
Im Garten des Teufels
von
Luis Fernando Verissimo
Erscheinungsform:
Erscheinungsdatum: 18.6.2014
eBook-Preis: US$ 6,99 EUR
ISBN: eBook 9783956070716
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)
Autor

»Es kann kein Leser gewesen sein, der Ihr Buch nachgestellt hat.«
»Und warum nicht?«
»Weil das Buch erst nach dem Verbrechen erschienen ist.«
Jetzt war es an mir, ihn zu fragen, ob er sich sicher sei. Er war es.
»Weil das Buch erst nach dem Verbrechen erschienen ist.«
»Im Verlag wird das Buch von vielen Leuten gelesen, bevor es veröffentlicht wird«, ich ließ nicht locker. »Es könnte ein Lektor oder Korrektor gewesen sein. Die sind zu allem fähig. Vielleicht aus Rache für meinen Umgang mit den Pronomen.«
Der einbeinige Kriminalschriftsteller Estévão wird durch die Beschuldigungen des Inspektors Macieira nachhaltig verunsichert. Ist der blutrünstige Grieche, Produkt seiner Phantasie und Bösewicht Nr. 1 in seinen fünftklassigen Krimis, Realität geworden? Eine mysteriöse Mordserie lässt keine andere Schlussfolgerung zu. So beschließt Estévão der Realität ein Schnippchen zu schlagen und schickt seinen Helden Conrad in immer wieder neue und ausgefallene Auseinandersetzungen mit dem fiesen Killer.
Doch je mehr sich der Schriftsteller darum bemüht, mittels seiner Imaginationskraft die Realität zu beeinflussen, desto mehr verwickelt er sich in Widersprüche, und Inspektor Macieira lässt nicht locker.
Details
- Titel
- Im Garten des Teufels
- Autor
- Luis Fernando Verissimo ISBN (eBook): 9783956070716
- Dateigröße
- 1788 KB
- Preis (Ebook)
- US$ 6,99
- Sprache
- Deutsch
Leseprobe
Im Garten des Teufels
Ich schrieb gerade an diesem Buch, als es an der Tür klingelte. Das war es, was ich erzählen wollte. Ich war im Begriff, zu dem großen Fick der Seite 40 zu kommen, als es klingelte.
»Dona Maria, es klingelt!«
Dona Maria hörte nicht. Um vom Stuhl aufzustehen, muss ich die Schreibmaschine, die ich auf dem Schoss habe, auf ein Tischchen neben mir stellen, die Krücke nehmen, mich aus dem Stuhl erheben, wobei das Salzwasser in mir gluckert — »Dona Maria, es klingelt!« — und langsam durch das Zimmer humpeln, dabei muss ich aufpassen, dass ich keinen der staubigen Bücherstöße umwerfe …
»Dona Maria, stellen Sie das Radio leiser!«
Es war ein Mann, der sich als Inspektor Madeira vorstellte, »wie der portugiesische Cognac«. Er humpelte auf dem anderen Bein, das hätte mir auffallen sollen. Ich bat ihn, Platz zu nehmen, aber er bestand darauf, dass ich mich zuerst setzte. Dann sagte er:
»Sie sind Stephen Eliot?«
Ich sagte »nun, ja, hm«, aber er fuhr fort, er sei ein eifriger Leser und Bewunderer meiner Bücher. Eine Lüge, denn dieses Pseudonym hatte ich bei meinem letzten Buch zum ersten Mal verwendet. Er sagte, er freue sich sehr, mich kennenzulernen.
»Dann setzen Sie sich doch«, sagte ich, als ob nur meine Bewunderer das Recht hätten, in meinem Hause Platz zu nehmen.
»Entschuldigen Sie bitte die Indiskretion …« begann er und zeigte auf mein Bein.
»Darüber möchte ich nicht sprechen.«
»Entschuldigen Sie. Ich habe auch einen Fuß verloren, aber ich habe mir eine Prothese machen lassen, und jetzt kann ich mich wieder normal bewegen. Meinen Sie nicht …«
»Dona Maria, stellen Sie das Radio leiser!«
Er zuckte zusammen, als er mich so schreien hörte, und nutzte die Unterbrechung vorsichtshalber, um das Thema zu wechseln. Er war ein Mann in meinem Alter, klein, schlank, gut gekleidet und hatte hervorquellende Augen, so als ob der enge Kragen sie aus den Höhlen herausdrückte.
