
Die Legende von Donald McKaye
von
Luke Sinclair
Seiten: (ca.) 130
Erscheinungsform: Originalausgabe
Erscheinungsdatum: 6.10.2014
ISBN: eBook 9783956071096
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)
Autor

Das Leben ist kurz, verdammt kurz – ein Tropfen nur im Meer der Zeit, und man sollte was Vernünftiges damit anfangen. Irgendwas, das Spuren in dieser Welt zurücklässt, auch wenn man selbst nicht mehr da ist.
Der Tod sitzt bestimmt schon irgendwo am Tisch und mischt die Karten, und meistens hat er ein höllisch gutes Blatt in der Hand, und du kannst dich drehen und wenden wie du willst – irgendwann ist es eben so weit, dass du deine eigenen Karten aufdecken musst.
Diese Gedanken oder so ähnliche hatte sich auch Donald McKaye gemacht, von dem die Geschichte handelt, die ich hier zu erzählen habe und die schon fast eine Legende ist.
Sie trug sich zu, na ja… es war wohl so gegen Ende der 70er Jahre im Oklahoma Territorium, dort, wo Isaac Charles Parker Bundesrichter war, zu einer Zeit, als Recht und Gesetz noch mit der Waffe in der Hand erstritten werden mussten, von Männern, die dafür täglich ihr Leben auf’s Spiel setzten. Aber es waren Menschen wie du und ich, die auch nicht mehr als ein Leben zu verlieren hatten.
Von einem von ihnen handelt diese Story oder Legende oder wie immer ihr dazu sagen mögt, und von …
Na ja, am besten, ihr lest das alles selbst.
Details
- Titel
- Die Legende von Donald McKaye
- Untertitel
- Luke Sinclair Western, Band 16
- Autor
- Luke Sinclair
- Seiten
- 130
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Preis (eBook)
- 1,99 EUR
- ISBN (eBook)
- 9783956071096
- Sprache
- Deutsch
Leseprobe
Wolf G. Winning
Die Legende von Donald McKaye
Das Leben ist kurz, verdammt kurz – ein Tropfen nur im Meer der Zeit, und man sollte was Vernünftiges damit anfangen. Irgendwas, das Spuren in dieser Welt zurücklässt, auch wenn man selbst nicht mehr da ist.
Der Tod sitzt bestimmt schon irgendwo am Tisch und mischt die Karten, und meistens hat er ein höllisch gutes Blatt in der Hand, und du kannst dich drehen und wenden wie du willst – irgendwann ist es eben so weit, dass du deine eigenen Karten aufdecken musst.
Diese Gedanken oder so ähnliche hatte sich auch Donald McKaye gemacht, von dem die Geschichte handelt, die ich hier zu erzählen habe und die schon fast eine Legende ist.
Sie trug sich zu, na ja… es war wohl so gegen Ende der 70er Jahre im Oklahoma Territorium, dort, wo Isaac Charles Parker Bundesrichter war, zu einer Zeit, als Recht und Gesetz noch mit der Waffe in der Hand erstritten werden mussten, von Männern, die dafür täglich ihr Leben auf’s Spiel setzten. Aber es waren Menschen wie du und ich, die auch nicht mehr als ein Leben zu verlieren hatten.
Von einem von ihnen handelt diese Story oder Legende oder wie immer ihr dazu sagen mögt, und von …
Na ja, am besten, ihr lest das alles selbst.
1.
Die Dunkelheit kroch langsam und stetig heran wie eine unheilvolle Drohung. In einer Stunde würde man den Weg nicht mehr erkennen können, und zu allem Überfluss zog auch noch ein Unwetter herauf. Irgendwo in der Ferne waren ein paar Blitze aufgeflackert, und der Donner rollte jetzt bleischwer über das düstere Land. Donald McKaye fluchte leise vor sich hin. Der seltsame Wagen, auf dessen Bock er saß, rumpelte über die Unebenheiten des ausgefahrenen Kutschenweges und warf ihn hin und her.
Greg Pibuster, der neben ihm hockte und die Zügel hielt, spuckte einen Strahl Tabaksaft haarscharf am Bodenbrett vorbei und meinte resignierend: „Bis Fort Smith ist’s ohnehin zu weit, um in der Nacht noch hinzukommen. Also was macht’s, wenn wir bei diesem Mex unterkriechen, bevor uns der verdammte Regen bis auf die Seele durchnässt.“
McKaye brummte etwas vor sich hin, was sich wie eine Zustimmung anhörte. Weit vor ihnen hieb ein Blitz die finsteren Wolken entzwei und ließ den Stern an seiner Jacke für einen Moment aufblinken.
„Kommt direkt auf uns zu. Hoffentlich schaffen wir’s noch bis Chiolos Station.“
„Aber sicher“, bestätigte Pibuster. „Wenn mich nicht alles täuscht, ist das da vorne schon der Gaines Creek.“
Eine Meile vor ihnen zog sich eine dunkle Linie von Gestrüpp hin, die in dem schwindenden Licht gerade noch zu erkennen war. Die Postkutschenstraße, die aus dem Choktaw-Gebiet heraufkam, führte beinahe schnurgerade darauf zu.
„Lauft schon, ihr langohrigen Biester!“, feuerte Greg Pibuster das Maultiergespann an. „Lauft, oder ihr bekommt die Peitsche zu spüren!“
Der Wagen war ein seltsames Gefährt, das eher einem rollenden Tierkäfig glich. Die Wände seiner Ladefläche bestanden zur oberen Hälfte aus eisernen Gitterstäben, auf denen das Dach ruhte. In dieser fahrenden Gefängniszelle waren zwei Männer angekettet, die mit finsteren Gesichtern und ohne zu reden die schaukelnden Bewegungen hinnahmen.
Joseph Rood war ein Choctaw-Halbblut, das im Alkoholrausch seinen Nachbarn erschlagen hatte, während Jake Cuddy unter dem Namen Brazos Jake als Anführer einer Bande das nördliche Texas und große Teile des Indianerterritoriums unsicher machte, und eine Menge Überfälle und Morde auf sein Konto verbuchen konnte.
Der Donner wurde schärfer. Ein Windwirbel trieb Staub hoch und wehte ihn in die Gesichter der beiden US-Deputy Marshals auf dem Kutschbock, die ihre Augen zusammenkniffen. Die Weiden, die spärlich am Ufer wuchsen, bogen sich in hektischem Rhythmus unter der Peitsche des Windes.
Als der Wagen über die lockeren Holzplanken der kleinen Brücke polterte, die den Gaines Creek überspannte, kam eine Gestalt aus dem Schuppen neben dem Stationsgebäude und lief ihnen ein paar Schritte entgegen.
Greg Pibuster lenkte den Wagen vor das Haus und zog die Zügel straff. Die Gestalt mit der grauen Halbschürze warf einladend die Arme hoch.
„Mariscal! Que alegria! Welche Freude, dass’d mal wieder mit deinem Vogelkäfig vorbeikommst. Adelante, komm runter von diese Ding. Roberto Chiolo hat Bohnen mit Chili und Kaninchenfleisch, scharf wie Hölle.“
Ein greller Blitz spaltete den Himmel, der Donner krachte auf die Erde und rollte dumpf polternd und schwer heran. Chiolo warf die Arme hoch und stöhnte: „Madre mia, wenn man Hölle nennt, ist sie nicht weit!“
„Hallo, Rob!“ Donald McKaye sprang herunter, während sein Fahrer noch die Bremse festmachte. „Dein Kaninchenfleisch ist bestimmt wieder ein alter Hund, der dir nicht mehr pariert hat.“
Chiolo wedelte mit den Armen und plusterte sich in gespielter Entrüstung auf. „Du beleidigst mich, Mariscal. Habe Tina gesagt, verboten noch einmal Hund zu kochen. Sonst mucha pena, viel Strafe.“
Tina war Roberto Chiolos Cherokee-Frau, deren indianischen Namen er sich nie merken konnte und sie deshalb einfach Tina nannte.
„Na schön, Rob, wir sind hungrig, und da will ich dir mal glauben.“ McKaye zeigte ein schwaches Grinsen. „Außerdem wollen wir uns bei dir vor dem Unwetter verkriechen.“
Chiolo hob die Nase und witterte wie ein alter Wolf in die Luft. „Sí, kommt Regen“, nickte er, „viel Regen.“ Er hielt McKaye am Arm fest, als dieser an ihm vorbei wollte. „Bevor du reingehst, Mariscal.“ Er setzte eine wichtige Miene auf, und seine dunklen runden Augen wurden noch größer. „Sitzen zwei Burschen da drin, hombres de cuidado, seit Stunden schon. Aber glaube nicht, dass sich verkriechen vor Gewitter. Schauen zu oft in gleiche dirrección. Richtung wo Mariscal jetzt kommt mit jaula…, Vogelkäfig. Vielleicht warten auch auf Kutsche aus gleiche dirrección. Auf jeden Fall führen nichts Gutes in escudo… wie sagt man? In Schild, nicht wahr, Mariscal, in Schild?“
„Ja ja, verstehe schon“, nickte McKaye.
„Roberto lebt schon zu lange in diese Land, um zu täuschen. Cuidado! Mariscal, atención!“
McKaye berührte die Schulter des Mexikaners. „Gracias. Werd’s dir nicht vergessen, amigo.“ Er zog sein Revolverholster etwas weiter nach vorn und ging auf die Tür der Station zu, während Pibuster die Mulis ausschirrte und in den sicheren Stall brachte, wo sie vor dem nahenden Unwetter geschützt waren. Donald McKaye war erst Ende zwanzig, aber manchmal fühlte er sich bereits alt, so, als hätte er die meiste Zeit seines Lebens bereits hinter sich, jedenfalls fühlte er sich zu alt, um das Leben weiterzuführen, das er in den letzten Jahren gelebt hatte. Das mochte wohl an den vielen Toten liegen, die er mit seinen jungen Jahren schon gesehen hatte. Seit Isaac Charles Parker das Amt des Bundesrichters in Fort Smith angetreten und den zweifellos katastrophalen Zuständen, die ihm sein wegen Korruption aus dem Amt entfernte Vorgänger Richter Story in seinem Distrikt hinterließ, den Kampf angesagt hatte, war das Leben eines Marshals etwas, das man beinahe täglich neu erkämpfen musste. Wer für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen hat, verbrennt sich leicht die Finger. Das Gefährliche an der ganzen Sache war die ständige Präsenz der Gefahr, die abstumpfte und das Gefühl dafür verlieren ließ.
Donald McKaye verhielt kurz den Schritt, dann trat er durch die Tür, die Hand dicht am Revolver, den Blick wachsam in den Raum gerichtet, den er betrat.
Chiolo hatte bereits die Kerzen in den Lampen angezündet, dennoch reichte es nur für eine spärliche Beleuchtung, und die Dunkelheit lauerte in den Ecken. Am hintersten Ende des einzigen langen Tisches hockte ein Mann, der ihm scheinbar interesselos entgegenblickte. Sonst schien der Raum leer zu sein. Ein Regal mit leeren Spucknäpfen und anderen Gebrauchsutensilien dämmerte an der hinteren Wand vor sich hin.
Chiolo hatte von zweien gesprochen. Misstrauen kam in McKaye hoch, und sein suchender Blick sprang von einer Ecke in die andere. Der Mann rührte sich nicht, und McKaye trat an die kurze aus rohen Brettern gezimmerte Theke zu seiner Linken, hinter der eine Art Durchlass in einen kleinen Nebenraum führte, den Chiolos Frau als Küche benutzte.
Hinter ihm kam Chiolo herein und schob sich auf die andere Seite des Tresens. Seine Augen bewegten sich flink und schickten huschende Blicke herum. Das Gesicht drückte Unruhe aus. Draußen fegte eine Windbö heran und rüttelte an den hölzernen Läden, die Chiolo vor die Fenster gesetzt hatte.
„Zuerst was trinken, Mariscal?“, fragte er nervös.
McKaye stellte sich so, dass er den Mann am Tisch nicht aus dem Blickfeld verlor.
„Gib mir ’nen Whiskey“ sagte er halblaut, ohne sich indessen voll auf Chiolo zu konzentrieren. „Nach deinen Chilibohnen kann ich sowieso nur noch Wasser trinken.“
Chiolo zeigte ein fahriges Grinsen, das sich in dieser seltsam gespannten Atmosphäre nicht so recht zu einem Lächeln entwickeln wollte, und tauchte für einen winzigen Moment ab, um Flasche und Glas unter der Theke hervorzuholen. Als er wieder hoch kam, sah McKaye die Gefahr in seinen Augen, als er zur Tür schaute, und das Gesicht nahm einen starren Ausdruck an.
McKaye wusste sofort, das er einen Fehler gemacht hatte, der Tür den Rücken zu kehren, um den anderen Kerl im Auge zu behalten. Und Fehler dieser Art konnten tödlich enden.
Ehe er sich umdrehen konnte, sagte eine Stimme hinter ihm: „Ich nehme nicht an, Marshal, dass du deine Gefangenen freiwillig herausgeben wirst.“
McKaye fuhr zu dem Sprecher herum, wobei sein Blick dieser Bewegung vorauseilte. Verdammt, er hätte damit rechnen müssen, aber er hatte sich auf Pibuster verlassen.
Seine Augen erfassten einen Burschen, der mit einem gemeinen Grinsen eine Schrotflinte auf ihn gerichtet hielt, und er las mit blitzartiger Schnelle diesem Gesicht ab, dass er gerade im Begriff stand, dieses verdammte Ding abzufeuern. Ein kurzer panischer Schreck krampfte seine Bauchmuskeln zusammen. Der schnelle Griff zur Waffe allein konnte ihn hier nicht mehr retten, und er warf sich mit einer instinktiven Bewegung zur Seite, um der drohenden Doppelmündung auszuweichen, und stieß hart gegen den Tresen, der diesem Bemühen ein kompromissloses Ende setzte, noch ehe er der tödlichen Streuung dieser Waffe entkommen konnte. Zusammen mit dieser schockartigen Erkenntnis, registrierte er zwei weitere Vorgänge gleichzeitig: Greg Pibuster warf sich mit einem Schwung zur Tür herein, und der Mann am hinteren Ende des Tisches fuhr hoch und riss seinen Revolver heraus.
Pibusters Hieb mit dem Revolver traf den Hinterkopf des Mannes mit der Schrotflinte, mit knallharter Präzision. Fast gleichzeitig prallte sein Körper gegen ihn und warf ihn nach vorn. Die Flinte in dessen Händen brüllte auf, und ein Hagel von Bleischrot fegte dicht vor McKayes Gesicht zur Zimmerdecke hinauf.
