
Der Fremde, der aus der Hölle kam
von
Luke Sinclair
Seiten: (ca.) 70
Erscheinungsform: Originalausgabe
Erscheinungsdatum: 20.5.2015
ISBN: eBook 9783956071201
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)
Autor

Ein Mann erwacht inmitten einer Feuersbrunst. Der Mann, weiß nicht mehr, wer er ist. Der Mann wird von einer Horde Reiter gejagt und in letzter Sekunde gerettet. Der Mann bekommt den Namen Maveron.
Maveron findet eine geheime Karte in seiner Jackentasche und erfährt, dass es sich bei seinen Verfolgern um den berühmt-berüchtigten Verbrecher Chet Hadlock und seine Schergen handelt, die es auf einen sagenumwobenen Schatz abgesehen haben. Und angeblich kennt nur Maveron allein dessen Versteck. Von nun an setzt er alles daran, seine Erinnerungen zurückzubekommen und das Gold von Santa Eulalia zu finden, bevor Chet seinen perfiden Plan in die Tat umsetzen kann. Ein brutales Katz-und-Maus-Spiel beginnt…
Details
- Titel
- Der Fremde, der aus der Hölle kam
- Untertitel
- Luke Sinclair Western, Band 21
- Autor
- Luke Sinclair
- Seiten
- 70
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Preis (eBook)
- 1,99 EUR
- ISBN (eBook)
- 9783956071201
- Sprache
- Deutsch
Leseprobe
Luke Sinclair
Der Fremde, der aus der Hölle kam
Er kam zuerst auf die Knie, ehe es ihm gelang, taumelnd aufzustehen. Warmes Blut lief über seine rechte Gesichtshälfte und sickerte unter den Kragen seines Hemdes. Die prasselnde Feuersbrunst hinter ihm warf sengende Hitze gegen seinen Rücken. Ein Gefühl, dessen Ursprung er nicht kannte, trieb ihn weiter. Dornige Zweige schlugen gegen seinen Körper und rissen ihm die Hände auf.
Er wußte nicht, was das alles zu bedeuten hatte, aber sein Instinkt veranlaßte ihn, mit keiner fremden Hilfe zu rechnen, sondern sich statt dessen zu verkriechen wie ein verwundetes Tier.
Hufschläge trommelten durch das Prasseln der Flammen, Schüsse und gellende Schreie schienen die Nacht zu erfüllen. Sie waren hinter ihm her, denn sie kamen näher, aber er sah sich nicht um. Der Wille zum Leben war das einzige, was in seinem fast versagenden Hirn geblieben war und ihn weitertrieb – ohne zu wissen, wohin.
Die Reiter kamen näher! Kugeln prasselten häßlich durch die Zweige. Er prallte gegen einen einzelnen Baum und taumelte zur Seite. Ein Pferd wieherte schrill hinter ihm, und eine Kugel pfiff an ihm vorbei. Seine Füße verloren den Halt, und er stürzte die steinige Böschung hinab.
Irgendwelche Zweige hielten seinen Fall auf. Keuchend lag er da. Dicht neben ihm gurgelte Wasser in der Dunkelheit.
Oberhalb der Böschung brachen Reiter durch das Gewirr verfilzter Büsche. Der Mann neben dem Wasser kroch durch die dunkle Höhlung unterhalb einer Steinplatte, wo das Hochwasser der Februarregenfälle die Erde herausgewaschen hatte. Dort lag er kraftlos auf feuchtem Kies, und sein hechelnder Atem übertönte fast das Gurgeln des Wassers zwischen den runden Steinen.
Die Pferde oberhalb seines Versteckes stampften und schienen sich auf der Stelle zu drehen. Jemand brüllte: »Hachez, der Idiot, hat ihn abgeknallt!«
»Wir werden ihn morgen weiter stromabwärts im Fluß finden«, rief ein anderer. Der Mann hustete, weil der Wind den beißenden Rauch herübertrieb.
Der erste Sprecher fluchte laut in spanischer Sprache und fügte hinzu: »Was nützt der Kerl uns, wenn er tot ist? Tote reden nicht!«
Der andere hustete noch immer. »Sei ohne Sorge – wir werden uns davon überzeugen.«
Sie brachen wieder durch das Gestrüpp, und ihre Hufschläge entfernten sich.
Viel Zeit verging danach, während der einsame Mann mehr tot als lebendig auf dem Kies lag und blutete. Danach kroch er davon – irgendwohin. Er wußte nicht, wer er war und wo er sich befand. Alles, was vor dieser Begebenheit in seinem Leben geschehen war, lag in undurchdringliches Dunkel gehüllt.
Es gab ein kratzendes Geräusch, als seine rauhe Hand über das Gesicht fuhr. Die Bartstoppeln waren mehr als einen Tag alt. Wenn er sich vor jener Nacht rasiert hatte, mußte er mindestens einen Tag lang unterwegs gewesen sein oder bewußtlos gelegen haben; denn er wußte nichts von einem solchen Tag.
Um ihn war pechschwarze Dunkelheit. Er hockte zwischen den Büschen, halb an die dornigen Zweige gelehnt – genau dort, wo er vorher zusammengebrochen war. Die Dornen wollten ihn nicht loslassen; sie hielten ihn fest wie eine mühsam erjagte Beute.
Er riß sich los und stolperte über den harten Boden. Er fühlte sich schwach und hilflos. Ihm war hundeelend, sein Kopf dröhnte.
Der Mond tauchte hinter einer flachen Wolkenbank hervor und übergoß das Land mit fahlem Schimmer. Nicht weit im Süden zog sich eine Kette runder Felsrücken hin, die das Aussehen riesiger schwarzer Bisons hatten.
Jene Männer, die hinter ihm her waren, mußten inzwischen bemerkt haben, daß er nicht tot war. Zumindest hatten sie seine Leiche nicht gefunden – und sie schienen einen wichtigen Grund zu haben, solch einen Wirbel zu machen. Also würden sie weitersuchen. So lange, bis sie ihn erwischten oder bis sie sich überzeugt hatten, daß er nicht mehr am Leben war.
Es wurde Tag, ehe er jene Felsen erreichte. Er wußte nicht, wie oft er hingefallen und sich wieder aufgerafft hatte – und auf welche Weise es ihm schließlich gelungen war, bis hierher zu kommen. Keuchend blieb er stehen und schaute im ersten Grau des Morgens an sich herunter.
Was er sah, war nicht viel. Staubige Stiefel, eine verblichene mattblaue Hose aus derbem Stoff und ein mit Patronen besetzter Gurt, dessen Halfter leer war. Und schließlich eine abgetragene Jacke aus Hirschleder. Sein Platz auf dieser Welt schien also nicht sehr weit oben zu sein. Aber er war viel zu erschöpft, um sich mit solchen Problemen zu beschäftigen. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen und spürte, wie es ihm von Schritt zu Schritt schwerer fiel. Seine Muskeln versagten den Dienst; seine Kraft war restlos aufgezehrt.
Irgendwo ertönte das leise Gurgeln von Wasser. Er konnte das Wasser riechen. Oder narrten ihn seine Sinne?
