
Streif
von
Hubertus von Thielmann
Seiten: (ca.) 332
Erscheinungsform: Neuausgabe
Erscheinungsdatum: 10.6.2014
ISBN: eBook 9783956070839
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)
Autor

Einfluss und Macht erreichen viele, doch nur wenige können sie behalten: Ein junger Karrierist muss erkennen, dass es im Spiel der großen Wirtschaftskonzerne nicht nur um Gewinne geht, sondern vor allem darum, nicht zu verlieren.
Streif hatte sein Hemd ausgezogen. Nina war nackt, Schweißtropfen liefen über ihren flachen Bauch auf den Nabel zu. Streif schwitzte selten. Er war achtunddreißig und noch immer ein hervorragender Squashspieler. Nina, mit der er seit vierzehn Jahren verheiratet war, war zwei Jahre jünger. Sie hatten keine Kinder, Nina konnte keine bekommen. Streif schlug die Akte zu und sah Nina an.
»Möchtest du was trinken?«, fragte sie.
Er öffnete die Gürtelschnalle.
»Konzentrier dich auf deinen Chef.«
Ein kluger Rat, wie sich alsbald zeigt - denn Joachim Streifs Erfolgsgeschichte beim Weltkonzern Corpus AG endet unverhofft, als ihm während seiner Funktion als New York Repräsentant Fahrlässigkeit und Missmanagement vorgeworfen wird. Zu Unrecht, denn der wahre Schuldige ist Streifs Boss. Streif will nicht nur so schnell wie möglich seine Unschuld beweisen, vielmehr beherrscht ihn der Wunsch nach Rache. Er ersinnt einen ungewöhnlichen Vergeltungsplan, und schon bald erfährt sein ehemaliger Mentor am eigenen Leib, dass Streif seine Lektion gelernt hat …
Der mitreißend erzählte Roman »Streif« handelt vom moralischen Verfall in den wahren Machtzentren der Welt: den Großkonzernen - ein fiktionaler Tatsachenbericht!
Details
- Titel
- Streif
- Autor
- Hubertus von Thielmann
- Seiten
- 332
- Erscheinungsform
- Neuausgabe
- Preis (eBook)
- 7,99 EUR
- ISBN (eBook)
- 9783956070839
- Sprache
- Deutsch
Leseprobe
Streif
Streif saß mit Nina auf der Terrasse des Penthouses, das sie seit zweieinhalb Jahren hoch über der Fifth Avenue bewohnten. In der Ecke, in der sie beide lasen, waren sie vom Wind geschützt. Es war ein ungewöhnlich warmer Sonntagnachmittag im Dezember. Unter ihnen rumorte die Stadt. Der Himmel über New York war grau. Dunst verhüllte den Central Park, die Stadt verschwamm im Smog. Nina las »W« und Streif in einer Akte. Er bereitete sich auf den Besuch seines Chefs, Aschmunaydt, vor, der am Abend aus Düsseldorf ankommen sollte.
Seit über zwanzig Jahren arbeitete Streif in der Corpus AG. Nach der Lehre war er sehr bald nach Übersee geschickt worden und hatte, immer von einem Land zum anderen, früh überleben gelernt.
Streif hatte sein Hemd ausgezogen. Nina war nackt, Schweißtropfen liefen über ihren flachen Bauch auf den Nabel zu. Streif schwitzte selten. Er war achtunddreißig und noch immer ein hervorragender Squashspieler. Nina, mit der er seit vierzehn Jahren verheiratet war, war zwei Jahre jünger. Sie hatten keine Kinder, Nina konnte keine bekommen. Streif schlug die Akte zu und sah Nina an.
»Möchtest du was trinken?«, fragte sie.
Er öffnete die Gürtelschnalle.
»Konzentrier dich auf deinen Chef.« Nina holte aus der Küche Weißwein und Sodawasser. Sie war in einem Vorort von Lübeck aufgewachsen, wo ihr Vater Schrankenwärter war. Wahrscheinlich hatten die vorbeirasenden Züge Ninas Wunsch nach Reisen und Ferne geweckt. Wer ihr Fernweh hatte wachsen lassen, war ihr Französischlehrer gewesen, der sie mit fünfzehn in sein Bett genommen und von da an nur noch Französisch mit ihr gesprochen hatte. Nina lernte Sprachen im Handumdrehen. Nach dem Abitur sprach sie bereits vier: Englisch, Italienisch, das sie als Aushilfe in einem italienischen Lokal gelernt hatte, Französisch und Türkisch, das sie von den Kindern der Nachbarn aufgeschnappt hatte, die alle Türken waren. Sie hatte Verschiedenes studiert, aber nichts abgeschlossen. Nachdem sie sich mit Informatik und Russisch befasst hatte, arbeitete sie in einem Reisebüro, wo sie dann Streif kennengelernt hatte. Nach vierzehn Tagen hatten sie beschlossen zu heiraten.