»Wie gesagt«, fuhr er fort, »bin ich ein aufmerksamer Leser Ihrer Bücher.«
»Ich dachte, mich lese niemand«, sagte ich und log ebenfalls. Ich wusste, dass meine Bücher sich einigermaßen verkauften und regelmäßig an allen Kiosken zu haben waren. Schließlich lebte ich davon. Ich fragte, welches ihm am besten gefallen habe. Er zögerte, dann antwortete er:
»Das letzte.«
»Mörderische Wut?« fragte ich, um ihn auf die Probe zu stellen.
»Makabres Ritual.«
Der Hundesohn hatte wirklich etwas von mir gelesen. Er fuhr fort:
»Ich wollte mit Ihnen über dieses Buch sprechen. Ihre Adresse habe ich von Ihrem Verlag.«
»Bitte.«
»Zuerst möchte ich Sie fragen … Woher bekommen Sie eigentlich Ihre Einfälle?«
Ich dachte einen Augenblick daran, meinen Kopf zu schütteln, damit er das Rasseln der losen Teile darin hören könne. Aber dann antwortete ich nur, dass sie meinem Kopf entsprängen. Er machte »hm«, als ob ihm diese Antwort missfiele. Vielleicht hatte er gehofft, dass ich einen Lieferanten hätte. Jemanden, der Schwarzhandel mit Ideen triebe. Absolut vertrauenswürdig. Liefert nur echte Einfälle. Soll ich Sie mit ihm bekannt machen?
»Der Grieche ist eine erfundene Gestalt?«
Ich zögerte. War er das? Er war es.
»Ja.«
»Haben Sie niemanden als Vorbild dafür benutzt? Jemanden, den Sie kennen? Jemanden, von dem Sie gehört haben?«
»Nein.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Warum?«
»Weil es einige, wie soll ich sagen, lieber Senhor Eliot, komische Übereinstimmungen gibt. Entschuldigung, ich meine natürlich nicht komische. Eigentlich eher tragische.«
»Was für Übereinstimmungen?«
»Haben Sie nicht in der Zeitung vom Tode jener Frau im Paradiesgarten gelesen? Vorigen Monat?«
»Ich lese keine Zeitung.«
»Sie ist mit mehreren Messerstichen getötet worden. Das Bett ist ganz mit Blut durchtränkt worden. Wir wissen noch nicht, wer der Mörder ist. Oder die Mörderin. Oder die Mörder.«
»Ja und?«
Ich blickte demonstrativ auf die Schreibmaschine, wo ich Conrad mitten in der Zeile verlassen hatte; er steckte gerade seine von der Sonne und dem Salz vieler Meere gebräunte Hand in Lindas Bluse, seine Finger suchten nach der Brustwarze, die ihm den ganzen Nachmittag lang durch den dünnen Stoff hindurch herausfordernd ins Auge gestochen hatte, und jetzt wollte er endlich zur Sache kommen. Ich habe zu tun, Inspektor!
»Da ist ein Detail, das nicht in der Zeitung stand, weil die Reporter es nicht erfahren haben. Der Mörder — oder die Mörderin oder die Mörder — schrieb mit dem Blut des Opfers etwas an die Wand … und zwar auf Griechisch, Senhor Eliot.«
Er sah mich starr an, offenbar erwartete er eine Reaktion. Er wartete vergebens. Dann fuhr er fort:
»Der Mörder ging genauso vor wie der Mörder in Ihrem Buch. Der Grieche.«

Luis Fernando Verissimo
Luis Fernando Veríssimo, geb. 1936, hat sich in Brasilien als Erzähler, Journalist und Humorist einen Namen gemacht. Sein Roman »Im Garten des Teufels« spiegelt in kunstvoller Form die Gegenwart Brasiliens wider, einem Dschungel der Gewalt, der von Jahr zu Jahr sinnloser wird und sich jedweder rationaler Analyse entzieht.Autorenfoto: © Sylvio Sirangelo