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Love Target

©2015 663 Seiten

Zusammenfassung

Los Angeles Anfang der 60er Jahre: Die 16-Jährige Ingrid ist todunglücklich: Hals über Kopf muss sie München verlassen und mit den Eltern nach L. A. ziehen, wo sie Ungewissheit und Wandel erwarten. Kaum angekommen, läuft das Mädchen weg und nimmt im aufblühenden Las Vegas der Swinging Sixties einen Job als Showgirl an. Sobald das Geld reicht, will sie sich ein Ticket in die Heimat kaufen und Amerika für immer verlassen. Doch während sie über die Bühnen Las Vegas‘ und New Yorks fegt und ihrem Traum von einer Rückkehr nach Deutschland immer näher kommt, beginnt Ingrid sich an ihr neues, glamouröses Leben zu gewöhnen. Sie genießt das aufregende Nachtleben der Metropole und schlittert von einem amourösen Abenteuer ins nächste, verdreht sogar Weltstars wie Elvis Presley und Harry Belafonte den Kopf.
Ingrids kurzlebige Affären sind reizvoll und spektakulär, aber sie glaubt nicht an die wahre Liebe – bis sie eines Tages dem charmanten und gut aussehenden Geschäftsmann Armand begegnet, der sie im Handumdrehen verzaubert. Ingrids Glück scheint vollkommen. Doch Armand verbirgt ein düsteres Geheimnis...

‚Love Target’ ist die wilde, verruchte, berührende Geschichte eines wundervoll unschuldigen und eigensinnigen Mädchens, das während der turbulenten Sechziger Jahre auf Las Vegas und New York losgelassen wird.

Lily Feisty, Autorin von Deliciously Sinful

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Heidi Loeb Hegerich

Love Target

1961
Der King und ich

1

„Nun, wisst ihr, Ingrid hat heute Abend eine Verabredung mit Elvis,“ zwitscherte Astrid.

Ich schnappte nach Luft, dann funkelte ich sie an. Meine Mitbewohnerin konnte so ein Quälgeist sein! Astrid wusste ganz genau, wie die Reaktion darauf in der Umkleide ausfallen würde.

Und tatsächlich kamen hier schon die gehässigen Bemerkungen der anderen Eisläuferinnen, die ihre Dinner Show-Kostüme auszogen und vor ihren Glühbirnen-umrahmten Spiegeln das Bühnen-Make Up abwischten.

„Ach wirklich?“

„Muss an ihrer reizenden Persönlichkeit liegen.“

„Ein Hurra dem kleinen Nazi.“

Na vielen Dank, Astrid. Diese Frauen hassen mich jetzt schon: dürre, schüchterne Ingrid, der Teenager aus Deutschland, der Spieler mit hohen Limits und Casinobesitzer anzieht, einfach nur wegen meines unschuldigen Gesichts und meiner hohen Titten … ganz zu schweigen davon, dass ich keinen Arsch habe, meine Schultern so breit sind wie die eines Jungen und ich nicht einmal gegen Bezahlung wüsste, wie man einer Banane einen bläst.

Aber ich biss mir auf die Lippe und sagte nichts, verzog keine Miene, behielt die Fassung. Vor den anderen Mädchen konnte man keine Anzeichen von Schwäche zeigen. Nicht, wenn man hinter der Bühne eines Las Vegas Showrooms wie diesem, im Thunderbird, überleben wollte.

Aber … Elvis? Wo hatte sich Astrid diese großartige Flunkerei einfallen lassen?

Wir zogen uns beide um und verließen die Umkleide. Bevor wir uns wieder die Kostüme für die Spät-Show anziehen mussten – die, bei der wir oben ohne, mit Pasties, liefen, hatten wir eine 90-minütige Pause. Wir machten uns auf den Weg ins Sahara Hotel um die Foyer-Vorstellung eines scharfzüngigen Komikers zu sehen, namens Don Rickles, der für Furore sorgte. Sogar der große Sinatra war ein Fan von ihm.

Wir verließen das Thunderbird durch einen Seiteneingang und stiegen in Astrids uralte Blechkiste am Straßenrand. In den Reifen war kaum noch Luft. Es war eine Schrottkarre, aber wir konnten damit fahren und sie hatte Astrid keinen Cent gekostet. Ein junger Kerl namens Kenny, der von ihr besessen war – er verpasse kaum eine unserer Spät-Shows – hatte ihr den Schrotthaufen geschenkt.

Weder Astrid noch ich hatten einen Führerschein, aber das hielt uns nicht vom

Fahren ab. Wir waren Showgirls, Königinnen von Vegas. Wir konnten uns alles erlauben.

Als wir die paar Meilen den Strip hinunter tuckerten zum Sahara, drehte ich mich zu Astrid um.

„‘Elvis’? Ja, das ist sehr, sehr lustig. Du kannst manchmal eine richtige Schlampe sein.“

Was mich ärgerte war das Ausmaß ihrer possenhaften Witzelei. Frauen bewunderten „Den King.“ Nun, ich nicht – zumindest nicht so ganz. Ich hatte einige von Presleys Filmen gesehen. Die waren total schmalzig. Einfach albern, superschlecht, eine billige Tour sein schönes Gesicht auf die Leinwand zu bringen um Millionen von Kinokarten zu verkaufen – und weitere Millionen seiner Platten. Ich fuhr auch nicht wirklich auf seine Platten ab. Kindermusik. All das Glucksen und Stöhnen! Ich hörte Jazz. Genau wie Astrid. In unserem Apartment spielten wir Ray Charles, Billie Holiday, Sarah Vaughan und Lena Horne. Wir waren zu cool für Rock’n Roll.

Astrid zog ihre Zigarette von den Lippen, blies mir einen Rauchkringel zu und verzog ihre Unterlippe zu einem Schmollmund, wie Der King. Wie eine große Schwester genoss sie es, mich zu ärgern.

„Warum nicht Elvis?” sagte sie. „In Vegas ist alles möglich.”

Nun, zumindest war ihre Lüge glaubwürdig. Das glanzvolle Sahara, mit seinem 14-stöckigen Turm, war die bevorzugte Bleibe für Presley und seine Entourage wann immer er in der Stadt war. Jedes Showgirl wusste das. Jeder in Vegas wusste das. Es war allgemein bekannt.

ASTRID PARKTE HINTER DEM Sahara. Wir gingen durch eine Seitentür. Wir kannten die Schleichwege in allen großen Hotels. Wir schritten den Gang zum Kasino hinunter wie Prinzessinnen, während uns die Hotelangestellten mit Achtung und die Gäste mit Neugier und Ehrfurcht ansahen. Astrid hatte diese Wirkung. Sie entsprach der Phantasie von der schwedischen Femme fatale: groß und blond, mit atemberaubend langen Beinen und stechend blauen Augen. Sie bewegte sich mit der majestätischen Haltung Ingrid Bergmanns, der berühmten Schauspielerin ihres Geburtslandes. Astrids gerade-geschnittenes, mitternachtsblaues Seidenkleid kontrastierte mit ihrem wallenden, platinblonden Haar. Sie sah älter, vornehmer aus als ihre 21 Jahre – eine herrliche skandinavische Göttin, begleitet von einem schlaksigen Teenager, Ingrid Liebschreiber, so fein angezogen wie möglich, mit

einem schwarz-roten, oben tief ausgeschnittenen Chiffon-Kleid, um mit möglichst viel Dekolleté zu prahlen, an der Taille eng zusammengefasst und mit einem nach unten fließenden Tellerrock um die Illusion einer Sanduhr-Figur zu erzeugen. Sehr feminin – das war 1961 in Mode.

Wir verließen das Hotel und gingen hinüber in das kleinere Nachbargebäude des Sahara und kamen zum Eingang der Casbar Lounge. Vorne in der langen Gästeschlange beschwerte sich ein junger Ehemann bei einem Platzanweiser: „Fünf Dollar? Ich dachte, die Vorführungen in Ihrer Lounge wären gratis!“

Normalerweise waren sie das auch, sogar bei Louie Prima, einem Star, der inzwischen bekannt genug war, um in Showrooms aufzutreten. Aber „Eine Beleidigung pro Sekunde“-Don Rickles hatte für ziemliche Begeisterung gesorgt und den Raum gefüllt. Es war ganz gut, dass der Mann seine enttäuschte Ehefrau am Arm nahm und wegführte. Diese Touristen wären leichte Beute für den Komiker gewesen, wenn er sich auf sie eingeschossen hätte. Rickles, das wussten wir aus Vegas alle, hatte kein Schamgefühl.