Nina füllte die Gläser. Streif wollte den Pareo von ihren Hüften streifen, was sie nicht zuließ. Für den Abend hatte sie sich mit einem jungen Perser verabredet.
»Was liest du eigentlich, Joachim?« Sie zeigte auf den Aktenordner, auf dessen Rücken in roten Buchstaben stand: KEO Corporation.
Aschmunaydt wurde von seinem Stellvertreter, Paul Kampe, begleitet. Sie passierten den Zoll. Aschmunaydt hatte vor wenigen Wochen seinen sechzigsten Geburtstag mit viel Pomp in der AG feiern müssen. Kampe war zwölf Jahre jünger. Die beiden Männer begrüßten Streif, der sie um einen Kopf überragte. Aschmunaydt war etwas größer als Kampe und sehr viel massiger. Er war breitschultrig, der Bauch massiv und hoch angesetzt. Kampe war schmalbrüstig, sein Bauch birnenförmig.
Streif blickte auf Aschmunaydts Tonsur, die grauen Haare, und musste wie so oft an den Jesuitenpater denken, der ihn in Religion unterrichtet hatte. Kampes blonde Haare waren stark ausgedünnt. Der Scheitel saß tief an der rechten Schläfe. Einige Strähnen waren in die beginnende Stirnglatze gekämmt.
Kampe wünschte nichts mehr, als Aschmunaydts Nachfolger zu werden. Die knapp fünf Jahre, die er noch warten musste, erschienen ihm oft unerträglich. Was konnte noch alles passieren, auch wenn er keine Konkurrenten mehr fürchten musste, die alle auf der Strecke geblieben waren. Dafür hatten er und sein Schwiegervater gesorgt.
Streif griff nach Aschmunaydts Aktenkoffer.
»Nicht doch!«, sagte Aschmunaydt.
Streif nahm ihm den Koffer ab. Die drei Männer gingen nebeneinander durch die Ankunftshalle, vorbei an einer Gruppe Zeugen Jehovas in safrangelben Gewändern. Sie umrundeten eine Gruppe von Demonstranten. »Close the Ozonhole!« schallte es ihnen entgegen.
»Wir sind nicht von der Chemie«, brummte Aschmunaydt.
Draußen wartete der Chauffeur, neben den sich Streif setzte.
»Wir kaufen die KEO«, sagte Aschmunaydt hinter ihm.
»Bitte nicht!« Streif drehte sich um.
»Warum sind Sie so dagegen?«, fragte Aschmunaydt.
»Sie haben sich doch die Bilanzen angeschaut.«
»Wer glaubt denn an Bilanzen«, sagte Kampe.
»Und meine Berichte?«, fragte Streif. »Die haben Sie doch gelesen.«
»Sie sind gegen McCumber«, entgegnete Aschmunaydt. »Ich bin mit ihm seit vielen Jahren befreundet.«
»Mit McCumber kann man nicht vorsichtig genug sein«, sagte Streif.
»Kennen Sie ihn?«, fragte Kampe.
»Wer nicht!«
»Corpus wird mit E-Werken und Gasturbinen auch in den Staaten vorne liegen«, bemerkte Aschmunaydt. »Wir kaufen einen Riesenumsatz und einen erstklassigen Standort dazu.«
»Am Rand der Bronx«, sagte Streif. »Dort wird wegen jedem Furz gestreikt.«
»Aber bitte«, unterbrach ihn Kampe.
»Der Umsatz stimmt nicht«, sagte Streif. »Die haben vorfakturiert, und die Garantien, die sie für die von ihnen gebauten Kraftwerke geben mussten, können leicht ins Auge gehen.«
»Umweltschutz«, sagte Aschmunaydt. »Ich habe alle entsprechenden Analysen gelesen.«
Sie fuhren in einen Tunnel, in tiefgelbes Licht hinein. Streif hatte nicht erwartet, dass Aschmunaydt so stark an der KEO interessiert sein würde. Wie konnte er ihm das auszureden? Er kannte Aschmunaydt gut genug, um zu wissen, wie schwierig das war. Kampe hatte er wohl mitgenommen, um ihn mit in die Verantwortung zu nehmen. Streif ahnte nicht, dass Kampe und vor allem dessen Schwiegervater über den Aufsichtsrat Druck auf Aschmunaydt ausübten, in den Staaten zu akquirieren.
