt. Sie konnte nicht einmal zwischen die Büsche gehen, wenn die Alte sie nicht begleitete, geschweige denn zu den Pferden. Wohl oder übel blieb sie stets in der Nähe der alten Frau, auch, weil sie sich vor den ungenierten Blicken der Männer fürchtete. Sie hatte Angst! Eine tiefsitzende, vollkommene, nackte Angst, was diese Menschen noch mit ihr anstellen würden. Wo war dieser Krieger, der sie gefangen genommen hatte? Manchmal sah sie ihn von fern, aber er schien keine Notiz von ihr zu nehmen.

Offensichtlich nahm er an weiteren Kriegszügen teil, wie sie unschwer an den Skalpen erkennen konnte, die die Männer regelmäßig zurückbrachten. Mörder! Feige Mörder!

Wie sie ihre Sprache, ihre Tänze, ihr wildes Gekreische, die dumpfe Trommel hasste! Nicht einmal die Kinder waren menschlich. Mit ausdruckslosen Augen standen diese Monster hinter ihren Müttern und starrten sie an. Affen lachten ja auch nicht, dachte sie hochmütig.

Am schlimmsten waren jedoch die endlosen Fußmärsche und der Hunger. Die Alte machte sich keine Gedanken darüber, dass die weiße Gefangene nicht an den Festessen teilnahm, die für die siegreichen Krieger veranstaltet wurden. Während alle anderen sich die Bäuche vollstopften, hockte Theresa in dem Tipi und spürte einen mahnenden Schmerz in ihrem Bauch. Manchmal wurde ihr schwindelig vor Hunger und blitzende Sterne tanzten vor ihren Augen. Sie fühlte sich so schwach, dass sie morgens fast nicht aufstehen konnte. Den ganzen Tag ohne zu essen durch den Schnee zu stapfen, raubte ihr alle Kraft und oft genug stolperte sie über den unebenen Boden und stürzte.

Wenn endlich das Lager aufgebaut wurde, war sie so erschöpft, dass sie kaum noch die schwere Plane über das Stangengerüst des Tipis ziehen konnte. Wie tot fiel sie am Abend auf die Felle und rührte sich nicht mehr. Manchmal machten sie auch einige Tage Rast, dann erholte sie sich wieder etwas. Sie hatte schließlich entdeckt, wo die Vorräte lagerten und naschte heimlich, wenn der Hunger zu schlimm wurde, ohne zu wissen, dass niemand ihr verboten hätte sich das Essen zu nehmen.

Sie hatte sich inzwischen an das Essen der Indianer gewöhnt, stopfte gierig alles in den Mund, was sie erwischte. Anfangs hatte sie sich vor vielen Dingen geradezu geekelt, konnte nicht glauben, dass Indianer sogar Hundefleisch aßen, aber der Hunger hatte ihr eine Lektion erteilt. Sie wollte nicht verhungern! Ihr ohnehin schlanker Körper war inzwischen abgemagert und ihre Hüftknochen stachen deutlich hervor. Anscheinend störte das sogar den Krieger. Sie hätte sich ihm für diese eine Schüssel Essen, die er ihr bei seinem kurzen Besuch gegeben hatte, sogar hingegeben, hatte natürlich angenommen, dass er das auch wollte. Eigentlich hatte es sie überrascht, dass er nichts dergleichen tat, sondern nur nach ihrer Wunde getastet hatte. Sein Gesicht wirkte längst nicht mehr so abstoßend wie anfangs. Der Schorf auf seinen Narben war abgefallen und ohne Kriegsbemalung wirkte er jetzt eher wie ein Mensch. Sie wäre jederzeit mit ihm gegangen, nur um diese Hexe loszuwerden, aber der Mann verließ das Zelt, ohne sich noch einmal umzudrehen. Nach seinem Besuch gab ihr die Alte mehr zu essen, offensichtlich hatte der Mann ein Machtwort gesprochen, auch die Schläge wurden weniger. Vielleicht machte sie aber auch nicht mehr so viel falsch. Die vielen Schläge hatten sie mürbe gemacht und sie versuchte, sich wenigstens ein klein wenig als nützlich zu erweisen.

Wieder verlegte der Stamm das Lager und sie kamen in eine unwirtliche Gegend. Hier gab es nicht einmal Holz und fassungslos blickte sie auf die Büffelfladen, die sie sammeln sollte.

„Takuwe?“, fragte sie.

Dieses Mal hob die Alte wieder ihren Stock und Theresa beeilte sich lieber der Aufforderung nachzukommen. Sie hob einen Zipfel ihres Kleides und sammelte die unappetitlichen Fladen darin ein. Mit einem Seufzen nahm sie hin, dass ihr Kleid damit endgültig ruiniert wurde. Ihre Schuhe lösten sich ebenso auf und sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal warme Füße gehabt hatte. Die Frostbeulen waren aufgeplatzt und humpelnd versuchte Theresa ihre wunden Stellen zu schonen. Nicht mehr lange und sie würde überhaupt nicht mehr laufen können.

Sie schüttelte den Inhalt ihres Kleides neben die Feuerstelle und sah erstaunt zu, wie die alte Frau damit ein Feuer entzündete. Es qualmte, aber der Rauch wurde zum Glück nach oben abgezogen. Es stank erbärmlich und Theresa unterdrückte einen Hustenreiz. Vorsichtig schälte sie die zerschlissenen Schuhe von ihren Füßen und untersuchte die blutigen Wunden. „Oh Gott!“, entfuhr es ihr.

Besorgt beugte sich Winuchtschala über ihre Füße und schüttelte mitfühlend ihren Kopf. Leise murmelnd suchte sie in ihren Taschen nach einer Salbe und reichte sie ihr. Dann beugte sie sich wie selbstverständlich über ihre Füße und strich sie mit der Paste ein. Mit einem zahnlosen Lächeln richtete sie sich wieder auf. „Hihanni kin hena waschtinkte!“ – Morgen sind sie wieder gut!

Theresa konnte es kaum glauben. Die alte Frau hatte sie angelächelt! Wie ein richtiger Mensch! Tränen stiegen ihr vor Rührung in die Augen. Die Indianer konnten lachen!

„Waschté“, murmelte sie. Dann zeigte sie auf ihre Schuhe. „Hihanni akè waschté he?“ – Sind die morgen auch wieder gut? Sie hatte inzwischen gelernt, dass man eine Frage mit einem „he“ am Ende des Satzes stellte. Winuchtschala lachte so, dass ihr die Tränen kamen und ihr Kinn vor Vergnügen zitterte. Theresa kicherte mit, obwohl ihr dabei die Tränen herunterliefen. Das Lachen tat so gut!

Wieder kramte die Alte in ihren Bündeln und zog ein dunkles Fell hervor. Sie legte es auf den Boden und bedeutete immer noch kichernd, dass Theresa ihren Fuß darauf stellen sollte. Dann nahm sie ein wenig Kohle und fuhr die Umrisse ihres Fußes nach. Das Gleiche machte sie mit ihrem anderen Fuß. Sie nähte geschickt die Sohle an und drehte dabei das Leder mit der Fellseite nach innen. Schnell entstand so ein einfacher Mokassin, der am Knöchel mit einem Band geschnürt wurde, damit er nicht rutschte. Staunend saß Theresa daneben, dann wedelte sie stolz mit ihrem Fuß und bewunderte das einfache Schuhwerk. Es war warm! Auffordernd drückte ihr Winuchtschala das zweite Fell in die Hände und mit Feuereifer machte sich Theresa daran, nach Vorlage des ersten Schuhs den zweiten Mokassin zu nähen. Sie war geschickt, hatte in Deutschland genügend Sachen geflickt, um jetzt ihr Können umzusetzen. Es gab also auch Dinge, die sie hier anwenden konnte. Was ihr fehlte, war Anleitung! Sie verbrachte den ganzen Nachmittag damit, den Mokassin zu nähen, dann betrachtete sie stolz ihr Werk. Ihr erster Schuh, den sie sich selbst genäht hatte. Nur ungern gab sie die Nadel zurück, denn ihr fielen noch so viele Dinge ein, die sie sich nähen wollte. Vor allen Dingen fand sie die seltsamen Beinkleider der Frauen ganz praktisch.

Ihre Waden waren von dem scharfkantigen Gras und den spitzen Stacheln der Kakteen bereits völlig zerkratzt. Sie zog ihr Kleid ein wenig in die Höhe und begutachtete den Schaden.

Winuchtschala strich mit ihren dürren Fingern über die entzündeten Stellen und legte ihre Stirn in Falten. Dann holte sie ein weiteres Kleid aus ihren Bündeln und legte ein paar Frauenleggins dazu. Mit einer auffordernden Geste machte sie deutlich, dass Theresa diese Sachen nehmen durfte. Theresa sackte ein wenig in sich zusammen. Immer hatte sie gedacht, dass diese Wilden keine Gefühle hatten und jetzt wurde sie von der Großzügigkeit geradezu beschämt. Sie überspielte ihre Verlegenheit mit einem Scherz. Theatralisch hob sie ihren Arm und schnüffelte mit hochgezogener Nase an der verschwitzten Unterseite ihres Kleides. „Uh!“, schimpfte sie und wieder kicherte die Alte los.

„Geh dich waschen!“, befahl die Alte, und dieses Mal hatte Theresa sie gut verstanden. Theresa griff nach den neuen Sachen und verschwand durch den Eingang. Es war nur ein kleiner Bach, an dem sie gerade lagerten, aber für sie war es inzwischen genug. Sie hatte ihre Ansprüche gewaltig herunter geschraubt, obwohl sie sich manchmal nach einem Stück richtiger Seife sehnte. Sie suchte nach der seltsamen Pflanze und rieb die Knolle zwischen ihren Fingern, bis ein wenig Schaum entstand. Dann stellte sie sich in das eisige Wasser und rieb sich gründlich ab.

Das neue Kleid war sauber, aus einer dieser Decken genäht, und sie genoss es sichtlich, hineinzuschlüpfen. Dann band sie die Leggins um ihre Knie und schlüpfte in die warmen Mokassins. Mit ihrem dunklen Haar, das sie wegen der Hygiene in Zöpfe geflochten hatte, sah sie inzwischen wie eine Indianerin aus. Sie beugte sich über das Wasser und betrachtete sinnend ihr Spiegelbild. Kein Soldat würde sie auf die Entfernung als weiße Frau erkennen, dachte sie nüchtern. War sie schon zu einer Wilden geworden? Sie zog das schwarze Tuch hervor und band es sich um den Kopf, aber das half wenig, ihr Erscheinungsbild zu ändern. Wie ein Hutzelweib! Mit einem Seufzen nahm sie es wieder ab und kniete sich in den gefrorenen Schnee. Mit gefalteten Händen flüsterte sie inbrünstig ein Gebet, suchte Hoffnung in ihrem Glauben. „Bitte, Vater, lass mich hier nicht allein!“

Die Kälte wurde unangenehm und erinnerte sie wieder an ihre Pflichten. Sie nahm das stinkende Kleid und tauchte es in das kalte Wasser. Mit Sand und Seife wusch sie es sauber, obwohl ihre Finger von der Kälte steif wurden. Aber sie konnte sich Verschwendung nicht leisten. Niemand konnte abschätzen, wann Winuchtschala wieder so großzügig sein würde. Mit ihren klammen Fingern war es schwierig, das mit Wasser vollgesogene Kleid auszuwringen. Dann überlegte sie, wo sie es zum Trocknen hinhängen könnte. Vielleicht in die Nähe des Zeltes, damit es niemand stahl? Kaum jemand hielt sich vor den Zelten auf und sie wunderte sich über die Ruhe des Dorfes. Nach all dem Geschrei und den Tänzen war es angenehm, nicht mehr so bedrohlich. Sie legte das Kleid über einen der allgegenwärtigen Salbeibüsche und huschte in die Wärme des Tipis.

Winuchtschala nickte zufrieden und deutete herrisch auf einige Stücke Fleisch, die sie weich klopfen sollte. Fügsam beugte sich Theresa über die Arbeit, bemüht, die Alte nicht wieder zu verärgern. Immer wieder deutete sie dabei auf verschiedene Dinge und ließ sich die indianischen Worte sagen. Die Alte zeigte dabei viel Geduld und wurde seltsamerweise nicht wütend, wenn sie die Worte wieder vergaß. Theresa dachte an ihre Schulzeit zurück, wo es an der Tagesordnung war, dass ein Kind geschlagen wurde, wenn es etwas nicht konnte. Hier war die Alte sichtlich zufrieden, wenn sie sich bemühte, die fremde Sprache zu lernen. Die Schläge wurden weniger, nichtsdestotrotz lag der Stock in greifbarer Nähe, als Mahnung, ihre Pflichten nicht zu vernachlässigen. Manchmal setzte die Alte ihn auch ein, gänzlich unerwartet und wenn Theresa es nicht vorhersehen konnte.

So lernte sie, dass gewisse Bereiche des Tipis offensichtlich Gästen oder zumindest dem Mann vorbehalten waren, und dass sie nicht im Schneidersitz sitzen durfte. Sie verstand nur nicht, wa-rum das so war.

Andererseits schien das alte Biest nichts dagegen zu haben, wenn sie an einer dieser seltsamen Rückenlehnen saß und gemütlich die Beine von sich streckte. Anscheinend sollte sie die Beine geschlossen halten, sittsam, und sie wunderte sich darüber, dass die Indianer Wert auf Anstand legten.

Wieder verlegten die Indianer das Dorf und Theresa entwickelte eine gewisse Routine bei ihren Arbeiten. Sie wusste inzwischen, wie man das Tipi abbaute und die schweren Felle zusammenlegte oder die langen Stangen an den Pferden befestigen musste, damit sie zum nächsten Lagerplatz transportiert werden konnten. Oftmals brach eine Stange durch die Schwingung, wenn sie über den unebenen Boden gezogen wurde und konnte in der baumlosen Gegend nicht ersetzt werden. Winuchtschala keifte dann wütend auf sie ein, obwohl Theresa doch überhaupt nichts dafür konnte, wenn die Stangen brachen!

Also gewöhnte sich Theresa an, das Pferd vorsichtig zu führen, behandelte die Stangen als wahre Kostbarkeiten. Mitleidig streichelte Theresa die struppigen, abgemagerten Ponys, die im Winter kaum etwas zu fressen fanden und trotzdem die schweren Lasten tragen mussten. Die Indianer kamen nur langsam voran, sahen den Wert der Sachen, die sie raubten nicht, selbst wenn sie davor standen. Anstatt ihre Ponys mit dem Heu der überfallenen Farmen zu füttern, verbrannten sie es lieber, und die Planwagen wurden liegengelassen, weil sie nicht wussten, wie man die Pferde anschirrte. Theresa konnte darüber nur den Kopf schütteln, tat aber auch nichts, um ihnen zu helfen. Wozu auch? Damit die Indianer schneller vorankamen? Vielleicht kamen ja endlich Soldaten und befreiten sie aus ihrer misslichen Lage?

Sie wunderte sich über das scharfe Tempo, das die Indianer anschlugen. Unbarmherzig trieben die Männer ihre Frauen zur Eile an, ließen sie immer nur kurz rasten, obwohl die Ponys vor Erschöpfung schwankten.

Die Indianer waren auf der Flucht, schoss es ihr durch den Kopf. Waren die Soldaten schon so nahe?

Apathisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, quälte sich über das windgepeitschte Land und hoffte auf ein Ende dieser furchtbaren Reise. Sie hatte sich einfache Handschuhe genäht, die ihre schwieligen Hände wärmten, wenn sie das widerspenstige Pony hinter sich herzog.

Müde ließ sie den Kopf hängen, achtete kaum noch auf die Umgebung, die ohnehin einen unwirtlichen, feindseligen und monotonen Anblick bot.

Dann blickte sie fassungslos in die tiefe Schlucht, die sich plötzlich vor ihnen auftat, als hätte Gott mit einer riesigen Axt den Boden gespalten. Eine Schlucht, mit Bäumen und Sträuchern bewachsen, in dessen Mitte sich ein Fluss hindurchschlängelte. Sollte sie hier etwa hinunterklettern? Mit den müden Ponys und den seltsamen Schleppgerüsten, auf denen die Habe dieser Menschen verstaut war? Wahrscheinlich würde sie alles verlieren und die Alte würde sie wieder schlagen! Fast erleichtert vernahm sie das Signal zum Rasten und seufzte laut. Also blühte ihr die Tortur erst am Morgen!

Trotzdem wartete noch viel Arbeit auf sie und müde beugte sie sich über die Stangen, um das Tipi aufzustellen. Inzwischen kannte sie die Handgriffe und mit Hilfe von Winuchtschala brauchte sie keine Stunde, bis im Inneren des Zeltes ein warmes Feuer brannte.