Astrid grinste. „Ich frage mich, wieviel dieser Trottel schon in den Spielautomaten versenkt hat? Viel mehr als fünf Dollar. Ich bin mir sicher, seine Frau ist sehr glücklich.“

„Schau,” ich zeigte hin, „Pancho sieht uns.“

Pancho, der Oberkellner der Casbar Lounge, stand am Eingang. Er nickte, winkte uns heran und signalisierte uns, an den Platzanweisern vorbeizugehen. Pancho, der seine ergrauenden Haare färbte, sah in seinem Smoking und Krawatte lässig-elegant aus. Er wirkte ganz weltmännisch und souverän, wie es sich für den Manager eines der angesagtesten Nachtclubs des Planeten ziemte.

„Mädchen,” sagte er in einem Akzent, der sich, trotz seines mexikanischen Namens, für meine deutschen Ohren slawisch anhörte, „Ihr seht heute Abend umwerfend aus. Folgt mir.“

Pancho führte uns hinein und übergab uns an einen Platzanweiser. „Gib ihnen einen Nischentisch.“

Im gedämpften Licht der Lounge fühlten wir ein Meer von Augen auf uns, obwohl wir die Gesichter der an den winzigen, runden, auf dem Weg zur Bar vor der Bühne verteilten Tische, zusammengedrängten Formen nicht erkennen konnten. So war das immer, wenn wir Showgirls hereinkamen: Die Leute drehten sich um und glotzten. Es waren nur neugierige Touristen, aber die Aufmerksamkeit war immer schmeichelhaft. Jedoch gab es im Casbar einen zusätzlichen Anreiz, weil man nie wusste, wer möglicherweise im Schatten so saß. Vielleicht Judy Garland oder Dean Martin. Oder Sinatra selbst. Die Casbar war nicht einfach eine weitere Lounge in Vegas. Es war die Lounge der Lounges: ein

Sprungbrett, wo die Stars von Morgen ihr Handwerk verfeinerten, bevor es in den großen Saal ging. Astrid und ich ließen uns an einem Nischentisch nieder. Eine Cocktail-Kellnerin nahm unsere Bestellungen auf. Ein Conférencier sagte an, „Meine Damen und Herren, Don Rickles!“ und der Applaus der Zuschauer war wie eine Explosion.

Das Scheinwerferlicht richtete sich auf einen Mann mit rundem Kopf, geschwungenen Augenbrauen und aufgerissenen, wütenden Augen, der am Mikrofon auftauchte. Er erinnerte mich an einen wütenden Bussard.

Jemand in der Menge rief etwas. Der Komiker fauchte eine Antwort. Lachen brach aus, aber ich war mir nicht sicher, was Don Rickles gesagt hatte. Alles was ich mitbekam war ein Wort, das anscheinend eine schallende Abfuhr war.

Ich drehte mich zu Astrid um. „Was heißt das, ‘hawkeepuck’?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, er nannte ihn ein Stück Kacke.“

Sie schaute plötzlich auf. „Hallo Pancho.“

Der Oberkellner stand an unserem Tisch mit einem Silbertablett. Er lehnte zu mir herüber. Ein Zettel lag auf dem Tablett.

„Das ist für dich, Püppchen.“

Ich faltete die Nachricht auseinander und blinzelte im Licht der Tischlampe. Eine handgeschriebene Nachricht, in ordentlicher Blockschrift.

Ich las sie laut, langsam. „Are you … lonesome … tonight?”

Ich schaute Astrid an. Wir kicherten. Wir hatten schon einige seltsame Nachrichten erhalten, während unserer Streifzüge in der Stadt.

„Wer hat das geschickt?“ fragte ich.

Pancho machte ein ernstes Gesicht.

„Elvis Presley möchte Dir einen Drink ausgeben.“

Astrid fiel der Mund auf. Das war kein weiterer ihrer Streiche, kein Scherz, den sie mit dem Oberkellner ausgeheckt hatte.

Meine Wangen brannten. Ich hasste es, so leicht zu erröten! Wegen meines roten Gesichts konnte jeder immer sehen wie nervös ich war. Und das zu wissen, machte mich noch nervöser. Gott sei Dank für die Dunkelheit in der Lounge.

Ich nickte Pancho zu und räusperte mich.

„Ich würde sehr gern ein Glas mit ihm trinken.“

Pancho richtete sich auf und drehte sich um.

Eine Minute später stand eine Gruppe Männer bei uns. Alle trugen schwarze Anzüge, außer einem, mit weißer Jacke und dunklen Hosen. Ich erkannte ihn sofort. Pechschwarze Haare. Schiefes Lächeln. Langes, schönes Gesicht. Es schien zu leuchten.

Elvis.

„Dürfen wir uns zu euch setzen?“ fragte er in höflichem Ton, seine Stimme ein tiefer, klebriger Dialekt. Sein Benehmen schien korrekt, wie das eines Südstaaten-Gentleman.

Astrid rutschte in meine Richtung, um Platz zu machen.

Elvis glitt in die Nische neben mich. Wie auf einen Fingerzeig, drängten sich seine Freunde auf der anderen Seite hinein. Aus der Nähe sahen sie etwa so alt aus wie wir – und ihre Gesichter passten nicht zu ihren schicken Anzügen. Sie sahen überhaupt nicht aus wie die Spieler, die Geschäftsleute, die Erfolgsmenschen in Vegas. Die Haarschnitte dieser Kerle: glitschig und pomadig und jeder mit einem Haarwirbel auf der Stirn. Einer der Typen, kleiner als der Rest, schien sogar jünger als ich zu sein, praktisch ein Junge.

Sie saßen alle ruhig da und warteten darauf, dass ihr Anführer seinen Zug machte. Kein Wunder, dass sie ihn „Den King“ nannten. Wir alle warteten darauf, dass Elvis etwas sagte. Aber er saß einfach nur da. Er musste nichts sagen. Er war Elvis. Allein seine Anwesenheit füllte die Nische: eine unsichtbare Kraft, wie ein Magnetfeld. Meine Sinne fingen an zu rasen. Meine Wangen fingen wieder an, zu brennen. Der übersüße Geruch von Elvis’ holzigem Eau de Cologne stieg mir in die Nase. Meine Haut prickelte im Nacken, den Rücken hinunter bis zu den Knien.

Aus nächster Nähe strahlte Elvis Sex aus. Seine Lippen zu diesem berühmten Lächeln verzogen, mit vorstehender Unterlippe. Seine Augen schimmerten in einem tiefen Blauton, fast violett. Seine Wimpern und Brauen waren schwarz und eindrucksvoll, wie geschminkt, so dunkel wie sein dickes Haar.

Er drehte sich zu mir. „Ich bin Elvis Presley.“ Seine kleberartige Simme hallte praktisch. Ein tiefes Grollen, wie im Film.

Er streckte den Arm aus und gab mir behutsam die Hand.

„Und wie heißt Du?“

„Ingrid. Oh, und das ist meine Freundin Astrid.“

„Nett, dich kennenzulernen. Mädchen, das sind Sonny“ – er nickte einem der Jungs zu – „und Red. Und Birdy. Und Billy.“

Jeder nickte der Reihe nach und sagte „Hi.“ Sonny und Red sahen nicht schlecht aus. Sie waren groß, wie Elvis. Birdy war noch größer und er war fett. Billy war der Kurze. Er hatte ein Milchgesicht und sah jung aus, zu jung um im der Casbar zu sein, wie ich. Das machte jedoch nichts aus. Pancho würde kein Showgirl hinauswerfen. Oder einen Freund von Elvis.

Der Raum donnerte vor Lachen. Der rundköpfige Komiker hatte noch jemand einen „hawkeepuck“ genannt.

Elvis nickte mit dem Kinn in Richtung Bühne und fragte mich etwas. Ich konnte die Frage nicht verstehen. Es hörte sich an als ober mich nach einem „Schloss“ gefragt hätte.

Ich lächelte, schüttelte den Kopf und hielt die Hand ans Ohr.