»Verdammt!« Seine Stimme klang heiser und fremd – und er konnte sich nicht erinnern, sie jemals gehört zu haben. Er machte noch einen Schritt. Es war wie das Aufbäumen gegen ein Schicksal, vor dem es kein Entrinnen mehr gab. Der Wille zum Leben war noch in ihm wie ein gespanntes Seil, aber sein Körper gehorchte nicht mehr. Er fiel und war nicht mehr in der Lage, noch einmal aufzustehen, um zu ergründen, ob das Wasser wirklich da war. Er wußte nicht, wer er war und woher er kam. Er war ein Mann ohne Vergangenheit – und wahrscheinlich auch ohne Zukunft …
Als die Dunkelheit, die seinen Geist umgab, ein wenig nachließ, stellte er zunächst fest, daß er irgendwo auf dem Rücken lag. Dichter Nebel schien die Gegenstände in seinem Gesichtskreis zu verschleiern. Alles um ihn herum war träge und ohne feste Form. Aber seine Sinne begannen wieder zu funktionieren. Er konnte Licht und Schatten unterscheiden und hörte zunächst undefinierbare Geräusche, die sich jedoch nach einiger Zeit als menschliche Stimmen erkennen ließen. Er erinnerte sich plötzlich undeutlich, daß er irgendwann auf einem Pferd gelegen hatte – doch es waren nur Bruchstücke unklarer Wahrnehmungen, die sich zu keiner rechten Vorstellung zusammensetzen ließen.
Das Bild vor seinen Augen wurde mit einemmal deutlicher. Er erkannte schwere, dunkle Balken – die Decke eines Zimmers, an der sein tastender Blick entlangglitt.
»Ich glaube, diesmal kommt er wirklich zu sich«, sagte jemand. »Seine Augen sind schon viel klarer.«
Die Worte hallten seltsam hohl in ihm nach. Sein Blick wanderte über eine Wand und ein schmerzhaft grelles Fenster und blieb schließlich an der Gestalt eines jungen Mannes hängen, der ein schmales, etwas zu lang wirkendes Gesicht hatte. Ein paar hellbraune Augen musterten ihn mit ehrlicher Freude.
Ein zweiter Mann kam hinzu. Er war bedeutend älter und hatte einen eisgrauen Stoppelbart in seinem zerfurchten Gesicht.
Er trocknete sich die Hände an einem Tuch ab und schob dann die herabbaumelnden Hosenträger über seine kräftigen Schultern. Er nickte ihm zu und sagte: »Haben Sie es endlich geschafft? Zeitweise sah es nicht gut mit Ihnen aus, Mister – aber Sie haben das zähe Leben einer Katze.«
Der Mann im Bett versuchte zu lächeln; aber er wußte nicht, was er statt dessen zustande brachte. Im Moment fühlte er sich gar nicht so, als hätte er ein zähes Leben. Er wußte nicht einmal, ob er überhaupt imstande war, sich zu bewegen.
»Sie waren ganz schön fertig, als wir Sie fanden«, fügte der jüngere Mann hinzu. »Im ersten Moment dachten wir, Sie seien tot!«
Er versuchte etwas zu sagen, aber seine Zunge gehorchte noch nicht so recht den ungewohnten Bemühungen. Es kostete ihn einige Versuche, bis er endlich die vier Worte zustande brachte: »Wo bin ich hier?«
Der ältere Mann forschte ein paar Sekunden in dem eingefallenen Gesicht, ehe er antwortete: »Mein Name ist Lincoln Harvey. Sie befinden sich auf unserem bescheidenen Anwesen!« Er zögerte einen Moment, und der Blick seiner dunklen Augen war noch immer forschend. »Hier kommt selten jemand vorbei«, fügte er dann hinzu. Der hagere Mann unter der Decke fühlte, daß diese letzten Worte für ihn irgendeine Bedeutung hatten, doch er wußte nicht, in welcher Beziehung. Es gab überhaupt so gut wie nichts, das er wußte.
»Dies hier ist mein jüngster Sohn Mortimer«, hörte er Lincoln Harvey sagen. Er sah an ihren Augen, daß sie irgend etwas von ihm erwarteten.
»Es tut mir leid«, brachte er schließlich hervor, »im Augenblick weiß ich nicht... ich weiß wirklich nicht…«
Lincoln Harvey nickte verstehend. »Das wird vorübergehen! So etwas gibt es oft bei derartigen Verletzungen. Es ist wohl besser, Sie schlafen noch ein wenig!«
Die beiden Harveys gingen hinaus und ließen den Mann allein, der sich selbst so fremd war wie jemand, dem er zum erstenmal begegnete.
Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte, als ihn eine Hand wachrüttelte. Es war der junge Mann mit dem langen Gesicht, dessen Namen er als Mortimer Harvey in Erinnerung hatte.
»Es tut mir leid, Mister – aber Sie sollten doch etwas essen. Vater meint, sonst kämen Sie zu sehr von Kräften!«
Der Mann im Bett fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Er fühlte einen wuchernden Bart, die harten Knochen des Jochbeins und den dicken Verband, der oberhalb der Augen seinen Kopf einhüllte.
Er löffelte die heiße Suppe und spürte, wie eine eigenartige Wärme durch seinen Körper strömte. Auch das Pochen in seinem Schädel wurde schließlich schwächer und ließ dann ganz nach. Er fuhr sich mit der Hand über den Mund und wischte die Reste der Suppe aus seinem Bart. Eine Fliege summte an ihm vorbei und landete schließlich auf den Haaren. Er verabscheute sie und schaute aus dem Fenster. Verdammt! Wenn er nur wüßte, was für ein Mensch er war!
Lincoln Harvey kam herein, als Mortimer die Schlüssel wieder hinaustrug, stützte seine Hände auf das Fußende des eisernen Bettgestells und schaute ihn eine Weile an.
»In der Nähe, wo wir Sie fanden, wurde eine Farm überfallen und niedergebrannt«, sagte er unvermittelt. »Hatten Sie etwas damit zu tun?«
»Ja, ich erinnere mich an ein brennendes Haus und an Reiter, die mich verfolgten – aber ich weiß nicht, wie ich dorthingekommen bin.«
»Man sagt, es waren Chet Hadlock und seine Männer. Sagt Ihnen der Name etwas?«
Chet Hadlock? Es war ihm, als hätte er ihn schon einmal gehört, aber er konnte sich nicht entsinnen. Es war zum Verrücktwerden!
Lincoln Harvey sagte: »Es wird sich schon heraussteilen, wer Sie sind. Und wenn Sie das einmal wissen, wird Ihnen alles andere nach und nach einfallen. Bis dahin werden wir Sie Maveron nennen. So heißt der Creek, am dem wir Sie fanden!«
Maveron – das klang nicht schlecht, aber es war nicht sein Name. Er ließ den Kopf zurücksinken und starrte gegen die Balken an der Decke. Er würde sich damit abfinden müssen, vorerst so zu heißen – vielleicht sogar für immer …
»Es war tatsächlich Wasser in der Nähe?« fragte er. Harvey nickte.
»Es waren nur noch ein paar Schritte, aber Sie haben sie nicht mehr geschafft. Es ist mir heute unverständlich, wie Sie überhaupt von jener Farm bis zu dieser Stelle gekommen sind! Sie müssen ein verdammt zäher Bursche sein, Maveron!«
Maveron dachte noch über Harveys Worte nach, als dieser längst gegangen war. Es mußte einen Weg geben, etwas über seine Identität zu erfahren. Chet Hadlock! Er mußte es wissen, sonst wäre er nicht so hinter ihm hergewesen. Aber er hatte das düstere Gefühl, wenn er von Hadlock seinen Namen erführe, würde ihm das zu nichts weiter nützen, als ihn auf sein Grabkreuz zu schreiben.