Bei diesen kurzen Pausen bauten sie nur ein Zelt auf und manchmal kam der Mann zu ihnen, legte sich auf seine Felle, ohne Notiz von ihr zu nehmen. Sicherlich ruhte er sich für den nächsten Tag aus, sammelte Kraft, um sein mörderisches Handwerk fortzusetzen. Die Alte bediente ihn mit Essen, manchmal verlangte der Indianer auch, dass sie ihm das Essen reichte und schaute ihr dann hochmütig zu. Sie hasste diese Momente, empfand es als weitere Demütigung. Außerdem gab es keine festen Regeln, an die sie sich halten konnte.

Der Mann kam und ging, wie es ihm beliebte, ohne erkennbares Muster. Auch jetzt erschien er unerwartet, kaum, dass das Zelt aufgebaut war, und setzte sich müde an das Feuer. Sie schöpfte ihm etwas von der Suppe in eine Schale, ehe er überhaupt eine seiner hochmütigen Bewegungen mit seinen Lippen machen konnte, und reichte sie ihm. Auch sie hatte ihren Stolz!

Sie hatte angenommen, dass auch sie sich etwas Essen nehmen durfte, doch wurde sie eines Besseren belehrt. Wieder drosch die Alte mit einem Stock auf sie ein und sie wurde in den letzten Winkel des Zeltes vertrieben.

Ihr Magen schmerzte vor Hunger, weil sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Verzweifelt kugelte sie sich unter den Decken zusammen und schloss die Augen, um nicht zu sehen, wie das Essen in dem Mund des Mannes verschwand. Sie war längst eingeschlafen, als Winuchtschala ihr bedeutete, dass auch sie sich nun etwas nehmen durfte und die alte Frau schließlich achtlos mit den Schultern zuckte.

Am nächsten Morgen fühlte sich Theresa hundeelend. Ihr war schlecht vor Hunger und sie hatte kaum die Kraft sich zu erheben. Das Tipi war verlassen und so kauerte sie sich an das erloschene Feuer, um einen Blick in den Kessel zu werfen. Gierig schaufelte sie sich das kalte Essen in den Mund, behielt dabei ängstlich den Eingang im Blick, falls der Mann oder die alte Hexe zurückkehrten. Viel zu schnell füllte sich ihr Magen und Übelkeit stieg in ihr hoch. Ein plötzlicher Krampf zog ihre Gedärme zusammen und stöhnend sank sie auf die Seite. Sie hatte zu schnell gegessen und ihr Magen rebellierte gegen die ungewohnte Menge. In einem Schwall erbrach sie sich und entsetzt sah sie auf den unappetitlichen Haufen, der sich auf einem Büffelfell ergossen hatte. Wieder krampfte sich ihr Magen zusammen und sie flüchtete aus dem Zelt. Hilflos kniete sie im Schnee, schweißüberströmt und schwindelig vor Schwäche.

Winuchtschala schimpfte mit ihrer nörgelnden Stimme auf sie ein, als sie die Bescherung sah. Dann stach sie ihr seitlich mit einem Stab in die Rippen und zwang sie zeternd, das verunreinigte Fell zu säubern. Andere Frauen hatten sich kopfschüttelnd um sie versammelt, sichtlich konsterniert über ihr peinliches Verhalten. Plötzlich wünschte sie sich den Mann herbei, einen Menschen, der ihr gegen diese Mauer aus abweisenden schwarzen Augen beistehen würde. Doch der Krieger war verschwunden, hatte wortlos seine Waffen geholt und sich auf sein Pony gesetzt.

Die Frauen brauchten den ganzen Tag, um den Fluss zu überqueren. Endlos quälte sich die Schlange aus Ponys und Lasten einen engen, steilen Pfad hinunter, daneben stapften die Frauen und Kinder. Es waren kaum Krieger zu sehen und Theresa hasste dieses Volk, das alle Last auf die Frauen abzuschieben schien. Ihre Knie zitterten vor Schwäche und sie klammerte sich an der Mähne des Ponys fest, um nicht zu stürzen. Sie wühlte in den Satteltaschen nach etwas zu Essen und zog ein Stück Dörrfleisch heraus. Hungrig lutschte Theresa an dem Fleisch und bemerkte zu ihrer Erleichterung, dass die Übelkeit langsam verging. Den Fluss zu überqueren ging leichter, als sie angenommen hatte, weil er gefroren war. Aber das anschließende Hochklettern der Canyonhänge war eine Plackerei. Die störrischen Ponys setzten kaum einen Huf vor den anderen und konnten nur durch Gewalt überzeugt werden, die Hänge zu erklimmen. Wütend zog Theresa an den Zügeln, schimpfte auf das Tier ein, obwohl sie selbst kaum die Kraft hatte, einen weiteren Schritt zu machen. Das war kein Leben für sie! Die ständige Wanderschaft strengte sie zu sehr an und sie verachtete die Indianer für ihre primitive Lebensweise. Warum bauten sie keine Häuser und legten Felder an? Und warum mussten die Frauen die anstrengende Arbeit alleine machen?

Völlig erschöpft sank sie am Abend auf ihre Felle und sah ausdruckslos zu, wie sich dieser Mann bedienen ließ. Wie ein eingebildeter Pfau saß er am Feuer, rauchte seine Pfeife, fraß das Essen, das er sich doch eigentlich überhaupt nicht verdient hatte!

Wenigstens hatten sie nicht auch noch sein Zelt aufbauen müssen! Warum lebte er nicht mit seiner Mutter zusammen?

Oder war die alte Frau nicht seine Mutter? Aber warum sollte er sich sonst um sie kümmern? Vielleicht war sie eine Tante? Kannten Indianer solch familiäre Strukturen? Bisher konnte sie nicht einmal beurteilen, ob die Männer eine Vorstellung von Vaterschaft hatten! Ständig gingen sie auf Kriegszüge und wenn sie heimkehrten, dann wurden sie von einem ganzen Schwarm Frauen und Kinder begrüßt. Vielleicht lebten diese Menschen in Sippen und teilten sich die Frauen wie die Affen!

Schließlich machte der Mann eine großzügige Geste und erlaubte auch den Frauen, dass sie sich bedienten. Theresa blieb vor Empörung die Spucke weg. Den ganzen Tag hatte sie geschuftet und nun wurde von ihr erwartet, dass sie ihr Essen erst nach dem Mann verzehrte! Wie eine Sklavin? Wie eine Wilde! Wie in einem Rudel, in dem das männliche Leittier zuerst von der Beute fraß! Wann hatte dieser Alptraum endlich ein Ende?

Die nächsten Tage zogen sie stetig weiter und die Gegend änderte sich langsam. Wellige, vereiste Sanddünen wurden abgelöst von lichten Kiefernwäldern und eindrucksvollen, rot schimmernden Tafelbergen. In der Ferne leuchtete die dunkelgraue Silhouette eines schneebedeckten Gebirges, auf das sich die Indianer langsam zubewegten. In Theresa krampfte sich das Herz zusammen. Zu sehr erinnerte sie der Höhenzug an den vertrauten Anblick der Alpen in Bayern. Sogar die Hügel, Bäche und Wälder erinnerten sie an ihr Zuhause, das in so unerreichbarer Ferne lag. Blind vor Tränen stolperte sie neben dem Pferd her, unfähig, den Blick von den Berggipfeln zu nehmen. Erinnerungen stiegen in ihr hoch, Bilder von ihrer Familie, der Geruch des Sonntagsbratens im Ofen, der Duft nach Zucker und Zimt, das helle Lachen ihres Sohnes, die beeindruckende Gestalt von Jonathan …

Ihre Kehle schnürte sich vor Trauer zusammen. Ihr Jonathan, erschlagen und blutüberströmt im Schnee. Nie würde sie dieses Bild vergessen können! Von Schmerz überwältigt sank sie auf die Knie und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie schmeckte Salz auf ihrer Zunge und wunderte sich, warum sie eine solche Nichtigkeit überhaupt wahrnahm.

Hinter ihr wurden ungeduldige Stimmen laut, doch sie hatte nicht die Kraft sich aufzuraffen. Kannten diese Heiden denn kein Mitleid?

Winuchtschala keifte auf sie ein und am liebsten wäre sie dem alten Drachen an die Gurgel gefahren. Dann hörte sie die Schritte eines Ponys hinter sich und eine harsche Stimme fuhr sie an: „Inachni yo!“ Beeil dich! Ohne Vorwarnung traf sie eine Peitsche am Kopf und sie zuckte erschrocken zusammen. Wieder schlug der fremde Krieger zu, hart und unerbittlich. Seine Schläge trafen sie wohlgezielt am Kopf und an den Schultern, sodass sie vor Schmerz durch die Zähne zischte. Hier war keine Zeit zum Trauern! Wenn sie überleben wollte, dann musste sie sich anpassen oder diese Wilden würden sie irgendwann zu Tode prügeln. Flehend hob sie ihre Hände und kämpfte sich auf die Beine. „Hu ksuyemitsch‘iye“, flüsterte sie stöhnend. Mein Bein tut weh!

Dann humpelte sie einige Meter weiter und tat so, als hätte sie sich den Fuß verstaucht. Der Mann knurrte etwas Unverständliches, trieb sein Pony mit den Fersen an und verschwand.

Energisch wischte sich Theresa die Tränen aus den Augen. „Ich werde überleben, Jonathan!“, schwor sie sich. „Ich werde überleben, auch wenn du mich in dieses gottverdammte Land gebracht hast!“

Am Abend bauten die Indianer ihr Dorf auf und über Winuchtschala erfuhr sie, dass die Ältesten entschieden hatten, drei Tage Rast einzulegen. Die Gefahr der Soldaten schien also gebannt und Theresa biss enttäuscht die Zähne zusammen, andererseits war sie froh um die Rast. Sie wurde in das Zelt ihres Häschers gerufen und schleppte einen Kessel mit Essen hinein, um ihn zu bedienen. Der Indianer lehnte gemütlich an der Rückenstütze und musterte sie durchdringend. Ihr lief ein Schauer den Rücken hinunter, obwohl sie froh war, ihn zu sehen. Sie hoffte auf seinen Schutz, jetzt, da ihre Rettung anscheinend in weite Ferne gerückt war. Kaum interessiert aß der Mann einige Happen, dann stellte er die Schüssel beiseite und machte eine auffordernde Handbewegung. „Zeige mir dein Bein!“

Sie errötete heftig, als sie an ihre Ausrede von vorhin dachte, doch dann zog sie gehorsam ihr Kleid ein wenig höher. „Es ist schon besser!“, log sie. Dann wunderte sie sich, woher er von ihrer kleinen Notlüge überhaupt wusste. Immer hatte sie angenommen, dass sie ihm gleichgültig war, nur eine Last, und sie hatte unter dieser Einsamkeit gelitten. Seine plötzliche Sorge zeigte ihr, dass er sich sehr wohl für sie interessierte.

Der Indianer rutschte näher und untersuchte die blauen Flecken an ihrem Bein. Sorgsam betastete er den Knöchel, drehte den Fuß prüfend hin und her, dann rutschte seine Hand fast unabsichtlich die Innenseite ihrer Schenkel höher. Sie zitterte vor Aufregung, zog instinktiv die Beine auseinander, wagte es nicht, die Hand des Mannes zu stoppen. Nur nicht mehr allein sein! Nur nicht mehr abhängig sein von diesem alten Drachen, der sie schikanierte! Mit einer geschmeidigen Bewegung drückte der Mann sie plötzlich mit seinem Gewicht auf die Felle und fuhr mit seiner Hand tiefer unter ihr Kleid, berührte sanft ihre Brüste. Seine ausdrucksvollen Augen zeigten deutlich, was er nun tun wollte, und forschten in ihrem Gesicht, ob sie bereit für ihn war. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, alles ging so schnell, dass sie buchstäblich überrumpelt wurde. Ihr Atem setzte aus und sie fühlte eine bleierne Schwere in ihren Gliedern, hatte nicht die Kraft, sich zu wehren. Nein, nicht so, waren ihre einzigen Gedanken, doch sie brachte keinen Ton heraus. Sie wollte in Ohnmacht fallen, die Welt einfach ausblenden und schloss apathisch die Augen. Sie wusste, was jetzt passieren würde, hatte es eigentlich schon die ganze Zeit erwartet.

Das fordernde Geschlecht des Mannes drückte zwischen ihre Beine und instinktiv öffnete sie sich. Es tat nicht weh, ganz im Gegenteil. Nach all der Zeit der Angst sehnte sie sich nach ein bisschen Zärtlichkeit und sie hatte eine panische Angst, ihn zu verärgern. Es störte sie nicht, dass sie noch ihr Kleid anhatte, denn auch mit Jonathan war sie immer mit Nachtwäsche im Bett gewesen. Kein einziges Mal hatten sie sich dem Rausch einer wahren Liebesnacht hingegeben, so erwartete sie dies auch nicht von einem Indianer. Trotzdem war es anderes. Deutlich spürte sie die Spannkraft des Körpers und die kräftigen Muskeln des Indianers. Gegen seine hochgewachsene Statur wirkte sie fast zierlich, dabei hatte sie unter ihrer Größe immer gelitten, hatte sich für hässlich gehalten, bis eines Tages Jonathan aufgetaucht war. Ihr Kopf fiel nach hinten, als sie den fremden Mann in sich spürte, dann gab sie sich widerstandslos den rhythmischen Bewegungen hin. Erst, als der Mann sich stöhnend aufbäumte und sie fühlte, wie sich sein Samen in ihr ergoss, wurde sie sich der Sünde bewusst, die sie gerade beging. Sie war verdammt! Nie und nimmer hätte sie sich dem Wilden hingeben dürfen. Sanft legte er einen Arm um ihre Brust, aber sie wollte seine Nähe nicht mehr. Abrupt drehte sie sich zur Seite und presste sich die Hände vor den Mund, damit er ihr Weinen nicht hörte.

Wie eine Hure hatte sie sich ihr Leben erkauft, mit ihrem Körper versucht, den Mann an sich zu binden und gnädig zu stimmen.

Cachli-Wakpa

(Powder-Fluss, Dakota und Montana Territorium,

Frühjahr 1865)

Wakinyan-gleschka machte sich über die Frau keine großen Gedanken. Sie in seinem Bett zu wissen, war ein erster Schritt, mehr nicht. Die helle Haut hatte ihn erregt, ebenso die schweren Brüste. Er wollte ihr Zeit geben, doch dann hatte er die Situation, die sich eher zufällig ergeben hatte, ausgenutzt. Seine Neugier war befriedigt, nun konnte er sich wieder auf andere Dinge konzentrieren. Die Frau musste noch viel lernen und er würde abwarten, bis sie bereit war sein Tipi zu führen.

Zusammen mit den anderen Männern führte er das Dorf zum Little-White-Fluss und ging in dem wildreichen Gebiet, weitab von irgendwelchen Feinden, zur Jagd. Die Ruhepause tat allen gut. Nach einigen Tagen jedoch trennten sich die Dörfer. Die Cheyenne zogen westwärts zu ihren nördlichen Verwandten, suchten diese in der Gegend des Cachli-Wakpa, des Powder-Flusses, während die Lakota dem Makizita-Wakpa, dem White-Fluss, nach Nordosten folgten, ins Kerngebiet ihrer Jagdgründe. Sie kamen nur langsam voran, denn die Ponys konnten kaum mehr einen Huf vor den anderen setzen und viele verendeten vor Erschöpfung.

Wakinyan-gleschka betrachtete sorgenvoll seine Ponyherde. Die lange Wanderung hatte die Tiere ausgemergelt und selbst sein Kriegspony war kaum noch in der Lage einen ausgewachsenen Menschen zu tragen. Sie hatten ihr Dorf in einem geschützten Tal aufgeschlagen und gingen in den Kiefernwäldern zur Jagd. Sie hatten überlegt in die Black-Hills zu ziehen, aber hier unten im Tal würde der Frühling schneller einkehren und das Gras früher wachsen. Müde scharrten die Ponys mit ihren Hufen über den gefrorenen Boden oder knabberten an verdorrten Zweigen. Ihre Flanken waren eingefallen, ihr Fell struppig und matt. Viele Krieger gingen zu Fuß auf die Jagd. Die Wildtiere waren von dem langen Winter geschwächt und wurden leichte Opfer für die wohl- gezielten Pfeile. Das Fleisch war zäh, ohne großen Nährwert und nur durch langes Kochen überhaupt genießbar. Trotzdem genossen alle die Ruhe, waren froh, dass sie das Lager nicht mehr verlegen mussten. Viele Dinge, die sie sonst im Winter machten, waren durch die ständigen Kämpfe liegen geblieben. So nutzten die Krieger nun die Zeit, um ihre Waffen zu ergänzen, Pfeile zu schnitzen oder neue Bögen und Schilde herzustellen.