Elvis wiederholte seine Frage. „Magst Du den Typ da oben?“

Ich lächelte und zuckte mit den Schultern. Ich schaute zu Astrid. Sie nickte zwei von Elvis’ Freunden zu, die sie vollquasselten. Ich konnte nicht einmal die Hälfte davon verstehen. Es hörte sich an, als hätten sie sich Wattebäusche in den Hals gesteckt.

Die Cocktail-Kellnerin kam mit unseren Drinks zurück. Astrid hatte einen Cognac bestellt. Ich hatte einen Wodka 7 bestellt, wie üblich. Das 7-Up würde den Wodka für mich erträglich machen. Ich mochte keinen Alkohol. Elvis offensichtlich auch nicht. Er bestellte ein Cola. Seine Freunde bestellten Bier.

Elvis lehnte sich zu mir herüber. Er lächelte wieder schüchtern. Seine Lippen waren so voll, seine Augen so blau! Ich begann, ihm so tief in diese verträumten Augen zu starren, dass ich nicht merkte, dass er angefangen hatte, zu sprechen. Ich strengte mich an, seine Worte zu entziffern.

Er bemerkte meine Verwirrung. Manchmal dauerte es bei Amerikanern eine Weile um es zu bemerken, aber Elvis war schnell. Er begann langsamer zu

sprechen und seine Worte sorgfältig zu betonen. Mit Sicherheit war er charmant – kein weiterer eingebildeter Star.

„Weißt Du, ich höre hier lieber Musik als einem Typ zuzuhören, der Witze erzählt. Freddie-bell, er ist einer meiner Lieblinge.“

Ich wusste nicht, wer Freddie-bell war. Aber ich fragte nicht danach.

„Freddie-bell, der ist in Ordnung,” sagte Elvis und nickte.

Er sagte noch etwas von wegen, Freddie-bell hätte einen Hund. Elvis bemerkte die erneute Verwirrung auf meinem Gesicht. Unsere Sprachlücke amüsierte ihn.

„Schätzchen, wo kommst Du her?“

„Ich komme aus München. Aus Deutschland.“

„Oh, Du bist ein Fräulein. Ich kann behaupten, dass ich einige Zeit dort verbracht habe. Nun, ich mochte es nicht sehr.“

Scheisse, dachte ich.

„Gut, ich traf einige wirklich nette Deutsche,” fügte er schnell hinzu. „Es war das Armee-Leben. Ich mochte es nicht sehr.“ „Tja, da ich nicht mehr als fünf Worte in spreshen zee doytch kann, hoffe ich, dass Du gut Englisch sprichst.“

Ich lächelte wieder. Zumindest war er kein „Kraut“-Hasser. Ich entschied mich, eine Frage zu stellen.

„Du sagst, dein Freund Freddie hat einen Hund?“

Elvis haute auf den Tisch und lachte. Sofort fingen seine Freunde an zu lachen.

„Jungs, ist sie nicht der süßeste kleine, grünäugige Schelm, den Ihr je gesehen habt? Sie hat ein Gesicht wie ein Engel.“

Sie fingen an zu nicken. „Das stimmt, Elvis,” sagte einer davon.

Er drehte sich wieder zu mir um.

„Der alte Freddie-bell sang Hound Dog. Ich sah ihn dieses Lied da oben auf der Bühne singen. Seinetwegen singe ich es.“

Plötzlich verstand ich. Er meinte Freddie Bell, den Bandleader. Natürlich, ich erkannte den Titel, Hound Dog. Ich hatte ihn Freddie Bell und seine Band, die Bellboys, singen hören. Und ich hatte ihn Elvis im Radio singen hören. Wer hatte das nicht? Es war ein blödes Lied, genau wie Jailhouse Rock. Aber in dem Moment hätte es auch die berühmteste Arie aller Zeiten und Elvis der größte Opernbariton sein können.

Die warmen, prickelnden Wellen hörten nicht auf, mein Rückgrat hinunter und durch meine Haut zu zittern. Ich fühlte auch anderswo ein winziges Stechen.

Die Cocktail-Kellnerin kam zurück, um neue Bestellungen aufzunehmen und unsere leeren Gläser abzuräumen. Ich hatte noch nicht einmal meinen Wodka 7 ausgetrunken.

Ich schaute entschuldigend. „Ich trinke nicht allzu viel.“

Elvis lächelte.

„Ich sehe, dass Du auch nicht rauchst, Fräulein.“

Astrid war die Einzige die qualmte und den Aschenbecher mit Kippen füllte. Astrid rauchte wie ein Schlot.

Elvis bestellte noch ein Cola. Er drehte sich zu mir mit diesen Augen wie dunkle Seen, wie violett-blauer Himmel.

„Pancho sagt, Du bist ein Showgirl. Wo ist deine Show?“

„Ich bin im T-Bird. Bei Ecstasy on Ice. Ich bin eine Eisläuferin. Ich muss heute Abend zur Spät-Show zurück.“

Elvis zog eine Braue hoch. „Eine Eisläuferin? Wie bist du denn dazu gekommen? Ich bin Roller Skates gefahren, aber nie eisgelaufen. Hört sich etwas beängstigend an.“

„Oh, ich war sehr jung als ich anfing. Meine Eltern sorgten dafür, dass ich Unterricht bekam als ich vier Jahre alt war.“

„Nun, ich und die Jungs sind nicht geschäftlich hier,” sagte Elvis. „Wir sind hier einfach auf Urlaub bevor ich meinen nächsten Film machen muss.“

Der Rest von dem was er sagte, wurde übertönt. Don Rickles schrie ins Mikrofon, zeigte auf jemand an den vorderen Tischen und beschimpfte ihn wieder und wieder als Dummkopf.

„Dummkopf! Dummkopf!“

Der Raum dröhnte vor Lachen. Die Leute mochten diesen Komiker. Sie fanden seine Ungezogenheit urkomisch.

Elvis wartete bis der Lärm endete. Dann lehnte er sich zu mir.

„Also, wann hat ein grün-äugiger Schelm wie Du Feierabend?“

2

George Arnold, der Produzent unserer Show, nahm mich hinter der Bühne beiseite, bevor ich die Umkleide erreichte, um mich für die Spät-Show vorzubereiten. Seine blassblauen Augen glänzten aus Besorgnis und Neugier.

„Ich höre, Du hattest Drinks mit Elvis Presley im Sahara!“

So schnell sprachen sich Neuigkeiten auf dem Strip herum.

George war ein Schatz – ein Show-Biz-Veteran, der immer auf die kleine Ingrid aufpasste und sicherstellte, daß die falschen Verehrer nicht zu nahe kamen. Wir Showgirls besaßen einen geheimnisvollen Nimbus: Gegenstand der Phantasie für eine endlose Prozession triebhafter Verehrer, die wie aus dem Nichts von den Sitzen auftauchten. Ein Verehrer mit genug Geld, Status oder Mut, fand unvermeidlich nach der Show den Weg hinter die Bühne, im Beisein von George oder dem Inspizient, Greggy, um den Wunsch zu äußern, das Mädchen, das seine Lust am meisten geweckt hatte, für einige Drinks zu treffen. Sowohl meine Jugend als auch meine ausländische Herkunft zogen Schürzenjäger an wie ein Magnet. George und Greggy vermieden penibel die Ansuchen der Unpassenden oder der Zwielichtigen, indem sie ihnen sagten, „das deutsche Mädchen“ sei einfach nicht verfügbar. Gelegentlich gab es auch Angebote von Frauen oder Pärchen. Diese wurden automatisch abgelehnt.

Ich verehrte George. Obwohl er etwa doppelt so alt war wie wir, war er genauso ausgelassen. George war klein, sogar sehr klein und außerordentlich fit. Neben der Produktion von Ecstasy on Ice hatte er auch die Hauptrolle. Er war eingebildet wegen seiner V-förmigen Gestalt, mit breiten Schultern und schmaler Taille, muskulösen Armen und Beinen. „Ich habe einen gestählten, ausdauernden Körper,” brüstete er sich. Georges Haare waren blond gefärbt und sein Gesicht war, dank eines Liftings, faltenlos. Er erzählte niemand, wie alt er war. Sein jugendliches Aussehen war lebensnotwendig, nicht nur für seine Selbstwahrnehmung, sondern auch für seinen Lebensunterhalt. George war während seiner Wettbewerbszeit ein Meister-Eisläufer gewesen. Bei „Ekstase auf Eis“ führte er ein gekonntes Programm auf, in einem weißen Smoking, der eng an seinem Brustkorb und seinen Schenkeln anlag. Er lief mit Ausdruckskraft, wenn er in eine schnelle Drehung wirbelte flogen seine Rockschöße hoch und stellten seinen festen, wohlgeformten Po zur Schau. Seine Spezialität war der Steptanz auf Eis. George war ein echter Showman. Wäre er nicht schwul gewesen, hätte ich mich vielleicht mit ihm verabredet. Ich war sowieso schon in ihn verknallt.