Der Mann am Tisch feuerte auf Pibuster. McKaye fuhr ein erneuter Schreck in die Glieder, als er sah, wie sein Gefährte von einem Schlag getroffen rückwärts taumelte und gegen die Wand stieß. Jetzt hatte auch er seinen Colt heraus und schoss. Der Fremde hinter dem Tisch setzte sich augenblicklich wieder auf die Bank zurück, als hätte ihn jemand am Hosenboden gezogen. Mit starrem Gesicht und seltsam steifer Haltung richtete er seine Waffe jetzt gegen McKaye. Dieser hatte mit einer wischenden Bewegung seiner linken Hand den Hammer seiner Waffe bereits abermals in die Feuerraste gedrückt, brachte die Mündung wieder ins Ziel und jagte die zweite Kugel hinaus.
Der Fremde zuckte heftig zusammen, ließ seine Waffe los und schlug mit zuckenden Armen um sich, als hätte ihn ein giftiges Insekt gestochen. Seine unkontrollierten Bewegungen warfen die Bank um, mit der zusammen er zu Boden krachte. Es sah aus, als versuchte er verzweifelt, Luft in seine Lunge zu pumpen, dann erschlaffte er plötzlich und lag still – ganz still.
McKaye hielt noch immer den Revolver auf ihn gerichtet, eine Vorsichtsmaßnahme, die das Leben, dass er führte, so mitgebracht hatte und zur instinktiven Gewohnheit geworden war. Pulverdampf schwängerte die Luft des Raumes und reizte die Atemwege. Ganz langsam drehte er den Kopf herum, zog den Körper nach und ließ die Hand mit der Waffe sinken. Seine Brust hob sich unter einem schweren Atemzug.
Chiolo stand noch immer mit starrem Gesicht hinter der Theke und schaute stumm zu Greg Pibuster hin, der an der Wand heruntergerutscht und zur Seite gesunken war. Das Blut, das aus ihm herauslief, färbte den Stoff seines Hemdes dunkel. McKaye wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Zu oft schon hatte er diesen Anblick ertragen müssen. Jetzt auch Pibuster. Würde das immer so weiter gehen? Seit Richter Parker sein Amt angetreten hatte, waren bereits weit mehr als ein Dutzend Mörder gehenkt worden, aber die Lage im Distrikt wurde nicht besser. Es schien so, als ob sich die Banditen aller angrenzenden Territorien provoziert fühlten und den Kampf aufgenommen hatten. Der Richter blieb eine umstrittene Person. Die einen sahen in ihm einen unbarmherzigen, selbstgerechten Mann, die anderen einen unbeugsamen Vertreter der Gerechtigkeit. An Bewerbern für das Amt der Deputy-Marshals fehlte es in all diesen Jahren nicht, und manche von ihnen waren Revolvermänner, die sich in vielem nicht von denen unterschieden, die sie vor Gericht bringen sollten. Aber Richter Parker war wählerisch in der Auswahl der Männer, die dem Gesetz Geltung zu verschaffen hatten.
Doch Fort Smith blühte auf. Leichte Mädchen sowie Geschäftemacher und Glücksspieler, presbyterianische, katholische, methodistische oder baptistische Prediger lebten in friedlicher Koexistenz in der Stadt, einem Schmelztiegel mit babylonischem Sprachgewirr. Es wurde gelacht, geliebt und gehasst, Kinder geboren und Alte oder auch weniger Alte begraben – Reiche mit dem gebührenden Pomp und Arme wie Hunde verscharrt. Flussdampfer und Überlandkutschen brachten immer neue Bürger oder auch nur Durchreisende in die Stadt ihrer Träume oder Alpträume.
Jetzt erst ließ der Schock nach, und Chiolo kam hinter seiner Theke hervor. Seine Augen waren groß und erschrocken, und er hob die Hände und legte sie seitlich gegen den Kopf. „Madre de Dios, el Mariscalito!“
Donald McKaye schob die scharfen Chilibohnen in seinem Mund hin und her, als wären sie gehäckseltes Stroh. Chiolos indianische Frau beobachtete ihn sorgenvoll aus ihren kleinen dunklen Augen, um die sich einige Falten festgesetzt hatten. Ihr Mund war dünnlippig, gerade und stumm. In der Stille hörte man den Regen, der gegen das Haus prasselte.
McKaye hatte den bewusstlosen Schrotflintenmann zu den anderen beiden Gefangenen in den Gefängniswagen gesperrt und die seitlich aufgerollten Planen zum Schutz vor Wind und Regen heruntergelassen. Inzwischen war der Bursche wieder zu sich gekommen und tobte brüllend in seinem Käfig herum. Von den anderen Mitgefangenen war nichts zu hören. Der Regen rauschte schwer hernieder, wurde vom Wind um das Haus gepeitscht und hämmerte mit winzigen, nassen Fäusten prasselnd gegen die Planen des Wagens. Hin und wieder wurde dieses auf und abschwellende Tosen von einem scharfen Donnerschlag unterbrochen.
Der Tote lag an der Wand neben der Tür, und der verwundete Greg Pibuster lag reglos aber bei Bewusstsein auf einen Strohsack gebettet, den Tina hastig hereingeschleppt hatte, bevor das Unwetter losbrach. Das war alles, was man im Moment für ihn tun konnte. Die Kugel steckte noch in ihm drin, und so wie es aussah, würde sie wohl nie jemand herauszuholen brauchen. Der Deputy-Marshal atmete schnell und flach, und Schweiß perlte auf seiner Stirn. Und ab und zu, wenn er hustete, kamen hellrote Blasen über seine Lippen.
McKaye schob schließlich den Teller von sich und stand auf. Er ging mit langsamen Schritten zu dem Verwundeten, hockte sich neben ihn und fasste nach Pibusters Hand, die sich schlaff und kalt anfühlte wie die eines Toten. Die Augenlider des todwunden Mannes flackerten und hoben sich, zögernd wie unter einer großen Anstrengung. Er schaute mit einem leeren Blick zu McKaye hoch.
„Jetzt hat’s auch mich erwischt, Don“, brachte er leise mit schwacher Stimme heraus. Dann musste er husten, und McKaye wischte mit dem Halstuch, das er Pibuster abgenommen hatte, den rosa Auswurf von seinen Lippen. „Ich muss… sterben,… nicht wahr?“
McKaye sah mit einem düsteren Blick auf ihn herab, zuckte hilflos mit den Schultern, während draußen eine Windbö einen Schwall großer Tropfen gegen das Haus warf.
„Wer kann das wissen, Greg? Morgen, sobald es hell wird, bringe ich dich zum Doc nach Fort Smith“, sagte er mit tonloser Stimme, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass es für Pibuster kein Morgen mehr geben würde. Verdammt! Ausgerechnet auf seiner letzten Tour musste er das noch mitmachen. In einer Woche wäre sein Job in Fort Smith zu Ende. Er quittierte seinen Dienst, wie schon einige vor ihm. die ihre Überlebenschancen immer mehr schwinden sahen. Er hatte schließlich noch anderes mit seinem Leben vor, als Mörder an den Galgen zu liefern.
Pibuster war wieder in seine Bewusstlosigkeit zurückgesunken, und McKaye erhob sich, schaute noch einen Moment schweigend auf seinen Kameraden hinab, ging dann ein paar Mal unschlüssig im Raum hin und her, ehe er sich wieder hinsetzte und sein Rauchzeug hervorholte, sich eine Zigarette rollte, sie anzündete und den Rauch nach einem tiefen Zug vor sich hin blies, als könnte er sich damit von der Schwere seiner Gedanken befreien.
Oft schon hatte er über sein Leben nachgedacht, und die Gedanken kamen, je mehr die Jahre in diesem Job vergingen, immer häufiger. Aber noch nie war es ihm so deutlich geworden, dass es bisher nur eine Ansammlung von Ereignissen war, die keinen rechten Sinn ergaben, keine vernünftige Perspektive. Sicher war es wichtig, dem Gesetz in diesem Land Geltung zu verschaffen, doch er fühlte sich, als renne er ständig gegen eine Wand, ohne sie einreißen zu können. Unermüdlich brachten Ike Parkers Marshals Mörder und anderes Gesindel ein und der Richter brachte sie ins Gefängnis oder unter den Galgen. Doch es schien alles umsonst zu sein. Sie wuchsen nach wie Maiskolben auf den Feldern und schienen jeder Art von Gesetzt Hohn zu sprechen. Und irgendwann musste ein Mann seiner Bestimmung gerecht werden, das Herumziehen aufgeben und etwas mit seinem Leben anfangen, das Bestand hatte.
Chiolo kam mit einer Flasche und zwei Gläsern und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.
„Trinke ein Glas auf den Schreck, Mariscal“, sagte er behutsam. „Hast es nicht verhindern können. Macht das Herz schwer, ich weiß, aber ist nicht zu ändern.“
McKaye hob den Blick und schaute in Chiolos ernstes Gesicht. Dabei befeuchtete er mit der Zunge die vom Rauchen trocken gewordenen Lippen und nickte vor sich hin.
„Ist nicht der Erste“, sagte er mit einer schwachen Kopfbewegung zu dem Verwundeten hin, „und wird auch nicht der Letzte sein. Beinahe jeden Monat tragen wir einen von uns auf den Stiefelhügel. Früher war es noch schlimmer, bevor Richter Parker diese Transportwagen bauen ließ. Damals mussten wir die Gefangenen Banditen auf Gäulen oder Mulis mit uns schleppen, wenn wir mitunter wochenlang unterwegs waren. Wir mussten sie an Bäumen festbinden, falls welche da waren, wenn wir mal schlafen wollten, und jeder muss irgendwann mal schlafen. Irgendwann erlahmt auch auf einem so langen Weg mal die Wachsamkeit, und immer wieder ist es passiert, dass einer von uns nicht zurückkam von einer solchen Tour. Und der Gefangene natürlich auch nicht. Jetzt, wo wir die Wagen haben ist es leichter geworden, und wir können mehrere Gefangene gleichzeitig transportieren.“
„Juez Parker ist ein hombre duro, ein harter Mann“, meinte Chiolo grüblerisch und goss beide Gläser voll.
„Ich weiß nicht.“ McKaye schüttelte den Kopf und ließ während er weiter sprach den Rauch über seine Lippen quellen. „Er macht sich die Todesurteile gewiss nicht leicht, auch wenn viele ihn als Hängerichter bezeichnen. Aber er kann nicht mehr umkehren auf dem Weg, den er eingeschlagen hat. Er ist ein gerechter und gottesfürchtiger Mann, der nach dem Wahlspruch lebt und handelt: Auge um Auge – Zahn um Zahn. Und er findet immer wieder Männer, die von ihm begeistert sind, sich den Stern anstecken lassen und bereitwillig ihr Leben für diese Idee riskieren. Doch die Wege, die wir mit den Gefangenen zurücklegen müssen, sind einfach zu weit. Immer wieder passiert so was wie das hier.“
McKaye stürzte den Whiskey hinunter, der nach den Chilibohnen heiß wie die Hölle in der Kehle brannte. Zum Henker, dachte er dabei. In einer Woche war für ihn alles vorbei. Nicht so wie für Greg Pibuster – für ihn sollte es noch eine Zukunft geben, er wollte sich irgendwo niederlassen und vielleicht eine Familie gründen, wenn sich die richtige Frau dafür finden ließ – und irgendein Platz zum leben, ehe es zu Ende war.
Seit Richter Parker vor drei Jahren sein Amt angetreten hatte, waren mehr Verbrecher ihrer gerechten Strafe zugeführt worden, als bei allen seinen Vorgängern zusammengenommen. Aber das Gesindel bestand aus harten Burschen, die sich nicht so leicht einschüchtern ließen, auch nicht durch einen Galgen.
Chiolos indianische Frau kümmerte sich fürsorglich um den Verletzten, den man von Zeit zu Zeit stöhnen oder husten hörte.
„Wird er sterben müssen?“, fragte Chiolo und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, als er sein Glas hingestellt hatte. McKaye nickte stumm.
„Er hat mir das Leben gerettet“, sagte er nach einer Weile leise, damit der Verwundete es nicht hören konnte, „und seins dafür gegeben. Dabei ist er ein paar Jahre jünger als ich.“ Er schniefte kurz durch die Nase, um seine innere Bewegung zu verbergen. „Vor zwei Jahren war er noch einer jener zähen Texas-Cowboys und glaubte, hier einen besseren Job zu finden, bei dem man sich nicht mit diesen verdammten Longhorns abschinden musste und auf den Trecks nach Dodge oder Abilene täglich sein Leben auf Spiel setzen.“
„Glaubst du an Schicksal, Mariscal?“
„Nein. Der Mensch ist für diese Welt nicht mehr als eine Ameise, nur etwas größer. An so etwas wie Schicksal und Vorbestimmung glauben nur die, welche sich für besonders wichtig halten.“
Lange saßen die beiden Männer am Tisch, während die Kerzen in den Lampen immer kürzer wurden und der Rauch der Zigaretten sich über dem Tisch zu breiten Schwaden verdichtete. Das Unwetter war schon weiter gezogen, und der Donner rollte dumpf und schwer am fernen Horizont entlang. Und die Pausen im Gespräch der beiden Männer wurden immer größer, und in den Momenten der Stille konnte man den keuchenden, flachen Atem des dritten Mannes hören, der auf seinem Strohsack lag und mit dem Tode rang, dort, wo das Licht ihn kaum noch erreichte und Tina geduldig seine Hand hielt.
Irgendwann war das Gespräch ganz verstummt und die Männer am Tisch eingeschlafen. Und als der Morgen sich träge und bleichsüchtig durch die Nebelschwaden kämpfte, die das nächtliche Gewitter zurückgelassen hatte, war nur noch der tiefe und schwere Atem der Männer am Tisch zu hören. Greg Pibuster war irgendwann von ihnen unbemerkt gestorben, ohne sein Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
Eine ganze Weile stand McKaye vor ihm und starrte auf ihn hinunter, während es draußen allmählich immer heller wurde und Chiolo sich hinter ihm mehrere Male bekreuzigte. Dann ging er mit schweren Schritten zum Creek hinunter, um sich in dem kalten Wasser das Gesicht zu waschen.
„Du wirst deinen companero mitnehmen, nicht wahr?“, fragte Chiolo, als er zurückkam. „Damit er ’n anständiges Begräbnis auf dem campo santo bekommt und in geweihter Erde liegt. Aber was machen wir mit dem hier?“, dabei deutete er auf den toten Fremden, „soll ich diesen cochino hier irgendwo verscharren?“
Donald McKaye schaute mit finsterer Miene zuerst auf den besagten Toten und dann zu Chiolo hin.