Die Frauen begannen mit ihren Stick- und Näharbeiten, besserten ihre Kleidung aus oder fertigten neue Taschen und Behälter. Felle wurden auf Rahmen gespannt und sorgfältig gegerbt. Kinder tobten durch das Dorf und Frauen sammelten in der Umgebung trockenes Feuerholz. Das Leben spielte sich hauptsächlich in den Zelten ab, in denen sich die Menschen um die wärmenden Feuer drängten und von den Strapazen erholten.

Wakinyan-gleschka bastelte an einer neuen Keule und wog den Stein prüfend in der Hand. Dann befestigte er ihn mit feuchter Rohhaut an einem geschnitzten Stab. Spielerisch ließ er die Keule durch die Luft sausen, bemerkte zufrieden die Hebelwirkung des langen Griffs auf den Stein, mit dem er den Kopf eines Feindes mühelos einschlagen konnte. Fast amüsiert beobachtete er, wie seine Gefangene erschrocken zusammenzuckte. So, als wollte er ihr den Schädel einschlagen!

Die weiße Frau war wirklich wenig hilfreich, dachte er verächtlich. Inzwischen lebte sie in seinem Tipi, aber es war Winuchtschala, die ihn weiterhin versorgte. Die weiße Frau konnte mit Müh und Not ein wenig kochen und lieferte das Feuerholz für das Tipi. Ansonsten irritierte ihn ihre Fremdartigkeit eher. Manchmal musste er sie mit seiner Peitsche strafen, wenn sie Dinge tat, die Männern vorbehalten waren. Unter keinen Umständen konnte er dulden, dass sie seine Waffen berührte! Zu leicht konnte es passieren, dass sie ihre Menstruation bekam und alle Kraft aus seinen Waffen nahm!

Es war immer nur ein kurzer Hieb mit seiner Peitsche, kaum schmerzhaft, die er nur einsetzen wollte, solange sie seine Erklärungen nicht verstand. Noch sprach sie kaum Lakota und so herrschte er sie mit kurzen Befehlen an, wie einen Hund, der auch nicht mehr verstand.

Oft genug jagte er sie auch aus seinem Tipi, wenn er es leid war, in ihre weinerlichen braunen Augen zu sehen. Immer noch machte sie die einfachsten Handgriffe falsch, doch wenn er ungeduldig wurde, dann liefen ihr die Tränen über die Wangen. „Geh!“, befahl er meist genervt.

Wie ein geprügelter Hund verkroch sich die Weiße in das Zelt von Winuchtschala, in dem sie blieb, bis er ihre Anwesenheit wieder forderte. Eigentlich taugte sie nur in seinem Bett zu etwas, wenn er abends die Decke zur Seite schob und sich an ihrem Körper erfreute. Er hatte versucht sanft zu sein, fühlte sich sogar durch ihr Verhalten ermutigt. Offensichtlich versuchte sie damit ihre Stellung zu verbessern, nichts Ungewöhnliches für eine Gefangene. Aber sie war ungeschickt, wartete nur apathisch ab, bis es vorbei war, und so verlor er langsam die Lust an ihr. Wieso hatte er die Frau überhaupt geraubt?

Manchmal runzelte er unwillig die Stirn und überlegte, ob er sie vielleicht eintauschen sollte. Aber wer würde eine so ungebildete Frau nehmen wollen? Selbst Crow- oder Ponca-Gefangene stellten sich nicht so dumm an und integrierten sich schneller in den Stamm. Warum nicht diese Frau? Die Weißen waren so minderwertig, so ohne Moral, ohne Mut und Stolz! Nein, diese Frau war kein Tauschobjekt für seine Freunde, selbst als Geschenk wäre sie eine Beleidigung. So blieb nur die Möglichkeit, sie zurückzuschicken, zurück in die Welt der Weißen. Aber wer würde sich bei den Weißen um sie kümmern? Hatte sie überhaupt noch eine Familie, die für sie sorgen würde? Ihr Mann war tot und nun war er eben verantwortlich für sie. Nein, wohl oder übel musste sie lernen, ihm zu gefallen und er konnte nur hoffen, dass sie eines Tages ein vollwertiges Mitglied des Stammes wurde.

Die Kriegskeule war fertig und zufrieden wog er sie in seiner Hand. Dann nickte er auffordernd zu der Gefangenen und befahl ihr, ihm Wasser zu geben. Gehorsam erhob sie sich und er registrierte wohlwollend, dass sie zumindest diesen Befehl verstanden hatte. Ihre kantigen Gesichtszüge waren ein wenig weicher geworden, voller, und sie wirkte nicht mehr so hager und knochig. Das bessere Essen tat ihr gut, stellte er fest.

Seine Aufmerksamkeit wandte sich dem Zelteingang zu, vor dem jemand leise hüstelnd um Einlass bat. „Kommt herein!“, forderte er seine Freunde auf. Er schmunzelte leicht, denn Wambli-tokahe und Tschan-ihakab-naschin zeigten ein auffallendes Interesse an der weißen Gefangenen. Fast unschicklich musterten die beiden die weiße Frau, dann ließen sie sich mit einem anzüglichen Grinsen auf den Fellen nieder.

Die dichten Augenbrauen von Wambli-tokahe zogen sich vergnügt nach oben und seine Lippen spielten wie in einem inneren Dialog, als hätte er eine Menge zu erzählen, überlegte sich seine Worte aber noch. Beide Männer trugen warme Winterkleidung. Die Kleidung von Wambli-tokahe war von dessen Ehefrau liebevoll an den Nähten mit Perlen verziert worden, während die Kleidung von Tschan-ihakab-naschin eher einfach war. Bequem legten die beiden die Beine übereinander und Tschan-ihakab-naschin ließ seine Stirnhaare über sein zerstörtes Auge fallen, wirkte damit nicht so bedrohlich.

Mit einer befehlenden Handbewegung scheuchte Wakinyan-gleschka seine Gefangene auf, damit sie seine Freunde bewirtete. Die Frau erhob sich willig und reichte den Gästen fast unterwürfig zwei gefüllte Schüsseln, hatte Angst wieder seinen Unwillen zu erregen. Dann verzog sie sich unauffällig in den Hintergrund des Tipis und setzte sich sittsam. Seine Freunde machten Scherze, aber irgendwo war Wakinyan-gleschka nicht nach Lachen zu Mute. Er vermisste das Kichern seiner Frau und das helle Jauchzen seiner Kinder, die bei diesen Scherzen sicherlich ihren Spaß gehabt hätten. Die Weiße hockte nur mit ausdruckslosem Gesicht im Halbschatten und verstand nichts von der zwanglosen Unterhaltung.

„Was bedrückt dich?“, fragte Wambli-tokahe, der die schlechte Stimmung seines Freundes bemerkt hatte.

„Nichts!“, wich Wakinyan-gleschka aus. „Wollen wir rauchen?“

„Gern!“, stimmten seine Freunde zu, und es wurde still, als Wakinyan-gleschka bedächtig seine Pfeife stopfte. Das Rauchen war immer eine heilige Handlung, und so schwiegen alle respektvoll. Wakinyan-gleschka sandte seine Gedanken zu Wakan-tanka, dann reichte er die Pfeife in einer kreisenden Bewegung weiter. Er genoss die Anwesenheit seiner Freunde, aber auch die momentane Stille. Manchmal war es schön, wenn man schwieg. Als hätten seine Freunde dieses Bedürfnis bei ihm gespürt, lehnten sie sich zurück und genossen ebenfalls die Ruhe. Jeder hing seinen Gedanken nach, unterbrochen nur von der ruhigen Bewegung, wenn Wakinyan-gleschka Feuerholz nachlegte. „Wie geht es deiner Frau?“, unterbrach er schließlich die Stille und nickte Wambli-tokahe auffordernd zu.

Wambli-tokahe machte eine feine Geste zu seinem Herzen. „Ihr Herz ist schwer! Viele ihrer Freundinnen sind gestorben!“

Wakinyan-gleschka nickte nur voller Trauer. Auch seine Frau war mit Blaues-Wasser befreundet gewesen, ehe die Weißschorfkrankheit sie aus seinem Leben gerissen hatte.

„Wie geht es mit deiner Gefangenen?“, erkundigte sich Wambli-tokahe mit einer verräterischen Falte auf seiner Stirn, aber jetzt war es eine höfliche Gegenfrage und keine reine Neugier.

Wakinyan-gleschka lachte abfällig. „Haun, sie ist weiß! Ihr wisst ja, was das bedeutet!“

„Lässt sie dich wenigstens unter ihre Felle?“, grinste Tschan-ihakab-naschin frech, konnte es nun doch nicht lassen, mit seinem verbliebenen Auge einen abschätzenden Blick auf die Weiße zu werfen.

„Aber sicher! Willst du sie mal ausprobieren?“, feixte Wakinyan-gleschka zurück.

Der Krieger zuckte zusammen, denn er hätte die Weiße tatsächlich gern mal niedergezwungen, aber er merkte rechtzeitig, dass sein Freund nur einen Witz gemacht hatte.

„Lieber nicht, sonst bin ich gezwungen, sie in mein Zelt zu nehmen, wenn du im Kampf fällst!“, wehrte er ab.

Das Gesicht von Wakinyan-gleschka verdunkelte sich merklich. „So schlecht ist sie nun auch wieder nicht!“, meinte er gereizt.

Tschan-ihakab-naschin wechselte einen verblüfften Blick mit Wambli-tokahe. Er hatte mit seiner Bemerkung offensichtlich einen empfindlichen Nerv getroffen.

Ihre Augen ruhten auf der Frau, die mit ihren Händen im Schoß untätig im Hintergrund hockte. Sie wirkte völlig fehl am

Platz, gehörte einfach nicht hierher.

„Spricht sie schon ein wenig unsere Sprache?“, wollte Wambli-tokahe wissen.

„Ein wenig!“, wehrte Wakinyan-gleschka unwillig ab. Die Frau war das Letzte, über das er reden wollte.

„Bei anderen gefangenen Frauen dauert es lange, bis sie wie wir reden! Manche lernen es nie und kehren zu ihrem Volk zurück!“ Es klang tröstend, fast mitleidig und Wakinyan-gleschka hätte seinen Freund am liebsten ermordet.

Wie um zu beweisen, dass die Frau inzwischen wie ein Mensch reden konnte, herrschte er sie an: „Frau, geh raus und hole Feuerholz herein!“

Tatsächlich erhob sich die Gefangene, verließ das Zelt und kehrte mit einem Arm voll Holz zurück. Wambli-tokahe nickte erstaunt. „Waschté!“, murmelte er leise. „Eines Tages wird sie dir eine gute Ehefrau sein!“

Wakinyan-gleschka nickte halbwegs versöhnt. „Sie muss noch viel lernen! Ich frage mich, wie die Weißen überleben können? Ihre Weiber können noch nicht einmal gerben!“

„Wie fertigen sie dann Kleidung und Mokassins?“

Wakinyan-gleschka zuckte nur gelangweilt mit den Schultern. Wieso sollte er sich über so minderwertige Menschen den Kopf zerbrechen?

„So dumm können die Weißen nicht sein, denn sie stellen Feuerwaffen her und bauen das Feuerross“, meinte Wambli-tokahe.

Tschan-ihakab-naschin schnaubte verächtlich. „Unsere Waffen sind auch gut! Und wozu brauchen wir ein Feuerross, wenn wir gute Ponys haben!“

Die Krieger lachten verhalten, fühlten sich überlegen und unbesiegbar.

„Selbst diese seltsamen Wägen mit ihren Rädern eignen sich höchstens als Brennholz“, grinste Wambli-tokahe. „Ich verstehe nicht, warum die Weißen mit diesem sperrigen Zeug in unser Land eindringen. Sie kommen kaum vorwärts damit und wenn es regnet, dann bleiben sie im Schlamm stecken! Unsere Frauen sind mit den Travois viel beweglicher! Und warum reißen die Weißen mit ihrem Werkzeug den Boden auf, wenn die Früchte doch von allein wachsen?“

Wakinyan-gleschka kniff indigniert die Augen zusammen. „Weil sie die Früchte dieses Landes nicht kennen!“ Er deutete herablassend auf die gefangene Frau. „Sie wusste nicht einmal, welches Holz sie sammeln muss, damit es nicht qualmt. Wahrscheinlich muss Winuchtschala ihr all die Dinge zeigen, die Wakan-tanka uns schenkt! Ohne uns würde sie verhungern, obwohl die Zwiebeln und Prärierüben vor ihrer Nase wachsen!“ Wieder lachten die Männer los, amüsierten sich köstlich über die Dummheit der Weißen.

Wakinyan-gleschka wog seinen Kopf bedenklich hin und her: „Nichtsdestotrotz sind die Weißen gefährlich! Wir haben so viele von ihnen getötet, dass sie gewiss Soldaten gegen uns schicken werden!“

Wambli-tokahe zog theatralisch sein Messer und fuchtelte damit wild in der Luft herum. „Ja! Lasst sie nur kommen! Unsere Frauen werden mit den Skalpen der Soldaten tanzen! Hokahey!“

Die vorher gelöste Stimmung wurde plötzlich aggressiv und die Augen der Männer funkelten unternehmungslustig. Sie hatten einmal gesiegt und würden gewiss ein zweites Mal siegen!

Berauscht von dem Gedanken verließen die Männer das Zelt und Wakinyan-gleschka lehnte sich zufrieden zurück. Er war nun wesentlich besser gelaunt und sein Blick ruhte fast wohlwollend auf der Frau. Zumindest hatte sie heute seine Gäste bewirtet, wie es von einer Lakotafrau erwartet wurde. Vielleicht lernte sie ja auch irgendwann, wie sie ihm im Bett Vergnügen bereiten konnte! Sie war fügsam, aber er wollte eine Gefährtin und keine zitternde Maus in seinem Zelt.

Die Frau zog ihr Kleid für die Nacht aus, bemüht, sich seinen Blicken zu entziehen. Trotzdem ergatterte er einen Blick auf ihren nackten Körper und wieder fühlte er sich von der weißen Haut seltsam angezogen. Mit einem Lächeln näherte er sich ihr und strich sanft ihre Haare zur Seite.

Ihre Lippen zitterten, doch sie gehorchte zögernd, wagte es nicht, sich ihm zu widersetzen. Er versuchte sie zu streicheln, zu necken, zärtlich zu sein, aber sie schien davon eher irritiert zu sein. Es bereitete ihm keine Freude. Warum konnte sie seine Liebe nicht erwidern, warum entzündete sie nicht die Flamme der Leidenschaft in ihm? Er wollte eine Frau in seinem Zelt, eine, die seine Zärtlichkeiten erwiderte!

Enttäuscht stieß er einige Male zu, wollte die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Sie sog scharf die Luft ein, dann berührten ihre Hände abwehrend seine Brust, versuchten ihn wegzudrücken. Unwillig stieß er ihre Hände zur Seite und beendete den Liebesakt mit kräftigen Stößen. Die braunen Augen der Frau wurden unnatürlich weit, dann flackerten sie und ihr Körper erschlaffte.

Er war so entsetzt über sein Verhalten, dass seine Erregung schlagartig verschwand. Ungläubig sah er ein wenig Blut zwischen ihren Beinen und vor Entsetzen hielt er die Luft an. Hatte sie mit ihm geschlafen, obwohl sie ischnati war? Wieso hatte sie sich nicht in das Tipi für menstruierende Frauen zurückgezogen? Taumelnd verließ er das Tipi, völlig verwirrt rannte er zum Fluss, um sich zu waschen. Hatte er sich mit Menstruationsblut verunreinigt? Er musste sich reinigen und beten! Die Geister um Verzeihung bitten!

Immer wieder rubbelte er sich mit Sand ab, tauchte in das eisige Wasser, aber das Gefühl des Schmutzes blieb. Betroffen kehrte er in sein Zelt zurück und beugte sich über die ohnmächtige Frau. Warum wachte sie nicht auf? Hatten die Geister die Frau bestraft, weil sie es gewagt hatte, einen Mann mit ihrem Blut zu schwächen? Vorsichtig tupfte er ihr Gesicht mit einem kalten Lappen ab, dann wartete er, bis sie die Augen aufschlug. Sie presste mit einem ängstlichen Blick die Hand vor ihren Mund, als müsste sie einen Brechreiz unterdrücken, zog die Decke über ihren Körper und drehte sich würgend auf die Seite.

Ihre Tränen durchnässten das Fell und er fühlte sich schlecht. Es war unglaublich, wie wenig die Frau immer noch wusste! So konnte sie unmöglich mit ihm leben! „Ich hole Winuchtschala“, murmelte er verwirrt.