George legte mir die Hände auf die Schultern. „Sei einfach vorsichtig mit Elvis, Liebes.“

Dann setzte er seinen Mund an mein Ohr und flüsterte:

„Erzähl mir danach auf jeden Fall, wie groß sein Penis ist.“

ICH IGNORIERTE DIE FROSTIGEN Blicke in der Umkleide. Astrid und ich zogen unsere Kostüme an.

Sie und ich waren Führungsläufer. Auf gegenüberliegenden Seiten des Eises nahmen wir unsere Plätze für die Show ein. Wir begannen unseren Auftritt als das Orchester im Graben begann, den Broadway Hit The King and I, zu spielen. Wir liefen nebeneinander auf,

nahmen uns an den Händen und führten Achter-Figuren vor – wir bewegten uns so schnell, dass uns die Kälte des Eises auf unseren nackten Brüsten nicht störte.

Nach der Show zog ich einen Baumwoll-Pulli und Avocado-grüne Wildlederhosen an. Der Sommer im Wüstental ging zu Ende. Unter dem engen Pullover trug ich keinen BH und meine Nippel wurden hart in der Nachtluft.

Ich nahm ein Taxi zum Sahara. Freddie Bell und die Bellboys spielten die 2-Uhr-Show in der Casbar. Pancho führte mich zu der Nische, wo Elvis mit seiner Truppe saß. Sie standen alle auf.

Elvis bedeutete mir, mich neben ihn zu setzen, auf den leeren Platz außen.

„Ingrid, Du kennst die Jungs. Red, Sonny, Birdy, Billy, Joe.“

Joe war vorher nicht in der Casbar gewesen. Er musterte mich prüfend. Er war älter als die anderen, klein und stämmig, mit dunklen, intelligenten Augen. Er trug eine Schmalztolle statt eines Haarwirbels. Mit seiner hervorstehenden Nase sah er aus wie ein Italiener.

„Du bist Deutsche, stimmts?“ fragte er.

„Bin ich.“

„Du bist also ein Showgirl, oder?“

Joe sprach keinen Dialekt. Er sprach wie ein Amerikaner aus dem Norden, und seine Stimme war tief und körnig.

Er blinzelte. „Wie alt bist Du, Fräulein?“

„Jetzt aber Moment mal,“ unterbrach Elvis. „Eine Dame muss nie ihr Alter nennen.“

Ich lächelte. „Ich bin achtzehn.“

Ich wollte nicht, daß dieser Joe – der irgendeine Art von Autorität innezuhaben schien – dachte, ich sei minderjährig, was die Amerikaner „Knastköder“ nannten. Den größten Teil meiner Zeit in Vegas war ich „Knastköder“ gewesen, jedoch war meine Visum-Identifikation so manipuliert worden, daß sie mich als zwei Jahre älter auswies. Ich war mit 16 in die Stadt gekommen, aber mein Ausweis gab mich als 18 aus, als volljährig. Jetzt war ich 18, aber offiziell 20. Sogar das war noch ein Jahr zu jung, um mich legal in der Lounge aufzuhalten.

„Nun, du bist nicht zu jung für uns,“ sagte Elvis zu mir. „Billy hier – er zeigte auf den milchgesichtigen Jungen am Tisch, ein ruhiger Junge mit großen Augen – „ist mein kleiner Cousin. Ich habe seiner Mutter gesagt, daß ich auf ihn aufpasse, hier in dieser großen, bösen Welt. Aber er ist achtzehn, fast erwachsen, genau wie Du.“

Elvis drehte sich zu Joe. „Ingrid ist in Ordnung. Sie läuft Eis im T-Bird.

Elvis lächelte mich etwas verlegen an. „Weißt du, der Colonel möchte nicht, daß ich mich mit Mädchen treffe, die nicht im Show-Geschäft sind. Er möchte, daß ich mich nur mit Tänzerinnen oder Schauspielerinnen treffe. Joe hier sagt ihm alles.“

„Na, fast alles,“ mischte sich einer der Südstaaten-Jungs ein.

Ich verstand nicht, warum Elvis sich vor einem Colonel verantworten musste. Er war doch nicht mehr in der Armee. Aber, wie üblich, sagte ich nichts. Ich hatte genug damit zu tun, ihr Englisch zu verstehen. Meinen Mund zu öffnen würde nur Verwirrung stiften.

Freddie Bell und die Bellboys spielten ihr übliches Programm. Auf der Bühne ging die Post ab – gut aussehende Italiener mit schicken, dunklen Anzügen und Krawatten tanzten in choreographierten Schritten hin und her und drehten sich gleichzeitig im Kreis. Sie schwenkten ihre Arme und Hüften und sangen „Doo-wop“. Ein Klavierspieler kitzelte die Tasten. Ein Schlagzeuger schlug den Takt.

Ich hatte die Bellboys in einem Kino in München gesehen, im Film Rock Around the Clock. Dann hatte ich Freddie und seine Band persönlich draußen in den Bars von Vegas getroffen. Ich lebte einen amerikanischen Traum, den ich mir drei Jahre zuvor, daheim in München, nicht hätte vorstellen können. Hier waren sie nun – Freddie und die Bellboys – wie sie oben auf der Bühne ihre Sache aufführten. Und ich kannte alle ihre Lieder. Und die Bellboys kannten mich.

„Rockin’ is my business,“ schmachtete Freddie und schnalzte mit den Fingern im Takt zur Musik. Einige der Bellboys nahmen Fanfaren und spielten klagende Riffs während sie ihre Schrittkombinationen tanzten.

Dann sangen die Bellboys „Giddy up a Ding Dong.“ Das war ein Lied über ein Pferd. Es erinnerte mich daran, daß alle amerikanischen Jungs Cowboys sein wollten. Oder Filmstars. Etwas Männliches und Überlebensgroßes.

Nun, ich saß gerade mit einem Amerikaner zusammen, der bereits überlebensgroß war. Er war ein populärer Sänger und spielte auch noch in Filmen. In einem dieser Filme hatte er einen Cowboy gespielt. Elvis Presley hatte alles. Oder wie es schien, alles was er wollte.

Heute Abend wollte er mich.

3

Die Menge klatschte und erhob sich, um zu gehen.

Elvis stand auf und streckte sich. „Jungs, lasst uns rauf aufs Zimmer gehen und etwas bestellen.“

Wir gingen durch das Casino zu den Fahrstühlen. Es fühlte sich an, wie im Traum, als ob ich nicht wirklich wach wäre, mit Elvis so herumzulaufen. Irgendwie sahen er und seine Freunde auch nicht echt aus. Unter dem Casino-Lichtschein waren sie sehr blass, als ob sie nicht oft das Tageslicht sahen.

Meine Knie schlotterten. Elvis bemerkte es nicht. Sein Blick schweifte in alle Richtungen, wie auf der Bühne, um Aufmerksamkeit werbend und diese auf sich ziehend.

Tatsächlich näherten sich einige Touristen. Elvis grinste und fragte nach ihren Namen. Er kritzelte Autogramme auf die Zettel und Platzdeckchen, die sie ihm gaben.

Wir nahmen den Fahrstuhl zum obersten Stock. Den Gang hinunter schloß einer der Südstaaten-Jungs eine Tür auf. Wir traten in eine gigantische Suite ein. Mein Herz raste.

Elvis hielt mir einen Stuhl hin, am Tischende, im Esszimmer.

„Fühl dich ganz wie zu Hause, Schelm.“

Er und die anderen gingen in ihre Zimmer. Sie tauchten nacheinander wieder auf, in T-Shirts und Jeans. Elvis ließ sich in den Stuhl neben mir fallen. Seine Freunde öffneten Bierflaschen. Einer von ihnen öffnete ein Coke und goss erst Elvis und dann mir ein Glas ein.