Er schlug die dünne Decke zurück und versuchte aufzustehen. Auf einem Stuhl erblickte er seine Sachen. Der Revolvergurt mit dem leeren Halfter hing über der Lehne. Seinen Revolver mußte er irgendwo verloren haben. Hemd und Hose waren frisch gewaschen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich angezogen hatte – und je länger er auf den Beinen war, desto mehr gewöhnte er sich daran. Es war heiß und stickig hier drinnen. Ächzend öffnete er das Fenster. Dann ging er zur Kommode und betrachtete sich im Spiegel.
Er sah ein bärtiges Gesicht mit tiefliegenden grauen Augen, in deren Blick eine gewisse Kälte lag. Darüber wölbte sich ein dicker Verband. Jetzt verstand er, weshalb Harvey gesagt hatte, er sähe nicht wie ein Farmer aus. Das da im Spiegel war nicht das Gesicht eines Mannes, der in einer festen, geordneten Gemeinschaft lebte! Es hatte etwas Unnahbares und Herrisches an sich. Es war das Gesicht eines Mannes, der selbst bestimmte, was er zu tun und zu lassen hatte – und der es gewohnt war, dafür zu kämpfen.
Er nahm seine Jacke vom Stuhl und durchsuchte deren Taschen. Er wußte nicht einmal, ob es seine Jacke war –, aber er hatte sie angehabt, als man ihn gefunden hatte.
Er fischte ein hauchdünnes Stück Leder heraus, auf das seltsame Linien und Zeichnungen gemalt waren. Er betrachtete es eine Weile, aber er konnte sich nicht daran erinnern, es jemals zuvor gesehen zu haben. Es mußte sich um den Lageplan irgendeines Ortes handeln. Die Linien konnten Flüsse oder auch Wege sein. Dann waren da noch Berge und Felsen zu erkennen – und Zeichen, die er nicht verstand.
Er konnte damit nichts anfangen, aber sein Instinkt sagte ihm, daß es von Wichtigkeit sein konnte. Doch etwas so Wichtiges trug man nicht einfach in der Tasche! Vielleicht war er auch noch nicht lange im Besitz dieser seltsamen Landkarte und hatte keine Zeit gehabt, sie besser zu verstecken.
Waren die Männer dehalb so hartnäckig hinter ihm hergewesen? Wenn es wirklich so war, dann konnte sein Leben davon abhängen, ob man dieses Stück Leder fand oder nicht. Solange niemand wußte, wo er es versteckt hatte, würde er sicher sein. Aber er mußte es bei sich behalten; denn er wußte nicht, wohin er in nächster Zeit gehen würde.
Sein suchender Blick glitt über den Revolvergurt. Er zog eine Patrone aus der Lederschlaufe, klemmte das Bleigeschoß zwischen Fenster und Rahmen ein und versuchte, die Hülse zu lockern. Nach einigen Mühen hatte er es soweit gebracht, daß er das Projektil mit den Zähnen herausziehen konnte. Er schüttete das Pulver auf den Fußboden und rollte das dünne Leder so zusammen, daß er es in die leere Hülse schieben konnte. Dann drückte er das Geschoß wieder hinein und schob die Patrone in die Gürtelschlaufe zurück.
In einer anderen Tasche seiner Jacke fand er die Anweisung für eine Bank in Tucson, nach der dem Überbringer eintausend Dollar in bar auszuzahlen seien. Sie war ausgestellt von einem gewissen Rhett Kenyon. War das sein Name?
Da war noch ein Brief, den der gleiche Rhett Kenyon an einen Mann namens Dave Laveen geschrieben und diesen um einen Dienst ersucht hatte, wie er schrieb, da es etwas gäbe, was ihm in letzter Zeit zur Gefahr geworden sei. Nähere Angaben hatte der Briefschreiber offenbar nicht machen wollen.
Maveron faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die Tasche zurück. Wie kam er zu diesen Papieren? War er Rhett Kenyon oder Dave Laveen? Die Frage, ob jener Brief jemals abgeschickt worden war und seinen Empfänger erreicht hatte, konnte in diesem Punkt manches klären. Und wenn er es wußte? Was sagte ihm schon ein Name? Nicht mehr als das, was die Leute darüber zu erzählen wußten.
Maveron sah Lincoln Harvey erst beim Abendessen wieder. Diesmal war auch sein älterer Sohn Clint dabei – ein aufgeschlossener, freundlicher junger Mann. Es gab gebratenes Huhn mit Maisbrot.
»Haben Sie den Namen Dave Laveen schon einmal gehört?« fragte Maveron plötzlich.
Lincoln Harvey ließ die Hände sinken und schaute Maveron an. Er nickte langsam. »Aber nie im Zusammen hang mit Dingen, die man gern hört. Er ist ein Mann, der für Geld tötet!«
Maveron schwieg betroffen. Ganz gleich, wer er war: Er hatte vermutlich mit diesem Laveen zu tun gehabt. Er würde sich wohl damit abfinden müssen, daß auch unerfreuliche Dinge aus seiner Vergangenheit zutage treten würden. Aber gerade die Ungewißheit ließ den Wunsch nach weiterer Klärung in ihm immer stärker werden.
»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Clint seinem Vater. »Ich habe auch andere Dinge über Laveen gehört. Er vermietet zwar seinen Revolver, aber nicht, um zu morden. Er beschützt die Leute, die ihn bezahlen. Das ist ein Unterschied!«
»Wenn jemand für Geld seine Waffe zieht, kann er nicht immer selbst entscheiden, ob er im Recht oder Unrecht ist.« Lincoln Harvey fuhr mit dem Essen fort, und die kurze Unterhaltung war damit beendet.
Maveron stellte keine weiteren Fragen, aber in seine grüblerischen Gedanken über seine Person mischte sich zum erstenmal eine gewisse Furcht – eine Furcht vor sich selbst.
Sein Kopf begann wieder zu schmerzen, aber bevor er sich erneut niederlegte, zog er noch einmal jenen Brief aus der Tasche, um ihn zu lesen. Dabei fiel ihm ein kleiner Zettel auf, den er vorhin übersehen hatte. Die Schriftzüge waren die gleichen wie die des Briefes – aber sie waren etwas flüchtiger und wie in großer Hast ge schrieben. Sie beinhalteten nichts weiter als die Adresse einer gewissen Belinda McNash in Nogalas.
Kannte diese Frau ihn? Auf jeden Fall aber mußte der Schreiber dieser Zeilen sie kennen oder gekannt haben. Maveron faltete den Zettel wieder zusammen und steckte ihn, mitsamt dem Brief, in die Tasche zurück. Es schien ihm der wertvollste Hinweis zu sein, den er bis jetzt erhalten hatte – und eine leichte Erregung befiel ihn. Er wußte nicht, was ihn in Nogales erwarten würde; aber er konnte sich keinen Grund vorstellen, der ihn daran hindern konnte, es herauszufinden.
Wie gering sein Vorstellungsvermögen allerdings noch war, sollte Maveron zwei Tage später feststellen …
Es waren noch ein paar Stunden Zeit bis zum Mittagessen und Maveron hatte eigentlich vorgehabt, es heute mit dem Reiten zu probieren. Sein Kopfverband war einem leichteren gewichen, und er fühlte sich bereits wieder einigermaßen bei Kräften.
Als er auf die kleine Veranda hinaustrat, blinzelte er in die grelle Sonne. Es waren sechs Reiter, die sich dem Haus näherten.
Lincoln Harvey war nicht anwesend. Er war mit Mortimer fortgeritten, um ein paar versprengte Kühe zusammenzutreiben, während Clint heute den Küchendienst versah.