„Hiya!“, sagte die Frau deutlich. „Ich will niemanden sehen!“ Überrascht blickte er auf, wunderte sich, dass sie einen ganzen Satz auf Lakota gesagt hatte.

„Aber du blutest!“, zischte er vorwurfsvoll.

Mit zusammengebissenen Zähnen griff er nach seinen Waffen und verließ das Zelt. Vielleicht war es besser, wenn er sie einige Zeit in Ruhe ließ, ihr völlig aus dem Weg ging, bis sie wusste, wie sie sich zu benehmen hatte. Vielleicht sollte er sich nach einer Lakotafrau umsehen, eine, die ihm keine Schwierigkeiten machte und die Leere in seinem Herzen ausfüllte? Nachdenklich schlüpfte er in das Zelt von Winuchtschala und ignorierte den verblüfften Blick der alten Frau. Er drehte sich in seine Decken und versuchte zu schlafen, aber irgendwie ging ihm die weiße Frau nicht aus dem Kopf.

Am nächsten Tag kehrte er in sein Zelt zurück, blickte missbilligend auf seine Gefangene und setzte sich ans Feuer. Die Weiße schöpfte Suppe für ihn aus dem Kessel, aber er wehrte ungeduldig ab.

Verunsichert sank die Frau in sich zusammen und legte zitternd die Hände in den Schoß. Plötzliche Tränen liefen der Frau über das Gesicht und sie wischte sie zitternd weg. „Ich wollte dich nicht verärgern“, erklärte sie stockend, „aber ich denke immer an meinen Mann …!“ Ihre Stimme brach ab vor Trauer, hilflos machte sie eine Handbewegung, weil sie so viel erklären wollte und ihr die Wörter in dieser schwierigen Sprache fehlten. „Mir wurde plötzlich schlecht …!“

Wakinyan-gleschka senkte betroffen den Kopf. Hatte er sie etwa verletzt? War sie deshalb nicht ins Ischnatipi gegangen? Die ganze Situation überforderte ihn maßlos! Verständnislos musterte er die weinende Frau, wusste nicht, wie er mit ihr umgehen sollte. Aber er wollte dieser Gefangenen gegenüber keine Schwäche zugeben und so scheuchte er sie aus dem Zelt: „Geh Holz sammeln!“

Warum konnte er ihr gegenüber keine Zärtlichkeit zeigen, sie einfach in die Arme nehmen und trösten? Sah er in ihr immer noch einen Feind? Er würde Winuchtschala befehlen diese Weiße unter ihre Fittiche zu nehmen, bis sie wirklich gelernt hatte, ihm zu gefallen! Als Mann konnte er ihr schließlich nicht die Wege einer Frau zeigen! Das konnte nur eine Frau! Außerdem wollte er sich nicht mit ihrer Trauer und ihren Gefühlen belasten! Er wartete ab, bis die Gefangene mit dem Bündel Holz auf ihrem Rücken zurückkehrte und machte eine auffordernde Bewegung mit seinen Lippen. „Du wirst wieder bei Winuchtschala leben! Geh!“

Fassungslos starrte sie ihn an und seine Augen wurden hart. „Geh!“, wiederholte er.

Mit verschwommenen Augen sammelte sie einige Dinge zusammen, dann verließ sie das Tipi. Später würde er mit Winuchtschala reden, damit die Weiße besser in den Sitten und Bräuchen seines Volkes unterwiesen wurde.

In den nächsten Tagen ging er mit seinen Freunden zur Jagd und  strich die Weiße aus seinen Gedanken. Manchmal stichelten seine Freunde, warum er die Weiße aus seinem Tipi vertrieben hatte, aber er zuckte nur abwehrend mit den Schultern. „Sie muss noch viel lernen! Das ist alles!“

„Muss sie auch lernen die Beine breit zu machen?“

„Hohch!“, schimpfte er empört.

Wambli-tokahe schüttelte nachdenklich den Kopf. „Meine Frau meint, dass sie sehr seltsam ist! Vielleicht ist sie gar keine richtige Frau?“

„Sie ist eine richtige Frau!“, betonte Wakinyan-gleschka wütend.

„Aber sie benimmt sich nicht wie eine Frau!“

„Wer sagt das?“

Wambli-tokahe wand sich etwas. „Blaues-Wasser! Jedes Mal, wenn sich die Frauen ihr nähern, läuft sie davon!“

Wakinyan-gleschka biss verärgert die Lippen zusammen. „Wahrscheinlich hat sie Angst. Wir müssen ihr mehr Zeit lassen.“

Unvermittelt gewann die Sonne an Kraft und überall taute der gefrorene Boden. Ein zartes Grün an den Büschen ließ den Frühling erahnen und vorwitzig zeigten sich die Spitzen frisch wachsenden Grases. Hungrig stürzten sich die Ponys auf die erste Nahrung, schlugen mit ihren Schweifen temperamentvoll nach den ersten Moskitoschwärmen.

Nach dem langen Winter genossen die Menschen die Wärme und verlagerten ihr Leben vor die Tipis. Decken wurden ausgelüftet, kleine Jungen versuchten sich im Fischfang, Krieger gingen zur Jagd, die Frauen und Mädchen schabten mit ihren einfachen Schabwerkzeugen über die verschiedenen Häute. Es herrschte emsiges Treiben, auch, weil der Stamm in einigen Tagen aufbrechen wollte.

Wakinyan-gleschka schloss sich einigen Kriegern an, die wieder gegen die Weißen ziehen wollten. Sein Pony hatte sich erholt und so rüstete er erwartungsvoll seine Waffen. Ein Kriegszug würde ihn von der weißen Frau ablenken und ihr wiederum Zeit geben, sich an ihr neues Leben zu gewöhnen! Vielleicht wäre sie zugänglicher, wenn er sie einige Zeit allein ließ! Manchmal wirkte die Einsamkeit wie ein Wundermittel. Eines Tages wäre sie vielleicht froh, wenn er sie in sein Tipi zurücknahm. Er vergewisserte sich, dass die beiden Frauen genügend Nahrung hatten, dann brach er auf.

Im Westen ihres Landes waren Soldaten gesichtet worden, die es zu bekämpfen galt. Sie ritten ohne Eile zum Powder-Fluss, ließen die Pferde unterwegs immer wieder rasten und ausgiebig grasen. Sie ergänzten ihre Vorräte mit frischer Jagdbeute und genossen die Zeit des relativen Friedens. Sonst war ein Kriegszug eine ernste Angelegenheit, aber den Kampf gegen weiße Soldaten sahen viele eher als Spielerei.

Einige Cheyenne schlossen sich ihnen an und die Lakota fühlten sich stark. Niemand würde sie aus ihrem Land vertreiben!

Tatsächlich war ihnen eine Kompanie Soldaten auf der Spur und sie spielten Katz und Maus mit ihnen. Die jungen Krieger erprobten ihren Mut, indem sie den Soldaten nacheinander die Pferde stahlen, dann trieben sie in einer waghalsigen Attacke sämtliche Mulis davon, ohne dass auch nur ein Krieger verletzt wurde.

Lachend saßen sie am Abend um die Feuer und prahlten voreinander mit ihren Taten. Die Unbeweglichkeit der Weißen war Anlass zu allerlei Spott und die Kampfkraft der Soldaten wurde heruntergespielt.

„Nicht einmal ihre armseligen Pferde können sie verteidigen!“, grinste Wakinyan-gleschka abfällig.

„Ja, jetzt müssen sie ihre Kanonen selbst ziehen!“, spottete Wambli-tokahe. „Wahrscheinlich sind sie selbst nur Hunde und bellen sich gegenseitig an, anstatt wie Menschen zu sprechen!“

Schallendes Gelächter erklang, als gleich mehrere Männer wie Hunde zu heulen anfingen. „Wie sie wohl ihre Weiber ins Bett rufen? Wahrscheinlich heulen sie wie die Kojoten!“ Er imitierte das hohe Kläffen eines Kojoten und säuselte: „Komm, komm, Weibchen, komm in mein Bett!“

Die Männer hielten sich die Bäuche vor Lachen und schnappten keuchend nach Luft. Das war kein Krieg, sondern lediglich die Demütigung eines unterlegenen Gegners. Das ganze Frühjahr bis hin zum Sommer verfolgten sie verschiedene Gruppen von Soldaten, die sich in das Gebiet der Lakota wagten. Nacheinander raubten sie ihnen alle Mulis, Pferde, Verpflegung, teilweise sogar die Waffen. Mit zerrissenen Uniformen und halb verhungert kehrten diese völlig entnervt Anfang Juni in das Fort Laramie zurück. Die Indianer hätten alle töten können, aber irgendwie schienen sie in einer gnädigen Laune gewesen zu sein.

Mit dem Gefühl gesiegt zu haben kehrten die Lakota Ende Juni zum Mato-Paha zurück, an dem der Hauptteil des Stammes inzwischen sein Lager aufgeschlagen hatte. Der Berg war heilig, und viele Männer zogen sich zur Visionssuche auf den Gipfel zurück. Andere errichteten inzwischen die große Sonnentanzlaube und viele Männer und Frauen waren mit den heiligen Handlungen beschäftigt, die diese religiöse Zeremonie begleiteten.

Der Sonnentanz war die heiligste Zeremonie der Lakota. Die Männer, die ihr Fleisch zum Wohle des Stammes opferten, wurden mit größter Hochachtung behandelt. Es war eine Zeremonie zum Wohle des Stammes, damit keine Krankheiten sie heimsuchten und die Jagd gut war. Es konnten aber auch Gebete zur Heilung von Einzelnen sein oder der besondere Schutz in Zeiten der Gefahr.

Dann suchten Jungfrauen die Pappel aus, die später in der Mitte des Tanzplatzes aufgestellt wurde und tapfere Männer fällten sie mit ihren Beilen. In einer heiligen Prozession wurde der Baum zum Tanzplatz getragen und aufgerichtet. Der Heilige Mann befestigte Stricke an dem rot bemalten Stamm, die später mit den Holzspänen, die durch die Brust der Männer getrieben wurden, verbunden wurden.

Wakinyan-gleschka bereitete sich gründlich auf den Sonnentanz vor. Tiefe Narben auf seiner Brust zeugten davon, dass er sein Fleisch nicht zum ersten Mal opferte. Nur seine Beweggründe, warum er sich dieser Qual ein weiteres Mal aussetzte, waren diesmal andere. Er tanzte den Sonnentanz für sein Volk! Den ganzen Tag würde er an der Pappel tanzen, seine Brust gepierct mit den Holzspänen und erst gegen Abend würde er sich gegen die Riemen lehnen und dagegen kämpfen, bis das Fleisch in seiner Brust riss und ihn freigab. Er hatte sich in der Schwitzhütte gereinigt und um Kraft gebetet, nun wartete er stoisch ab, wie der Heilige Mann ihn von Kopf bis Fuß mit weißer Farbe anmalte. Seine Lenden waren nur mit einem Tuch geschützt und auf dem Kopf trug er einen Kranz aus Salbeiblättern. Tapfer hielt er den Schmerz aus, als der Heilige Mann mit einer Adlerkralle seine Brust durchstieß und anschließend einen Holzspan hindurch trieb. Dann zischte er verhalten, als der Heilige Mann das Ritual auf der anderen Seite wiederholte. Seine Gesichtszüge waren angespannt und er griff nach seiner Adlerknochenpfeife, um durch das Blasen seinen heftigen Atem zu kontrollieren. Seine Hand krallte sich um das Salbeibündel, bis die Knöchel deutlich hervorstachen. Schweiß perlte auf seiner Stirn, dann schaltete sein Verstand den Schmerz aus und er fühlte eine gewisse Apathie. Gleichmäßig bewegten sich seine Füße im Takt der Trommeln und der Gesang der Männer lullte ihn ein. Er hatte kein Gefühl mehr für Zeit oder Raum, nahm kaum noch wahr, wie eine Helferin ihm den Schweiß und das Blut abwischte. Unverwandt starrte er auf das heilige Bündel, das an einer Astgabel des Baumes hing, und folgte mit seinem Gesicht dem Lauf der Sonne. Die Geister der Verstorbenen suchten ihn heim, doch dazwischen mischten sich die haselnussbraunen Augen seiner Gefangenen. Verwirrt versucht er diese Erscheinung wegzuwischen. Die Frau gehörte nicht hierher!

Eine kühle, wohltuende Brise strich über seine Haut und erstaunt erkannte er, dass die Sonne bereits hinter den Hügeln in der Ferne verschwand. Behutsam lehnte er sich gegen die Riemen, die ihn an den Baum fesselten und seine Lippen wurden schmal, als der plötzliche Schmerz seinen Körper durchfuhr.

Seine Füße schlurften nur noch über den Boden, so erschöpft war er, und doch stand ihm das Härteste noch bevor. Er würde symbolisch sterben, musste seinen gemarterten Körper Wakan-tanka übergeben. Mit einem Ruck warf er sich nach hinten, lehnte sich mit vollem Gewicht in die Riemen, die ihn hielten. Mühsam schnappte er nach Luft, verlor fast die Besinnung, als sein Körper gegen die Schmerzen rebellierte. Die Wunden in seiner Brust rissen auf und sein Blut floss in Strömen, zeichnete rote Muster auf seinen weiß bemalten Körper. Schließlich gab das wunde Fleisch nach und ließ ihn frei. Hilflos stürzte er zu Boden, dann wusste er nichts mehr. Sein Gelübde zum Wohle des Volkes war erfüllt!

Sanfte Hände hoben ihn hoch, stützten fürsorglich seinen Kopf, dann wurde er ehrerbietig in sein Tipi getragen und auf sein Lager gelegt. Er war wiedergeboren worden!

Jesus Christus

(Dakota Territorium, Sommer 1865)

Theresa hatte hinter Winuchtschala Platz genommen und blickte mit gemischten Gefühlen auf die grauenerregende Zeremonie, die sich vor ihren Augen abspielte. An das seltsame Gekreische der Indianer hatte sie sich inzwischen gewöhnt, auch an den schnellen dumpfen Trommelschlag, doch die blutige Zeremonie fand sie abstoßend und ekelerregend. Fanden hier Menschenopfer statt? Aber warum unterwarf sich dann ihr Häscher diesem Ritual? Mit blassem Gesicht hockte sie mit den anderen Frauen in der gleißenden Sonne und ihr wurde übel, als Ströme von Blut über die weiß bemalten Körper der Männer flossen.

Fliegen umschwirrten sie und nachlässig wedelte sie sich mit der Hand etwas Luft zu. Wie gerne hätte sie in dem Schatten der Laube gesessen, die kreisförmig um den bemalten Baum angeordnet war, an dem die Männer ihr heidnisches Ritual abhielten. Die Laube war aus einfachen Ästen errichtet und mit Kiefernzweigen abgedeckt worden, die ein wenig Schatten spendeten. Darunter saßen die Ältesten oder ranghohe Männer und Frauen. Sie nicht! Sie war nur eine Gefangene!

Sie verlagerte ihr Gewicht auf die andere Seite, denn die Beine drohten einzuschlafen. Müde strich sie sich den Schweiß von der Stirn und wünschte sich in ihr Zelt zurück. Aber sie wusste, dass Winuchtschala dies nicht gestatten würde. Dabei hatte sie einen solchen Durst! Ihre Zunge klebte am Gaumen und ihre Lippen wurden spröde. Doch niemand stand auf, um sich abzukühlen oder zu erfrischen. Nur die Kleinsten nuckelten an den Brüsten ihrer Mütter, für sie schien es diese Selbstkasteiung nicht zu geben. Mitleidig blickte sie auf einige Babys, deren Schreien durch Mark und Bein ging. Gleich als erstes waren diesen armen Seelen die Ohrläppchen durchstochen worden! Eine barbarische Angelegenheit! Die schmierigen Gestalten der Krieger hatten sich über die hilflosen Opfer gebeugt, ihre Köpfe zwischen den Schenkel eingeklemmt und blitzschnell mit den Messern zugestoßen. Nun wurden die Kinder von ihren Müttern beruhigt und die kleinen Ohren mit irgendeinem Kraut gesäubert. Unbewusst legte Theresa die Hand schützend über ihren Bauch, der sich unter dem leichten Baumwollkleid ein wenig wölbte. Sie erwartete wieder ein Kind und nicht Freude, sondern tiefe Verzweiflung erfüllte sie. Wie konnte sie unter solchen Umständen ein Kind zur Welt bringen? Sie wusste nicht einmal, von wem sie es trug! Würde es so hell sein, wie Thomas und Marie? Mit blauen Augen und blonden Locken? Ein Baby von ihrem Jonathan?