„Richter Parker besteht in jedem Fall auf ’ne Leichenschau.“
„Leichenschau?“ Chiolo kratzte sich unsicher am Kopf. „Was ist das für’n Unsinn? Wir haben diesen vagabundo doch lange genug gesehen. Wozu will der Juez ihn dann noch zur Schau stellen?“
„Das ist ’ne amtliche Feststellung der Todesursache. Aber da wir hier weder einen Friedensrichter haben, noch Geschworene zusammenkriegen, werde ich auch ihn mitnehmen müssen.“
„Amtliche Feststellung, Dios mio“, meinte Chiolo verdrießlich und rollte mit seinen dunklen Kugelaugen, „no lo comprendo, das verstehe ich nicht. Du kannst Juez Parker doch erzählen, wie er gestorben ist. Und dass er tot ist, sieht doch jeder. Tot, verstehst du? Muerto!“
Ein nachsichtiges Lächeln stahl sich in McKayes ernste Miene. „Bei Richter Parker muss eben alles seine Ordnung haben. Darauf legt er großen Wert.“
„Ordnung“, stöhnte Chiolo hilflos, dann half er McKaye, die beiden Toten in den Wagen zu bringen. Brazos Jake schaute ihnen dabei mit einem hämischen Grinsen zu.
„Habt ihr wenigstens einen von denen erwischt“, frohlockte er gehässig. Das Choctaw-Halbblut hingegen blickte teilnahmslos vor sich hin, als würde es nichts von dem wahrnehmen, was um ihn herum vorging. Der Schrotflintenmann trat mit dem Fuß nach Pibusters Leichnam.
McKaye packte ihn bei den Schultern, drehte ihn herum und stieß ihn so hart in den Wagen hinein, dass er mit dem Gesicht gegen die Eisenstäbe krachte. Blut lief ihm aus einer aufgeschlagenen Augenbraue über die Wange. McKaye legte den toten Deputy ans äußerste Ende des Wagens, wo die angeketteten Insassen ihn nicht erreichen konnten.
„Wir können immer noch auf seinen Stern spucken“, höhnte Brazos Jake herausfordernd.
McKaye maß den Sprecher mit einem eisigen Blick seiner grauen Augen. „Versuch es, du Mistkerl, und du wirst ohne deine Zähne am Galgen hängen.“
Chiolo war indessen in den Stationsraum zurückgekehrt, schob Tisch und Bank wieder in eine geordnete Position. Dabei bemerkte er den Hut am Boden, der dem Fremden bei der tödlichen Schießerei vom Kopf gefallen war. Er hob ihn auf, strich mit der Hand über die Hutkrone, klopfte ihn gegen seinen Schenkel und schaute dann prüfend in die Innenseite. Nicht mehr ganz neu, dachte er dabei, aber zum Wegwerfen zu schade. Vielleicht könnte er ihn irgendwann an jemanden verkaufen. Er legte ihn auf ein Regalbord an der Wand und wandte sich der Theke zu.
2.
Einen Tag danach stand Donald McKaye an der Bar im House of Lords, einem der größeren Saloons in Fort Smith und drehte sein Whiskeyglas zwischen den Händen hin und her. Sein mürrischer Blick war auf das Regal mit den Flaschen hinter der Bar gerichtet und seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammengekniffen. Er dachte an Greg Pibuster und die Art und Weise, wie er gestorben war. Verdammt, das hätte nicht sein müssen. Er selbst, Donald McKaye, hätte es verhindern können, wenn er nur ein bisschen vorsichtiger gewesen wäre und jedes unnötige Risiko vermieden hätte, zumal Chiolo ihn noch gewarnt hatte. Aber daran war nun nichts mehr zu ändern. Greg war tot, gestorben mit 26 Jahren, und er war dabei gewesen und hatte nichts für ihn tun können. Und nun fraß sich die Erinnerung daran wie ein Wurm in seine Seele.
Ein Stück neben ihm standen einige fremde Texas-Cowboys, die wohl von ihrem Treck zurückkehren und einen Umweg nach Fort Smith gemacht hatten, in der Hoffnung, einer dieser öffentlichen Hinrichtungen, die sich überall im Lande herumsprachen, mit ansehen zu können. Sie erzählten sich lautstark irgendwelche lustigen Sachen, und ihr lautes Lachen ging ihm auf die Nerven und vergrößerte seinen Frust noch. Aber es gab nicht viel Platz zum ausweichen, denn die Theke war trotz der frühen Stunde schon recht stark belagert.
Und irgendwie schien heute auch noch der Teufel seine Hand im Spiel zu haben, denn er schickte just in diesem Augenblick Link Canahan in den Saloon.
Canahan war der Wagenbauer in Fort Smith. Er und McKaye hatten sich noch nie leiden mögen, denn Canahan war ein roher und streitsüchtiger Bursche, der keine Gelegenheit ausließ, Richter Parkers Marshals, die er aus irgendeinem unbekannten Grund hasste, in der Öffentlichkeit herabzusetzen. Bislang hatte er das weitgehend ungestraft tun können, weil der Richter es nicht duldete, dass seine Gesetzesbeamten sich prügelten. Aber es gab natürlich auch Gemütszustände, in denen man die Vorstellungen des Richters vergaß oder einfach ignorierte. Und McKaye befand sich in einer solchen Stimmung, wo schon ein geringerer Funke als ausgerechnet Canahan zur Explosion führen konnte.
Canahan trat an die Bar, schob McKaye mit dem Ellenbogen zur Seite und drängelte sich neben ihn.
„Whiskey“, sagte er zu dem Barkeeper. Dann tat er so, als ob er McKaye jetzt erst erkannte, drehte sich zu ihm hin und rümpfte die Nase. „Ach, ich wundere mich schon, was hier so komisch riecht. Da ist ja einer von denen, die immer nach Gefängnis und Galgen stinken.“
Die Wut schäumte wie warmes Bier im engen Hals einer Flasche in McKaye hoch, brodelte in ihm wie kochende Lava im Krater eines Vulkans, aber er versuchte noch immer, sich zu beherrschen.
„Dann verschwinde doch, du Ratte.“ Seine Lippen waren so dünn und gerade wie der Rücken einer Messerklinge.
Canahan glotzte ihn provozierend an. „Wie ich hörte, haben sie deinen Kumpan umgelegt. Du hast dich wohl rechtzeitig verstecken können, wie?“
McKaye drehte sich etwas zur Seite. Irgendetwas schien plötzlich in ihm zu toben, ein heißes Etwas, ein Ungetüm mit scharfen Klauen und Zähnen und glühenden Augen und einer Haut mit böse aufgestellten Borsten, das endgültig aus seinem Gefängnis herausbrach, das um sich beißen, vernichten, zerfetzen wollte, ohne Rücksicht auf irgendwelche Folgen, unbedacht und nur noch rot sehend. Und ohne etwas darauf zu erwidern schoss er seine Rechte ab. Der Schlag kam so unerwartet schnell, dass Canahan nicht einmal ausweichen konnte. McKaye setzte blindwütig nach, ohne das erschreckte Aufblitzen in Canahans Augen zu registrieren. Er war so richtig in Fahrt, und sein nächster Schlag (oder war es schon der dritte oder vierte, er wusste es nicht) traf die Nase des Gegners und riss dessen Kopf in den Nacken.
Canahan wäre wohl von der Wucht des Hiebes zu Boden gerissen worden, hätten nicht die neben ihm stehenden Männer seine Rückwärtsbewegung aufgehalten. So schüttelte Canahan nur den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken über die zerschlagene Nase. Sein Blick wurde starr, als er das Blut daran erkannte. Dann warf er sich McKaye entgegen, wischte dessen nachfolgende Linke einfach beiseite und platzierte seinerseits die Faust genau auf McKayes Mund. Dieser rutschte an der Bar entlang und prallte gegen die Cowboys, deren Gelächter schlagartig verstummt war, und eine Stille wie ein Vakuum senkte sich über den Raum.
Aber Canahans Schlag war nicht hart genug, um McKaye in ernste Schwierigkeiten zu bringen. Er reichte nicht einmal aus, um dessen Wut zu dämpfen. Aber gerade als er sich wieder auf den Wagner stürzen wollte, um den Kampf fortzusetzen, befand sich plötzlich jemand zwischen ihnen. Dieser Jemand drückte Canahan mit der einen Hand die Revolvermündung gegen den Hals und mit der anderen hielt er McKaye auf Distanz. Sein Gesicht war Canahan zugewandt, und er sagte zu diesem in kaltem Ton: „Wenn du nicht augenblicklich Ruhe gibst, Canahan, dann schleife ich dich eigenhändig ins Gefängnis. Und den Geruch dort magst du doch nicht, wie ich mich erinnere.“
Canahan schluckte trocken und würgte seine Wut hinunter, während sich das Gesicht des Mannes zwischen ihnen jetzt McKaye zuwandte. Es war ein schmales, hageres Gesicht mit dunklen Augen und einem buschigen Schnurrbart, dessen herabhängende Enden die geringschätzig nach unten gezogenen Mundwinkel verbargen. Es war das Gesicht von Nick Ashby, einer von denen, die den Dienst für das Gesetz in Fort Smith am längsten schon überlebt hatten.
„Von mir aus kannst du ihn totprügeln, in ein paar Tagen, wenn du gekniffen hast und diesen Stern nicht mehr trägst. Dann können wir dich dafür in eine Zelle stecken. Aber jetzt wirst du leider noch gebraucht.“
Canahan drehte sich von der Mündung des Revolvers weg, machte aber keinen weiteren Versuch, die Rauferei mit McKaye fortzusetzen. Sich ernsthaft mit den Marshals des Richters anzulegen schien ihm doch wenig ratsam. Er stierte McKaye nur hasserfüllt an Ashby vorbei an und grollte: „Der und mich totprügeln? Ich werde ihn platt machen wie eine Wanze. Wenn du noch ’n Funken Mut in dir hast, McKaye, dann kommst du wieder her, wenn du diesen blöden Stern abgelegt hast. Ich werde wissen, wenn du da bist, und dann gnade dir Gott!“
„Du nimmst dein Maul zu voll, du Schlangenfresser…“, konterte McKay, wurde aber von Ashby unterbrochen.
„Schluss jetzt damit! Der Richter wartet auf dich. Versuch aber vorher, deine Visage wieder zu einem passablen Anblick zu machen. Ich fürchte, wir sehen uns dann später.“
McKayes Brustkorb pumpte wie ein Blasebalg, und seine Hände zitterten noch immer vor Zorn. Was war eigentlich los mit ihm? Er war sonst nicht einer, der zu Wutausbrüchen neigte. Aber irgendwann wurde es wohl für jeden einmal zu viel. Langsam ebbte er der Groll in ihm ab, und es fühlte sich an, als hätte er einen Sack voll lebender Mäuse verschluckt, die jetzt in seinem Magen herumwuselten. Aber er war froh, dass Nick Ashby aufgetaucht war. Er hätte diesen Kerl womöglich sonst tatsächlich totgeprügelt, oder so lange auf ihn eingeschlagen, bis der ihn umgebracht oder jemand ihm etwas über den Schädel gehauen hätte.
Nun, das war erst mal abgewendet, doch er hatte so das ungute Gefühl, dass das andere, was da noch auf ihn wartete, sein Herz auch nicht gerade erfreuen würde. Er wusste, was Richter Parker seinen Marshals abverlangte, aber, naja… so lange konnte das bei ihm nicht mehr dauern. Vielleicht wollte ihn der Richter auch nur umstimmen. Bei den Verlusten, die er in letzter Zeit zu verzeichnen hatte, brauchte er natürlich jeden Mann.
Aber so langsam war das nicht mehr sein Problem. Auf ihn würde er wohl verzichten müssen.
Donald McKaye überquerte die Garrison Avenue, ging festen Schrittes am Two Brothers Saloon und am Last Chance vorbei und suchte zunächst sein kleines, schäbiges Hotelzimmer auf, in dem er wohnte, um, wie Ashby ihm geraten hatte, seine Visage wieder zu einem passablen Anblick zu verhelfen. Ike Parker war da sehr eigen. Er goss Wasser aus der großen Kanne in die Schüssel und kühlte sein Gesicht darin, wusch sich das Blut von der Lippe und warf danach einen kritischen Blick in den kleinen, fleckigen Spiegel. Na ja, er hatte schon mal besser ausgesehen, aber mehr war da nicht zu machen, und schließlich wollte er weder auf einer Bühne stehen noch von der Kanzel einer Kirche eine Rede halten.
Sein Hemd war nicht mehr ganz taufrisch, aber weitgehend unbeschadet geblieben. Also los!
Als er die First Street entlanglief, musste er an jenen Tag im Mai 1875 zurückdenken, als der Richter in Fort Smith eingetroffen war. Ein denkwürdiger Tag für die Stadt und den ganzen Distrikt. Damals hatte noch niemand gewusst, was Parker für ein Mann war…
Die Garrison Avenue, die sich wie eine breite Ader durch die ganze Stadt zog, bis hin zu den Gebäuden der alten Garnison, die längst als Lagerschuppen diente, war voller Menschen gewesen, die sich die Ankunft des neuen Richters nicht entgehen lassen wollten. Pferde und abgestellte Fuhrwerke säumten die Straße wie von einer Flut angespülte Hindernisse. Der Kutscher, der den Richter vom Anlegekai am Fluss abholen sollte, versuchte seinem Einspänner mit lautem Gefluche einen Weg durch die Menge zu bahnen. Alles was Beine hatte schien auf der Straße zu sein. Hausfrauen in schlichten Kleidern, Storeceeper, Barmänner mit weißen und nicht ganz weißen Schürzen, Cowboys mit ledernen Chaps, Spieler mit unbewegten Gesichtern und Saloonladies in herausfordernd figurbetonten bunten Kleidern und riesigen, von Straußenfedern umwedelten Hüten, schwarze Laufburschen, Kellner und chinesische Kulis. Kinder spielten Fangen zwischen den Leuten und Hunde lagen träge im Staub. Ein paar Indianer lehnten an den Hauswänden und sahen teilnahmslos dem Treiben zu.
Vom Arkansas her hallte der röhrende Ton der Dampfsirene herüber und kündigte die Ankunft des Raddampfers an. Das Stimmengewirr schwoll an und schwebte wie eine akustische Wolke über den Köpfen der Menge, Hälse reckten sich vergeblich, um etwas von dem Mann sehen zu können, der nach dem ruhmlosen Abgang von Richter Story für Gerechtigkeit sorgen sollte, an die keiner so recht glaubte. Zwei Saloonweiber der älteren Generation schrien sich in die alten verlebten Gesichter und gerieten sich lautstark wegen eines vermeintlich besseren Platzes in die Haare. Ein paar Negerjungen gestikulierten wild mit den Armen in der Luft herum. Ein übelriechender Kerl in zerschlissener Kleidung spuckte verächtlich einen Strahl Tabaksaft auf den Boden. Ein erschreckter Gaul schien durchzugehen und konnte nur mit Mühe von einem der Viehtreiber gehalten werden.