Die Reiter schienen es nicht eilig zu haben; denn sie kamen nur langsam näher. Maveron bemerkte, daß sich auch eine Frau unter ihnen befand: eine dunkelhäutige, schlanke Person, die zweifellos indianisches Blut in sich hatte. Zuerst hatte er daran gedacht, ins Haus zurückzugehen und irgendeine Waffe zu holen, aber die Anwesenheit einer Frau beruhigte ihn etwas.
Die Reiter hielten auf dem staubigen, zertrampelten Platz vor dem Haus. Der vorderste von ihnen, ein etwas bullig wirkender Mann mit massigem Schädel, hob ein Bein über den Pferdehals, hakte um das Sattelhorn und stützte sich mit dem Unterarm auf. Er grinste Maveron selbstgefällig an.
»Sieh da – unser lieber Freund Rhett Kenyon! Der Teufel mag wissen, wie du es bis hierher geschafft hast. Aber ich freue mich aufrichtig, dich noch am Leben zu sehen!«
Er blickte nach rechts und links. »Die guten Leute hier haben ein wahrhaft gutes Werk getan!«
Die Worte des Mannes erzeugten ein warnendes Gefühl in Maveron; aber er wußte nicht, ob es der scheinheilige Tonfall schlechthin war oder der etwas vertraute Klang dieser Stimme. Irgendwo mußte er sie schon einmal gehört haben.
Während er noch krampfhaft nachdachte, fuhr der Mann fort: »Nun starr uns nicht an, als ob du uns noch nie gesehen hättest. Natürlich war damals die Beleuchtung anders!«
Ein eisiger Schreck durchfuhr nun Maverons Glieder. Das brennende Haus, die Reiter! Verdammt – sie hatten ihn gefunden! Hinter ihm kam Clint Harvey aus dem Haus. Maveron sah mit schnellem Blick, daß er seinen Revolver umgeschnallt hatte; aber was konnte der nützen gegen fünf bewaffnete Männer?
»Ah, da ist ja schon jemand von diesen guten Leuten«, ließ sich der Sprecher wieder vernehmen. »Sie brauchen uns nicht erst ins Haus zu bitten, Mister – wir wollen uns hier nicht aufhalten. Wir möchten nur unseren Freund, Rhett Kenyon, hier abholen.« Er richtete den Blick seiner blassen Augen wieder auf Maveron. »Ich nehme an, du hast nicht viel zu packen!«
»Er ist nicht Rhett Kenyon«, schaltete sich Clint ein, »ich kenne …«
Der Reiter brachte ihn jedoch mit unwilligem Knurren zum Schweigen.
»Halt dich aus der Sache raus, Junge – und versuch nicht noch einmal, Chet Hadlock hinters Licht zu führen, wenn dir etwas an deinem Leben liegt!« Seine ausgestreckte Hand wies mit drohender Gebärde auf den jungen Mann. »Ich kann es nicht leiden, wenn man dazwischenquatscht!«
In seinem Gesicht war wieder eine falsche Freundlichkeit, als er sich von neuem an Maveron wandte. »Wir haben schon die ganze Gegend nach dir abgesucht, Freund Kenyon – aber irgendwo mußtest du ja geblieben sein. Wir nahmen beinahe an, dich hätten die Geier gefressen.«
»Welch häßlicher Gedanke«, erwiderte Maveron, »aber ihr müßt euch wirklich in mir irren, ich …«
»Versuch du nicht auch dieses einfältige Spiel!« Chet Hadlocks Gesicht bekam den Ausdruck unverhohlener Bosheit. »Wir alle haben dich gesehen. Du warst der einzige, der aus diesem brennenden Haus herauskam.« Er wies mit dem Finger auf Maverons Kopf. »Und du trägst noch den Verband, wo Hachez dir das Ding verpaßt hat. Es hat also keinen Zweck, uns verarschen zu wollen!«
Bei der Nennung des Namens hatte Hadlock kurz auf einen großen, stämmigen Indianer gedeutet, der mit teil nahmslosem Gesicht auf seinem derbknochigen Pferd saß.
Eine leichte Kälte zog durch Maverons Körper, als er seinen Blick auf Hachez richtete, dessen flaches, stupide wirkendes Gesicht keinerlei Regung zeigte.
»Aber ich weiß trotzdem nicht…« Maveron brach den Satz ab. Er sah diesen Gesichtern an, daß es keinen Sinn hatte, mit ihnen zureden.
Neben Hachez hielt ein verkommen aussehender Bursche mit wirrem Haar und völlig verdreckter Kleidung. Er hielt den Kopf schief und lachte Maveron dumm an.
»Hast du gehört, Chet? Er weiß nichts. Wie rührend! Er hat alles vergessen, der Arme!« Während er sprach, erschienen dauernd Bläschen und Fäden zwischen seinen nassen Lippen. »Sollen wir nicht ein bißchen nachhelfen?«
»Halt’s Maul, Tipton!« knurrte Chet Hadlock unwillig. Der Junge kicherte noch vor sich hin, sagte aber kein Wort mehr.
Clint trat einen Schritt vor. Er schien die Gefahr, die von diesen Männern ausging, nicht zu begreifen.
»Ich sagte doch schon: Dieser Mann ist nicht Rhett Kenyon!«
Maveron sah das tückische Funkeln in Hadlocks Augen. Der Mann hatte plötzlich einen kurzläufigen Revolver in der Hand und schoß Clint ohne zu zögern nieder. Der Junge krümmte sich, taumelte gegen einen Pfeiler und fiel dann kopfüber in den heißen Staub vor der Veranda. Er bewegte sich noch einmal stöhnend und lag dann still.
Ohne eine Miene zu verziehen, steckte Hadlock den Revolver wieder weg.
»Ich hatte ihn gewarnt«, sagte er fast gleichgültig, »aber diese jungen Leute wollen einfach nicht merken, wann sie den Mund zu halten haben. Aber ich warne nur einmal!«
Maveron verstand die versteckte Drohung, die in diesen Worten auch für ihn enthalten war. Sein Instinkt sagte ihm, daß es besser war, auf das Spiel dieser Männer einzugehen und den Verlust seiner Erinnerung zu verschweigen. Vielleicht war er ja auch wirklich dieser Rhett Kenyon?
Das Mädchen beobachtete Maveron mit unverhohlenen Blicken – und was sie dabei dachte, war ihrem Gesicht mit ziemlicher Deutlichkeit abzulesen. Maveron wurde dabei etwas unbehaglich zumute. Daß soeben vor ihren Augen ein Mann ermordet worden war, schien ihr überhaupt nichts auszumachen.
»So, jetzt sind wir unter uns«, sagte Hadlock und ließ sich aus dem Sattel gleiten. »Ich hab’ es mir überlegt! Ein kühler Schluck und ein Happen zu essen können nicht schaden, ehe wir weiterreiten.«
Die anderen folgten seinem Beispiel. Das Mestizenmädchen saß als letzte ab. Ihre Brüste wippten unter dem dünnen Stoff der Bluse, als sie vom Pferd sprang. Sie war nicht schön zu nennen – aber sie hatte eine wilde und herbe Anmut an sich, die einen Mann für eine gewisse Zeit fesseln konnte. Die Art, wie sie sich bewegte und ihren Kopf drehte, vergaß man nicht so schnell. Sie warf Maveron einen aufreizenden Blick zu und folgte den Männern ins Haus.
»Du scheinst ihr zu gefallen«, sagte Hadlock, der ihre Blicke längst bemerkt hatte. »Darauf kannst du stolz sein – das ist bisher noch keinem gelungen!«
Alle lachten dröhnend, Und das Mädchen lachte mit.