Im Raum wurde es fröhlich. Ich bekam nicht viel von dem mit, was die Jungs mit diesem klebrigen Südstaaten-Akzent sagten. Tja, wenigstens redeten sie nicht mit mir. Ich musste nichts sagen.

Dann merkte ich, dass das Gequassel aufgehört hatte. Jeder schaute mich an. Männergesichter amerikanischer Südstaatler, mit eingefetteten Haaren und Haarwirbeln auf der Stirn.

Ich schluckte. Um höflich zu sein, musste ich etwas sagen.

„Kommt ihr alle aus der gleichen Stadt?“

Elvis nickte. „Wir kommen alle aus Memphis, Rascal. Außer Joe. Er kommt aus Chicago. Er und ich sind alte Armee-Kumpel. Joe ist wie meine rechte Hand. Er hilft mir, meine Filmtexte zu lernen. Und er kümmert sich um die Finanzen der Truppe. Er macht „TCB“. Er arbeitet mit dem Colonel.“

Einer der Jungs sagte etwas über Joe und die anderen lachten.

„Wir alle hier gehören zur Mafia,“ sagte der Größte der Jungs. Er hatte breite Schultern. Das war Sonny.

„Wir werden die Memphis-Mafia genannt,“ fuhr er fort. „Das hat eine Reporterin über uns geschrieben, weil sie uns in einer Limousine am Riviera vorfahren sah, mit unseren Angora-Outfits. Aber Joe hier ist vielleicht in der Mafia, der Richtigen. Wir sind uns darüber noch nicht ganz sicher.“

Joe lächelte nicht. Er sagte kein Wort.

„Komm, hör auf,“ sagte Elvis zu Sonny. „Pass auf, was du sagst, manche Leute könnten anfangen, den Klatsch noch zu glauben.“

Elvis zwinkerte mir zu.

„Sonny redet zu viel. Er ist der große Erklärer. Aber er ist in Ordnung. Sonny hat schon einige Filmkämpfe mit mir gemacht.“

Elvis sprang aus seinem Sitz auf.

„Sonny, lass uns ihr etwas vorführen.“

Im Raum wurde es still. Elvis trat vom Tisch weg und drehte sich auf die Seite. Er duckte sich und hob seine linke Hand wie zu einem Karateschlag.

Sonny stand brav auf und stellte sich vor Elvis hin.

„Hunh!” grunzte Elvis. Er stürzte nach vorne und schlug seine rechte Faust auf Sonnys Brust.

Sonny schlug die Hand weg. Dann schnappte er nach Luft, „oomph!“ und krümmte sich und hielt seinen Bauch.

Elvis hatte ihn in den Magen getreten.

„Ganz ruhig, Elvis!“ rief Red.

„Verdammt!“ sagte Sonny, schüttelte den Kopf und holte Luft.

„Na, jetzt aber,“ sagte Elvis. „Du weißt, wie ich über so ein Gerede denke.

Man flucht niemals vor einer Dame.“

Sonny richtete sich auf. Er schaute mich an.

„Es tut mir leid.“ sagte Sonny.

Elvis lachte. Er schlug Sonny auf den Rücken.

„Du bist ok, oder?“ Du weißt doch, wenn es nicht blutet, tut es nicht weh.“

Elvis zwinkerte mir zu. „Wir machen nur Spaß, Schelm.“

Er setzte sich wieder neben mich.

„King Karate schlägt wieder zu,“ sagte Red. „Herr Schwarzer Gürtel.“

Elvis schnaubte. Er drehte sich zu mir.

„Ach, außerhalb der Filme bin ich nichts Besonderes. Aber Red hier ist Boxer. Amateur-Box-Champion. Und Red hat mir schon einmal den Skalp gerettet. Wir sind in Memphis zusammen zur High School gegangen. Einmal versuchten diese Jungs, diese Football-Spieler, mir die Haare abzuschneiden. Es waren alle acht von ihnen gegen mich Kleinen Einen. Damals war ich mehr fürs Zarte, nicht fürs Harte. Und da hat Red mir ausgeholfen. Jetzt kann ich jedoch selbst mit so etwas fertigwerden.

Elvis stand auf und duckte sich wieder. Er machte ein finsteres Gesicht. Er schaute sich am Tisch um und suchte sein nächstes Opfer. Spannug erfüllte die Gesichter.

Dann ließ Elvis die Hände sinken und kicherte.

Die anderen brachten in Gelächter aus.

Ich lachte auch. Das war absurd! Sie taten, was auch immer er von ihnen verlangte. Sie waren alle Freunde, mit einem Unterschied: Sie arbeiteten für ihn. Sie bedienten ihn. Und jeder von ihnen hatte ein bisschen Angst vor ihm.

Der King konnte sich alles erlauben. Genau wie wir Showgirls.

Elvis lächelte. „Weißt du, Schelm, ich trainierte Karate als ich in der Armee war. Ich war in München, wo Du herkommst. Wir waren in Freiberg stationiert. Aber wir bekamen Urlaubstage, weißt du. Man bekommt ab und zu einen kleinen Urlaub vom Soldatsein. Und Red und Birdy wohnten dort mit mir in einem Hotel, außerhalb der Kaserne und so, genauso wie mein Vater und Dodger – das ist Omi – also hatte ich einige meiner Leute dabei. Weil, weißt Du, beim Soldatsein wird man einsam. Ich war nur ein kleiner Gefreiter. Wir durften einige Panzerkanonen abschießen, und Mann, war das laut! Einmal war ich taub davon. Aber meistens ließen sie mich nur einen Jeep fahren. Ich mochte das Armee-Leben nicht sehr.“

„Aber mochtest du Deutschland?“ fragte ich. Es war eine harmlose Frage. Alle amerikanischen Soldaten, die ich in München getroffen hatte und die Männer, die ich in Amerika getroffen hatte und die in Deutschland gedient hatten, mochten Deutschland. Sie hatten sich darin verliebt.

Elvis zuckte mit den Schultern.

„Nun, Schelm, ich kann nicht sagen, daß mir Deutschland allzu sehr gefiel.“

Ich war erstaunt.

„Was mochtest Du nicht an Deutschland?“

Verlegenheit zeigte sich auf Elvis’ Gesicht. Er merkte, daß er mich gekränkt hatte.

„Oh, es liegt nicht daran, daß ich dein Land nicht mag. Aber weißt du, die Zeitungen und all das dort, mochten mich nicht sehr. Sie sagten, ich würde diesen ganzen Aufruhr verursachen. Weißt Du, ich war nur ein normaler alter Gefreiter, aber einmal hatte ich Wachdienst und all diese Leute aus der Stadt kreuzten auf und sie mussten eine ganze Einheit schicken, um mich zu retten. Ich denke, es ist ein bißchen wie hier auch. Alles was ich tun muss ist, mich blicken zu lassen und dies

zu machen – Elvis verzog die Lippen zu einem höhnischen Lächeln – und die Mädchen kreischen.“

„Ihr deutschen Mädchen wart alle verrückt nach Elvis,” sagte Red.

„Wie, verrückt?“

„Nun…” Red dachte einen Moment nach. „Elvis war einmal draußen und fuhr und er hielt an, um einige Autogramme für einen Haufen von Fräuleins zu unterschreiben und die Zeitung gab Elvis die Schuld daran, daß sie fast im Verkehr umgekommen sind.“

Das war ja lächerlich! Dieser Red dachte deutsche Teenager seien verrückt nach Rock’n Roll – wie unreife amerikanische Teenager?

„In Deutschland sind wir nicht so sehr an Rock’n Roll interessiert. Wir hören viele Arten von Musik in Deutschland! Wir sind das Land von Beethoven und Wagner.“

„Was für eine Musik machen diese Katzen?“ fragte Billy.

Am Tisch wurde gekichert. Ich lief so rot an, daß ich einen Purpurton angenommen haben musste. Offensichtlich betrachteten sie mich als Spießerin.