Die Sirene des Dampfers tönte zum zweiten Mal dumpf und drängend herüber, als müsse auch sie sich einen Weg durch das Gewirr von Leibern schaffen. Der Kutscher des Einspänners ließ die Peitsche knallen und brüllte wie ein Maultiertreiber. Gestalten drängten zögernd zur Seite und ließen ihn durch. Der altersschwache Schimmel schnaubte erregt.
Der Raddampfer näherte sich der Anlegestelle. Seine beiden Schlote ragten wie astlose Baumstämme in die Höhe. Schwarze Rauchwolken wurden vom Wind über die Stadt getrieben. Das große Schaufelrad am Heck wurde langsamer, drehte sich schließlich in die entgegengesetzte Richtung, und das Schiff legte am Kai an. Eine heisere Stimme brüllte irgendwelche Befehle durch einen Sprachtrichter. Eine bunte Menschenmenge drängte sich an der Reling. Tücher wurden geschwenkt und Rufe gingen im allgemeinen Lärm unter. Eine Landungsbrücke wurde von einigen Handlangern vom Schiff her zum Kai herübergeschoben. Langsam ebbte der Lärm ab. Ein Pferd wieherte irgendwo, und ein Hund kläffte wütend. Männer in schmutziger Lederkleidung und mit langen Gewehren bewaffnet, schoben sich durch die Menge. Andere, die irgendwelche Waren in Empfang zu nehmen hatten, drängten mit Maultieren oder Eseln heran.
Endlich erschien der Richter. Ein hoch gewachsener hagerer Mann in dunkler Kleidung, mit einem kleinen Jungen vor sich, der offenbar sein Sohn war, und einer schlanken elegant gekleideten Frau, der er die Hand reichte, um sie über den Landungssteg zu führen.
Das also war er: Richter Isaak Charles Parker.
Donald McKaye blickte flüchtig zu dem Galgen hinüber, der auf dem Hof des Gefängnisses stand, und an dem gleichzeitig acht Delinquenten gehängt werden konnten, überdacht seit Richter Parker hier war. Er war ein fürsorglicher Mann, der nicht wollte, dass Todeskandidaten und Henker gelegentlich im Regen stehen mussten. Er erinnerte sich plötzlich an eine Unterredung, die er mit dem Richter vor ungefähr einem Jahr gehabt hatte.
„Euer Ehren, kürzlich las ich in einer alten Zeitung, wie sie einem manchmal so in die Finger kommen, von einem gewissen John I. Tower, der Handschellen mit einem modernen Schließmechanismus erfunden haben soll, und sie auch selbst herstellt. Es wäre äußerst vorteilhaft, wenn wir hier auch so was hätten. Dann brauchten wir nicht immer diese transportablen Schmieden mitnehmen, um die Eisen zuzunieten. Und wir wären auch viel flexibler, wenn wir die Gefangenen irgendwo anschließen müssen. Auf so einer langen Reise, da müssen diese Kerle ja auch hin und wieder mal… Na ja, Sie wissen schon, Euer Ehren, jeder Mensch hat so seine Bedürfnisse mit dem Wasser lassen.“
„In welcher Zeitung war das?“
„Oh, Euer Ehren, das ist schon ´ne ganze Weile her, und der Teu…, na ja, ich weiß es wirklich nicht mehr, aber Sie werden das bestimmt herauskriegen, Euer Ehren.“
Er hatte es herausgefunden. Gott sei Dank.
Wenig später stieg er die Stufen hinauf, die zu Richter Parkers Büro führten und versuchte sich einen Grund auszumalen, weswegen ihn der Richter zu sich bestellt hatte. Aber was es auch immer sein mochte, seine Dienstzeit war so gut wie zu Ende. Noch immer wühlte der Zorn in ihm, und er war bemüht, ihn am Leben zu erhalten. Er brauchte diesen Zorn jetzt, um dem zu begegnen, was da auf ihn zukommen mochte. Trotzdem er sich notdürftig gewaschen hatte, fühlte er sich noch immer klebrig und schmutzig von der Reise und von dem Kampf mit Canahan.
Der Richter befand sich im Büro. McKaye trat ein und nahm seinen Hut ab. Parker sah genau so aus, wie er ihn kannte. Ein Mann mit einem schmalen Gesicht mit strengen Zügen, einem dunklen Kinnbart und ebenso dunklem, sorgsam gescheiteltem Haar. Als er McKaye entgegenblickte, sah dieser, dass der Mann müde und erschöpft aussah, mit dunklen Schatten unter den Augen und eingefallenen Wangen. Bei der Anzahl von Gerichtssitzungen, die er täglich durchzuführen hatte, blieb ihm kaum Zeit zum Essen, geschweige denn für ein ruhiges Familienleben. Er trug einen schwarzen Gehrock und saß in einem ledergepolsterten Armlehnenstuhl hinter einem mächtigen Schreibtisch, auf dem, trotz der vielen Arbeit peinliche Ordnung herrschte. Am Rande zu seiner Rechten lag eine Bibel, in der er täglich zu lesen pflegte, und direkt vor ihm eine Ausgabe des Ft. Smith Independent.
Er musterte den Eintretenden mit einem kurzen, ernsten Blick, der einen Moment auf McKayes Gesicht haften blieb, ohne eine Miene zu verziehen.
„Arbeit, McKaye“, kam er ohne Umschweife auf den Grund der Unterredung zu sprechen. „Tut mir leid, dass Sie gleich wieder raus müssen. Aber ich kann es nicht ändern. In Caddo ist eine Person verhaftet worden, die des Mordes beschuldigt wird.“
„In Caddo, Sir…, Euer Ehren?“ McKaye knetete mit beiden Händen die Krempe seines Hutes und versuchte, die Schwellung seiner Lippen, die sich leicht taub anfühlte, zu verbergen. „Dauert mehr als zwei Wochen, und Sie wissen, dass meine Dienstzeit in wenigen Tagen…
Der Richter unterbrach ihn mit einem ungeduldigen Handbewegung. „Ich weiß, ich weiß, aber darauf kann ich im Moment keine Rücksicht nehmen. Ich kann Ashby nicht allein losschicken.“
McKaye holte tief Luft. Verdammt, dachte er dabei, ausgerechnet mit Nick Ashby, diesem Fanatiker. Heute schien wirklich nicht sein Tag zu sein.
„Können Sie nicht jemand anderes schicken, Euer Ehren?“
„Es sind alle unterwegs.“
„Alle zweihundert?“ Es klang fast wie ein Aufschrei. Parkers dunkle Augen musterten McKaye distanziert.
„Zweihunderteins“, verbessertes der Richter pedantisch. Bevor Sie gestern mit einem Toten zurückkamen, hatte ich zweihundertzwei Marshals. Aber jetzt stehen mir nur Sie beide zur Verfügung. Es tut mir leid, McKaye, aber Sie müssen dem Gesetz noch einige Tage länger dienen. Und Sie müssen es ja nicht umsonst tun. Die zehn Cent pro Meile stehen Ihnen selbstverständlich auch nach Ihrer Dienstzeit zu.“
McKaye wusste wie unnachgiebig der Richter sein konnte. Und jetzt, nach all diesen Jahren, konnte er den Mann schließlich nicht in einer Notlage sitzen lassen. Außerdem wären ein paar Dollar mehr in der Tasche auch keine Schande. Alles wäre auch halb so schlimm, wenn er nicht mit diesem gottverdammten Nick Ashby los müsste. Und dann noch bis nach Caddo hinunter zur Texasgrenze!
„Habe ich Sie richtig verstanden, Euer Ehren, wegen eines einzigen Gefangenen?“
„Sie werden vielleicht unterwegs noch ein paar auflesen. Das war bisher immer so. Außerdem nehmen Sie ja den kleinen Wagen, mit dem Sie unterwegs waren.“
3.
Chiolo wischte langsam und in Gedanken versunken mit einem Lappen über die Theke aus rohem Holz. Nicht viel los heute. Gegen Mittag war die Postkutsche, die hinunter nach Süden in das Choktaw – Gebiet fuhr, vorbeigekommen. Drei Passagiere. Seit einer Stunde etwa war hier wieder die übliche schläfrige Ruhe eingekehrt, und Tina hatte das benutzte Geschirr längst weggeräumt und gewaschen.
Der Mariscal war längst wieder in diesem verdammten Ft. Smith, in dem ein Mensch, der die Ruhe schätzte, nicht leben konnte. Und er hatte los muertos, die Toten nach Hause gebracht, seinen companero und den anderen, den er erschossen hatte.
Leichenschau. Er schüttelte mit geringschätziger Miene den Kopf und fuhr ein letztes Mal mit seinem Lappen über das feuchte Holz. Dieser Juez Parker musste schon ein seltsamer hombre sein.
Irgendwo draußen schnaubte ein Pferd. Chiolo wandte den Kopf und blickte zur offenen Tür, konnte jedoch aus seiner Perspektive die Gegend nicht weit genug überblicken. Er ließ seinen Lappen liegen und trat in die Tür, kniff die Augen gegen das grelle Licht zusammen. Ein Staubteufel tanzte über die Ebene und löste sich auf. Dann sah er den einzelnen Reiter jenseits des Creeks. Er hatte den Hut tief in die Stirn gezogen, und der Braune unter ihm machte einen müden Eindruck.
Der Reiter kam näher, und Chiolo beschlich, während er ihm zusah, ein leichtes Unbehagen. Er war lange genug hier draußen, um diese Typen einschätzen zu können. Dieser da machte auf ihn nicht den Eindruck, als wäre er ein angenehmer Zeitgenosse. Obwohl er den Kopf gesenkt hielt, wirkte er irgendwie angespannt, so, als wäre er beständig auf der Hut vor irgendwas.
Schließlich hielt er unweit des Hauses seinen Gaul an und glitt ohne Hast aus dem Sattel. Chiolo sah, dass er den Revolver auf der linken Seite hoch an der Hüfte trug, mit dem Griff nach vorn, wo er auch im Sattel sitzend schnell erreichbar war. Wie ein Cowboy, der zufällig auf der Durchreise war auf der Suche nach irgendeinem Job sah er nicht aus. Er trug weder Chaps noch Handschuhe. Er bog den Rücken durch und spähte dabei zum Haus hin, ehe er herüber kam.
Chiolo kehrte hinter seinen Tresen zurück, um dort auf den Fremden zu warten. Dieser verdunkelt mit seinem kräftigen Oberkörper für einen winzigen Moment die Türöffnung. Kleine grausame Augen durchforschten unstet aber aufmerksam den Raum und hefteten sich schließlich auf den Mexikaner hinter der Bar, ohne ihren suchenden Ausdruck zu verlieren. Mit einer nachdenklich wirkenden Geste wischte seine Linke über die leicht ins Graue spielenden Bartstoppeln in seinem Gesicht. Dann erst trat er an den Tresen und verlangte nach einem Whiskey, wobei er sich mit den Unterarmen aufstützte.
Ohne etwas zu erwidern stellte Chiolo ein Glas vor ihm hin und goss großzügig ein. Als er die Flasche wieder wegstellen wollte, gab ihm der Fremde mit einer ungeduldig stummen Handbewegung zu verstehen, sie dort zu lassen. Eine dünne Narbe zog sich von seinem linken Mundwinkel bis zum Ohrläppchen hin und war auch unter den Bartstoppeln noch sichtbar.
„War heute schon jemand hier?“, fragte er, nachdem er das Glas geleert hatte und sich selbst wieder eingoss.
„Nur die Kutsche nach Süden“, gab Chiolo Auskunft, obgleich er genau wusste, dass der Kerl was anderes meinte. Er war einer von denen, die immer jemand zu suchen schienen.
„Das meine ich nicht. Reiter. Zwei Reiter. Könnte auch gestern gewesen sein, oder vorgestern. Habe mich etwas verspätet.“
Chiolo überlegte rasch. Er war unschlüssig, ob er reden oder lieber schweigen sollte. Bei solchen Burschen wie diesem Fremden wusste man nie genau, worauf das hinaus lief.
„Kommen hin und wieder Fremde hier vorbei“, sagte er schließlich ausweichend. Unter dem Blick, den der Mann ihm zuwarf, begann er unter den Achselhöhlen zu schwitzen und setzte hinzu: „Vorgestern waren ein paar hier.“
„Zwei Männer?“
Chiolo nickte.
„Wie sahen sie aus?“, wollte der Mann wissen. Es klang fast ein wenig nebensächlich, und er drehte dabei spielerisch das Glas zwischen seinen derben Fingern. Aber Chiolo hatte den Eindruck, dass diese Frage alles andere als unwichtig war.
„So genau schaue ich mir die Leute, die hier vorbeikommen, gar nicht an.“
Der Ausdruck in diesen kleinen grauen Augen wurde eine Spur kälter. Dann drehte der Mann ihm den Rücken zu, als wollte er ihm zeigen, wie wenig er von ihm hielt, schaute wieder aufmerksam im Raum herum und sagte mit leiser Stimme ohne sich ihm wieder zuzuwenden: „Treib keine Spielchen mit mir, Mex. Ich bin überzeugt, dass dir dazu noch was einfällt. Also zieh es nicht in die Länge. Ich mag das nicht.“ Während seiner letzten Worte schlenderte er wie unschlüssig durch den Raum, schaute aber suchend umher. Vor dem Regal, auf dem der Hut lag, blieb er stehen, nahm ihn herunter, drehte ihn in seinen Händen hin und her, und sein Blick kehrte zu Chiolo zurück. „Hat jemand seinen Hut vergessen, wie? Wem passiert wohl so was?“
Chiolo schluckte. Irgendetwas Warnendes lag in diesen an sich ruhig gesprochenen Worten. Zum Teufel, dieser Bursche ist gefährlich. Hat wohl keinen Sinn, was zu verbergen und ihn damit zu reizen.
„Der, dem er gehörte, braucht ihn nicht mehr.“
Der Fremde warf den Hut achtlos auf den Tisch neben sich und kehrte zur Bar zurück. Sein Gesicht mit der fleischigen Nase war zu einer harten Maske erstarrt, die Chiolo einen Schauer über den Rücken jagte. Ihm war ganz plötzlich klar, dass er sich mit seiner Äußerung in eine verdammt unangenehme Lage gebracht hatte. In diesem Moment kam Tina herein, die nach den Pferden im Stall gesehen hatte, und lenkte den Fremden für einen Moment ab. Er schaute sie mit seiner ihm eigenen Aufmerksamkeit an, verlor jedoch rasch wieder das Interesse an ihr, und seine Aufmerksamkeit kehrte stattdessen zu ihm zurück.
„Zwei Männer“, sagte Chiolo unaufgefordert, nickte und musste wieder schlucken.