Oder hatte dieser pockennarbige Mann das Wesen in ihren Bauch gesteckt? Voller Schrecken malte sie sich aus, wie er das hilflose Bündel zum ersten Mal in die Arme nehmen und feststellen würde, dass es nicht von ihm war. Würde er es dann töten? Welche Chancen hatte ihr Baby, wenn es kein Kind dieses Volkes war? Oder würde seine Seele verdammt sein, wenn es doch ein Kind von diesem Heiden war? Oft dachte sie an Flucht, doch genauso nüchtern erkannte sie, wie ausweglos ihre Situation war. Selbst, wenn sie in der Nähe von Julesburg lagerten oder in der Nähe irgendeiner Siedlung, würde sie es nicht wissen oder ahnen! Inzwischen hatten sie so oft das Lager verlegt, dass sie jede Orientierung verloren hatte.

Ihre einzigen Gedanken galten dem täglichen Überleben und der Sorge um das Kind in ihrem Leib. Zumindest hatte der Hunger aufgehört. Winuchtschala schien sogar sichtlich vergnügt zu sein, seitdem sie bemerkt hatte, dass die Gefangene schwanger war. Theresa hielt sich an die alte Frau und ging den anderen Menschen bewusst aus dem Weg. Noch hatte sie die Schläge und Demütigungen nicht vergessen. Manchmal streifte sie ein neugieriger Blick, aber sie machte deutlich, dass sie den Kontakt nicht wünschte. Sie hatte Angst vor den Frauen mit den dunklen Gesichtern.

Die Tage waren eine Wiederholung aus wandern, Feuerholz sammeln, gerben und kochen. Am meisten litt sie unter der Einsamkeit, obwohl sie selbst dafür verantwortlich war. Anstatt sich Freundinnen zu suchen, jammerte sie über die Abwesenheit des Kriegers. Der Mann hatte sie seit Wochen nicht mehr angerührt, oftmals war er längere Zeit weg und überließ sie ihrem Schicksal. Auch jetzt sah sie ihn zum ersten Mal seit Wochen, als wäre er nur für diese seltsame Zeremonie zurückgekommen.

Wahrscheinlich wusste er noch nichts von ihrer Schwangerschaft und sie fürchtete sich vor seiner Reaktion. Nichts, was dieses Volk tat, machte irgendeinen Sinn. Vielleicht hätte sie demütiger sein sollen, unterwürfiger, ihm irgendwie zeigen müssen, dass sie versuchte eine gute Frau zu sein. Aber die Freizügigkeit, mit der diese Leute mit Sexualität umgingen, hatte sie entnervt. Nicht in der Öffentlichkeit! Da gab es anscheinend strenge Sitten, aber nachts im Zelt. Mit Jonathan hatte sie scheu unter der Decke gelegen und darauf gewartet, dass es vorbei war, so wie es der Pfarrer immer gepredigt hatte. Liebe war Sünde! Dieser Indianer hatte auf unanständige Weise ihren Körper berührt, sie gestreichelt, wo Jonathan nie hingefasst hätte. Warum hatte der fremde Mann sie dann plötzlich wieder weggeschickt, sie der Unsicherheit überlassen?

Hatte sie etwas falsch gemacht? Oder lag es daran, dass sie für ihn nur eine Sklavin war, eine Frau, die ihm nichts bedeutete? Nie konnte sie seine Reaktion einschätzen und das hinterließ in ihr ein tiefes Gefühl der Verzweiflung.

Wie sollte sie in dieser ihr so fremden Welt ein Kind großziehen? Wenn es überhaupt leben durfte! Töteten die Indianer unwillkommene Babys? Und wenn er es leben ließ, wie sollte sie es unter diesen Umständen durch den nächsten Winter bringen? Tausend Fragen quälten sie, aber am meisten bedrückte sie die Ungewissheit, wie dieser Mann auf das Kind reagieren würde.

Sorgenvoll blickte sie wieder auf das Schauspiel, das sich ihr bot. Seit Stunden dröhnte der regelmäßige Schlag der Trommel und die Indianer sangen ihre eintönigen Gesänge. Es war eine gespenstische Szenerie. Wenn sie nur ihre Bedeutung verstehen könnte! Ob es ihr gestattet war zu fragen? Vorsichtig beugte sie sich zu Winuchtschala vor und deutete auf den Tanz. „Takuwe?“, flüsterte sie fast unhörbar.

Zu ihrem Erstaunen lächelte Winuchtschala freundlich. „Das ist einer der sieben heiligen Riten, die uns die weiße Büffelkalbfrau gebracht hat! Der Sonnentanz ist unsere heiligste Zeremonie! Die Männer tanzen für das Wohlergehen des Volkes. Sie opfern ihr Fleisch und beten zu Wakan-tanka, unserem Volk wohlgesinnt zu sein.“

Theresa war zutiefst schockiert. Sie hatte zumindest so viel verstanden, dass dieses blutige Spektakel eigentlich ein Gebet sein sollte. Sie blinzelte den Schweiß weg, der ihr über die Augen lief und schaute auf die tanzenden Männer. Voller Ehrfurcht und Konzentration nahmen sie die Schmerzen hin und gaben ihr Letztes, um die Strapazen durchzustehen.

Plötzlich überlief Theresa ein kalter Schauer. „Wie unser Herr, Jesus Christus!“, dachte sie entsetzt. Waren diese Indianer in Wahrheit Christen und Wakan-tanka nur ein anderer Name für Gott? Warum sonst schmierten sie sich ihre Leiber mit weißer Farbe voll? Imitierten sie damit, wie Christus ans Kreuz geschlagen worden war? Sogar einen Kranz trugen sie auf ihren Köpfen! Und um ihre Hüften trugen die Männer nicht wie sonst ihren Lendenschurz, sondern einen Wickelrock, wie die geschnitzte Jesusfigur in ihrer Kirche. Auch diese Männer opferten ihr Fleisch für das Wohlergehen ihres Volkes, so, wie Jesus für die Sünden der Menschen gestorben war. Der Gedanke ließ sie schwindeln und doch konnte sie ihren Blick nicht von dem heidnischen Brauch abwenden. Vielleicht waren es keine Heiden?

Als Kind hatte sie sich immer vor der blutbesudelten Christusfigur gefürchtet, konnte den Anblick des gemarterten Menschen nicht ertragen. Sie hatte sich vorgestellt, wie die Speere der römischen Soldaten in das Fleisch des Heilands gedrungen waren und wie Jesus vor Schmerz aufgestöhnt hatte. Hier erlebte sie tatsächlich, wie die Männer die Qualen auf sich nahmen, und es faszinierte sie. Hier floss wirkliches Blut, nicht nur gemalt auf eine hölzerne Figur.

Ihr Durst wurde unerträglich und sie fragte sich, wie die Männer diese Tortur aushalten konnten. Sie lutschte an einem Kieselstein und versuchte auf diese Weise, ihren Mund zu befeuchten.

Winuchtschala schubste sie auffordernd an. „Dein Baby hat Durst! Geh zum See!“

Sprachlos starrte Theresa auf die alte Frau, wagte einen Moment nicht, der Aufforderung nachzukommen. Durfte sie sich tatsächlich entfernen? Langsam erhob sie sich, spähte vorsichtig um sich, ob sie nicht doch irgendwie Aufmerksamkeit erregte, aber alle schauten wie gebannt zum Tanzplatz.

Aufatmend entfernte sie sich, froh ihre Beine strecken zu können. Sie hastete zum Wasser und trank gierig das kühle Nass. Dann ließ sie sich mit einem dankbaren Seufzen ins hohe Gras sinken. Hier wehte eine laue Brise und kurz schloss Theresa die Augen und genoss die Abkühlung. Ein Bad wäre jetzt schön, aber sie wollte die heilige Zeremonie nicht durch ihre Unachtsamkeit entweihen. Ihre Wangen brannten von der unbarmherzigen Sonne und behutsam tastete sie mit ihren Fingern über die heiße Haut. Sie würde einen furchtbaren Sonnenbrand bekommen. Schade, dass von den Überfällen der Indianer auf Julesburg keine Sonnenschirme mehr da waren!

Sie ging nicht auf direktem Weg zurück, sondern machte einen Umweg zu ihrem Tipi. Schnell wühlte sie in ihren Bündeln und zog das schwarze Tuch heraus. Vielleicht konnte sie daraus einen Sonnenschutz basteln? Nachdenklich faltete sie das Tuch auseinander, dann liefen ihr vor Selbstmitleid heiße Tränen über das Gesicht. „Oh Marie!“, dachte sie voller Sehnsucht. Wie viel leichter würde ihr dieses Leben fallen, wenn sie wenigstens ihr Baby noch hätte! Ein Wesen, um das sie sich kümmern und das ihr das Gefühl der Einsamkeit nehmen könnte. Die alte Frau war keine Gesellschaft! Und auch die anderen Frauen flüsterten unter vorgehaltener Hand, wenn sie ängstlich an ihnen vorbeischlich. Es wunderte sie ohnehin, warum der Krieger sie am Leben ließ, wenn sie doch so offensichtlich unerwünscht war.

Sie nahm einige schlanke Zweige und formte ein provisorisches Rad, das sie wie einen Sonnenschirm mit dem schwarzen Tuch bedeckte. So ausgerüstet ging sie zum Tanzplatz zurück und hockte sich hinter Winuchtschala. Sie hielt das Gestell wie ein Dach über ihren Kopf, sodass zumindest ihr Gesicht im Schatten lag. Winuchtschala nickte wohlwollend, dann richteten sich ihre Augen wieder auf die Zeremonie. Unbewusst folgte Theresas Aufmerksamkeit Winuchtschalas Blick und sie fragte sich, wie lange die Männer diese Folter noch ertragen müssten.

Während des Nachmittags träumte sie vor sich hin, nahm kaum noch den Gesang und den Trommelschlag war. Sie war erleichtert, als am Abend eine frische Brise aufkam und den Schweiß auf ihrem Kleid trocknete. Auf einmal kam Leben in die wartenden Zuschauer. Der erste Krieger fiel zu Boden und wurde vorsichtig in eine Decke gewickelt. Dann schleppten ihn die Helfer in einer Prozession ins Dorf zurück. Ein Tänzer nach dem anderen riss sich von den Riemen los und blieb bewusstlos im Gras liegen. Theresa war entsetzt über die Qualen, die sich die Männer nach diesem anstrengenden Tag noch auferlegten. Auch Wakinyan-gleschka befreite sich von dem Baum und wurde von mehreren Männern hochgehoben.

„Komm!“, befahl Winuchtschala.

Ehrfürchtig folgte die Alte den Männern ins Dorf zurück, während Theresa mit gesenktem Kopf hinterherschlich. Was würde nun geschehen?

Sie schlüpfte ins Tipi und starrte erschrocken auf den leblos am Boden liegenden Mann. Die weiße Farbe war verschmiert, überall klebte getrocknetes Blut und seine Brust war nur noch eine große blutende Wunde. Dieser Mann war schwer verletzt! Wie gelähmt stand sie in der Nähe des Eingangs und wäre doch am liebsten fortgelaufen.

„Hole eine Schüssel mit Wasser“, bat Winuchtschala in ruhigem Tonfall. Offensichtlich hatte sie so etwas schon öfter erlebt und wusste, was nun zu tun war. Mit zitternden Händen stellte Theresa eine Schale neben den Mann und suchte nach einem Lappen, mit dem man ihn säubern konnte.

Winuchtschala riss ein Stück Stoff entzwei und begann vorsichtig, die Wunden sauber zu tupfen. Es dauerte eine Weile, bis die Blutung aufhörte, dann wusch die alte Frau sorgfältig seinen Körper sauber. Mit einer ungeduldigen Handbewegung befahl sie Theresa, ihr bei dieser Arbeit zu helfen. Gehorsam setzte sich Theresa dazu und rieb zaghaft mit einem Tuch über die Beine des Mannes. Sie musste kräftig rubbeln, um die weiße Farbe zu entfernen, und errötete vor Scham. Seine kräftigen Schenkel zu berühren war in höchstem Maße unanständig. Nicht einmal Jonathan hatte sich je so entblößt vor ihr präsentiert! Wieso kannten diese Menschen keine vernünftigen Hosen? Aber die Frauen kannten ja auch keine Mieder! Ihre Busen wackelten bei jedem Schritt hin und her, und die Frauen genierten sich auch nicht, ihre Babys in der Öffentlichkeit zu stillen oder zumindest in der Gegenwart von anderen Frauen. Eigentlich war die Kleidung der Indianer ganz bequem, musste sie gerechterweise zugeben. Sie hatte darin wesentlich mehr Bewegungsfreiheit und der Schnitt war ausgesprochen praktisch. Keine engen Mieder, keine Unterröcke, keine engen Schnürstiefel. Aber noch empfand sie all diese Annehmlichkeiten als zutiefst sittenwidrig, ebenso wie die Kleidung der Männer. Der Lendenschurz war für sie höchstens ein Handtuch, das man sich nach dem Baden umschlug. Und die eng anliegenden Leggins waren geradezu obszön.

Sie sinnierte weiter über dieses seltsame Volk. Während sie den Frauen wenigstens ihre Hochachtung aussprach für all die Arbeiten, die sie verrichten mussten, empfand sie die Männer als herumstreunende Halunken. Niemand ging einem anständigen Handwerk nach, außer, wenn sie ihre Mordwerkzeuge herstellten, und im Lager schienen sie sich vor jeglicher Arbeit zu drücken. Ausgerechnet so ein Herumtreiber wurde nun der Vater ihres Babys!

Wieder zuckte sie zusammen, als ihr die Zweifel kamen. Vielleicht war ja doch ihr guter und anständiger Jonathan der Vater ihres Kindes? Sie versuchte nachzurechnen, wann sie das Kind empfangen haben könnte. Tränen bildeten sich in ihren Augen, als sie an die letzte Liebesnacht mit Jonathan dachte. Vor Weihnachten war das gewesen, vor dem Tod von Marie! Irgendwann nach Neujahr war der schreckliche Angriff der Indianer erfolgt, der Tag, an dem sie so brutal aus ihrem bisherigen Leben gerissen worden war. Ein Kind von Jonathan müsste im September geboren werden, dachte sie wehmütig.

Seit der Geburt von Marie hatte sie bisher kein einziges Mal ihre Monatsblutung gehabt! Nur diese kurze Blutung, als der fremde Mann in ihr getobt hatte. War sie zu dem Zeitpunkt schon schwanger gewesen? Jedes Erbrechen, jedes Schwindelgefühl deutete sie nun als frühes Zeichen einer Schwangerschaft. September! Aber welcher Monat war jetzt? Wie sollte sie die Monate in diesem verrückten Land auseinander halten? Hier gab es keine Ernte, nach der sie sich orientieren konnte oder Obstbäume. Hier schien es nur übergangslos Sommer und Winter zu geben, als hätte Gott die anderen Jahreszeiten einfach vergessen. Mit bangem Herzen blickte Theresa auf den Indianer. Wenn die Indianer zu solchen Grausamkeiten und Selbstmartern fähig waren, wie würde Wakinyan-gleschka dann auf ein weißes Kind reagieren, wenn er erkannte, dass es nicht das Seine war!

Der Krieger schlug die Augen auf und stöhnte leise. Schlaff lag er auf seinem Lager, unfähig auch nur eine Bewegung zu machen. Winuchtschala hob seinen Kopf und flößte ihm etwas Flüssigkeit ein. Der Mann trank in tiefen Zügen, dann sank sein Kopf wieder nach hinten. Sachte zog Winuchtschala eine leichte Decke über seinen Leib, bedeckte endlich seinen muskulösen Körper und den peinlichen Lendenschurz.

„Er wird schlafen!“, erklärte die Alte. „Lass uns essen!“

Theresa lief das Wasser im Mund zusammen, denn auch sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Energisch wischte sie über ihre Augen und folgte Winuchtschala vor das Zelt.

Die Sterne funkelten vergnügt am schwarzen Himmel und dies zeigte Theresa, dass die Nacht schon weit fortgeschritten war. Sie schürte das Feuer unter dem Kessel und wärmte das Essen vom Vortag einfach wieder auf. Dann schöpfte sie der Alten etwas Eintopf in einen hölzernen Teller, ehe sie sich selbst bediente. Stille war in dem Dorf eingekehrt und nach dem langen Dröhnen der Trommel war die Ruhe nun fast unheimlich. Sogar das Zirpen der Grillen war überdeutlich zu hören. Winuchtschala hatte sich nach der kurzen Mahlzeit wieder ins Zelt zurückgezogen und zum ersten Mal genoss Theresa die Einsamkeit. Von Heimweh erfüllt sah sie in den nächtlichen Himmel und staunte über die unendlich vielen Sterne. „Kann man in Deutschland die gleichen Sterne sehen?“, überlegte sie sehnsüchtig.