Elvis hob eine Hand. „Seid jetzt alle still. Weißt Du, Schelm, ich habe einige gute Leute dort in Deutschland getroffen. Während eines meiner Urlaube kamen Red und Birdy mit mir nach München, um eine kleine Freundin von mir zu treffen, und wir gingen ins Moulin Rouge. Und weißt Du, ich habe drüben in Deutschland auch beim Eislauf zugesehen. Ich sah Holiday on Ice in Frankfurt. Einige der Mädchen und ich haben und angefreundet.“

„Du solltest zu unserer Show im Thunderbird kommen,“ sagte ich. Aber Elvis schaute weg.

Plötzlich schlug er hart auf den Tisch.

„OK, Jungs, hört zu.“

Sie hörten sofort auf zu reden.

Ich fühle mich gerade irgendwie streitlustig. Ich habe noch nicht gegessen. Wer ruft den Roomservice an?“

Sonny zeigte. „Red ist heute dran.“

„TCB,” sagte noch jemand.

Dieses seltsame Wort schon wieder!

Red nickte Elvis zu. „Was nimmst Du, Boss?“

„Ich nehme Eier und Speck. Nein, doch lieber Schweinekotelett.“

„Wieviele willst Du, Elvis?“

„Bestell vier. Nein, sechs.“

„Sechs Koteletts?“

„Ja.“

„Wieviele Eier, Elvis?“

„Lass mir drei Omeletts bringen. Und sag ihnen, sie sollen auch Brötchen dazu tun.“

„Klar, Elvis.“

Elvis drehte sich zu mir. „Schelm, bestell, was immer du willst. Du siehst ein bißchen dünn aus, deshalb könnte ich mir denken, Du möchtest Rinder-Rippchen.“

Normalerweise hatte ich riesigen Appetit. Ich versuchte ständig, zuzunehmen. Aber meine Nerven hatten, wegen des Zusammenseins mit Elvis, meinen Hunger unterdrückt.

„Ich nehme ein Omelett und Kartoffeln, bitte.“

ICH HATTE NOCH NIE GESEHEN, WIE SO viel Essen geliefert wurde! Drei Hotelpagen in roten Uniformen schoben Essenswägen herein.

Sonny und Red bedienten Elvis und mich zuerst. Vor Elvis wurde ein gehäufter Teller gestellt. Ich dachte, das wäre ein Witz. Aber während ich knabbernd da saß, verputzte er die Koteletts, Berge von Kartoffelpüree und Teller voller Omeletts und Brötchen, als ob er seit Tagen nichts gegessen hätte.

Die Jungs soffen Bier flaschenweise, aber Elvis nippte Coca-Cola. Hin und wieder eilten Red oder Sonny herüber und füllten Elvis’ Becher nach. Und, egal ob er seinen Teller leerte oder nicht, häuften Red oder Sonny mehr Essen auf.

Ich versuchte, Elvis nicht offensichtlich zuzuschauen, wie er sich voll fraß. Aber es war so eine Schau! Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, drehte er sich zu mir, mit einem fettigen Stück Schweinefleisch auf seine Gabel gespießt. Er schlang es hinunter und ein kleiner Rülpser folgte.

Ich musste kichern. Elvis war wie ein kleiner Junge im Restaurant, ohne Mutter, die ihn ausschalt.

„Weißt Du“ – er wedelte die Gabel zwischen uns hin und her – „für meinen letzten Film musste ich dünn werden. Jetzt kann ich wieder essen wie ein Erwachsener.“

Er schob mechanisch den Klecks auf der Gabel zwischen die Lippen und kaute weiter.

Schließlich lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und tupfte den Mund mit einer Serviette ab.

„Hast du genug zu Essen bekommen, Schelm?“

Ich nickte. Ich hatte auf meinem Teller herumgepickt.

Elvis rückte vom Tisch weg und stand auf.

Ich stand ebenfalls auf. Und folgte ihm, ohne ein Wort, in sein Zimmer.

4

„Schelm, setz dich genau dort hin.“ Elvis zeigte zum Bett.

Er nahm eine glänzende Gitarre. Sie war honig-gelb und hatte ein rostrotes Design unterhalb des Schallochs, das mit goldfarbenen Kugeln und Notenhälsen dekoriert war.

„Oh, die ist wunderschön, Elvis!“

Stolz hielt er sie hoch. „Das ist meine Gibson. Ist sie nicht süß?“

Er setzte sich auf einen Stuhl und wiegte die teure Gitarre. Filigran zupfte er die oberste Saite mit dem Daumen und strich behutsam mit seinen Fingern über die anderen Saiten.

Sanfte Klänge erfüllten den Raum.

„Dieses kleine Liedchen ist aus meinem ersten Film.“

Als er anfing zu singen, erkannte ich die Melodie.

„Love me tender.“ . .”

Elvis schaute mich an während seiner Serenade, seine Augen groß, blau glänzend, verträumt. Sein Lied ging direkt in mein Herz. Meine Haut prickelte, als ob ein Lufthauch daran vorbeigestrichen wäre. Konnte er sehen wie meine Haut bebte? Er konnte definitiv sehen, daß meine Wangen rot wurden.

Elvis endete mit einem Abwärtsakkord, bei dem er mit dem Daumen einzeln über jede Saite strich, einem süßen Arpeggio. Er ließ die letzte Note ausklingen.

Er schaute auf und lächelte.

„Höre ich mich nicht wie Bing Crosby an?“

Er wartete nicht auf eine Antwort. Er lehnte die Gitarre gegen die Kommode und war im nächsten Moment auf dem Bett, einen Arm um meine Schulter geschlungen. Seine andere Hand umgriff und drehte mein Kinn.

Elvis’ Mund war warm und sanft. Unsere Zungen trafen sich. Genauso schnell wich seine wieder zurück.

Unsere Lippen waren wieder gespitzt. Elvis’ Lippen bearbeiteten meine sanft. Sie bewegten sich weg und begannen mein Gesicht mit langsamen, kleinen Küssen zu streifen. Meine Unterlippe brannte. Elvis hatte hart hineingebissen.

Er ließ sie genausoschnell wieder los und drehte sich verlegen weg. Als ob er ein nervöser Teenager wäre. War das alles gespielt? Oder war er einfach wahnsinnig kokett?

Ich schaute ihn prüfend an. Wunderschöne, gerade Nase. Verträumte, violett-blaue Augen. Schmollmund. Wäre er ein Mädchen gewesen, hätte man ihn als schön bezeichnet.

Mein suchender Gesichtsausdruck ließ sein Selbstvertrauen wiederaufleben, denn er packte meine Schultern und küsste mich wieder. Diesmal war sein Kuss feucht, warm, dauerte lange. Unsere Körper waren aneinandergepresst. Das Steife, das an meinen Schenkel stieß sagte mir, daß er es ernst meinte. Die männliche Visitenkarte.

Ich bereitete mich auf den Kampf vor. Aus dem anderen Raum hörte man Lachen und das Dröhnen eines Fernsehgeräts. Die Jungs tranken wahrscheinlich und genossen die Zeit ohne den Boss. Dann hörte ich sie nicht mehr.

Das schnelle Keuchen auf dieser Seite der Tür übertönte sie.

Elvis ließ mich los und stand auf. Er drehte sich weg und zog sein weißes Unterhemd über den Kopf und ließ es auf den Teppich fallen. Ich stutzte. Sein Rücken war pockennarbig übersät mit roten Pickeln. Das war nichts, was seine bewundernden Fans jemals auf der Bühne oder im Film zu sehen bekommen würden. Ein kompletter Kontrast zu der glatten Haut seines wunderschönen Gesichtes und Nackens. Elvis’ kleines Geheimnis.

Als er wieder auf mir lag – seine Haut so fahl, daß ich fast hindurch auf Muskeln und Knochen sehen konnte – vermieden meine Hände seinen Rücken und blieben auf seinen Schultern, Armen, Nacken und der glatten Brust. Dann fasste ich nach unten um seine Hände zu ergreifen, die nach den Knöpfen meiner Hose tasteten.

„Nein, nein“ sagte ich sanft. Dann streng.

„Nein. Hör auf! Das nicht.“

Seine Hände hielten inne. Ich verschränke meine Finger mit seinen und schaffte es, seine Hände wegzuziehen.

Elvis verlegte seinen Feldzug nach Norden. Er quetschte und begrapschte meine Brüste unter dem Pullover wie ein überängstlicher Schuljunge. Er zog den Pullover hoch und freute sich, dass ich keinen BH trug. Er fing an, in meine Brüste zu kneifen und meine harten Nippel zu lecken.