„Weiter. Und dann? Lass dir nicht die Würmer aus der Nase ziehen.“
„Scheinbar waren sie nur hier gekommen, um auf jemand zu warten.“
„Das weiß ich. Auf mich. Ich will wissen, was dann passierte.“
„No, Senor.“ Chiolo schüttelte den Kopf. „Das müssen zwei andere gewesen sein. Diese beiden, die ich meine haben auf was anderes gewartet.“
„Dieser Hut da hinten“, der Mann deutete mit dem Daumen über die Schulter hinter sich, „gehörte meinem Bruder, und mit dem wollte ich hier zusammentreffen. Also red mir keinen Scheiß vor.“
„Cuento la verdad“, beteuerte Chiolo in hilfloser Verzweiflung. „Ich erzähle die Wahrheit. Diese beiden, die ich meine, haben auf die beiden Mariscales mit jaula gewartet…“
„Mann, rede gefälligst so, dass ich dich verstehen kann.“ Die Geduld dieses Fremden schien mit einem Schlage ein Ende gefunden zu haben. „Los, raus mit der Sprache, sonst…!“
„Sí, sí, schon gut“, beeilte sich Chiolo, hob dabei abwehrend die Hand und nickte aufgeregt mit dem Kopf. Und dann berichtete er von allem, was sich an jenem Abend und dem Morgen danach hier zugetragen hatte.
Die kleinen, bösen Augen schienen sich mit einer Kälte in Chiolos Gesicht hineinzufressen, die ihn frösteln ließ. Die mächtige Brust des Mannes hob und senkte sich unter tiefen Atemzügen. Die letzten Sätze seiner Schilderung brachte Chiolo nur noch stockend heraus.
„Wer war dieser verdammte Sternträger?“, kam es leise und gepresst über die Theke.
Chiolo dachte fieberhaft nach. Maldito, er konnte doch den Mariscal nicht verraten, nicht an so einen Pistolero.
„Den Namen!“ Die Hand des Mannes rutschte von der Bar herunter. Jetzt würde er die Pistola ziehen. Das Frösteln in Chiolos Körper schlug plötzlich in wallende Hitze um, und er schwitzte. Seine Augen starrten sein Gegenüber groß und hilflos an.
„Senor.“ Er machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. „Diese Leute stellen sich nicht bei mir vor. Sie kommen und gehen. Pero no sé, como se llaman – ich weiß nicht, wie sie heißen.“
Der Mann trat einen halben Schritt von der Bar zurück, schnappte plötzlich mit der Linken nach Tina, die gerade wieder nach draußen wollte, und riss sie an sich. In der anderen Hand hielt er seinen Revolver, deren Mündung er mit hartem Druck an Tinas Schläfe presste. Chiolo sah mit Entsetzen, wie ihre Haltung sich versteifte und die Sehnen an ihrem Hals sich spannten, aber sie bewegte sich nicht.
„Also, wie war das mit diesem verdammten Hund von Marshal?“, sagte der Mann kalt und fügte drängend hinzu: „Mann, das ist nur ’ne Rothaut, und mir ist es scheißegal, ob ich ihr das Hirn aus dem Gehäuse pusten muss. Also mach endlich das Maul auf, wenn diese Schlampe dir noch mal ’ne Mahlzeit zubereiten soll.“
Chiolo spürte, wie ihm langsam die Knie weich wurden. „Dios perdoname!“, murmelte er leise vor sich hin. „Gott vergib mir!“, und er dachte dabei, er wird sie umbringen, wenn ich es nicht sage.
„Wie war das?“ Der Kerl mit dem Revolver hielt aufmerksam das Ohr in seine Richtung. „Rede gefälligst lauter!“
„McKai“, hauchte Chiolo tonlos.
„Lauter!“, brüllte der Fremde wütend, und seine Waffe drückte sich fester gegen Tinas Kopf. Ihre Augen flehten Chiolo an.
„Mc… McKai oder McKaye“, stotterte Chiolo.
Der Mann ließ Tina los, die sich hastig nach draußen entfernte, und steckte den Revolver wieder ein. Aber das war nur eine nebensächliche Geste, denn der Blick, mit dem er Chiolo maß, war eine einzige stumme Drohung.
„Wenn ich in Fort Smith keinen Burschen mit diesem Namen finde, dann ist es besser, ihr seid nicht mehr hier, wenn ich zurückkomme.“ Er verharrte noch eine Sekunde in starrer Haltung, dann ging er nach draußen, ohne zu bezahlen. Chiolo folgte ihm vorsichtig, um zu sehen, ob er auch tatsächlich weg ritt.
Draußen sah er Tina, die mit einer Mistgabel in den Händen aus dem Stall kam. Aber sie blieb stehen und senkte die Zinken auf den Boden, als sie sah, dass der Mann zu seinem Pferd ging, sich in den Sattel zog und davon ritt.
Chiolo wischte sich die feuchten Hände an der schmuddeligen Schürze ab, die den unteren Teil seiner Figur bis zu den Knien umhüllte. Mit leicht zusammengezogenen Lidern schaute er dem Reiter nach, der sich langsam und ohne Hast entfernte.
„Vete al diablo“, murmelten seine Lippen kaum hörbar, und seine Nasenflügel blähten sich leicht. Verzweiflung überkam ihn, wenn er an McKaye dachte. Er konnte ihn nicht warnen, nichts für ihn tun. „Dios en cielo, schütze diesen Mariscal. Ich kann ihm nicht helfen“, flüsterte er voll Grimm vor sich hin.
4.
Nick Ashby musterte McKaye mit seinen harten dunklen Augen – dem Blick eines Mannes, der keine Kompromisse kannte. Es gab nur sehr wenige Männer, die mit diesem Nick Ashby auskamen, und er gehörte nicht zu denen.
„Damit wir uns richtig verstehen, McKaye, ich kann meinen Job durchaus allein erledigen. Ich brauche dazu kein Kindermädchen, das auf mich aufpasst. Am allerwenigsten einen Kerl wie dich, der die Flinte ins Korn wirft, wenn es brenzlig wird…
„Wie ich mir meine Zukunft vorstelle, ist allein meine Sache, Ashby. Und das geht dich ’n Dreck an. Damit auch du mich verstehst.“
„Ich bin noch nicht fertig.“ Nick Ashbys Augen schienen sich in McKaye hineinbohren zu wollen. „Der Richter verlangt, dass mindestens zwei zu einer Wagenbesatzung gehören, aber ich bin der Boss des Unternehmens. Ich hoffe, du kapierst das gleich beim ersten Mal.“
Dieser Nick Ashby war ein harter Bursche, das hatten auch andere schon erfahren. Und aus irgendwelchen Gründen schien der ihn nicht zu mögen und war auf Konfrontation aus. Was er damit bezweckte, blieb abzuwarten. Auf jeden Fall würde diese Tour wohl keine Vergnügungsfahrt werden.
„Akzeptiert“, stimmte McKaye zu, hielt den Kopf leicht schief und setzte ein leichtes, unverfängliches Grinsen auf. „Mit einem Partner wie dir wird der Job richtig Spaß machen. Du kannst mich Don nennen.“
Ashby schien ein kleines Stück größer zu werden, und seine Nasenflügel blähten sich leicht auf.
„Wie wär’s, wenn ich dich Pisser nenne, und du hörst darauf?“ fragte er provokant. Vielleicht wollte er nur herausfinden, wie weit er bei McKaye gehen konnte. Dieser erwiderte Ashbys harten Blick auf gleiche Weise, wobei der Rest seines Gesichtes sein Lächeln nicht aufgab.
„Yeah“, meinte er dabei gedehnt, „das wäre dann gewiss das erste Mal. Aber dieses erste Mal wird es nicht geben, denke ich.“
Eine Sekunde lang prallten ihre Blicke aufeinander wie zwei kämpfende Stiere, von denen keiner nachgeben wollte.
„Nun, wir werden sehen“, murmelte Ashby schließlich und zeigte mit dem Finger auf McKayes Brust. „Aber eines solltest du noch wissen bevor wir losfahren. Ich bin schon mit vielen da draußen gewesen, und die cleveren sind mir nicht in die Quere gekommen. Die anderen aber kamen in schlechterem Zustand zurück als die Gefangenen. Vergiss es ja nicht, oder die nächsten Tage werden die längsten in deinem ganzen erbärmlichen Leben werden. So, jetzt befördere deinen Hintern endlich auf den verdammten Wagen!“
Nick Ashby hatte bereits den Reiseproviant unter dem Sitz verstaut, und sie konnten ohne weitere Verzögerung aufbrechen. McKaye war es recht, je eher sie diesen Scheißjob hinter sich hatten, desto besser. So langsam setzten sich gewisse Vorstellungen und Träume in ihm fest, die von seinem Leben handelten, wenn er diesen Stern endlich abgelegt hatte: Eine kleine Ranch irgendwo und Rinder und Pferde züchten. Noch waren es wohl romantisch verklärte Vorstellungen, aber mit irgendetwas musste die Zukunft ja anfangen.
Ashby nahm die Zügel und setzte das Maultiergespann in Bewegung. McKaye saß neben ihm mit einer Winchester 73 auf dem Schoß und behielt wachsam die Gegend im Auge. Es kam immer wieder vor, dass sie von irgendwelchen Leuten beschossen wurden, die Richter Parker und dessen Gesetze nicht mochten. Der Wagen rumpelte über den harten Weg, und keiner der beiden Männer sagte ein Wort. Das Land war trocken, und der heiße Wind trieb hier und da einen Staubteufel, einen dieser winzigen Wirbel, in die Höhe.
Um die Mittagszeit gönnten sie den Tieren eine Stunde Rast und ließen sich währenddessen im Schatten des Wagens nieder, um etwas zu essen. Dann ging es weiter, und am Abend lagerten sie am Ufer eines flachen Wasserlaufes, der nach Norden floss, um sich dort irgendwo mit den Fluten des Arkansas zu vereinen. Ashby holte den Proviant vom Wagen, und McKaye hatte es übernommen, Feuer zu machen. Sie hatten noch etwas Salzfleisch, das sie kochen konnten, und Brot dazu. Das Schälen von Kartoffeln konnten sie sich somit noch sparen.
Nach dem Essen stopfte Ashby seine Pfeife und setzte den Tabak in Brand. Er paffte eine Weile vor sich hin und beobachtete seinen Gefährten auf der anderen Seite des Feuers. Dann sagte er plötzlich ohne jegliche Einleitung: „Hast Angst bekommen, als Pibuster ins Gras beißen musste, wie?“
McKaye schenkte ihm zunächst nur einen verwunderten Blick, doch dann entgegnete er: „Nein. Mein Entschluss, den Dienst zu quittieren, stand schon lange vorher fest. Irgendwann muss man mal anfangen, an sich selbst zu denken.“
„Dann hattest du schon vorher die Hosen voll.“
McKaye holte eine Fleischfaser zwischen seinen Zähnen hervor und spuckte sie aus.
„Ich kann nicht erst als alter Mann damit anfangen, mir ein eigenes Leben aufzubauen. Und Gesindel hinter Gitter zu bringen ist doch keine Lebensaufgabe, zumal, wenn man sieht, dass es nicht weniger damit wird.“
Ashby murmelte daraufhin etwa Unverständliches, und damit schien das Thema abgehakt zu sein.
Die Nächte sind meistens kalt in dieser Gegend, und die beiden Männer waren froh, als endlich das Feuer wieder brannte. Ashby holte noch die letzten paar Eier, die sie mitgenommen hatten, aus der Vorratskiste, und sie brutzelten zusammen mit dem Speck in der Pfanne, als endlich die Sonne über die Bergausläufer im Osten empor stieg und deren Zinnen über einen kurzen Zeitraum hinweg golden aufflammen ließ. Mit einem Becher heißen Kaffee in der Hand ließ sich der Tag dann auch ganz versöhnlich an. Sie brachen auf und fuhren mit der aufsteigenden Sonne schräg im Rücken an den nördlichen Ausläufern der Quachita Mountains entlang. Der Wagen rollte schwankend über das unebene Land, und mit dem Ansteigen der Sonne, stieg auch die Temperatur. Es wurde unangenehm heiß, und da sie gegen Mittag eine kleine Baumgruppe erreichten, die etwas Schatten versprach, hielten sie dort an und dehnten ihre Pause ein wenig länger aus als sonst.
Als sich die Sonne schließlich mit einem letzten Aufbäumen des schwindenden Tages in eine langgestreckte Wolkenbank versenkte, die dicht über dem Horizont schwebte, hob McKaye den Kopf an und blinzelte mit müden Augen in den rotgoldenen Schein. Irgendein Geruch lag in der Luft, kaum zu spüren, aber etwas Wohltuendes lag darin, was noch nicht genau zu identifizieren war.
„Riechst du’s auch?“, wandte er sich an Ashby. Dieser hob schnüffelnd die Nase und nickte dann.
„Riecht so, als wären wir nicht allein hier“, meinte er. „Und es riecht verdammt gut, zieht wie’n Engelsfurz durch die Nase.“
McKaye schnüffelte ebenfalls in der Luft herum. „Der Engelsfurz duftet nach dem Rauch eines Feuers und bratendem Fleisch, scheint mir.“
Als sie mit dem Wagen um eine flache Felsformation herumkamen, gewahrten sie vor sich das Lager eines einzelnen Mannes, der etwas über seinem Feuer briet, das beim Näherkommen wie ein Kaninchen aussah. Es konnte natürlich auch ein kleiner Hund sein. Doch Hunde waren hier in der Gegend bestimmt seltener. Das Pferd, ein gepflegter Grauschimmel, graste etwas abseits.
Ashby brachte den Wagen zum Stehen und sprang herunter.
Der Fremde war wie ein Cowboy gekleidet, obwohl seine Ausrüstung und sein Sattel dafür etwas zu teuer aussahen. Er trug verzierte Stiefel und einen Remingtonrevolver mit Elfenbeingriff und hatte sich seinen teuren Kalispell-Hut weit nach hinten geschoben. Eine neue Winchester lag neben ihm in Griffnähe. Er verhielt sich den Ankömmlingen gegenüber selbstsicher und sorglos, blieb an seinem Feuer hocken und drehte langsam seinen Braten, den er auf einen Stock gespießt hatte, neben den Flammen herum.
„Hallo, dort am Feuer“, begrüßte Ashby den Mann, der zu ihnen hinschaute ohne darauf zu reagieren, wenn man mal von einem abschätzenden, nicht gerade sehr freundlichen Blick absah, mit dem er die beiden Männer und den Wagen musterte, als McKaye gerade vom Bock herunter kletterte und seine steif gewordenen Glieder reckte.
„Einer von diesem Richter Parkers rollenden Knastwagen“, sagte der Mann schließlich, wobei der Klang seiner Stimme jegliche Sympathie vermissen ließ. „Hab schon davon gehört, aber noch nie einen gesehen. Tumbleweed-Wagen, nennt man die Dinger, weil sie überall im Lande herumschwirren. Habt ihr vielleicht schon ein Vögelchen da drin?“
„Bis jetzt noch nicht. Aber manche sind ganz wild darauf mitzufahren.“
„Ich nicht.“
McKaye setzte ein versöhnliches Grinsen auf. Mit manchen Leuten musste man eben erst warm werden. „Riecht so, als kämen wir gerade zur rechten Zeit.“ Aber die Miene des anderen wurde auch durch diese Worte nicht freundlicher.