»Die Technologie der KEO ist nicht die beste«, gab Streif zu bedenken. »In der Branche ist das bekannt.«
»Heute sehen Sie nur schwarz.« Aschmunaydt gab Streif von hinten einen Klaps. »Was ist mit Ihnen los?«
Streif antwortete nicht, er war beunruhigt. Kampe zupfte an seinen hellblonden Augenbrauen und schwieg. Sie fuhren aus dem Tunnel in das diesig graue Licht des Abends.
Vor dem Eingang des Pierre sprang der Fahrer aus dem Wagen und half Aschmunaydt beim Aussteigen. Zwei schwarze Pagen stürzten auf die Limousine zu. Die drei Männer traten durch eine Drehtür des Hotels und blieben im Foyer stehen.
»Wir essen im Colonial«, sagte Streif. »Ich habe reserviert.«
Kampe schüttelte den Kopf. »Ich habe zu tun.« Aschmunaydt betrachtete Streif, der auf einmal müde aussah. Er mochte Streif. Mit einem Sohn wie ihm hätte er dem Alter unbesorgt entgegensehen können. Aschmunaydt hatte nur einen Sohn, und der hielt ihn noch immer in Atem, obwohl er nur wenige Jahre jünger als Streif war. Er sah kurz zu Kampe und dachte: Wichser. Streif war froh, dass Kampe arbeiten wollte. Er würde mit Aschmunaydt allein sein, und vielleicht konnte er ihm doch die KEO ausreden.
»Wann soll ich Sie abholen?«, fragte er ihn.
»Das Abendessen fällt heute aus.« Aschmunaydt tastete über seinen Bauch.
Er wäre gern mit Streif zusammen gewesen, aber für diesen Abend hatte er sich etwas anderes vorgenommen. Einen Gutteil der Nacht würde er nicht im Pierre verbringen. Im Laguna Rock hatte er selbst ein Zimmer reserviert, dort würde er eine der jungen Mulattinnen aussuchen. Die meisten kamen aus der Karibik und warteten in einem Salon zwischen nachgemachten französischen Stilmöbeln auf betuchte Kunden. Je älter Aschmunaydt wurde, desto jünger waren die Mädchen geworden. Er schämte sich auch nicht mehr wie früher. Jetzt gab er seinem Drang widerstandslos nach.
»Schade«, sagte Streif und meinte es auch so. »Machen wir alle noch ein paar Hausaufgaben.«
Aschmunaydt sah ihm nach. Schade, dachte auch er, aber sein Bedauern war schwächer als das von Streif. In ihm spannte sich die Erregung. Er hatte vier Wochen Enthaltsamkeit hinter sich.
Kampe sah auf die Uhr. »Es ist noch früh am Abend, vielleicht sollten wir noch einige Takte über die KEO sprechen.«
Allein schon die »Takte« ärgerten Aschmunaydt. Im Flugzeug hatte er sich neben Kampe meist schlafend gestellt. Er konnte Kampe nicht ausstehen, und nicht nur, weil dieser die Tage zählte, bis er seine Nachfolge antreten würde. Aschmunaydt hatte den Vormarsch des hochintelligenten und skrupellosen Kampe nicht verhindern können. Er war selten einem Mann begegnet, der so vom Ehrgeiz getrieben war – und der war schon für Kampes Eheschließung entscheidend gewesen. Sein Schwiegervater hatte noch immer großen Einfluss in deutschen Wirtschaftskreisen.
Aschmunaydt wusste, dass Kampe ihn ablehnte. Wie tief diese Abneigung war, hätte er sich nicht vorstellen können.

Hubertus von Thielmann
Hubertus von Thielmann, geboren 1936 in Breslau, war von 1960 bis 1996 für einen international agierenden Chemiekonzern tätig. Aus beruflichen Gründen verbrachte er jeweils mehrere Jahre im Ausland, u. a. im Iran, in Argentinien und in Thailand.Nach seinem Austritt aus dem aktiven Geschäftsleben widmete er sich zunehmend dem Schreiben. Die Stationen seines ereignisreichen Lebens lieferten dabei vielfältigen Stoff für seine Erzählungen. Er starb im Jahr 2012.
Autorenfoto: © Claus Gretter