Jedesmal wenn eine Hand nach unten zu meiner Hose wanderte, ergriff ich sein Handgelenk. Die wenigen Liebhaber, die ich gehabt hatte, waren sanft, geduldig gewesen. Elvis war wie ein hungriger Teenager, der mich frustriert küsste und streichelte. Der King war nicht daran gewöhnt, daß man ihm Nein sagte.

Plötzlich rollte er von mir herunter. Er knöpfte seine Jeans auf und zog den Reißverschluß hinunter, zog die Jeans aus und kickte sie weg. Ich kannte diesen Trick. Es sollte mich dazu ermuntern, mich auszuziehen. Als ich das nicht tat, bestieg mich Elvis trotzdem, sein Flaggenmast in voller Höhe.

Er streichelte mich und streichelte mich, während er mit seinem Penis zwischen meine Beine stieß, bis er kam.

„Unnh!!” Seine tiefe Stimme noch eine Bassnote am unteren Ende der Skala.

Er fiel keuchend auf mich. Ich wand mich unter im heraus.

Er rollte auf den Rücken und starrte an die Decke. Wir lagen ruhig da und versuchten, zu Atem zu kommen.

Elvis drehte sich zu mir. Ich war überrascht zu sehen, dass er einen traurigen

Gesichtsausdruck hatte.

„Du musst nirgendwo hingehen, oder, Schelm?“

Die Frage hörte sich an wie die, eines kleinen Jungen. Sie ließ mich dahinschmelzen.

Ich streichelte seinen Kopf. Sein üppiges Haar war steif und verschwitzt, Strähnen klebten an seiner Braue.

„Du willst, daß ich bleibe?“

„Bleib die ganze Nacht, Schelm.“

„Ich habe morgen früh Foto-Aufnahmen.“

„Um wieviel Uhr?“

„Um elf.“

„Ich stehe nicht gern vor vier oder fünf Uhr auf. Wird dich jemand vermissen wenn Du bleibst?“

„Astrid weiß, wo ich bin. Mutti wird sich keine Sorgen machen.“

„Mutti?“

„Mutter.“

Elvis riss seinen Nacken nach hinten.

„Du lebst bei deiner Mama?

„Mutti lebt mit Astrid und mir.“

Wo ist dein Vater?“

„Er ist in Deutschland. Meine Eltern sind nicht verheiratet.“

„Nicht verheiratet? Du meinst, sie sind geschieden?“

Ich nickte.

Elvis richtete seinen Blick auf die Decke, dann zurück zu mir.

„Ich wollte nicht, daß es sich so anhört, Schelm. Ich meine, ich denke nie an solche Sachen. Weißt Du, wenn ich heirate, wird es für immer sein.“

„Denkst Du an Heirat? Du hast eine Freundin, die Du heiraten wirst? Bist du verliebt in ein Mädchen?

Ich stieß ihn in die Rippen.

Elvis lachte. Sein Kopf fiel zurück aufs Kissen.

„Schätzchen, ich war bisher nur in eine Frau verliebt.“

„Und wie heißt sie?“

„Gladys.“

„Gladys?“ „Habe ich von diesem Mädchen schon gehört?“

„Das ist Mama. Gladys ist meine Mama.“

„Und deine Mama ist in Memphis?“

Elvis wurde still. Er starrte in die Luft. Die Stille dauerte an. Ich fühlte mich unbehaglich.

Er drehte sich zu mir, stützte einen Ellbogen auf und legte den Kopf auf seine Hand. Seine Augen blickten ernst. Seine Stimme wurde zu einem Flüstern.

„Mama ist jetzt bei den Engeln. Sie ist vor drei Jahren von uns gegangen.“

Ich fühlte mich dumm. Ich war kein großer Elvis-Fan, deshalb hatte ich diese grundlegende Tatsache nicht gewusst, die der Rest der Welt kannte.

„Das tut mir leid!“ sagte ich.

Elvis schaute mich an.

„Schelm, kann ich dich etwas fragen?“

Ich nickte.

„Hast Du dich je gefragt, warum du bist, wo du bist? Warum dir Dinge passieren, und den Menschen, die Du liebst? Ich meine, hast Du jemals jemand gekannt, den du geliebt hast und der gestorben ist? Ich meine, jung gestorben? Weißt Du, Mama war zu jung. Und ich frage mich, was ich immernoch hier mache, lebendig und so. Warum bin ich so besonders, daß ich leben darf? Warum habe ich überlebt und mein Bruder nicht?“ „Dein Bruder ist tot?“

„Ja, ich hatte einen Zwilling, aber er war bei der Geburt tot. Also eine Totgeburt. Und ich war am Leben, munter und heulend. Und hier bin ich. Und hier bist du. Wir sind beide einfach hier in Vegas, gesund und munter. Mama ist tot. Mein Bruder ist tot. Viele Leute sterben. Buddy Holly ist tot und er war jünger als ich.

„Ich weiß nicht. Ich denke nicht wirklich an solche Dinge.“

In Wahrheit hatte ich noch nicht wirklich Bekanntschaft mit dem Tod gemacht. Außer bei Oma Maria, meiner lieben Großmutter. Aber in München, wo ich aufgewachsen war, hatten alle Leute, die älter als ich waren, den Tod zahllose Male gesehen. Sie hatten den Krieg überlebt. Ich war damals noch ein Baby. Meine Eltern hatten viele schlechte Erinnerungen. Sie redeten nicht darüber. Während des Krieges hatte Papa den Tod jeden Tag gesehen und war selbst halb tot als er schließlich nach Hause kam. Meine Erinnerungen an den Krieg waren nicht echt. Sie waren einfach die Geschichten, die Mutti mir in meinen ersten beiden Lebensjahren erzählt hatte. Wie die, wo eine Bombe nur ein paar Meter von da entfernt fiel, wo ich außerhalb eines bayerischen Bauernhauses saß.

Ich drehte mich zu Elvis um.

„Mutti sagte, während des Krieges wäre ich fast einmal gestorben. Es war gefährlich in Deutschland. Als ich ein Baby war, flogen die Bomber oft über München und jeder aus unserem Mietshaus musste in den Keller gehen und ich glaube, viele Leute in der Stadt starben. Mutti brachte mich bei Freunden auf einem Bauernhof unter. Und sie erzählte mir, daß ich im Hof vor dem Haus saß und mit den Katzen spielte als ein Bomber darüber flog. Es gab eine Explosion und ich wurde in die Luft geschleudert.

Mutti rannte aus dem Haus, packte mich und brachte mich sofort in den Wald. And dann fuhr sie den ganzen Weg nach Prag, während sie mich die meiste Zeit versteckte, weil es gegen das Gesetz war, daß Zivilisten Deutschland verließen.

„Sie trug dich den ganzen Weg, Schelm?“

„Ich glaube nicht. Sie bestieg einen Zug und versteckte mich unter ihrem Mantel. Und sie erbettelte Essen von Bauern, die wir trafen und vielleicht halfen die uns, nach Prag zu kommen. Dort war Papa Offizier und er brachte uns beim Bischof unter. Ich erinnere mich an diesen alten Bischof. Er hatte einen weißen Bart. Einmal sagte er mir: „Wenn Du jemals lügst, schneide ich Dir deine Zunge heraus.“ Deshalb habe ich immer Angst vor dem Lügen.“

„Ja, Mama brachte mir bei, daß Lügen eine Sünde ist,“ sagte Elvis. „Ich kann Lügner nicht ausstehen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, warum manche Menschen leben und andere Menschen sterben. Papa sah viele seiner Freunde im Krieg sterben. Als er nach dem Krieg nach Hause kam, war er sehr krank. Er wog nicht einmal hundert Pfund. Aber er hatte sehr viel Glück, weißt du. So viele starben, aber er war als Kriegsgefangener eingesperrt, und er war am Leben. Und dann ließen sie ihn frei. Ich kann es nicht erklären. Nur Gott weiß diese Dinge.“

Elvis nickte still. Wir starrten beide an die Decke, unsere Herzen schlugen, unsere Körper berührten sich seitlich, warm, auf dem Bett. Wir lebten, atmeten, dachten. Von außerhalb der Tür kam ein Lacher. Aber auf dieser Seite der Tür hingen wir beide unseren Gedanken nach. Für einen Augenblick vergaß ich, daß ich bei Elvis war.