»Los – mach was zu essen, du Schlampe!« herrschte Chet Hadlock sie an …
Die Männer fielen heißhungrig über das Essen her, und während der ersten fünf Minuten sagte niemand ein Wort. Erst nachdem sich die ersten Anzeichen einer Sättigung enistellten, schien es Chet Hadlock angebracht, die Unterhaltung fortzusetzen.
Er wischte sich die dicken Hände an der Hose ab. Dabei schaute er Maveron an, der ihm gegenübersaß.
»Wir haben noch keine Zeit gehabt, uns näher über die Dinge zu unterhalten, die uns zusammengeführt haben«, begann er. »Du weißt aber trotzdem, weshalb wir hinter dir her sind!«
Maveron schaute eine Weile unschlüssig in Hadlocks Gesicht.
»Wir können darüber reden«, antwortete er vorsichtig. Er hatte keine Ahnung, was diese Burschen von ihm wollten.
Chet Hadlock brach in dröhnendes Gelächter aus, das eher an das Gebrüll eines Bisons erinnerte.
»Er will darüber reden! Habt ihr das gehört? Reden will er!« Seine Fäuste fielen auf die derbe Tischplatte, und er beugte sich vor, während das Lachen schlagartig abriß. »Ich habe zwar viel Sinn für Späße, mein Freund – aber nicht, wenn es um Geschäfte geht. Außerdem hat sich Ironie stets von oben nach unten zu richten, nie von unten nach oben. Und ich bin oben in diesem Spiel, Kenyon – und du unten, ganz tief unten! Es wäre gut für dich, wenn du das in deinem Gedächtnis behalten würdest!«
Etwas in Maveron lehnte sich auf. Er hatte plötzlich das Gefühl, nicht derartig mit sich reden lassen zu müssen. Aber er wußte nicht einmal, woran er mit sich selbst war, geschweige denn mit den anderen. Also hielt er es für klüger, den Mund zu halten. Vor allem mußte er erst einmal feststellen, um was es hier ging, ohne die anderen mißtrauisch zu machen.
»Wärst du eher bereit gewesen, mit uns zu reden, hättest du dein schönes Haus nicht zu verlieren brauchen«, fuhr Hadlock fort. »Den Verlust dieser Bruchbude hast du nur deiner Sturheit zuzuschreiben!« Er fühlte sich wirklich ganz obenauf und schien es zu lieben, andere mit seinen Worten zu verwirren. So betrachtete er Maveron einen Moment, um die Wirkung seiner Worte zu taxieren.
Maveron nickte jedoch nur.
»Gut«, sagte er, »das gehört der Vergangenheit an. Laß deinen Vorschlag hören!«
Chet Hadlock kniff die Augen zu schmalen Ritzen zusammen. »Das ist kein Vorschlag, sondern ein Befehl! Ich würde dir also raten, ihn auch als solchen aufzufassen. La Placita de Los Zopilotes – du weißt, was ich damit meine!«
Maveron sagte nichts, und Hadlock schien auch keine Antwort zu erwarten, denn er sprach weiter.
»Du bist der einzige, der noch übrig ist von denen, die den Weg dorthin kennen! Und du wirst uns hinbringen!«
Der Platz der Geier! Maveron war in der Lage, diese spanischen Worte zu übersetzen. Er hatte also noch nicht alles vergessen von dem, was er früher gewußt hatte. Aber er wußte nichts damit anzufangen. Er wußte weder, wo La Placita lag, noch, was es damit für eine Bewandtnis hatte.
Hadlock lehnte sich selbstgefällig zurück und erklärte weiter: »Von dort aus wird uns dann Cordales nach Santa Eulalia führen; denn du kennst ja den letzten Teil dieses Weges nicht. Du siehst, ich kenne eure Geschichte genau bis in alle Einzelheiten!«
Auf jeden Fall kannte er sie besser als Maveron. Dieser nickte einige Male leicht, während er überlegte, auf welche Weise er seine Fühler ausstrecken konnte.
Schließlich versuchte er es mit einem Bluff: »Die alte Geschichte von Santa Eulalia! Habt ihr euch also auch die Köpfe davon heiß machen lassen? Es gibt hunderte solcher Geschichten, aber die meisten dieser Orte existieren nur in der Phantasie – jedenfalls hat sie noch keiner gefunden.«
Hadlock nickte geduldig. »Natürlich, weil niemand die Männer hatte, die den Weg kannten. An Cordales kommt man nicht so leicht ran – und von dir wußte kaum jemand etwas. Bis auf einen alten, blinden Mann, einen Mexikaner, der dabei war und jenem Massaker damals entging – wahrscheinlich als einziger. Er erzählte mir die Geschichte, um sich an Cordales zu rächen, der ihn damals so gemein im Stich ließ.«
»Na schön«, versuchte Maveron es nochmals mit einem Schuß ins Blaue, »aber gesetzt den Fall, ich habe den Weg dorthin vergessen? Nach so vielen Jahren verblaßt die Erinnerung!«
Auf Hadlocks fleischigem Gesicht erschien ein boshaftes Grinsen.
»Bisher«, nickte er, »aber mit diesem Problem werden wir fertig!« Er deutete auf den muskulösen Indianer. »Hachez ist Yaqui – du weißt, wie gut die Yaquis mit dem Messer umgehen können. Er kann Dinge mit einem Mann machen, die du dir nicht einmal in deiner Phantasie vorstellen kannst! Er fängt mit den Zehen an – und die ' meisten plappern schon wie Marktweiber, ehe er sie alle durchgeschnitten hat.« Hadlock schob sich mit den Fingern ein Stück Maisbrot in den Mund und kaute mit vollen Backen. »Du kannst ruhig den harten Mann spielen, ich würde gern einmal wieder zuschauen. Aber du darfst mir eines glauben: Bevor Hachez halbfertig ist mit dir, fallen dir die Geburtstage deiner sämtlichen Vorfahren ein, von denen du noch nie gehört hast!«
»Wenn ich den Weg noch wüßte – was hätte mich gehindert, schon längst wieder hinzugehen?«
Hadlock hielt den Kopf schief. »Du erstaunst mich, Kenyon! Ich hab’ dir doch gesagt, ich weiß alles! Auch, daß weder Cordales noch du allein dorthin findet, aber keiner dem anderen traut! Cordales wagt sich nicht aus seiner Festung, weil er Angst vor seinen Landsleuten hat – und du wußtest nicht, wie du an ihn herankommen solltest. Also bist du zu Hause geblieben und hast auf deine Chance gewartet! Jetzt ist sie da! Ich habe die richtigen Männer dafür – jeder ein Experte auf seinem Gebiet. Wenn du jemals das Gold Wiedersehen willst, dann kannst du es nur mit uns, deinen neuen Freunden!« Er reichte Maveron seine fettige Hand über den Tisch. »Schlag ein, mein Freund«, sagte er mit schmieriger Freundlichkeit.
Maveron ergriff die dargebotene Rechte und erwiderte notgedrungen den teigigen Händedruck des Banditen.