„Klingt so, als spekulierten Sie auf meinen Braten, Mister.“
„Nun, wenn…“, wollte Ashby gerade ansetzen, aber der Mann am Feuer schnitt ihm mit seiner Klarstellung das Wort ab. „Ein Kaninchen ist gerade genug für einen hungrigen Mann, Mister. Nicht für drei. Falls Sie noch was anderes zur Mahlzeit beizusteuern haben, könnten wir allerdings darüber reden.“
„Darüber reden?“ Ashby baute sich drei Schritte vom Feuer entfernt auf. „Von Gastfreundschaft scheinen Sie nicht viel zu halten, Mister.“
Der Mann hob den Kopf, und diesmal grinste er, aber es lag weder Humor noch sonst etwas Positives darin.
„Ich sehe hier keine Gäste, nur zwei abgerissene Sternträger.“
„Von mir aus kann Ihnen Ihr verdammtes Kaninchen im Hals stecken bleiben“, reagierte Ashby cholerisch. „Ich werde jedenfalls nicht darum betteln.“
„Dann tun Sie’s doch nicht.“
„He, wollen Sie sich vielleicht mit uns anlegen?“, fragte Ashby drohend. Aber das konnte den anderen nicht im Mindesten beeindrucken. Seine Augen, mit denen er Ashby musterte, erstarrten in plötzlicher Kälte. Er drehte mit ruhigen Bewegungen den Braten mit der linken Hand weiter, während die rechte unauffällig in Richtung Revolver verschwand, den er griffbereit an der Hüfte trug. „Ich kann mich nicht erinnern, Mister, Sie hergebeten zu haben. Und es ist mir scheißegal, was sie von mir denken. Von mir aus können Sie sich mitsamt ihrer dämlichen Karre zur Hölle scheren.“
Nick Ashbys Augen wurden zu schmalen Schlitzen, und McKaye näherte sich ihm rasch von hinten. Eine Schießerei mit diesem Fremden war das letzte, worauf er Lust hatte.
„Komm!“, sagte er beschwichtigend. „Wir haben selbst genug zu essen, und Platz gibt es anderswo auch genügend.“
Nick Ashby konnte seine Augen von dem Kerl am Feuer nicht lösen. „Vielleicht begegnen wir uns noch mal unter anderen Umständen, Fremder“, sagte er mit schmalen Lippen. „Dann werde ich mich an dein Gesicht erinnern.“ Er folgte McKaye, der ihn am Arm fortzog, widerstrebend zum Wagen. Dort riss er sich wütend von dessen Griff los, und beide erklommen ihre Sitze. McKaye nahm die Zügel, und Ashby warf dem Mann am Feuer noch einen bösen Blick zu, spuckte einmal dicht an Bodenbrett vorbei, ehe er sich zurücklehnte.
„Gibt einfach keine Gastfreundschaft mehr unter diesen Strolchen“, knurrte er vor sich hin.
„Hoah!“ McKaye trieb die Mulis vorwärts und ließ die Zügel auf ihre Rücken klatschen. Dann drehte er das Gesicht wieder Ashby zu.
„Vielleicht liegt es auch an dir. Sieht ganz so aus, als könntest du nicht besonders gut mit Menschen umgehen. Und dass wir häufig angefeindet werden, wenn wir mit diesem Wagen unterwegs sind, musst du doch gewöhnt sein. Nicht alle Leute freuen sich über Ike Parkers strenges Regiment.“
„Mit Sattelstrolchen wie dem werde ich schon noch fertig. Gehören alle in Ketten gelegt, diese Burschen.“
„Wir haben keinen Haftbefehl gegen ihn“, meinte McKaye sachlich, und als Ashby nichts darauf erwiderte, fuhr er fort: „Du bist nur noch den Umgang mit Männern gewöhnt, die Ketten an Händen und Füßen tragen.“ Er warf einen raschen Seitenblick auf seinen Gefährten. „Und weil ich nicht auch so werden möchte, höre ich lieber vorher auf damit.“
Nick Ashby starrte ihn von der Seite her an. „´ne schöne Rede hast du gehalten, Deputy-Marshal McKaye. Den Applaus spare ich mir. Und jetzt sieh zu, dass du den Wagen nicht zu Bruch fährst!“
Ein im Wege liegender Stein hatte das Gefährt hin und her schaukeln lassen, und Ashby musste seine Füße spreizen, um nicht gegen ihn geworfen zu werden.
Sie machten neben dem gleichen Wasserlauf Halt wie am Vorabend, doch war er hier nur noch ein schmales Rinnsal. Weder McKaye noch Ashby erwähnten den Vorfall noch einmal, und als sie am nächsten Morgen ihre Fahrt fortsetzten, schien die ganze Sache vergessen zu sein.
5.
Der Reiter hielt kurz sein Pferd an und schob sich den Hut etwas weiter nach hinten, als er den fernen Ton einer Dampfsirene vernahm, die irgendwo von Arkansas herüber klang. Es war also nicht mehr weit.
„Los weiter“, brummte er, und drückte dem Braunen leicht die Sporen in die Weichen. Bald schon kam die Stadt in Sicht. Er war noch nie in Ft. Smith gewesen und hatte sich den Ort ganz anders vorgestellt. Die Gebäude der alten Garnison, an denen langsam aber sicher der Verfall nagte, zogen seinen Blick auf sich, dann überflog er das Gewirr der Häuser zwischen denen es wimmelte wie auf einem Ameisenhaufen. Er hatte nicht gedacht, dass diese verdammte Stadt so groß war. Aber das würde ihn nicht von dem abhalten, was er hier zu tun hatte, auch nicht der Ruf, der von Richter Parker und dessen Marshals ausging. Mochte allesamt der Teufel holen. Er hatte sich bislang stets auf seine schnelle Entschlusskraft, seine Skrupellosigkeit und sein Glück verlassen können.
Als er die Garrison Avenue entlang ritt, musste er einem Negerburschen ausweichen, der etwas über die Straße schleppte und ihn hinter der Last auf seiner Schulter nicht gesehen hatte. Er fluchte und trat mit dem Fuß nach ihm, verfehlte ihn jedoch. Überall waren Leute unterwegs, mit Fuhrwerken, Handkarren oder zu Fuß. Ein paar aufgetakelte Ladies warfen ihm verführerische Blicke zu. Aber er kümmerte sich nicht darum. Er hatte etwas anderes vor.
War wohl nicht so einfach, wie er gedacht hatte, in einer solchen Stadt einen bestimmten Mann zu finden. Eine Weile ritt er ziellos herum, dann entschied er sich für den Saloon mit der viel versprechenden Inschrift House of Lords, die auf einer großen Tafel prangte. In einem Saloon war am ehesten etwas zu erfahren.
Das Licht hier drinnen war, im Gegensatz zu draußen, leicht schummrig. In einem Regal hinter der langen Bar schimmerte gläsern eine ganze Batterie von Flaschen. Der Keeper wischte mit einem Lappen an einem Glas herum, hielt es gegen das von draußen hereinfallende Licht, hauchte es dann an und putzte weiter. Von dem Fremden, der hereingekommen war, nahm er nur mit einem kurzen Blick Notiz. Auf der anderen Seite der Bar lungerten zu so früher Stunde nur wenige Gäste herum.
Der Mann stellte sich etwas abseits von einigen Cowboys, die sich angeregt unterhielten, an die Bar, stützte seine Unterarme auf das glatte, dunkle Holz, und wartete bis der Keeper zu ihm kam.
„Whiskey“, verlangte er kurz angebunden, und als der Barmann ein Glas hervorholte und eingoss, schaute er sich in dem Raum um. Auch an den Tischen war nicht viel los. Nur an einem von ihnen hockten fünf Männer und spielten Karten.
Er nahm das Glas und leerte es in einem Zug, stellte es dann wieder hin, zeigte mit dem Finger darauf und nickte dem Barmann zu. Der goss noch einmal ein und wandte sich dann einem anderen zu, der etwa zwei Schritte entfernt stand.
„McKaye hat dich ganz schön zugerichtet, Canahan, wie?“, hörte er ihn sagen, und der Name McKaye zog sofort seine Aufmerksamkeit auf sich. Aus den Augenwinkeln sah er das schiefe Grinsen im Gesicht des Barmannes und hörte den anderen zornig erwidern: „Der Misthund kommt ja wieder zurück. Und dann, wenn er seinen verdammten Stern abgelegt hat, werde ich ihn auseinandernehmen und in hässliche kleine Teile zerlegen.“
Er wandte langsam den Kopf und sah einen Kerl, der etwa einen halben Kopf größer war als er selbst. Die hochgekrempelten Ärmel seines gestreiften Hemdes gaben kräftige behaarte Unterarme frei. Er trug keinen Hut, und sah aus wie ein Handwerker oder Fuhrknecht. Seine Statur ließ einige Körperkräfte vermuten, doch die Schwellungen in seinem Gesicht, die ein interessantes Farbenspiel angenommen hatten, ließen die Vermutung zu, dass er sich mit seiner Ankündigung ziemlich viel vorgenommen hatte. Des Weiteren war dieser Äußerung zu entnehmen, dass McKaye zurzeit nicht hier war.
Der Fremde erstickte seine Enttäuschung unter einem tiefen Atemzug. Als der Barmann sich schließlich nach einigen belanglosen Gesprächsfetzen anderen Gästen zuwandte, schob er sich zu dem Kerl mit dem Namen Canahan hin.
„Dieser McKaye ist nicht gerade ein Freund von dir, wie?“ Als Canahan nicht darauf reagierte und ihm lediglich einen knappen Seitenblick gönnte, fuhr er fort: „Meiner auch nicht. Habe noch was mit ihm abzumachen, was ihm ganz sicher nicht gefallen wird.“
„Ist nicht hier“, grunzte Canahan in Richtung der Flaschen in dem Regal.
„Hm, habe ich schon mitgekriegt. Und weißt du, wo er ist?“
Jetzt drehte Canahan sich langsam zu ihm herum. „Wer will denn das wissen?“
„Ich. Mein Name ist Boyle. Carter Boyle“, sagte er in einem Ton, als wäre er eine Berühmtheit.
Canahan musterte weiter Boyles Gesicht. Die leicht heruntergezogenen Mundwinkel verliehen seinen Zügen einen ständigen Ausdruck von Missbilligung, und die dünne Narbe, die vermutlich von einem Messer hinterlassen worden war, versuchte sich unter wuchernden Bartstoppeln zu verstecken. In der Tat hatte er diesen Namen schon gehört, wusste aber nicht mehr in welchem Zusammenhang. Wahrscheinlich irgend so ein Revolverkünstler, der sich für wer weiß was hielt. Solche Burschen trieben sich immer wieder hier rum.
„Boyle, hmhm“, gab er wenig interessiert von sich.
„Nie gehört, wie?“
„Möglich – vielleicht.“
„Nun, wie auch immer, wir haben wohl beide den gleichen Kerl im Visier.“
Canahans Blick rutschte an der Gestalt des Mannes neben sich hinab.
„Wie ich schon sagte: Er ist nicht hier. Ist unterwegs. Irgendwelche Galgenvögel einsammeln, wie es sein Job ist – noch.“
„Und du weißt nicht, wo er sich da rumtreibt?“
Canahan zuckte mit den breiten Schultern und wandte sich wieder der Bar zu. „Keine Ahnung“, sagte er, ohne Carter Boyle noch weiter anzusehen. „Aber er kommt ja wieder.“ Als Boyle darauf nichts erwiderte, wandte er ihm wieder sein Gesicht zu. „Aber damit eins klar ist: Ich habe die ältere Verabredung mit ihm. Erst wenn ich mit ihm fertig bin, kannst du ihn haben – jedenfalls das, was dann noch von ihm übrig ist.“
Boyle blickte mit leichter Ironie in dieses zerschlagene Gesicht, und er brauchte sich wohl deshalb keine Gedanken machen. Er würde diesen McKaye schon noch ziemlich vollständig vor seine Mündung kriegen, und es würde wohl auch noch genügend Leben in ihm sein, um es auslöschen zu können.
„Ich kann warten“, sagte er. „Und darauf sollten wir was trinken.“ Er winkte dem Keeper.
Als Carter Boyle wieder draußen war, schaute er doch ein wenig verdrießlich die Straße entlang. Er musste wohl oder übel noch etwas hier bleiben. Er würde sein Pferd in einem der Mietställe unterbringen und sich ein Zimmer in einem Hotel nehmen müssen. Sei’s drum. Ft. Smith ist kein Ort, an dem man sich langweilt, dachte er bei sich, aber eine Schlangengrube von verdammten Sternträgern mit einem fanatischen Richter, der den Galgen vor seinem Büro hat. Wenn alles vorbei war, würde er schnell verschwinden müssen.
6.
Gegen Mittag wurde vor den beiden Marshals, die mit ihrem Wagen unterwegs waren, eine großflächige Staubwolke sichtbar, die sich beim Näherkommen als eine Bisonherde entpuppte, die nach Nordwesten zog. Eine gewaltige Herde, deren dunkle, zottige Individuen mit ihren gewölbten Buckeln das Land bedeckten, so weit das Auge reichte.
„Halt an!“, knurrte Ashby missgelaunt. „Habe keine große Lust, dazwischen zu geraten.“
McKaye zog fluchend die Zügel straff. „Verdammt, das kann ´ne Weile dauern. Wusste gar nicht, dass es noch so viele davon gibt.“
„Weiter im Norden haben sich die Herden schon beträchtlich gelichtet, da wo die Eisenbahn die Sonntagsjäger ins Land bringt. Aber die Südherde soll noch ziemlich intakt sein. Jetzt kommen die professionellen Jagdtrupps immer weiter nach Süden. Vor ein paar Jahren schon ist es bei Adobe Walls zu einer Auseinandersetzung zwischen Bisonjägern und Comanchen und Kiowas gekommen. Stone Calf soll sich dabei aber ´ne ziemlich blutige Nase geholt haben.“
„Ach ja“, nickte McKaye, „habe davon gehört.“ Er schaute zu Ashby hin. „Und jetzt?“
„Müssen warten.“ Ashby ließ seinen Blick an der dunklen Masse der Herde entlang gleiten. „Ausweichen hat wenig Sinn, also machen wir hier Rast.“
Die Sonne brannte fast senkrecht von einem blassblauen, dunstbeladenen Himmel herab, und McKaye lenkte den Wagen zu einer einzeln stehenden Eiche hinüber, wo es ein wenig Schatten gab. Die Vibration, die von unzähligen stampfenden Hufen ausging, war bis hierher im Boden zu spüren, begleitet von dumpfem Brüllen, das fast nie abriss.