Seine tiefe Stimme brach das Schweigen.

„Schelm, Du bist nicht wie die anderen Mädchen, die ich in dieser Stadt getroffen habe. „Das ist gut. Du denkst über die Dinge wie ich. Und Du bist eine Dame. Ich meine, du bist höflich und all das. Ziemlich still. Und du bist kein großer Trinker. Und du bist kein Raucher. Mädchen sollten nicht rauchen. Das ist billig. Du wirst auf dich aufpassen. Du wirst „T-C-B“ – take care of business – Du wirst dich um die Geschäfte kümmern. Du wirst deine Sache richtig gut machen beim Tanzen und beim Eislauf.“

„Danke. Du machst es auch gut mit deiner Musik.“

Ich fühlte mich nicht albern weil ich so etwas gesagt hatte. Wir waren jetzt Freunde.

Elvis zuckte mit den Schultern. „Nun, Schelm, irgendjemand muss ja der große Sänger sein.“

Er starrte noch immer an die Decke. „Ich nehme an, jemand musste ja ich sein, der König des Rock’n Roll. Aber Filme, die sind das Wahre. Weißt Du, James Dean, Marlon Brando, das ist es, was ich sein will. Ein ernsthafter Schauspieler. Und ich kenne ihr Geheimnis. Es ist ganz einfach. Du weißt, warum James Dean und Marlon Brando so große Stars wurden?“

Ich wusste es. Weil sie gutaussehend und sexy waren. Speziell Brando. Wenn er auf der Leinwand zu sehen war, konnte ich meine Augen nicht von ihm losreissen. Daheim in München, in der Schule, waren alle Schüler verrückt nach James Dean. Aber ich war noch verrückter nach Marlon Brando. Und ich war es immer noch. Was ich dafür geben würde, bei Brando zu sein! Ihn sogar zu treffen. Den „sexiest man alive.“

Ich schüttelte den Kopf und dachte an Brando: dieser Bizeps, das dunkle Haar, die Launenhaftigkeit, diese brodelnde Wut – kurz vor dem Ausbruch. Dieses Schmollen, so viel gefährlicher als Elvis’ spöttisches Lächeln.

Elvis interpretierte mein Kopfschütteln als ein Nein.

„Sie wurden so große Stars, weil man sie nie lächeln sieht, oder, Schelm?“

Er legte die Stirn in Falten und kniff die Augen zusammen – um einen grüblerischen Gesichtsausdruck nachzuahmen. Er versuchte, ernst zu sein. Aber es sah so komisch aus, daß ich mir auf die Wange beißen musste.

„Das ist es!“ Er schnippte mit den Fingern. „Das ist ihr Geheimnis.

Sie lächeln nie.

Sein Gesicht entspannte sich. Er grinste sein schiefes Grinsen.

Elvis war nicht und würde nie James Dean oder Marlon Brando sein. Aber er hatte Recht mit dem, was er über sie sagte.

Ich dachte darüber nach. Alle meine Schulfreunde in München hatten sich amerikanische Filme angesehen und beteten die größten Stars an. Brando war mein männliches Idol, wie ich schon gesagt hatte, aber die anderen standen auf Dean. Es hatte da einen älteren Schüler namens Christian gegeben, der genau wie James Dean aussah und er war der beliebteste Junge der Schule. Obwohl ihre Familie reich war und seine zur Arbeiterklasse gehörte, ging Christian mit meiner besten Freundin, Muschi, aus. Und so eine Konstellation war verboten.

Nein, ich konnte mir Brando oder Dean nicht lächelnd, in einer ihrer Szenen, vorstellen. Nun, vielleicht Brando, nur für eine Sekunde, am Ende von Der Wilde. Elvis setzte sich auf. Er war aufgeregt.

„Weißt Du, Schelm, ich will einen ernsthaften Film machen, etwas Klassisches. Etwas, bei dem sie sich an mich erinnern werden. Die Filme, die ich mache, sind alle das Gleiche. Sie sind Reisebeschreibungen. Weißt Du, Ich bin in Hawaii, singe Mädchen etwas vor und kämpfe mit Jungs. Und dann gehe ich woanders hin und ich singe Mädchen etwas vor und kämpfe mit Jungs. Wenn sie mich in einem Film auftreten lassen, der auf dem Mars spielt, dann werde ich Mars-Mädchen, die diese Antennen haben, etwas vorsingen und ich werde mit Mars-Jungs, mit zwei Köpfen, kämpfen. Ich möchte einige ernsthafte, dramatische Rollen spielen. Ich bin die Musicals leid. Aber in meinem Nächsten spiele ich einen Boxer und sie haben einen alten Boxer namens Mushy engagiert, der mir das Boxen beibringt.“

„Muschi?“ So heißt meine beste Freundin!“

„Aber dieser Mushy hat so eine Nase.“

Elvis drückte seine Nase mit dem Finger platt. „Sieht deine Freundin so aus?“

Ich lachte. „Natürlich nicht! Meine Freundin ist sehr hübsch. Aber die Filme in denen Du spielst, die können doch keine so schlechte Beschäftigung für dich sein. Du verdienst dieses ganze Geld, oder?“

„Geld, Schelm, das ist alles was ich habe – Geld! Ich kaufe, was immer ich möchte und dann gibt es immer etwas Neues zu kaufen. Das Geld kommt und kommt.

Es ist verrückt! Es ergibt keinen Sinn. Ich kann alles kaufen, was ich möchte. Aber es macht viel mehr Spaß deine Einkäufe an Leute zu verschenken, ihre Augen wie an Weihnachten aufleuchten zu sehen. Das ist in Wirklichkeit alles, was Geld noch bedeutet.“

Ich lachte. Ich hatte auch zu viel Geld zum Ausgeben. Hier in Vegas kam es einfach zu mir. Männer warfen es mir praktisch nach. Elvis und ich teilten das gleiche Geheimnis: Geld war ein Witz. Es war furchtbar ohne es zu sein, aber wenn es einmal anfing hereinzukommen und hereinzukommen, in irrwitzigen Beträgen, dann wurde es absurd.

Um uns herum schufteten Leute für Geld, spielten um Geld, wurden alt wegen Geldsorgen. Und da waren wir: Elvis – der Sänger und Ingrid – die Eisläuferin, wie Kinder im Süßwarenladen und den Taschen voller Geld – mehr als wir zählen konnten, mehr als wir zählen wollten. Männer jagten mir nach und überhäuften mich mit Schmuck und sie kauften mir alles, was ich wollte. Als ich Major Riddles Spielbegleitung gewesen war, während meiner Zeit als Showgirl im Dunes, hatte ich abgesahnt wie ein Bandit.

Wir waren ein paar verwöhnte Gören, Elvis und ich. Und weil unser Glück uns vor ein Rätsel stellte, verspotteten wir es.

Wir legten uns wieder hin und seufzten.

„Zur Hölle mit Geld,“ spottete Elvis.

„Zur Hölle mit Geld!“ höhnte ich.

Wir fingen an, zu kichern wie Kinder.

Elvis zeigte auf seinen Penis. Er war auf Halbmast geschrumpft.

„Er mag Geld auch nicht, Schelm.“

Ich verdrehte die Augen, dann brach ich wieder in Lachen aus.

Elvis holte tief Atem und atmete mit einem langen Seufzer wieder aus. Er drehte den Kopf zu mir. Er lächelte mich süß an. Er kniff seine Augen zusammen.

„Schelm, wirst du etwas für mich tun?“

Ich befürchtete, er würde mich bitten, mich auszuziehen. In dem Moment hätte ich es vielleicht getan. Ich fühlte mich ausgelassen. Elvis rollte sich auf dem Laken zusammen und legte das Kinn auf die Brust. Seine Augen sahen zu mir hoch, wie die eines kleinen Kindes.

„Sprich in Babysprache mit mir.“

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2015
ISBN (ePUB)
9783956070198
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Januar)
Schlagworte
Swinging Sixties Las Vegas New York Elvis Presley Harry Belafonte Showgirls Liebe Affären Erotik Beziehung Lebensgeschichte Frauenunterhaltung
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Titel: Love Target
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