»Beinahe zehn Jahre sind eine lange Zeit, Kenyon, aber solch einen Weg vergißt man nicht – nicht, wenn es um so viel Gold geht! Vielleicht hast du auch eine Karte gemacht; aber es hat keinen Sinn, sie aus dir herauszuholen. Solche Art von Wegweisern kann meistens nur der deuten, der sie angefertigt hat. Deshalb wirst du uns führen. Wie du das machst, ist deine Sache!«
Maveron dachte an das Stück Leder in seiner Patronenhülse – jene Karte, von der möglicherweise sein Leben abhing; jedenfalls für eine gewisse Zeit. Danach würden sie ihn sowieso umlegen! Aber diese Linien und Zeichen darauf sagten ihm so wenig wie ein leeres Blatt Papier. Rhett Kenyon hatte diese Karte angefertigt und wenn er dieser Kenyon war, dann war sein Leben nur noch etwas wert, wenn er sich an gewisse Dinge erinnerte – und zwar bald!
Während die anderen hinausgingen, blieb das Mädchen dicht bei Maveron stehen.
»Du kannst mich Gatita nennen wie die anderen«, sagte sie. »Das ist zwar nicht mein richtiger Name, aber man nennt mich schon so lange Gatita, daß ich den anderen Namen vergessen hab’.« Sie machte eine Pause und richtete sich wie ein stolzer Vogel auf. »Du gefällst mir!«
Maveron schaute in ihre schwarzen, funkelnden Augen. »Bei mir ist nichts zu holen«, knurrte er.
Sie sah ihn einen Moment schweigend an. Schließlich schüttelte sie leicht den Kopf und sagte: »Du bist ein Dummkopf, Gringo – du verstehst nichts von Frauen.«
»Von deiner Sorte schon«, antwortete er.
Sie machte eine Bewegung, als wollte sie ihm das Gesicht zerkratzen, aber dann hielt sie inne.
»Gringo!« sagte sie nur verächtlich, spuckte auf den Boden und folgte den anderen …
Ihr zweiter Lagerplatz befand sich nach Maverons Schätzung etwa 50 Meilen von Lincoln Harveys Ranch entfernt. Dieser Ort war so einsam, daß er außer Hadlock und seinen Banditen nur noch streifenden Indianerhorden bekannt sein mochte. Es war eine kleine grüne Insel zwischen nackten Felsen. Einige Tamarisken spendeten Schatten. Aus einer kleinen Vertiefung in der Mitte der Wiese sprudelte eine Quelle, die bereits nach wenige Metern in einer Felsspalte verschwand. Es führte nur ein einziger Weg in diese Felsen hinauf – und man war gezwungen, ihn auch wieder hinunterzureiten, wenn man diesen Ort verlassen wollte.
Die Pferde grasten friedlich die kleine grüne Wiese ab, die Mahlzeit war längst eingenommen und das Feuer erloschen. Der leichte Geruch von Holzrauch lag in der Luft und erzeugte zusammen mit dem Beginn der Dunkelheit eine Atmosphäre eigenartiger Gemütlichkeit.
Man mußte Gatita zubilligen, daß sie zur Erreichung ihrer weiblichen Ziele diese Stimmung geschickt auszunutzen verstand. Sie wusch sich an der Quelle im klaren Wasser – und es schien sie in keiner Weise zu stören, daß alle Blicke verlangend an ihrem splitternackten Körper hingen. Ihre Brüste wippten aufreizend, wenn sie sich bewegte. Schließlich richtete sie sich auf und ließ das Wasser an ihrem braunen Körper herabrinnen. Während sie sich mit ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen ihr langes Haar kämmte, schaute sie zu Maveron hinüber, um sich zu vergewissern, daß er sie auch sah.
Das Licht reichte gerade noch aus, um ihre schlanke Gestalt zu erkennen – und wenn Maveron ihr Verhalten nicht schätzte, so konnte er doch nicht umhin, ihre Erscheinung zu bewundern.
Nachdem sie sich so eine Weile zur Schau gestellt hatte, schlüpfte sie in ihren Rock und zog ihre dünne Bluse wieder an, wobei sie Maveron genauso unausgesetzt beobachtete wie umgekehrt.
»Nimm dich in acht, Kenyon, wenn du sie nachher auf der Decke hast«, lachte Chet Hadlock dröhnend. »Sie hat zur Hälfte Apachenblut in den Adern – und wenn du nicht gut bist, schneidet sie dir die Kehle durch.«
Maveron war müde. Ohne sich an weiteren Gesprächen zu beteiligen, ging er auf seinen Platz zurück, legte sich nieder und zog seine Decke über die Schultern.
Es war völlig dunkel, als ihn jemand anstieß. Er hatte sie nicht kommen hören – so leise waren ihre geschmeidigen Bewegungen; aber er konnte ihre schlanke Gestalt erkennen, die sich vor dem etwas helleren Himmel abzeichnete.
»Was willst du?« fragte er.
»So dumm kann auch nur ein Gringo fragen! Jedenfalls bin ich nicht gekommen, um mit dir zu streiten.« Sie zog mit schnellen Bewegungen ihre Bluse aus und warf sie achtlos auf den Boden. Dann hob sie einen Zipfel seiner Decke an und schlüpfte zu ihm. Sie preßte sich gegen ihn, und er spürte die festen Rundungen ihres Körpers.
Verdammt – wenn er seine Erinnerung noch besäße, dann wüßte er, ob es bei anderen Frauen auch so üblich war, ohne jedes Schamgefühl zu tun, wozu man Lust hatte. Aber aus seiner instinktiven Reaktion schloß er, daß es nicht so war! Er rührte sich nicht und versuchte, die Nähe ihres junges Körpers so gut wie möglich zu ignorieren. Denn ihm war eine Idee gekommen. Wenn es ihm gelang, diese zu verwirklichen, dann konnte für ihn die Welt morgen schon anders aussehen. Deshalb sagte er: »Es hat keinen Sinn, Gatita. Ich glaube kaum, daß wir beide miteinander auskommen würden.«
»Daß ihr Gringos immer alles so komplizieren müßt!«
Maveron bewunderte ihr unkompliziertes Gemüt. Sie schien sich niemals mit unnötigen Gedanken zu belasten. Oder gab es noch einen anderen, praktischeren Grund, weshalb sie zu ihm gekrochen kam? War auch sie hinter dem Geheimnis her, das die anderen bei ihm vermuteten?
»Du gehst mir auf die Nerven, Herzchen«, sagte er so gleichgültig, wie es ihm möglich war. »Ich hatte einen anstrengenden Tag heute!«
Sie fuhr mit einem Ruck unter seiner Decke hervor und zischte: »Bleib von mir aus da liegen, bis alles an dir verschimmelt ist, sturer Gringo!«
Leise und schnell war sie verschwunden – aber Maveron wußte, daß sie nicht schlafen ging. Sie hatte ein Feuer in sich brennen, das ihr in dieser Nacht keine Ruhe lassen würde. Er hob den Kopf und lauschte zum Trail hin, wo Santiago Wache hielt – aber er konnte nichts hören. Alle anderen Männer schliefen, und über dem Lager lag friedliche Stille. Die Pferde standen ruhig neben den Felsen.
Maveron wartete noch einige Augenblicke, dann erhob er sich, nahm seine Decke und ging auf leisen Sohlen etwas abseits zwischen die Felsen. Vorsichtig, ohne unnötige Geräusche zu verursachen, zerriß er seine Decke in vier Teile. Wieder hob er den Kopf und lauschte. Schwaches Mondlicht lag über dem Lager, aber nichts regte sich dort. Bis jetzt schien alles gutgegangen zu sein – doch er stand erst am Anfang, und der schwierige Teil lag noch vor ihm.