In Deutschland hatte es kaum romantische Momente gegeben, ihr Leben war damit ausgefüllt gewesen, ihren Eltern zu gehorchen und die Familie zu versorgen. Selbst für ihren Sohn war kaum Zeit gewesen. Er hatte in seiner Wiege gelegen und nur zum Stillen hatte sie ihre Arbeit unterbrochen.

Kinder mussten sich schnell in die Arbeitswelt der Eltern einfügen, schon mit jungen Jahren kleine Pflichten übernehmen, damit sie möglichst schnell wertvolle Arbeitskräfte wurden.
Kinder wurden früh entwöhnt, damit die Mutter arbeiten konnte und möglichst bald auf den Topf gezwungen, damit das lästige Windelnwaschen wegfiel. Es war eine harte Welt, in die diese Geschöpfe hineingeboren wurden.

Aber nichts hatte sie auf diese Zukunft vorbereitet. Hier, in diesem fremden Land, bei einem Volk, von dem sie in Deutschland bisher kaum etwas gehört hatte. Indianer! Sie lächelte bei diesem Gedanken. Ihre Eltern hatten noch gescherzt und ihr sinnlose Warnungen mit auf den Weg gegeben. „Indianer leben in dreckigen Hütten und sie sind auf Mord aus! Aber sie sind feige und greifen nicht bei Nacht an!“

So ein Unsinn! Diese Indianer lebten in luftigen, sauberen Tipis! Jetzt im Sommer konnte man die Planen nach oben schlagen, so dass die Luft zirkulierte und das Zelt angenehm kühlte. Ja, und schmutzig waren die Indianer auch nicht! Sie seufzte hörbar und dachte an ihre Eltern. „Mutter, wenn du wüsstest!“ Ob sie ihren Eltern je schreiben könnte? Vielleicht wäre es barmherziger, sie im Ungewissen zu lassen? Wie viel Leid würde sie ihren Eltern zufügen, wenn sie erfuhren, dass ihr geliebter Enkelsohn bereits die Reise nicht überlebt hatte?

Nein, niemand in Deutschland durfte von ihrem Schicksal erfahren. Ihr Mann von Wilden getötet, ihre Kinder an Krankheiten gestorben, sie selbst von einem Heiden geschwängert. Es war besser, wenn alle glaubten, dass auch sie tot war, ehe sie von ihrer Schande erfuhren.

Vielleicht sollte sie sich mit diesem Leben abfinden, hoffen, dass ihr Baby eine braune Haut hatte, und ihr altes Leben vergessen. Selbst, wenn dieses Kind weiß war, so blieb doch die Tatsache, dass ein Indianer sie beschmutzt hatte. Kein Weißer würde sie jetzt noch anrühren. Sie lebte in Sünde und ihre Seele war verdammt.

Sie hatte Alpträume in dieser Nacht. Ein Teufel mit Pferdebeinen und Hörnern auf seinem Kopf griff nach ihren Kindern und zog sie hinab ins Fegefeuer. Ruhelos wälzte sie sich hin und her, rannte diesem Teufel schreiend hinterher, damit er ihre Kinder wieder freiließ. Schweißgebadet wachte sie frühmorgens auf, völlig verstört von dem grauenvollen Traum. „Meine Kinder sind doch unschuldig!“, weinte sie lautlos. „Herr, du darfst sie nicht verdammen!“ Wie konnte ihr Gott nur so grausam sein?

Ihr war ein wenig übel und so verließ sie das Zelt, um zum See zu gehen. Das frische Wasser würde ihr gut tun. Außerdem genoss sie es, zu baden und ihr Kleid zu waschen. Bei dem ständigen Wind trocknete es im Nu, manchmal konnte sie sogar darauf warten und es wieder anziehen. Sie zog das Kleid aus und schwenkte es ein paar Mal durch das Wasser, dann hängte sie es zum Trocknen in die Zweige eines Busches. Vorsichtig stieg sie mit ihren Füßen in das kühle Nass des Sees, kühlte sich ein wenig ab, ehe sie einige kräftige Züge schwamm. Fröstelnd kletterte sie wieder ans Ufer und setzte sich nackt in die aufgehende Sonne. Noch war niemand wach. Sie genoss die Ruhe, die schöne unberührte Stimmung am See und das fröhliche Zwitschern der Vögel, die nichts von ihrem Leid wussten. „So unbeschwert möchte ich sein!“, dachte sie melancholisch. „Wie ein Vogel!“

Sie hatte sich angewöhnt, möglichst früh aufzustehen, damit keine andere Frau ihren Weg kreuzte. Manchmal näherten sich ihr diese merkwürdigen Wesen mit den unschicklichen Kleidern, an denen es keine Ärmel gab. Das Oberteil fiel locker über Schultern und Arme, unter den Achseln noch nicht einmal zusammengenäht, damit die Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt wurde. Seitlich konnte somit jeder die wogenden Brüste sehen, vielleicht stellten die Frauen sich sogar mit Absicht zur Schau, um die Gunst der Männer zu erwerben. Theresa machte einen Bogen um die anderen Frauen, hatte schon Mühe, Winuchtschala zu verstehen, die sich wenigstens dazu herabließ, langsam mit ihr zu sprechen. Doch das Flüstern der anderen Frauen klang für sie nur wie das schnelle Plätschern des Wassers. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, dass eine dieser Frauen vielleicht einmal eine Freundin wurde. Sie wollte hier weg!

Irgendein Köter strich schnüffelnd an ihr vorbei und sie scheuchte ihn ungeduldig davon. Sie mochte diese struppigen Indianerhunde nicht, die überall um Futter bettelten und mit ihren Flöhen die Zelte verunreinigten. „Hau ab!“, zischte sie auf Deutsch.

Ihr Kleid war noch nicht ganz trocken und so wickelte sie sich in ihre gestreifte Decke. Sie drehte sich um und erblickte einen Mann, der mit frechem Grinsen in der Nähe stand und sie offensichtlich beobachtet hatte. Er war einer der Freunde ihres Häschers, soviel wusste sie, obwohl sie sich nicht an den Namen erinnern konnte. Sie senkte scheu den Kopf, versuchte die Angst, die in ihr hochstieg, zu unterdrücken. Noch nie hatte sie jemand im Dorf belästigt, irgendwie hatte sie sich in letzter Zeit sicher gefühlt. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich eine alte Frau auf und warf mit keifender Stimme einige Lehmklumpen nach dem ungebetenen Gast. Anstatt die Flucht zu ergreifen, kugelte sich der Mann vor Lachen, hob schützend die Hand vor sein Gesicht, als ein Lehmklumpen ihn fast getroffen hätte. Er zerplatzte in lauter kleine Staubkörner, was den Mann eher noch mehr erheiterte. Kichernd trat er den Rückzug an, ohne besondere Eile, so, als hätte es sich nur um einen dummen Jungenstreich gehandelt.

Theresa sammelte die Spucke in ihrem Mund, dann stieg Wut in ihr hoch. Diese Männer trieben es wie die Lagerhunde! Solange sie wie eine Gefangene behandelt wurde, war sie offensichtlich Freiwild! Sie musste das schnellstens ändern!

Verärgert nahm sie ihr feuchtes Kleid auf den Arm und kehrte barfuß ins Dorf zurück. Die alte Frau grummelte böse hinter dem Mann, aber auch hinter der dummen weißen Frau her, die so unbesorgt allein zum See gegangen war. Warum hatte sie nicht gewartet, bis alle Frauen zum Waschen gingen?

„Achte unsere Sitten!“, schimpfte sie keifend.

Theresa flüchtete in ihr Tipi und schlüpfte mit bebendem Herzen in ein trockenes Kleid. Es war aus dem leichten Baumwollstoff, welchen die Indianer bei ihren diversen Raubzügen erbeutet hatten, und gab Theresa das Gefühl von Schutz. Wenigstens ein Stück Zivilisation, an das sie sich klammerte. „Sitten!“, dachte Theresa abfällig. „Welche Sitten?“ Der einzige Schutz, den es hier gab, war der Krieger, der sie gefangen genommen hatte und dessen Besitz sie nun war.

Wakinyan-gleschka lag fiebernd auf seinen Decken und atmete schwer. Besorgt beugte sich Theresa über seinen glühenden Körper und untersuchte seine Wunden. Die ganze Brust schien geschwollen zu sein, die Haut war heiß und entzündet. Er zuckte zusammen, als sie vorsichtig darüber strich und schaute sie mit fiebrigen Augen an. Plötzliche Angst erfasste sie. Was würde aus ihr werden, wenn dieser Mann starb? Mit Schrecken dachte sie an die vorherige Begegnung, sah darin lediglich eine Bestätigung ihrer Ängste, was passieren würde, wenn ihr Beschützer starb. Nein! Wakinyan-gleschka durfte nicht sterben!

Fieberhaft dachte sie nach, was sie in Deutschland tun würde, um die Entzündung zu lindern. Zu dieser Jahreszeit würde das Johanniskraut blühen, aus dessen Blüten sie ein ranzig riechendes Öl gewinnen könnte. Es war entzündungshemmend, wirkte auch schmerzlindernd, aber hier hatte sie diese Pflanze noch nie gesehen. Mit ihren Gedanken wanderte sie über die Prärie, versuchte sich an irgendetwas Bekanntes zu erinnern. Schafgarbe? Deutlich hatte sie die aufrecht stehenden Pflanzen mit den weißen Dolden und gefiederten Blättern vor Augen. Sie lächelte wehmütig, als ihr kurz der Gedanke durch den Kopf schoss, dass es doch einige Dinge in diesem fremden Land gab, die sie kannte. Mit frischem Mut verließ sie das Zelt und suchte nach der auffälligen Pflanze. Sie stand in vollem Saft und waren noch nicht an den Stielen verholzt. Sie sammelte die leicht silbergrünen Blätter und kochte sie über dem Feuer kurz auf. Dann ließ sie den Sud abkühlen, warf manchmal einen kurzen Blick auf den Mann. Er lag da, ohne sich zu rühren und seine Hilflosigkeit flößte ihr Angst ein. Aus einigen feuchten Stofffetzen machte sie kühle Umschläge, um die Hitze aus seinem Körper zu ziehen und legte die Blättermasse darauf. Dann schob sie eine Stütze unter seinen Kopf, damit er essen und trinken konnte.

Er richtete sich tatsächlich in eine halb sitzende Stellung auf und sie wunderte sich, woher er die Kraft dazu nahm. Höflich reichte sie ihm eine Schale mit frischem Wasser, die er durstig schlürfte. Das Essen lehnte er ab, stattdessen ließ er seinen Kopf zurücksinken und schloss erschöpft die Augen.

Theresa setzte sich auf ihr Lager, nahm einen Kamm und begann ihr Haar sorgfältig zu kämmen. Geschickt legte sie es in feste Zöpfe und wickelte einen Streifen Stoff darum. So war das Haar vor dem allgegenwärtigen Staub geschützt. Die Augen des Mannes waren auf sie gerichtet, und sie machte eine fragende Bewegung mit dem Kamm. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, dass sie ihm die Haare kämmte. Bisher hatte sie auch noch keine Läuse bei ihm gefunden, so hatte sie ihren Widerwillen schließlich überwunden. Er lächelte matt, so setzte sie sich neben ihn und begann seine Strähnen zu ordnen. Seine Haare waren inzwischen wesentlich länger, glänzten in einem tiefen blau-schwarz. Eigentlich waren sie schön, wenn man davon absah, dass Männer keine langen Haare tragen sollten. Sie feuchtete den Kamm mehrmals an, damit sie besser durch die langen Haare kam, dann flocht sie zwei feste Zöpfe. Wie bei einem Mädchen, dachte sie spöttisch.

Vorsichtig tastete sie über die Umschläge auf seiner Brust und stellte fest, dass sie warm waren. Wieder tauchte sie die Stofffetzen in den kühlen Sud und erneuerte die Umschläge. Sie schienen zu helfen, zumindest war der angespannte Ausdruck in dem Gesicht des Mannes verschwunden.

Er verlangte nach seinem Bündel und kramte suchend darin he-rum, bis er schließlich einen kleinen Beutel hervorzog. Der Mann bedeutete ihr sich zu ihm hinzuknien und tauchte mit zwei Fingern in den Beutel. Mit roter Farbe verschmiert zog er sie wieder heraus, dann versuchte er ihr Gesicht zu berühren. Entsetzt zuckte sie zurück, wollte ganz bestimmt nicht so angeschmiert werden, wie die anderen Weiber des Dorfes! Er lächelte freundlich, während er mit der anderen Hand nach ihrem Genick griff und ihren Kopf wieder näher heranzwang. „Das hilft gegen die Sonne!“, erklärte er.

Widerstrebend ließ sie zu, dass er ihre Wangen mit dieser ekligen Farbe einschmierte, wusste nicht, dass dies eigentlich eine Geste der Achtung und Sympathie war. Sie fühlte sich lediglich als sein Besitz gebrandmarkt, als würde er ihr einen Stempel aufdrücken. Vielleicht wurde sie nun von niemandem mehr belästigt, dachte sie nüchtern. Ich bin die Sklavin von Wakinyan-gleschka!

Hemdträger

(Montana Territorium, Sommer 1865)

Wakinyan-gleschka sah seiner Gefangenen nach, die flink aus dem Tipi eilte, dann schloss er sinnend die Augen. Die seltsamen Umschläge kühlten seinen Körper und er wunderte sich, dass diese Weiße zumindest Wissen in der Heilkunst hatte. Er fühlte sich furchtbar, wie jedes Mal nach dem Sonnentanz, doch dieses Mal fehlte das Gefühl der Zufriedenheit, das ihn sonst erfüllte. Er hatte sich für sein Volk geopfert und doch vermisste er die Klarheit, warum er all dies auf sich nahm. Sein Volk wurde von Krankheiten dezimiert, immer mehr Weiße drängten in ihr Land, nahmen in Besitz, was ihnen überhaupt nicht gehörte und verdrängten das Wild. Kein Gebet, kein Flehen, keine Vision, kein Sonnentanz konnten daran etwas ändern! Sie kämpften tapfer, doch jedes Mal, wenn sie die Soldaten erfolgreich geschlagen hatten, tauchten woanders weitere Truppen auf.

Andere Krieger gaben sich der Illusion hin, dass sie die Weißen aufhalten konnten, doch er sah die ganze Angelegenheit nüchterner. Er hatte miterlebt, wie seine Familie gestorben war, wie sein halbes Dorf ausgelöscht worden war. Seine Gedanken wanderten zu der Gefangenen. Ihm war klar, dass eines Tages die Soldaten auftauchen würden, um sie wieder in ihre Welt zurückzuführen. Aber noch war sie hier und irgendwie befriedigte ihn diese Tatsache.

Er wusste von ihrem kleinen Geheimnis, denn Winuchtschala hatte es ihm freudestrahlend ins Ohr geflüstert. Nur wusste er nicht, wie er darauf reagieren sollte! Selbstverständlich hatte er die Frau seitdem nicht mehr angerührt, damit das Ungeborene in ihrem Leib nicht gestört wurde, aber sonst stellten sich ihm unbequeme Fragen. Er freute sich auf das Kind, sah es als ein Geschenk von Tunkáschila, als ein Zeichen, dass das Leben weiterging. Doch die Tatsache, dass dessen Mutter eine weiße Gefangene war, verunsicherte ihn. Die Frauen waren Bewahrerinnen der Traditionen, der Sitten und Bräuche. Sie sorgten für die Erziehung der Kinder und unterwiesen sie in den Riten der Lakota. Welche Bräuche würde diese Weiße seinem Sohn lehren, in welcher Sprache würde sie mit ihm sprechen? Würde dieses Kind in zwei Welten leben? In einer Welt, von der er nichts wusste? Er hatte Winuchtschala angewiesen, die Gefangene noch eifriger in der Sprache der Lakota und in ihren Bräuchen zu unterrichten, damit sie sorgsam auf die Rolle als Mutter seines Kindes vorbereitet wurde. Wohlwollend bemerkte er ihre Fortschritte, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Die Welt der Frauen ging einen Krieger nichts an. Manchmal hätte er gern ihren Bauch berührt und nach seinem Kind getastet, so wie er es mit seiner anderen Frau getan hatte, aber er wusste nicht, wie weiße Menschen damit umgingen. Erst musste er darüber nachdenken.