„Nur gut, dass diese Viecher nicht grasen, sondern ziehen“, meinte Ashby, „sonst könnten wir drei Tage hier festsitzen.“
Aber die Stunden vergingen und der Tag zog ebenso zäh wie jene Herde dahin, ohne dass sich das Bild vor ihnen änderte. Und immer öfter hörte man einen der beiden Männer fluchen. Der Schatten des Baumes, unter dem sie lagerten, machte sich auch langsam davon und die Sonnenstrahlen verloren ihre sengende Kraft während der Glutball sich allmählich dem westlichen Horizont näherte.
„Das wär’s dann wohl für heute“, resignierte McKaye irgendwann, und Ashby schenkte ihm einen mürrischen Blick, widersprach aber nicht, hob nur lauschen den Kopf und kniff dann die Augenlider zusammen. Auch McKaye hörte es jetzt. Ein dumpfes Krachen, das ständig näher zu kommen schien.
„Schüsse.“ Er war sich ziemlich sicher, dass es Schüsse waren. Und Ashby nickte bestätigend.
„Die Biester laufen auch schneller, habe ich den Eindruck. Scheinen Jäger zu sein, die mit der Herde ziehen. Hört sich verdammt nach diesen schweren Sharps-Gewehren an.“
McKaye zuckte mit den Schultern. „Ist wohl besser, wir richten uns hier für die Nacht ein. Ich mache schon mal Feuer. Falls es tatsächlich Bisonjäger sind, können wir bestimmt von ihnen etwas Frischfleisch bekommen.“
Ashby knurrte etwas vor sich hin, das ebenso Zustimmung wie Ablehnung sein konnte, machte sich aber daran, die Mulis auszuspannen.
Plötzlich wurde die Herde schneller, das dumpfe Brüllen schwoll an und irgendeine Panik schien sich der Tiere zu bemächtigen. Von weiter hinten entstand ein Schub, der zu einem chaotischen Durcheinander führte. Das Grummeln der Hufe wurde zu einem Donnern, und der Staub verdichtete sich. Die Gewehrschüsse blieben aus.
„Jetzt haben die Biester endlich mitbekommen, was mit ihnen geschieht“, bemerkte McKaye und fügte enttäuscht hinzu: „Aber uns nützt das nichts mehr. Für heute ist der Tag gelaufen.“
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis das Ende der Herde in Sicht kam und aus dem sich langsam verziehenden Staub, tauchten einige Wagen auf, wie sie die Häutejäger benutzten, jeder von vier Ochsen gezogen. In etwa zweihundert Yards Entfernung hielten sie an, und Männer begannen damit, ein Lager einzurichten und Stangengestelle aufzubauen, zwischen denen sie Leinen zogen.
„Daran hängen sie die Zungen zum Trocknen auf“, erklärte Ashby. „Habe so was schon öfter gesehen. Sie nehmen nur die Zungen und Fleisch soviel sie gerade selbst brauchen. Das andere überlassen sie den Geiern und Coyoten.“
McKaye starrte aus zusammengekniffenen Augen zu den Bisonjägern hinüber. Auch er hatte schon von diesen Praktiken gehört. Seit man eine industrielle Lederverarbeitung entwickelt hatte, war der Hunger nach Bisonhäuten zu einer ernsten Gefahr für den Tierbestand geworden. Doch wer kümmerte sich darum? Im Gegenteil, der Militärführung, in der sich gerade General Phil Sheridan besonders hervortat, unterstützte die Ausrottung der Bisons, um den Plainsstämmen die Lebensgrundlage zu entziehen und sie dadurch gefügig zu machen.
Als die Sonne den Horizont berührte, hatte man wohl ihr Feuer bemerkt, und einer der Männer kam zu ihnen herüber. Ein bärtiger Kerl mit einem Schlapphut und einem runden Gesicht mit einer geröteten, etwas zu fleischigen Nase und dem emotionslosen Blick eines Bernhardinerhundes. Er steckte in einer knielangen Jacke aus Büffelleder, trug eine schwere Sharps-Rifle in der Armbeuge, und seine massive Gestalt wurde von einem Patronengurt umschlungen. Ein weiterer solcher, der jedoch bereits leer war, hing schräg über Schulter und Brust.
„Hallo am Feuer.“ Er hob zum Gruß den rechten Arm kurz an. „Sieht so aus, als hätten die verdammten Bisons euch den Weg versperrt.“
„Yeah, haben sie“, sagte Ashby einsilbig.
„Man nennt mich Belly. Ist nicht mein richtiger Name, tut aber nichts zur Sache. Wenn man von Belly spricht, weiß jeder, der mich kennt, wer gemeint ist.“ Er warf einen neugierigen Blick auf den Wagen im Hintergrund und kam um das Feuer herum. „Habe schon von diesen rollenden Gefängnissen gehört, bin aber noch nie einem begegnet.“ Er ging zum hinteren Teil des Wagens und spähte hinein. „Noch keinen von diesen Halunken erwischt, wie?“ Er kam zum Feuer zurück, ließ sich unaufgefordert daran nieder und legte das Gewehr neben sich. „Richter Parker ist ein berühmter Mann geworden, jeder hier im Land kennt mittlerweile seinen Namen. Manche bewundern ihn und andere fürchten und hassen ihn.“
„Und zu welchen gehörst du?“, fragte Ashby ziemlich direkt.
„Natürlich zu seinen Bewunderern. Wir brauchen hier jemanden der eisern durchgreift. Als ich früher weiter im Norden jagte, da musste man vor den Rothäuten auf der Hut sein. Hier im Süden wäre es ein sorgloses Leben, wenn das Gesindel nicht wäre, das dauernd am Häutegeschäft mitverdienen will, ohne zu arbeiten. Man sollte sie alle in Ketten legen oder aufhängen.“
„Wir tun ja, was wir können“, knurrte Ashby, und McKaye sagte, um das Thema zu wechseln: „Hattet ihr ´ne gute Jagd heute?“
„Bin zufrieden. Achtzig Abschüsse bevor die Herde in Panik geriet.“
„Kein Wunder bei der Knallerei“, meinte McKaye trocken.
Belly ließ sich zur Seite sinken und stützte sich auf den Ellenbogen. „Das war nicht der Grund. Bisons sind dumme und stoische Biester. Sie lassen sich so leicht nicht aus der Ruhe bringen. Stehen herum, beschnüffeln und bestaunen ein erlegtes Tier, ohne zu begreifen, dass Gefahr droht. Hatte nur das Pech, einen nicht richtig getroffen zu haben, und der brüllte und sprang wie verrückt umher und versetzte alle anderen in Panik. War aber nicht so schlimm, hatte vorher etwa pro Minute ´nen Schuss abgefeuert, und das hält kein Gewehr lange aus. Schließlich wollte ich es nicht ruinieren. Ist mir letztes Jahr schon mal passiert. Da wurde der Lauf bei einem guten Stand, den ich erwischt hatte, so heiß, dass er sich total verzog. Aber das hier“, er strich beinahe zärtlich mit der Hand über die Waffe neben sich, „ist das Feinste, was Sharps bislang auf den Markt brachte. Eine Big Fifty. Die haut ´nen Bison auf ’ne halbe Meile noch von den Beinen.“
„Dann könnten wir ja von euch etwas Frischfleisch bekommen“, machte Ashby einen Vorstoß. „Unser Speck und Trockenfutter wird uns bald schon zum Hals heraushängen.“
„So viel ihr wollt.“ Belly lachte. „Aber ein bisschen müsst ihr den Geiern und Füchsen noch lassen. Die warten nämlich schon drauf, und das ziemlich ungeduldig. Aber ich mache euch noch einen anderen Vorschlag. Was haltet ihr davon, heute Abend meine Gäste zu sein? Es wäre mir eine Ehre, zwei von Richter Parkers Marshals bewirten zu können.“
Ashby musterte ihn über das Feuer hinweg mit einem durchdringenden Blick, als müsste er erst feststellen, ob sein Gegenüber das erst meinte. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über seinen buschigen Schnauzbart und nickte. „Scheint doch noch ´n paar anständige Kerle in diesem Teil des Landes zu geben. Bei unserem Job verliert man schon langsam den Glauben daran, weil wir meistens nur Strolchen begegnen.“ Er warf noch einen raschen Blick auf McKaye, und Belly erhob sich.
„Dann lasst uns gehen, damit unser Camp Rustler sich auf die Anzahl Personen einrichten kann, die er zu beköstigen hat.“
Sie gingen zu Fuß zum Lager der Bisonjäger hinüber, wo außer dem Camp Rustler noch zwei andere Männer damit beschäftigt waren, das Lager einzurichten. Die Gestelle zum Trocknen der Bisonzungen waren noch nicht vollständig aufgestellt.
„Insgesamt habe ich acht Skinner“, erklärte Belly leutselig, „sechs davon sind noch beim Häuten. Erstklassige Leute. Schaffen einen Büffel in vier bis fünf Minuten. So lange sie noch ihre Hände vor sich erkennen können, müssen sie dranbleiben, ehe sich in der Nacht die Coyoten drüber her machen und die Häute verderben.“
Über dem Lager schwebte ein unangenehmer Geruch wie eine Dunstglocke, ein Geruch nach Blut, Verwesung und ranzigem Fett, der nur vom Rauch des Feuers ein wenig gemildert wurde. Der Camp Rustler arbeitete schweigend an einer Klappe hinter dem Versorgungswagen und zerteilte große Stücke Bisonfleisch, bei dessen Anblick McKaye das Wasser im Munde zusammenlief.
Ab und zu hörte man von dort, wo die Abhäuter noch an der Arbeit waren, einen einzelnen Gewehrschuss.
Belly deutete mit dem Kopf in diese Richtung. „Manchmal treffen sie auf ein Tier, das noch nicht tot ist, oder auf ein orientierungsloses Kalb, das gewöhnlich bei der erlegten Mutter bleibt.“
Erst als es völlig dunkel war, erschienen die restlichen Männer von Bellys Mannschaft mit einem weiteren Wagen, der schwer mit Häuten beladen war. Jeder von ihnen trug an seiner Seite eine große, flache Scheide in der drei verschiedene Messer steckten. Die Männer waren völlig verschwitzt und mit verschmiertem Blut und Fett besudelt und brachten eine weitere Wolke von penetrantem Gestank mit, die jedoch den anderen außer den beiden Marshals nicht aufzufallen schien.
Nun ja, dachte McKaye resignierend, davon dürfen wir uns wohl an diesem Abend den Appetit nicht verderben lassen. Und als der Rustler schließlich gewaltige Fleischstücke auf einen Rost über dem Feuer legte, die zischend zu brutzeln begannen, wurde der scheußliche Gestank tatsächlich etwas zurückgedrängt, so dass er fast aus dem Bewusstsein verschwand und von dem angenehmeren Geruch des bratenden Fleisches abgelöst wurde.
Fleisch gab es in Überfluss, und McKaye musste mit Bedauern daran denken, dass sie nur einen winzigen Teil davon mitnehmen konnten, da es unterwegs rasch verderben würde. Gegessen wurde von Zinntellern, indem die Männer mit ihren Messern das Fleisch in mundgerechte Stücke schnitten, die sie aufspießten und vom Messer aßen oder mit den Fingern zum Mund führten.
„Das Marshaldasein hat doch auch mitunter angenehme Seiten“, meinte Ashby zufrieden kauend mit einem provozierenden Seitenblick auf seinen Deputy.
„Falls man dabei am Leben bleibt“, grinste Belly über das Feuer hinweg. „Habe gehört, dass manche nicht länger leben, als die Büffel, die wir jagen.“
Ashby nickte mit vollem Mund, wischte sich über den fettigen Schnurrbart und schickte einen zweiten, diesmal etwas längeren Blick zu McKaye hin. „Deshalb gibt es auch welche, die nach gewisser Zeit die Hosen voll haben.“
McKaye hielt einen Moment mit Essen inne, fuhr dann aber damit fort, ohne etwas darauf zu erwidern. Und Belly meinte: „Kann ich auch niemand verdenken. Ist wohl ’n ziemlich harter Job, sich dauernd mit Gesindel herumzuschlagen, und obendrein noch schlecht bezahlt.“
„Jeder tut eben das, was er für richtig hält“, knurrte Ashby über seinen Teller hinweg.
Am nächsten Morgen wurde zeitig aufgebrochen, um die versäumte Zeit wenigstens teilweise einzuholen. Ashby war wie gewöhnlich einsilbig und mürrisch. Nach dem gestrigen opulenten Mahl fiel das Frühstück etwas bescheiden aus, und sie machten sich unverzüglich auf den Weg.
Im Lager der Bisonjäger war gerade Ernie der Camp Rustler auf den Beinen, die anderen lagen noch, nach dem vergangenen arbeitsreichen Tag, in ihre Decken gehüllt. Er winkte ihnen zu, als sie vorbeifuhren.
Belly hatte erzählt, dass sie noch hier bleiben würden. Sie seien bereits einige Tage an dieser Herde dran gewesen und benötigten jetzt mehrere Tage, um die Häute und Zungen zu trocknen, und hätten dann wahrscheinlich auch die Kapazität ihrer Wagen ausgeschöpft. Zweihundert Häute war etwa das, was ein Wagen fassen konnte.
Ein Stück vom Lager entfernt wurde der Gestank beinahe unerträglich, und die beiden Marshals zogen ihre Halstücher über Mund und Nase. Sie hatten die Stelle erreicht, wo die abgehäuteten Kadaver gestern bereits einige Zeit in der Sonne gelegen hatten, und das Gesumme der großen Schmeißfliegen mischte sich unter das Gekrächze der Geier, die trotz der frühen Morgensunde bereits zahlreich versammelt waren, sich um die besten Plätze stritten und sich schließlich beim Näherkommen des Wagens protestierend in die Luft schwangen. Coyoten schlichen lautlos herum. Bisonfleisch schien keinen Wert in diesem Lande darzustellen – jedenfalls nicht für die Weißen.
„Manchmal kann ich die Rothäute verstehen, wenn sie den Bisonjägern die Skalps über die Ohren ziehen“, murmelte McKaye unter seinem Halstuch hervor. Ashby grunzte etwas, das er nicht verstehen konnte.
Sie ließen diese unfreundliche Gegend bald hinter sich, und die Tage schleppten sich träge und heiß dahin. Eine Zeit, die neben dem wortkargen Nick Ashby, mit dem keine zwanglose Unterhaltung möglich war, zu einer höllischen Durststrecke für das Gemüt wurde. Und manchmal fluchte Donald McKaye lautlos in sich hinein, wenn er daran dachte, dass man dies alles wegen eines einzigen Gefangenen auf sich nehmen musste. Aber irgendwann erreichten sie Caddo und rollten mit ihrem Wagen von den Leuten in der kleinen Stadt neugierig begafft die staubige Main Street entlang.