Langsam näherte er sich den Pferden und sprach leise, beruhigende Worte. Hin und wieder blieb er stehen, um die Tiere nicht zu beunruhigen. Denn wenn eines von ihnen nervös wurde und schnaubte, konnte er seinen Versuch als gescheitert ansehen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er seinen Rappen gefunden hatte. Er tätschelte ihm leicht den Hals und legte ihm dann behutsam den Sattel auf. Das Tier trat zwei kurze Schritte zur Seite und stieß eine graue Stute an, die kurz schnaubend den Kopf hochwarf.
Maveron fuhr herum, blieb stocksteif stehen und hielt den Atem an. Die Stute lief ein paar Schritte vor, und es entstand eine leichte Unruhe unter den Tieren. Einer der Schläfer bewegte sich.
Maveron atmete langsam aus und blieb noch einen Augenblick so stehen, um sich zu vergewissern, daß der Mann auch tatsächlich weiterschlief. Es war kaum etwas zu erkennen – und je länger Maveron hinschaute, desto weniger sah er.
Schließlich wandte er sich wieder dem Rappen zu und umwickelte dessen Hufe mit den Stücken der Decke. Dann zog er den Sattelgurt fest, schaute noch einmal prüfend über das Lager und führte das Pferd leise zum Weg hin, auf dem sie gekommen waren.
Wenn seine Erwartungen zutrafen, dann mußte Gatita den Mexikaner jetzt weit genug haben, so daß er, Maveron, eine Chance hatte, an ihm vorbeizukommen.
Er wußte nicht genau, an welcher Stelle Santiago seinen Platz bezogen hatte – und blieb von Zeit zu Zeit stehen, um zu lauschen. So kam er Stück für Stück voran und glaubte schon, den kritischen Punkt passiert zu haben, als er zu seiner Linken ein Geräusch vernahm. Er blieb stehen und hob den Kopf. Dann stahl sich ein flüchtiges Grinsen über sein Gesicht, das jedoch von einem Gedanken wieder ausgelöscht wurde.
Er hörte undeutliches Raunen, flüsternde Worte und Stiefelscharren.
Maveron zog den Rappen langsam weiter. Als er den steilen Felspfad hinter sich hatte, stieg er in den Sattel und ritt in das weite, leere Land hinein. Er wählte die Richtung, aus der sie gekommen waren; denn er konnte sich erinnern, daß sie in der Nähe einer Bahnlinie vorbeigekommen waren. Wenn er Glück hatte, konnte er einen vorbeikommenden Zug anhalten, ehe seine Verfolger ihn wieder erwischten …
Nogales war eine unordentliche Ansammlung von Saloons, Bretterhütten und Adobehäusern. Ehe vor ein paar Jahren die »Southern Pacific« ihre Bahnlinie über den Nogales– Paß bis hinunter nach Moreno gebaut hatte, war dieser Ort ein dreckiges, unbedeutendes kleines Nest mit Namen Isaactown gewesen.
Maveron verkaufte den Sattel bei einem Händler und erhielt dafür 40 Dollar. Dann nahm er beim Barbier ein Bad. Den Bart ließ er jedoch stehen. Es konnte möglich sein, daß ihn hier jemand kannte – und er wußte nicht, ob das gut für ihn war. Auf jeden Fall fühlte er sich so sicherer.
Danach nahm er eine kräftige Mahlzeit zu sich und machte sich auf die Suche nach dem Haus jener Belinda McNash. Es lag in einer winkligen Gasse im mexikanischen Teil der Stadt auf der anderen Seite der Grenze, die mitten durch die Stadt verlief. Er betrachtete das niedrige Adobehaus, das einen ärmlichen Eindruck machte, und kratzte seinen Bart. Dann klopfte er an die Tür und wartete. Er hörte im Innern des Hauses einen Topf scheppern und eine fluchende Frauenstimme. Dann näherten sich schlurfende Schritte der Tür.
»La puerta esta abierta«, sagte die Frau unwillig – und während sie die Tür auf riß: »Por que no entra?«
Maveron konnte nicht sagen, weshalb er nicht gleich eingetreten war. Vermutlich lag es nicht in seiner Art, unaufgefordert fremde Häuser zu betreten.
Eine alte, dicke Mexikanerin stand im Türrahmen. Sie hatte offenbar mit jemand anderem gerechnet, denn Maveron sah deutlich die Verwunderung und Abneigung in ihren schwarzen Augen.
»Busco la Señorita McNash«, sagte er, »esta en casa? Ist sie zu Hause?«
Die alte Frau musterte den großen bärtigen Gringo mit einem abschätzenden Blick, in dem keine Freundlichkeit lag.
»Ich habe Sie noch nie hier gesehen«, sagte sie.
Maveron zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht war ich auch noch nie hier! Ich wollte nur ein paar Worte mit der Señorita sprechen.«
Das faltige Gesicht der Frau verzog sich. »Sie wird gleich zurückkommen! Sie wollte etwas einkaufen. Sie können hier drinnen auf sie warten.«
»Wenn es Sie nicht beleidigt, möchte ich lieber hier draußen warten«, antwortete Maveron höflich. »Ich liebe die Sonne!«
Die alte Frau machte ein geschmeicheltes Gesicht, zuckte mit den runden Schultern und zog sich ins Haus zurück. Die Tür ließ sie jedoch offen.
Maveron lehnte sich mit dem Rücken an die rauhe Wand und blinzelte die Straße entlang, auf der zu so früher Nachmittagszeit bereits geschäftiges Treiben herrschte.
Er mochte etwa eine halbe Stunde gewartet haben, als er eine schlanke Frau mit einem Korb auf das Haus zukommen sah. Ihr volles dunkelrotes Haar glänzte in der Sonne. Sie war wie eine Mexikanerin gekleidet; aber ihr rassiges, schmales Gesicht und ihre ganze Erscheinung offenbarten ei ne reizvolle Mischung irisch-mexikanischer Herkunft. Maveron war von ihrer vollkommenen Schönheit so stark beeindruckt, daß er sie zunächst nur anstarren konnte.
Sie bemerkte den großen, hagerer Amerikaner mit den grauen Augen, die sie unverwandt musterten. Aber sie war Blicke dieser Art gewohnt und beachtete den Mann nicht weiter.
»Señorita McNash?«
Sie blieb stehen. Ihre grünen Augen hefteten sich auf ihn.
»Ich kenne Sie nicht, Señor«, sagte sie in akzentfreiem Amerikanisch. »Wer hat sie zu mir geschickt?«
Maveron lächelte. Er wußte nicht recht, wie er die Sache angehen sollte.
War es gut, ihr alles zu sagen? Ihre Schönheit erzeugte ein instinktives Mißtrauen in ihm. Er konnte nicht sagen, woher es kam; es mochte mit Erfahrungen Zusammenhängen, die er früher einmal gemacht hatte.
»Sie kombinieren recht schnell«, sagte er ausweichend, »aber das läßt sich nicht mit einem Satz ausdrücken. Sagt Ihnen der Name Rhett Kenyon etwas?«
Der Blick ihrer Augen wurde eine Nuance kühler. »Wer sind Sie?«
»Was würden Sie sagen, wenn jemand behauptete, ich sei Rhett Kenyon?«
Sie legte den Kopf leicht zurück. Mißtrauen war in ihrem Blick. »Ich würde ihn einen Lügner nennen! Doch gehen wir lieber ins Haus.«
Maveron folgte ihr in das kleine Adobehaus. Er mußte den Kopf senken, als er durch die Tür trat. Belinda McNash stellte den Korb auf den Tisch, und die alte Frau packte die Sachen aus. Ihre Blicke huschten dabei zwischen Maveron und der Senorita hin und her.
Belinda McNash drehte sich zu ihm um.