Die Frau kehrte zurück und dankbar nahm er zur Kenntnis, dass sie den inzwischen warmen Umschlag durch einen kühlen ersetzte. „Hole Wasser und wasche mich!“, bat er freundlich. Er fühlte sich noch zu schwach, um bis zum Fluss zu gehen. Sie erbleichte sichtlich und spöttisch bemerkte er, wie sie sich vor seiner Nacktheit genierte. Weiße waren wirklich seltsam und er fragte sich, wie sie es fertigbrachten, Kinder zu zeugen. Sie stellte eine Schüssel Wasser neben ihn und begann errötend seine Arme und Beine zu waschen. Dann schlang sie ihren Arm um seinen Körper und hob ihn ein wenig an, um seinen Rücken zu waschen. Es war angenehm und er machte sich mit Absicht schwer, zögerte das Ende der Berührung hinaus. Schließlich ließ sie ihn zurücksinken und schwungvoll breitete sie wieder die Decke über ihn aus.

„Es ist zu heiß!“, ärgerte er sie.

Widerwillig zog sie die Decke von seinem Körper, vermied den Blick auf seine kräftigen Schenkel, wechselte stattdessen den kühlenden Umschlag. Die Schwellungen schienen zurückzugehen und vorsichtig tastete er über seine wunde Brust. „Waschté!“, murmelte er zufrieden. Er griff nach seinem Lendentuch, um seine Blöße zu verhüllen und registrierte verschmitzt ihr erleichtertes Aufatmen. Dann war er zu müde für weitere Spielchen und schloss die Augen, um ein wenig zu ruhen.

Im Hintergrund rumorte die Frau, schien an irgendetwas zu arbeiten, was ihn nicht weiter interessierte.

Er stellte sich schlafend, als Winuchtschala das Tipi betrat und hörte nur nebenbei die kurzen Anweisungen der alten Frau. Geschäftig verließ die Gefangene das Zelt, um irgendwelche Arbeiten zu erledigen, die ihr die Alte aufgetragen hatte. Vielleicht sollte er Winuchtschala als seine Mutter in sein Tipi nehmen, dann hätte sein ungeborener Sohn eine Großmutter.

Familienbeziehungen waren wichtig bei seinem Volk und eine Großmutter könnte dem Kind das lehren, was die weiße Frau nicht wusste. Er blinzelte die alte Frau unter seinen langen Wimpern an und musterte sie prüfend. Sie war gesund genug, um in seinem Tipi eine wertvolle Hilfe zu sein. Wenn das Baby erst geboren war, würde die Gefangene auf ihre Hilfe angewiesen sein, abgesehen davon, dass zwei Frauen wesentlich besser seine Jagdbeute verarbeiten konnten.

Vielleicht suchte er sich auch noch eine jüngere Frau dazu, aber das konnte warten. Im Moment war es ratsamer, eine gewisse Hierarchie im Tipi einzuhalten und nicht zwei Weiber zu haben, die um seine Gunst buhlten. Er hasste keifende Weiber, wurde unangenehm an seine Kindheit erinnert, als sein Vater kurzfristig so ein junges Ding in sein Tipi geholt hatte. Seine Mutter war so eifersüchtig geworden, dass sein Vater sie schließlich weggegeben hatte, auch zum Wohle des Familienfriedens. Nein, er wollte keine solche Situation heraufbeschwören. Noch hatte die Weiße sich nicht an ihn gewöhnt, wie sollte sie dann mit einer Nebenbuhlerin zurechtkommen? Es wäre nicht gut für das Ungeborene, wenn die Mutter mit schweren Gedanken belastet wurde.

Er räusperte sich leise, heischte damit um Aufmerksamkeit und nickte Winuchtschala freundlich zu. „In Zukunft werde ich dich Ina rufen! Mutter!“

Ihre Reaktion überwältigte ihn. Mit zitternden Fingern griff die alte Frau nach seiner Hand und führte sie an ihr tränenüberströmtes Gesicht. Immer wieder stammelte sie voller Dankbarkeit: „Ich danke dir, mein Sohn! Ich danke dir!“ Er lachte gerührt und meinte mit belegter Stimme: „Nein, ich habe zu danken! Für all die Liebe, die du mir bereits gegeben hast! Du bist nun meine Mutter und es ist gut so! Wenn es mir besser geht, dann werde ich dir zu Ehren ein Fest geben!“

Winuchtschala schlug vor Staunen die Hand vor den Mund, wusste nicht, wie sie auf diese Ehrenbezeugung reagieren sollte. Nun hatte sie wieder eine Familie und konnte ihr Glück überhaupt nicht fassen.

Die Aufmerksamkeit von Wakinyan-gleschka wandte sich dem Eingang zu, wo das besorgte Gesicht seines Freundes auftauchte. „Komm herein!“, meinte Wakinyan-gleschka freundlich. Dann wedelte er mit seiner Hand, damit Winuchtschala ihm die Pfeife reichte. „Rauchen wir, mein Freund?“

Wambli-tokahe ließ sich auf ein Fell plumpsen und grinste breit: „Wie geht es dir?“

„Wahn! Was für eine Frage! Mir ging es schon mal besser!“

Zwischen den Augenbrauen von Wambli-tokahe erschien die typische Falte, wenn er über etwas nachdachte oder nach Worten suchte, aber er erwiderte nichts.

Stattdessen beugte er sich zu seinem Freund und tastete nach dessen Brust. „Haun!“, entwich es ihm.

Er sank zurück, streckte ein Bein gemütlich nach vorn, winkelte das andere Bein an und ließ lässig seinen Arm darauf ruhen, während er darauf wartete, dass sein Freund die Pfeife stopfte.

„Wo ist deine Gefangene?“, fragte er höflich.

Wakinyan-gleschka zuckte nur ungeduldig mit den Schultern. Dieses Interesse seiner Freunde an der weißen Gefangenen ging ihm auf die Nerven.

„Ich habe gesehen, dass du Grund hast dich zu freuen!“, provozierte ihn Wambli-tokahe, machte dabei eine leicht gewölbte Bewegung seiner Hand gegen seinen Bauch.

„Gesehen?“, schoss Wakinyan-gleschka erstaunt zurück.

„Am See!“, erklärte sein Freund ausweichend.

Wakinyan-gleschka nahm einen tiefen Zug aus der Pfeife und stieß den Rauch nach oben. Er wiederholte dies schweigend, konzentrierte sich ganz auf die Pfeife, während er über die Aussage seines Freundes nachdachte. Wahrscheinlich schlenderte nicht nur Wambli-tokahe „zufällig“ am See vorbei, um einen Blick auf die weiße Gefangene zu erhaschen! Schließlich reichte er die Pfeife weiter und forschte: „Am See?“

Sein Freund hustete erschrocken und warf ihm einen unsicheren Blick zu. „Ja, beim Baden! Sie sieht tatsächlich aus wie eine Frau! Nimmst du sie jetzt zur Ehefrau?“

Wakinyan-gleschka sah ihn mit durchdringenden Augen an, erkannte, dass sein Freund lediglich den Status der Frau abklopfte. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, gewisse Dinge zu regeln, ehe andere Männer ebenfalls auf die „Idee“ kämen, ihr beim Baden aufzulauern. Ihn wunderte, dass die Weiße ihm nichts gesagt hatte, aber vielleicht schämte sie sich zu sehr. Andererseits wollte er sich von seinen Freunden auch nicht drängen lassen! „Vielleicht!“, wich er aus.

„Was ist sie dann für dich?“

„Die zukünftige Mutter meines Kindes!“, meinte er scharf.

Die Gesichtszüge von Wambli-tokahe glätteten sich und seine Augen funkelten vor Vergnügen. Wakinyan-gleschka schüttelte unmerklich den Kopf. Er hatte sich doch zu einer unüberlegten Äußerung provozieren lassen!

„Dann werde ich sie so behandeln! Als zukünftige Mutter deines Sohnes!“, feixte Wambli-tokahe. Allein dieses entwaffnende Lächeln zeigte Wakinyan-gleschka, dass sein Freund ihm niemals eine Frau wegnehmen würde, auch keine Gefangene. Dieses Gespräch war lediglich ein ernst gemeinter Hinweis, dass es an der Zeit war, den Status der Frau auch im Stamm zu regeln! Er nahm einen tiefen Zug und reichte die Pfeife seinem Freund zurück, dabei zwinkerte er verschmitzt. Gleichzeitig lachten die Männer los, bis Wakinyan-gleschka empört die Hand hob. „Hör auf! Meine Brust schmerzt!“

Er klopfte die Pfeife aus, als deutliches Zeichen an seinen Freund, dass er jetzt seine Ruhe haben wollte. Wambli-tokahe nickte freundlich und erhob sich. „Ich gehe heute für dich jagen, damit die Mutter deines Sohnes satt wird!“

„Waschté!“, winkte Wakinyan-gleschka mit einer abschließenden Handbewegung.

Sein Freund schlüpfte aus dem Zelt und Stille breitete sich aus. Höflich setzte sich Winuchtschala neben sein Lager und wartete auf seine Wünsche. „Nimm die Rückenstütze weg, ich möchte schlafen!“

Es dauerte einige Tage, ehe Wakinyan-gleschka in der Lage war, einen Bogen zu spannen. Anfangs nahm er sogar die Frau mit zum Fluss, damit sie ihn wusch. Jede Bewegung schmerzte, jedes Bücken ließ einen Feuersturm durch seinen Körper rasen. In der Hitze des Sommers saß er gerne bei seinen Freunden und sah ihnen bei ihren Würfelspielen zu. Im Dorf war es angenehm leise, die Kinder spielten ihre wilden Spiele lieber in der Nähe des Sees oder machten Erkundungsritte in die Umgebung. Die Hunde lagen faul in der Sonne und die Frauen hatten sich während der Mittagshitze in den Schatten zurückgezogen, um auszuruhen. Es war ein friedliches Bild, wie es schöner nicht sein konnte. Vergessen waren die Schrecken des Winters und die Kämpfe mit den weißen Soldaten. Hier war ihr Stammesgebiet und die Lakota fühlten sich sicher. Die Frauen sammelten ungestört die Früchte des Bodens, Kinder wuchsen heran und die Krieger lachten ungezwungen. Der scharfe Wind ließ die Hitze erträglich werden und schützte ein wenig vor den dunklen, blutsaugenden Moskitoschwärmen.

Die Stimmung wurde getrübt, als eine Gruppe Lakota aus dem Süden eintraf. Sie waren abgehetzt, offensichtlich auf der Flucht und das Wehklagen ihrer Frauen erfüllte die Luft. Großzügig wurden den Ankömmlingen Zelte und Kleidung zur Verfügung gestellt und das Versammlungszelt füllte sich mit Kriegern, die hören wollten, was mit dieser Gruppe passiert war.

Die Frauen schlugen bereits erschrocken die Hände vor den Mund, denn unter ihnen verbreiteten sich Nachrichten schneller als bei den Kriegern, die gewisse Rituale einhalten mussten.

Sinte-gleschka, der Häuptling, setzte sich und blickte schweigend auf den Anführer dieser Gruppe. Dann gab er mit einem leichten Rucken seines Kopfes das Zeichen, dass er berichten möge. Mit hängenden Schultern erhob sich der Gast und suchte nach Worten: „Wir lagerten in Frieden in der Nähe von Fort Laramie. Wir wollten keinen Krieg mit den Weißen. Aber sie trauten uns nicht. Seit den Angriffen auf die weißen Farmen im Plattetal sehen sie in jedem Indianer einen Feind!“

Er machte eine Pause und warf einen Blick in die Runde der Krieger. „Erst töteten sie unseren Häuptling Two Moon, dann verlangten sie von uns, dass wir nach Osten gingen. Zu einem Fort, das sie Fort Kearny nennen.“ Ein Raunen ging durch das Zelt. „Das liegt im Land der Pawnee!“, meinte Wambli-tokahe mit gerunzelter Stirn.

„Ja! Trotzdem zwangen die Soldaten uns zum Aufbruch. Wir hatten kaum Waffen und konnten uns nicht wehren.“

Wieder ging ein bestürztes Raunen durch die Versammlung.

„Wir beteuerten unseren Friedenswillen und der weiße Häuptling versicherte uns, dass wir in Sicherheit wären. Aber seine Worte waren falsch! Bereits nach wenigen Tagen sind seine Soldaten über unsere Frauen und Mädchen hergefallen! Einige Männer starben, als sie ihre Töchter verteidigen wollten. So ist der Frieden mit den Weißen“, erklärte er verbittert.

„Wir hätten diese Soldaten am Cachli-Wakpa töten sollen!“, zischte Tschan-ihakab-naschin verärgert. „Und nicht nur ihre Mulis stehlen!“

Alle nickten ernst. „Wir werden sie vertreiben und die Ehre unserer Frauen und Mädchen schützen!“, schwor Sinte-gleschka mit leiser Stimme.

Alle blickten zuversichtlich auf ihren Häuptling und schöpften Kraft aus seinen Worten. „Wieso tun jene Weißen so etwas? Haben sie nicht genügend eigene Weiber?“

Ein Krieger stand zögernd auf und bat um das Wort. „Sie demütigen damit ihre Feinde! Außerdem leben die Männer ohne ihre Frauen in den Forts der Weißen. Unterwerfen sie einen Stamm, dann fallen sie wie die Tiere über die Frauen her. Sie sehen in uns keine Menschen!“

Empörtes Rufen war zu hören, aber der Angriff der Soldaten auf das Cheyennedorf hatte allen die Auswüchse, zu denen die Weißen fähig waren, gezeigt. „Erst missbrauchen sie unsere Frauen und dann schlitzen sie ihnen die Leiber auf!“, schimpfte ein Mann aufgebracht. „Vielleicht sollten wir das Gleiche auch  ihren Frauen antun!“

Wakinyan-gleschka senkte betroffen die Augen, denn Ähnliches hätten sie mit seiner Gefangenen fast gemacht!

„Dann sind wir genau solche Tiere wie jene Weißen! Auch ihre Frauen haben Gefühle, spüren den Schmerz, trauern um ihre Männer.“

„Hast du vielleicht Mitleid mit ihnen?“, herrschte ihn ein junger Krieger an.

„Nicht mit den Soldaten! Aber mit ihren Frauen und Kindern. Sie brauchen den gleichen Schutz wie unsere Frauen und Kinder“, antwortete Wakinyan-gleschka ruhig.

„Das sagst du nur, weil du so ein Weib in dein Zelt genommen hast!“

Wakinyan-gleschka lächelte versöhnlich. „Das ist wahr! Deshalb kann ich dir auch sagen, dass diese Weiße einfach nur eine Frau ist. Eine hilflose Frau, die von einem Mann beschützt werden sollte. Mehr nicht.“

„Hohch!“

Wakinyan-gleschka merkte an der Reaktion der anderen, dass seine versöhnlichen Worte auf wenig Gegenliebe stießen. Zu viel war in letzter Zeit passiert, zu tief saß der unbändige Hass in den Herzen der Menschen, als dass sie auf seine mäßigenden Worte gehört hätten.

Es wurde Zeit, das Lager abzubrechen und den Büffelherden zu folgen. Im langsamen Tempo zogen die Indianer nach Westen in das Gebiet des Powder-Flusses. Tagelang waren sie unterwegs, aber sie hatten es nicht eilig. Immer wieder lagerten sie an den klaren Flüssen, schlugen ihre Tipis neben den Schatten spendenden Bäumen auf.

Die Häuptlinge beriefen eine große Ratsversammlung ein, um über die drohende Gefahr der eindringenden Weißen zu beratschlagen. Es würde Krieg geben, diese Tatsache war allen klar. Zum ersten Mal sollten wieder vier Hemdträger bestimmt werden, die das Volk der Lakota beschützen und die Krieger gegen die Soldaten führen sollten. Dieses Amt war eine hohe Ehre, aber auch eine hohe Verantwortung. Es wurde erwartet, dass diese Krieger bescheiden lebten, das Wohl des Volkes immer vor das eigene Wohl stellten und alles verschenkten, was sie nicht unbedingt brauchten. Aber dieses Amt brachte auch Macht! Viele junge Krieger gaben sich der Hoffnung hin, dass sie vielleicht erwählt wurden, obwohl meist nur die Söhne hoher Würdenträger als Hemdträger berufen wurden. Tagelang wurde beratschlagt, hitzige Diskussionen drangen aus dem Ratszelt, doch dann versammelte sich das Volk um den großen Platz, um die Entscheidung der Häuptlinge zu hören.

Wakinyan-gleschka saß inmitten der festlich gekleideten Männer seines Kriegerbundes und schaute interessiert auf die Versammlung. Alle hatten sich mit ihren schönsten Gewändern herausgeputzt und machten einen prächtigen Eindruck. No-Water, ein Neffe von Red Cloud, saß aufgeblasen vor Eitelkeit auf seinem Fell und fieberte der Entscheidung entgegen. Wakinyan-gleschka mochte ihn nicht, denn er hielt ihn für einen Angeber. Aber auch andere machten sich sichtbar Hoffnungen! Wakinyan-gleschka ließ herablassend die Lippen hängen und richtete seine Augen auf Sitting Bull, der die Ehre hatte, die Entscheidung des Rates zu verkünden.