7.
Vor dem Sheriffs Office lungerte ein dürrer Kerl mit einer schmalen, gebogenen Nase herum, dessen lässige Haltung sich straffte, sobald er das heranrollende Fahrzeug erblickte. Er zog sich mit einer kurzen Bewegung seiner linken Hand den zerbeulten Hut etwas weiter in die Stirn und kniff die Augen zusammen, wohl um genauer sehen zu können. Dann kicherte er in einem hohen Meckerton vor sich hin, spuckte einen Strahl Tabaksaft in gekonnter Manier über das Geländer der Veranda, zog seinen Revolvergurt mit einer nervösen Geste hoch und schlurfte ins Haus.
„Sie kommen“, verkündete er mit erwartungsvoller Heiterkeit, so als stünde ihm ein Riesenspaß bevor auf den er schon lange gewartet hatte. Ein zur Bulligkeit neigender Mann mit einem Stern an der Weste, die sich unter seinen fülligen Achselhöhlen zusammenpresste und wie eine Wurstpelle zu den Schultern hinaufzog, hatte es sich hinter einem breiten Schreibtisch bequem gemacht. Jetzt nahm er fast bedächtig das angespitzte Streichholz aus dem Mund, mit dem er nach irgendwelchen Resten seines Mittagessens gefahndet hatte. Ein schadenfrohes Grinsen zog sein Gesicht in die Breite. Er nahm mit etwas schwerfälliger Bewegung die stämmigen Beine von dem leeren Stuhl neben sich und stand auf.
„Na endlich. Wird Zeit, dass wir dieses Biest loswerden. Jetzt kann der Richter in Fort Smith seine Freude daran haben.“
Ein krächzender Laut kam von dem dürren Burschen, der sich wie eine Mischung aus Bedauern und Gleichgültigkeit anhörte. „Ich fand’s mitunter ganz interessant. Was passiert denn hier sonst schon?“, sagte er gedehnt, während draußen der Tumbleweed-Wagen mit dem Gitterkäfig zu Stehen kam und neben McKayes von Hitze und Trockenheit heiserer Stimme auch eine Wolke gelblichen Staubes hereindrang. „Bin nur gespannt, was die für Augen machen werden.“
Der Rest jenes schadenfrohen Grinsens stand noch immer in Sheriff Busters Zügen, als Nick Ashby sich durch die Menge der umstehenden Gaffer schob und hereinpolterte. McKaye machte noch die Bremse fest und folgte sogleich nach.
Busters Blick verweilte kurz auf Ashbys Marshalstern, und er sagte: „Richter Parkers lange Arme, wie?“
Ashbys dunkle Augen hefteten sich mit geradezu unangenehmer Intensität auf ihn, so als müsste er ergründen, ob diese Bemerkung abfällig oder lobend gemeint war. Dann nickte er dem Sheriff knapp und distanziert zu. „Wir sollen hier einen Gefangenen übernehmen.“
„Einen Gefangenen“, wiederholte der dürre Hanky von der Seite, so als belustigte ihn dieses Anliegen ungemein.“
Ashby warf ihm einen strengen, prüfenden Blick zu, und auch McKaye, der hinter ihm hereingekommen war, konnte sich eines komischen Gefühls ob dieser Heiterkeit nicht ganz erwehren. Irgendwas schien hier nicht ganz so zu sein, wie man es erwartete. Er blickte forschend in Sheriff Busters grinsendes Gesicht und fragte: „Ist was mit dem Gefangenen?“
Der Sheriff richtete sich zu seiner vollen Größe auf, die immerhin beachtlich war. „Nun, ich denke, Sie werden Ihre Freude daran haben. Hanky wird ihn holen. Wir können inzwischen die Formalitäten erledigen.“
Das klang gerade so, als redete der Kerl um irgendeinen heißen Brei herum, und der Sheriff kramte dabei in einem unordentlichen Stapel von Papieren herum und zog schließlich eines davon heraus, das er über den Tisch zu Ashby hin schob. „Sie brauchen mir nur die Übernahme bestätigen, dann gehört der Gefangene Loomis Ihnen.“
Der Name dieses Gefangenen kam mit einer genüsslichen Befriedigung aus Busters Mund.
„Mach du das“, sagte Ashby zu McKaye. Und während dieser seinen Namen auf das Papier schrieb, beobachtete er das Gesicht des Sheriffs. Da war auch noch etwas in dessen Augen – ein gewisser hinterhältiger Schalk – der ihm gar nicht gefiel, und Ashby bekam langsam das Gefühl, Opfer irgendeines bösen Streiches zu werden.
„Also was ist da faul bei der Sache“, fragte er mit einem leicht drohenden Unterton in der Stimme, und sein Blick signalisierte, dass er zu Späßen, gleich welcher Art, er nicht aufgelegt war. Sheriff Buster hob mit gleichgültiger Geste die massigen Schultern, während hinter den beiden Marshals Schritte heranschlurften.
„Da ist er“, verkündete Hanky mit heiterer Genugtuung und ließ seinen Worten ein meckerndes Lachen folgen, das seine gelben Zähne sichtbar machte. Aber es war mehr der schadenfrohe Klang seiner Stimme, der die beiden Gesetzesvertreter gleichzeitig veranlasste, sich augenblicklich umzudrehen.
Beide starrten die Frau an, die Hanky hergebracht hatte. Sie trug eine grüne eng anliegende Bluse und einen weiten langen Rock. Ihr goldblondes Haar schimmerte im hereinfallenden Licht. Ihr Gesicht sah etwas blass aus, aber die Augen waren blau und strahlend und so groß, dass man den Eindruck gewann, man könnte hineinfallen und darin versinken, falls man nicht auf sich achtgab.
Nick Ashby hatte sich als erster wieder unter Kontrolle. Er fuhr zu Buster herum. Seine Lippen verschwanden vollkommen unter dem buschigen Schnurrbart, und er bewegte sie kaum, als er herauspresste: „Wir haben eine lausige Strecke in Hitze und Staub hinter uns, Mann! Hören Sie also auf mit Ihren verdammten Spielchen! Wir sollen hier einen Gefangenen namens Billy Jo Loomis abholen. Also holen Sie ihn, verdammt noch mal, her!“
Das Grinsen in Busters Gesicht bekam eine hämische Nuance. „Das da ist Billie Jo Loomis. Und wie es aussieht, ist sie ´ne Lady.“ Er beugte sich leicht nach vorn über den Tisch und starrte Ashby an. „Ihr Partner da hat den Empfang bestätigt.“ Er schob auch noch ein Bündel beschriebener Blätter herüber. „Hier ist auch noch der Papierkram mit den Zeugenaussagen. Die Zeugen selbst haben wir nicht hierbehalten. Dazu bestand kein Grund. Und nun nehmen Sie ihre Gefangene und tun Sie damit was Sie wollen!“ Er warf einen ironischen Blick auf die Kette mit den Handschellen, die Ashby über seinen Revolver gehängt hatte. „Wie ich sehe, haben Sie eine von diesen modernen Handschellen bei sich. Ich sehe diese Dinger zum ersten Mal, habe aber schon davon gehört. Also brauchen wir den Schmied nicht zu bemühen.“
Ashby verzog keine Miene, trotzdem war ihm seine Wut anzusehen. Er knallte die Kette mit den beiden Scharnierschellen an jedem Ende auf Busters Schreibtisch. Ohne diesen aus den Augen zu lassen, befahl er McKaye, der Frau die Kette anzulegen.
„Nun…“ McKaye nahm zögernd die Kette vom Tisch. „Ich denke nicht, dass das bei ´ner Lady notwendig ist.“
„Du sollst nicht denken, sondern tun, was ich sage, McKaye!“, fauchte Ashby ihn an. Einen Moment lang maß er diesen mit einem harten Blick, während er soviel Luft in seine Lunge presste, wie sie fassen konnte. Dann packte er die Kette fester und wandte sich der Frau zu. „Tut mir Leid, Madam, aber er hat das Sagen auf dieser Tour.“
„Tut mir Leid, Madam“, äffte Ashby wütend nach. „Vielleicht willst du sie auch noch fragen, ob sie die Güte besitzt mitzukommen.“
McKayes Nasenflügel weiteten sich. „Hör mal zu, Nick Ashby, ich bin nicht schuld daran, dass sie kein Mann ist. Also lass deine Wut gefälligst nicht an mir aus!“
„Ist schon in Ordnung“, sagte Billie Jo Loomis und streckte ihre Hände vor, wobei ihre blauen Augen in tiefer Duldsamkeit auf ihm ruhten.
McKaye schluckte und schloss mit trockener Kehle die Eisenschellen um ihre zarten Handgelenke. Verdammt, dachte er dabei, sie hat einen Blick wie heiße Lava. Hanky stellte eine kleine Reisetasche auf den Boden und erklärte zufrieden: „Die gehört dazu.“
Ashby betrachtete sie mit einem bösen Blick. „Ist da was anderes zum Anziehen drin?“, fragte er kurz angebunden, und Billie Jo Loomis schüttelte stumm den Kopf. Daraufhin schnappte Ashby die Tasche und marschierte ohne Abschiedswort nach draußen. Billie Jo und McKaye folgten ihm.
Draußen hatte sich die versammelte Menschenmenge, die sich den Abtransport der gefesselten Lady nicht entgehen lassen wollte, noch vergrößert. Billie Jo verhielt kurz den Schritt, als sie die Leute bemerkte, aber McKaye schob sie mit sanftem Nachdruck weiter. Ein Raunen ging durch die Menge. Jemand pfiff, und einige junge Burschen machten anzügliche Bemerkungen. Unbeeindruckt von den herumstehenden Gaffern öffnete Ashby die Tür am Heck des Wagens. „Los, rein da!“ forderte er Billie Jo mit Unterstützung durch eine Kopfbewegung auf. Die Frau raffte ihren langen Rock etwas an, wobei die Kette zwischen ihren Handgelenken leise klirrte, was irgendeinen protestierenden Ruf aus der Menge lockte, und stieg betont langsam in die fahrbare Gefängniszelle. Hinter ihr schlug Ashby die Tür mit metallischem Krachen zu, und wenig später wendete der Wagen vor den zurückweichenden Schaulustigen und rollte, begleitet von unverständlichen Rufen, denen man nicht anhörte, ob sie beifällig oder ablehnend waren, den Weg zurück, auf dem er gekommen war.
8.
Dieser Weg hatte sich durch die Änderung der Fahrtrichtung in keiner Weise geändert und war genau so heiß und staubig wie vorher. Es war Nachmittag, und die Luft schien zu stehen wie zäher Brei. Von Zeit zu Zeit warf McKaye einen Blick nach hinten durch die viereckige vergitterte Luke zu der Frau zwischen den Gitterstäben. Sie hatte sich auf einer der harten Seitenbänke niedergelassen, blickte schweigend vor sich auf den schaukelnden Boden und machte nach kurzer Zeit schon einen erschöpften Eindruck. Sie schien unter der Hitze zu leiden, was kein Wunder war. Der Weg war uneben und von Wagenspuren zerfurcht, so dass der Wagen sich mitunter ziemlich ruckartig zur Seite neigte.
Ashby hatte noch kein einziges Mal nach hinten geschaut, seit sie Caddo verlassen hatten. Stur und verbissen lenkte er den Wagen und machte keinerlei Versuche, den Unebenheiten auszuweichen. Seine anfängliche Wut schien verflogen zu sein, doch schien es ihn nicht zu interessieren, was da hinter ihm vorging. Vielleicht wollte er auch nur nicht daran erinnert werden, dass sie diese lange und beschwerliche Fahrt unternommen hatten, um eine Frau nach Fort Smith zu kutschieren.
McKaye fragte sich unwillkürlich, ob eine Person, noch dazu eine Frau, mit einem so unschuldigen Gesicht eine Mörderin sein konnte. Bei Männern hatte er sich diese Frage nie gestellt. Manchen sah man die Fähigkeit zu morden auf den ersten Blick an und manchen nicht, auch wenn sie nachweislich Mörder waren. Aber mit Frauen hatte er keine Erfahrung, und es kam schließlich nicht oft vor, dass sie einer solchen Tat angeklagt wurden. Er musste an seine Mutter denken. Nie wäre sie einer solchen Tat fähig gewesen, aber er erinnerte sich, dass sie ihn, als er schon fast erwachsen war, manchmal vor bösen Frauen gewarnt hatte, die einen Mann ins Verderben stürzen könnten. Er hatte nie so recht verstanden, wie sie das gemeint hatte und warf einen verstohlen prüfenden Blick zu der Frau hinter ihnen. Sie konnte vielleicht eine solche Frau sein, auch wenn er nicht ergründen konnte wieso.
Ashby begann plötzlich zu fluchen, als er den Wagen nicht rechtzeitig genug an einem Loch vorbeilenken konnte, weil die Mulis zu träge reagierten. Es gab einen Schlag zur Seite, und das Holz ächzte. Die Frau hinter ihnen stieß einen kurzen erschrockenen Schrei aus und versuchte, sich mit klirrenden Ketten an den Gitterstäben festzuhalten, als sie beinahe von ihrem Sitz gerutscht wäre. McKayes Blick traf auf ihr von der Hitze gerötetes Gesicht, und sie tat ihm Leid, auch wenn sie möglicherweise etwas ganz anderes verdient hatte.
„Wir sollten ihr wenigstens diese verdammte Kette abnehmen“, schlug er leise vor.
„Wenigstens?“, betonte Ashby hart, der alles wieder unter Kontrolle hatte. „Was schlägst du denn sonst noch alles vor? Vielleicht sollten wir versuchen, irgendwo ein paar Kissen aufzutreiben.“
„Ich meine, sie hat doch auch ohne diese Fesseln keine Chance, aus diesem Käfig herauszukommen.“

Luke Sinclair
1940 wurde ich in Halle/Saale geboren und wuchs in derselben Stadt auf.1961 wechselte ich in die Bundesrepublik über. Einige Jahre später absolvierte ich bei der Studiengemeinschaft Kamprath in Darmstadt ein zweijähriges Fernstudium >Technik der Erzählkunst<. Danach schrieb ich meine ersten Western für Zauberkreis Verlag und BEWIN Verlag (letzterer für Leihbüchereien) und war dann über nahezu drei Jahrzehnte nebenberuflich als Romanautor für Kelter- und Bastei Verlag tätig.
Da ich mich nun seit einiger Zeit im Ruhestand befinde, habe ich mich größeren Projekten zugewandt. Mein erster gebundener Roman erschien 2008 unter dem Titel: „Roter Bruder Abel“ im WJK Verlag, Hilden. Ein historischer Roman, der sich mit der Eroberung und Besiedelung des nordamerikanischen Kontinents befasst.
Ein weiterer Roman mit dem Titel: „Wer weiß schon, wann die Stunde schlägt“ erschien 2010.