»Was soll das ganze? Ich kenne Rhett Kenyon!« Sie machte eine Pause. »Er hat mir früher einmal sehr viel bedeutet, aber er hat mich im Stich gelassen. Hat er Sie geschickt?«
Maveron zog den Zettel aus seiner Tasche und gab ihn ihr. Sie warf einen Blick darauf und sagte sofort: »Es ist seine Handschrift, daran gibt es keinen Zweifel – aber ich begreife die Zusammenhänge nicht.«
Maveron zog sich einen Schemel heran und setzte sich. Er war also nicht Rhett Kenyon. Aber er hatte sich offenbar in dessen Haus befunden, als alles begann – und er mußte dieses brennende Haus auch als einziger verlassen haben, weshalb Hadlock und seine Leute ihn für Kenyon hielten. Sie mußten keine Ahnung gehabt haben, daß sich außer Kenyon noch jemand dort befunden hatte. Ebensowenig konnten sie Kenyon persönlich gekannt haben.
Dafür gab es eigentlich nur eine logische Schlußfolgerung: Rhett Kenyon war in dem brennenden Haus umgekommen – und er selbst hatte kurz zuvor mit ihm irgendeine geschäftliche Verbindung gehabt, die seine Anwesenheit in Kenyons Haus erklärte. War er Dave Laveen? Dieser Verdacht schien sich zu erhärten …
Er bemerkte Belinda McNashs fragenden Blick und begriff, daß er ihr eine Antwort schuldig war.
»Rhett Kenyon ist tot«, sagte er.
In ihrem Gesicht zeigte sich keinerlei Reaktion. »Waren Sie bei ihm, als er starb?«
»Ich war vorher mit ihm zusammen – aber es ist dann ziemlich viel auf einmal passiert, so daß ich mich nicht mehr an Einzelheiten erinnern kann.«
»Ich verstehe«, sagte sie, aber Maveron merkte ihrem Gesicht an, daß sie irgend etwas anderes dachte. Ihre nächsten Worte bewiesen, daß er recht hatte. »Ich bin nicht vermögend, wie Sie sehen. Ich verfüge also nicht über die Mittel, die Ihr Gedächtnis auffrischen könnten!«
Maveron schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge.
»Sie müssen einen schlechten Umgang haben, Miss, daß Sie Ihre Mitmenschen derart einschätzen. Ich meinte es so, wie ich es sagte! Es sind plötzlich ziemlich viele Kugeln geflogen, und dann brannte ein Haus ab. Sie verstehen, was ich meine? Die Ereignisse überstürzten sich, und wir verloren uns aus den Augen. Und ich hatte weder Lust, durchlöchert noch gebraten zu werden!«
»Dann wissen Sie also nicht genau, ob er wirklich tot ist?« fragte sie.
»Doch«, nickte Maveron, »er hat dieses brennende Haus nicht verlassen. Es gibt Zeugen, die das behaupten!«
Sie zerknüllte den Zettel in ihren Händen und ging einmal im Zimmer auf und ab.
»Aber bevor das alles passierte, gab er Ihnen diesen Zettel. Vermutlich haben Sie auch noch über andere Dinge mit ihm gesprochen. Sie müssen sein Vertrauen besessen haben!« Sie blieb unmittelbar vor ihm stehen. »Haben Sie erwartet, daß mich sein Tod erschüttert? Ich habe ihn nicht in sehr angenehmer Erinnerung behalten und auch seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Aber er hat trotzdem noch an Sie gedacht«, versetzte Maveron.
»Und deshalb kommen Sie jetzt zu mir?«
Maveron zuckte mit den Schultern.
»Ich dachte mir, daß Sie vielleicht … nun, ich hielt es für meine Pflicht!« Er erhob sich. »Dann ist da noch was: Es gibt einige Leute, die sich nicht davon abbringen lassen.
daß ich Rhett Kenyon sei. Ich weiß nicht, weshalb ich Ihnen das sage, aber ich hoffte, von Ihnen etwas über Kenyon zu erfahren und über die Leute, mit denen er zu tun hatte.«
»Man hält Sie für Rhett?«
Maveron bemerkte plötzliches Interesse in ihrem Blick. Sie kam einen Schritt näher und legte ihre Hand auf seinen Arm.
»Dann befinden Sie sich also in Schwierigkeiten – und trotzdem sind Sie hierhergekommen?«
Maveron schaute in ihr schönes Gesicht.
»Vielleicht gerade deshalb! Woher wissen Sie, daß ich in Schwierigkeiten stecke, wenn man mich für Kenyon hält?«
Sie ließ seinen Arm los und wandte sich ab.
»Ihren Schilderungen zufolge ist er umgebracht worden – und ich kann mir denken, warum. Er hatte früher etwas mit einem Goldraub zu tun! Dieses Gold befindet sich irgendwo in Mexiko und ist nie wieder aufge taucht. Er wußte, wo es sich befindet! Aber das werden Sie alles selbst wissen, Sie hatten ja Rhetts Vertrauen!«
Maveron wurde jetzt einiges klar. Er nickte vor sich hin und sagte halb zu sich selbst: »Wenn diese Leute erfahren, daß ich nicht Rhett Kenyon bin, dann werde ich nicht mehr lange leben. Dann halten sie mich für wertlos!«
»Wer sind Sie wirklich?« fragte Belinda.
»Man nennt mich Maveron!«
Sie schaute ihn eine Weile schweigend an, dann nickte sie.
»Na schön – dann heißen Sie eben Maveron. Und was werden Sie jetzt tun?«
»Versuchen, gewissen Leuten nicht mehr über den Weg zu laufen«, sagte er, doch er glaubte selbst kaum, daß ihm das gelingen würde. Wenn eine Menge Gold im Spiel war, dann waren Männer wie Chet Hadlock hartnäckig. Der würde ihn finden, und wenn es Jahre dauerte!
Maveron schaute Belinda an – ihr schönes Gesicht, die schlanke Gestalt. Die Begegnung mit ihr hatte ihm nicht viel eingebracht.
»Es tut mir leid«, sagte er, »daß ich Ihnen nicht mehr bringen kann als diese Nachricht.«
Verdammt, ihr Blick konnte einen Mann aus der Fassung bringen! »Adios!«
»Vielleicht sehen wir uns noch einmal wieder.« Es klang beinahe wie eine Einladung. »Noch etwas, Maveron. Versuchen Sie nicht erst, das Gold zu finden! Es sind schon zu viele gute Männer deswegen gestorben!«

Luke Sinclair
1940 wurde ich in Halle/Saale geboren und wuchs in derselben Stadt auf.1961 wechselte ich in die Bundesrepublik über. Einige Jahre später absolvierte ich bei der Studiengemeinschaft Kamprath in Darmstadt ein zweijähriges Fernstudium >Technik der Erzählkunst<. Danach schrieb ich meine ersten Western für Zauberkreis Verlag und BEWIN Verlag (letzterer für Leihbüchereien) und war dann über nahezu drei Jahrzehnte nebenberuflich als Romanautor für Kelter- und Bastei Verlag tätig.
Da ich mich nun seit einiger Zeit im Ruhestand befinde, habe ich mich größeren Projekten zugewandt. Mein erster gebundener Roman erschien 2008 unter dem Titel: „Roter Bruder Abel“ im WJK Verlag, Hilden. Ein historischer Roman, der sich mit der Eroberung und Besiedelung des nordamerikanischen Kontinents befasst.
Ein weiterer Roman mit dem Titel: „Wer weiß schon, wann die Stunde schlägt“ erschien 2010.