Als erstes führte er Sword in den Kreis, den Sohn von Brave-Bear, einem angesehenen Häuptling. Dann bat er Young-man-afraid-of-his-horse aufzustehen, und Wakinyan-gleschka nickte zufrieden. Young-man-afraid war eine ausgesprochen gute Wahl! Ein moderater, beliebter Mann, der hohes Ansehen genoss, wie schon sein Vater. Der nächste war American-Horse, ebenfalls aus einer angesehenen Häuptlingsfamilie. Dann wartete Wakinyan-gleschka auf den letzten Mann, der in den Kreis geführt werden sollte. Überrascht riss er die Augen auf, konnte seine Verblüffung nicht verbergen. Crazy Horse! Das war ungewöhnlich, denn der Krieger stammte aus keiner prominenten Familie. Gut, auch sein Vater war ein tapferer Mann, aber kein Häuptling. Zögernd stand Crazy Horse auf, selbst überrascht von der Entscheidung und sichtlich berührt. Alle hatten mit No-Water gerechnet, der innerlich kochend vor Wut neben seinem Onkel hockte.

Fast ein wenig hämisch blickte Wakinyan-gleschka auf den gedemütigten Krieger. Für No-Water war es eine Blamage! Aber CrazyHorse war eine gute Wahl! Er war ein umsichtiger Kämpfer, setzte nie fahrlässig das Leben seiner Krieger aufs Spiel, und es war bekannt, dass er sehr enthaltsam lebte. Im Kampf würden ihm viele Krieger folgen.

Am Abend brannten große Feuer und es wurde ausgiebig gefeiert. Noch nie hatten so viele Zelte beieinander gestanden und das gab den Lakota ein Gefühl von Stärke und Macht. Sogar Cheyenne hatten sich ihnen angeschlossen, begierig darauf, gegen die Soldaten zu kämpfen.

Kurze Zeit später brachen die Krieger auf.

Besonders die Cheyenne hatten sich zum Teil grell bemalt, trugen nur einen Lendenschurz und ihren imposanten Kopfschmuck. Ansonsten ringelten sich weiße und rote Streifen um die muskulösen Beine. Blaue oder schwarze Farbe lag dicht auf den ausdruckslosen Gesichtern oder rote Streifen liefen wie geronnenes Blut über den ganzen Körper. Die Dogsoldiers der Cheyenne trugen ihren Kopfschmuck aus Rabenfedern, die in allen Richtungen vom Kopf abstanden. Zusammen mit den Kriegern der Krähen-Gesellschaft, die einen ausgestopften Vogelbalg im Haar trugen, sahen sie geradezu gespenstisch aus. Jeder hielt sein bemaltes Schild locker auf seinem Schenkel, als die Männer wie in einer Woge aufbrachen, die Bögen auf den nackten Rücken und die Speere in der Hand. Die Ponys tänzelten nervös, warfen unruhig ihre Köpfe hin und her. Ihre Flanken waren grell mit den Coupzeichen ihrer Reiter bemalt und die schlanken Fesseln zierten bunte Streifen. Die Gruppen trennten sich bald, denn Sitting Bull wollte nach Norden reiten und dort ihre Jagdgründe verteidigen, während Sinte-gleschka und Crazy Horse nach Süden schwenkten.

Besonders nachdrücklich kämpften die Indianer trotz ihrer Überlegenheit nicht. Viele Männer zu verlieren, brachte keinen Ruhm und so war jeder Anführer darauf bedacht die eigenen Verluste in Grenzen zu halten.

Wakinyan-gleschka amüsierte sich über die Weißen. Die Lakota spielten Katz und Maus mit ihnen, raubten ihnen immer wieder Waffen und Pferde, ohne dass wirklich Schaden angerichtet wurde. Das Land der Lakota war groß und so konnte es passieren, dass die Soldaten durch die unwirtliche Gegend zogen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Es war eher Zufall, dass die Indianer auf einen Treck stießen, der zu den Goldfeldern nach Montana unterwegs war. Nicht ahnend, dass die Weißen bereits planten eine Straße durch das Gebiet des Powder-Flusses zu bauen, belagerten die Lakota den Wagenzug einige Tage lang, doch dann ließen sie die Weißen passieren, als diese großzügige Geschenke als Wegezoll bezahlten.

Zwischendurch begleitete Wakinyan-gleschka Crazy Horse auf einem Kriegszug gegen die Shoshone. Selbst mit der Bedrohung der Weißen durften sie nicht vergessen, ihre Jagdgründe auch gegen ihre alten Feinde zu verteidigen. Hier machte der Kampf viel mehr Spaß. Während die Weißen lieber die sichere Deckung bevorzugten und sich wie die Weiber hinter irgendwelchen Palisaden versteckten, boten ihnen die Shoshone wenigstens einen wahren Kampf. Mann gegen Mann! Hier konnte man noch eine Attacke gegen die feindlichen Krieger reiten und versuchen, einen von ihnen mit seinem Coupstab oder seiner Peitsche zu berühren! Das brachte Ehre!

Bewundernd blickte Wakinyan-gleschka auf den Hemdträger, der geduckt wie ein Puma auf seinem Pony klebte und gegen seine Feinde ritt. Für einen Lakota war Crazy Horse eher grazil, nicht schmächtig, aber schlank, so verschwand er fast hinter der fliegenden Mähne seines Ponys. Trotzdem ging Crazy Horse kein unnötiges Risiko ein. Er zählte einen Coup an dem völlig überraschten Gegner und ritt mit einem Triumphschrei zurück.

Wakinyan-gleschka lachte kampfeslustig und hob herausfordernd seine Keule. Hokahey! Die Shoshone suchten ihr Heil in der Flucht, und schreiend galoppierten die Lakota hinterher. Crazy Horse hob befehlend die Hand und hielt seine Männer mit einer energischen Handbewegung auf. „Es ist genug!“ Er lachte übermütig. „So schnell kommen die Shoshone nicht wieder!“

Er führte seine Männer zum Platte-Fluss, an dem eine weitere Abteilung Soldaten gesichtet worden war. Wieder kam es zum Kampf und in zahlreichen Scharmützeln konnten die Soldaten besiegt werden. Noch nie hatten sie so viele Waffen und Pferde erbeutet, und die Männer trugen stolz irgendwelche Jacken oder Hüte der verhassten Soldaten als Trophäen. Überhaupt! Die Weißen waren nur dazu da, dass man sich an ihnen bereicherte!

Aber die Gegend war so weitläufig wie der Himmel und oft ritten sie tagelang, ohne auf eine Menschenseele zu stoßen. Viele Männer wurden unruhig, sehnten sich nach ihren Frauen und Kindern. Außerdem stand die Büffeljagd bevor.

Es wurde langsam Herbst, das Gras der Prärie war längst braun, verbrannt von der unbarmherzigen Sonne des Sommers. Nur an den Flussauen reiften die Pflaumen und Hagebutten und an den versteckten Stellen, die nur die Indianer kannten, schimmerte die orange Schale des wilden Kürbisses. Mit ihrer Beute kehrten die Indianer wieder in ihre Dörfer zurück und bereiteten sich auf die große Büffeljagd vor. Bisher hatten sie nur gegen andere Stämme Krieg geführt, die den gleichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen waren wie sie selbst. Auch ihre Feinde mussten die Frauen und Kinder verteidigen oder Nahrungsvorräte für den Winter anlegen. Nur die Weißen lebten nach anderen Regeln, hatten den Krieg für sich perfektioniert und mussten auf keine Frauen und Kinder Rücksicht nehmen!

Ein Hagelsturm im September, der fast zwei Tage lang dauerte, zeigte den Indianern, dass der Winter dieses Jahr früh kommen würde. Es wurde Zeit, die Nahrungsvorräte zu ergänzen, außerdem waren die Männer des Kampfes müde. Sie freuten sich auf ihre Familien und sehnten sich danach ihre Beine an den wärmenden Feuern auszustrecken. Sie hatten keine Angst vor den Donnergeistern des Hagelsturms, sahen dieses Phänomen der Natur mit der gleichen Gelassenheit, wie einen Regen oder Schneesturm.

Zitternd drängten sich die Ponys aneinander, suchten Schutz im Windschatten der zerklüfteten Schluchten. Viele Pferde starben durch den Hagel, doch die Indianer nahmen den Verlust einfach hin, hatten sie doch genügend Pferde und Mulis von den Soldaten geraubt, welche den Verlust ersetzen würden. Jeden Winter starben Ponys, das gehörte zum Lauf der Dinge und niemand kam auf die Idee, dass es vielleicht sinnvoll wäre, auch für die Ponys Nahrungsvorräte anzulegen.

Bei den Zelten war der Schaden nach dem Hagelsturm eher gering. Manchmal hatte ein Eisklumpen das poröse Leder durchschlagen, doch die Frauen ersetzten es durch Flicken oder tauschten die beschädigte Plane einfach aus.

Ein weiterer Sturm zwang die Männer, ihre Pläne für die Jagd ein wenig aufzuschieben und so saßen sie friedlich in ihren Zelten und besserten ihre Waffen aus.

Auch Wakinyan-gleschka hockte bei Winuchtschala und wartete in Ruhe ab, bis sich der Sturm legen würde. Aus seinen Augenwinkeln heraus beobachtete er die weiße Frau, doch sie schien ihr Verhalten ihm gegenüber wenig geändert zu haben. Nur der Umfang ihres Leibes hatte deutlich zugenommen und er freute sich auf dieses Wesen. Es würde vielleicht die Stille in dieser Frau vertreiben und ein Lächeln in ihr Gesicht zaubern.

Er richtete einen Büffelschädel als Altar, auch im Hinblick auf die bevorstehende Jagd und legte ehrerbietig Fleischstücke darauf nieder, ehe er von dem Essen aß.

Nichts durfte jetzt den Unwillen von Wakan-tanka erregen, sonst wäre der Erfolg der Jagd gefährdet! Mit den anderen Kriegern reinigte er sich in Schwitzhüttenzeremonien, vertrieb die Geister des Kampfes, damit er sich nur noch auf die Jagd konzentrieren würde. Keine Weißen, keine Soldaten, keine Gefangene sollten seine Gedanken stören und er genoss die seelische Reinigung, die völlige Hingabe an Wakan-tanka, wenn er in völliger Dunkelheit um die Grube mit den heißen Steinen saß und mit kraftvoller Stimme die heiligen Gebete sang. Das war sein Leben! Hier, im Dorf, mit seinen Freunden!

Die Weißen gehörten hier einfach nicht her! Sie wussten nichts von den Geistern der Ahnen, sie wussten nichts von der Spiritualität seines Volkes, dachten nur, dass sie es mit primitiven Wilden zu tun hatten. Auch die weiße Frau gehörte hier nicht her! Bis auf das Ungeborene in ihrem Bauch, verband ihn nichts mit dieser fremden Rasse!

Nach der Schwitzhütte kehrte er müde in sein Tipi zurück und schaute eher gelangweilt auf die Gefangene. Warum hatte er sie damals überhaupt mitgenommen? Sich von Mitleid übermannen lassen! Sein missmutiger Blick fiel auf den leeren Platz, an dem der Büffelschädel gelegen hatte. Der heilige Platz war leer! Aufgeräumt von diesem dummen, nichtsnutzigen Weib! Eine unglaubliche Wut stieg in ihm auf. Wieso achtete sie seinen Glauben nicht? Er tolerierte doch auch ihre Gebete an den fremden Gott! Seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich, als er zornbebend seine Peitsche hob. „Der Büffel ist heilig!“, zischte er. „Wir sind das Büffelvolk und du entweihst keine heiligen Dinge mehr!“ Seine Peitsche klatschte auf ihr Kleid, nicht gefährlich, aber durchaus schmerzhaft. „Hörst du, dummes Weib! Der Büffel ist heilig!“ Immer wieder hieb er auf die wimmernde Frau ein, bis er schließlich heftig atmend innehielt. „Hol den Schädel!“, befahl er heiser vor Wut.

Die Frau war vor Angst zu keiner Bewegung mehr fähig und so stürzte er aus dem Tipi, um nach dem Schädel zu suchen. Er lag ordentlich gesäubert in der Nähe des Zeltes, nicht achtlos weggeworfen, sondern auf einem Bett aus Salbeiblättern. Nichtsdestotrotz konnte er kaum atmen, so sehr hatte er sich aufgeregt. Mit zitternden Händen hob er den Schädel hoch und hielt ihn der Sonne entgegen. „Oh Tunkáschila!“, flüsterte er verzweifelt. „Verzeih diesem Weib! Sie weiß nichts von unseren Bräuchen!“ Leise sang er ein Gebet, drehte sich in alle Richtungen und ließ die Kräfte des Kosmos auf sich wirken.

Dann kletterte er wieder in sein Tipi und legte den Büffelschädel an den vorbestimmten Platz. Voller Hingabe verbrannte er den silbergrauen Salbei und wedelte den süßlichen Rauch über den Schädel, um ihn zu weihen.

Warum hatte Winuchtschala jene weiße Frau nicht besser unterwiesen? Hohch! Das Ganze machte einfach überhaupt keinen Sinn! Er ließ sich auf sein Lager plumpsen und griff nach dem bestickten Beutel, in dem er seine Pfeife aufbewahrte. Zur Sicherheit stopfte er sie selbst, traute der Weißen selbst diese einfache Handlung nicht zu. Vielleicht zerbrach sie die Pfeife oder trieb sonst irgendeinen Unsinn!

Mit einem tiefen Seufzer schickte er seine Gebete zu Wakan-tanka, ignorierte das Schluchzen der Frau im Hintergrund seines Zeltes. Sie trug sein Kind, das allein hatte sie vor Schlimmerem bewahrt!

Mila Hanska

(Montana Territorium, Herbst 1865)

Theresa krümmte sich stöhnend auf ihrem Lager zusammen, ihre Hände krallten sich um ihren Leib, in dem das Baby empörte Bewegungen machte.

„Herr im Himmel!“, flüsterte sie in Todesangst, wartete darauf, dass dieser Indianer ihr endgültig die Kehle durchschneiden würde. Hier gab es keinen Schutz, kein Mitleid, keine Zärtlichkeit, und keine Freude. Büffelvolk! Sie hatte nur wenig von seinem Zornausbruch verstanden, hatte immer noch Schwierigkeiten die fremde Sprache zu verstehen, wenn sie schnell gesprochen wurde. Aber offensichtlich war er wütend geworden, weil sie diesen stinkenden, verunreinigten Büffelschädel, der nur das Ungeziefer anzog, aus dem Tipi entfernt hatte. Wie sollte sie unter diesen unhygienischen Umständen ein Kind zur Welt bringen? Wie sollte sie hier überhaupt ein Baby gebären? Der Mann würde es töten, wenn es weiß war! Dessen war sie sich nun sicher!

Mit Schrecken fühlte sie nach ihrem geschwollenen Leib, dessen Umfang bereits wesentlich stärker zugenommen hatte als bei ihren anderen Kindern. Bald! Bald wäre es so weit! Zu früh für ein braunes Kind! Eine lähmende Angst griff nach ihrem Herzen, eine völlige Hoffnungslosigkeit und sie hatte nur noch den Wunsch zu sterben.

Winuchtschala kniete sich neben sie und streichelte sanft über ihre Haare, während sie mahnend ihren Kopf schüttelte. „Du solltest Wakinyan-gleschka nicht verärgern!“

Wütend biss Theresa die Lippen zusammen. Verärgern! Dieser Mann hatte sie halbtot geprügelt und diese zahnlose Hexe sprach von verärgern!

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Autor: Kerstin Groeper

Kerstin Groeper

Kerstin Groeper, als Tochter des Schriftstellers Klaus Gröper in Berlin geboren, lebte einige Zeit in Kanada. In Kontakt mit nordamerikanischen Indianern entdeckte sie ihre Liebe zur indianischen Kultur. Kerstin Groeper spricht Lakota, die Sprache der Teton-Sioux und führt regelmäßig Vorträge und Seminare über Sprache, Kultur und Spiritualität der Lakota-Indianer durch. Die studierte Sozialpädagogin arbeitete als Journalistin für verschiedene Zeitschriften und schreibt heute Artikel zum Thema Indianer, u.a. für das renommierte Magazin für Amerikanistik. Sie lebt mit ihrem Mann und einem Sohn in der Nähe von München. Zwei erwachsene Kinder sind bereits ausgezogen.

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