
Hamm-Saga
von
Norbert Klugmann
Seiten: (ca.) 42
Erscheinungsform: Neuausgabe
Erscheinungsdatum: 14.4.2014
ISBN: eBook 9783956070808
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)
Autor

Die tun nix, die wollen nur spielen! Ein Hamburger Mietshaus voll resoluter Rentner entpuppt sich als Vorhof zur Hölle. Wer Glück hat, wird vertrieben, und wer Pech hat, muss bleiben.
»Das ist unerhört«, plusterte sich der Lehrer auf. »So etwas habe ich noch nie erlebt.«
»Kein Wunder«, murmelte Oma auf dem Balkon. »Erst dreizehn Jahre Schule, danach sechs Jahre Universität und danach wieder rein in die Schule. Was willst du da erleben?«
»Ich mach das nicht weg«, erklärte in seiner ruhigen Kiebigkeit der Hausmeister. »Das gehört nicht zu meinen Aufgaben.«
»Soll ich das etwa wegmachen?«, rief der Lehrer fassungslos.
»Wenn es Sie stört«, sagte der Hausmeister und ging.
Bei dieser nachbarschaftlichen Grundsatzdiskussion geht es wohlgemerkt nicht um das Verdauungsendprodukt einer dahergelaufenen Töle, nein, ein herrenloser Toter will beseitigt werden. Der liegt eines schönen Morgens im Hinterhof, und keiner der Anwohner rührt einen Finger. Bis auf den alten Engelbrecht, der wie jeden Tag seine Schießübungen macht, und Oma, die dann doch irgendwann die 110 wählt. Sehr zu ihrem Unmut, schließlich ist laut Hausordnung ein jeder für die Entsorgung seiner Leichen selbst verantwortlich ...
»Hamm-Saga« ist der dreiunddreißigste Band der Kurzkrimi-Reihe hey! shorties – Vorsicht, bissig!
Details
- Titel
- Hamm-Saga
- Autor
- Norbert Klugmann
- Seiten
- 42
- Erscheinungsform
- Neuausgabe
- Preis (eBook)
- 2,99 EUR
- ISBN (eBook)
- 9783956070808
- Sprache
- Deutsch
Leseprobe
Hamm-Saga
Im Hof ertönten Stimmen, Oma erkannte das quengelige Organ des Lehrers. Widerwillig verließ sie das Behandlungszimmer, warf in der Tür noch einen Blick zurück. Sie hatte nach Alexanders Tod nichts verändert, hatte nur die Zähne weggeräumt, die Alexander so leidenschaftlich gesammelt hatte. Und auch hier hatte sie erst eingegriffen, als der Geruch überhand nehmen wollte. Sie hatte die Zähne in den Polyesterblock eingießen lassen. Der Block hatte einen Ehrenplatz im Wohnzimmer bekommen – gleich neben der Keksdose und links neben der Meißener Uhr, die nie richtig gegangen war und die Oma ein Beleg für den Zustand der Welt zu sein schien.
Als sie den Balkon betrat, erregte sich der Lehrer gerade so sehr, dass seine Stimme überschnappte. Der junge Mann stand neben dem Hausmeister fünf Meter von dem Toten entfernt. Die Frau des Lehrers stand zehn Meter entfernt und biss immer noch oder schon wieder auf ihrem Handrücken herum. Oma fand die Frau einfach unbeherrscht.
»Das ist unerhört«, plusterte sich der Lehrer auf. »So etwas habe ich noch nie erlebt.«
»Kein Wunder«, murmelte Oma auf dem Balkon. »Erst dreizehn Jahre Schule, danach sechs Jahre Universität und danach wieder rein in die Schule. Was willst du da erleben?«
»Ich mach das nicht weg«, erklärte in seiner ruhigen Kiebigkeit der Hausmeister. »Das gehört nicht zu meinen Aufgaben.«
»Soll ich das etwa wegmachen?«, rief der Lehrer fassungslos.
»Wenn es Sie stört«, sagte der Hausmeister und ging.
Auch Oma verließ den Balkon. Das musste sie nicht haben. Es war jedesmal das Gleiche. Erst lag ein Körper vollkommen friedlich im Hof, meistens noch nicht einmal auf dem Weg oder in der Sandkiste, so dass sich ein Hund hätte gestört fühlen können. Dann regte sich einer auf – und immer war es einer der Jungen. Jedesmal.
»Ja, sieh da«, sagte Paul, als er die Wohnungstür öffnete. Oma betrat den Flur. Es roch durchdringend nach etwas Scharfem.
»Röstest du wieder Kaffee?«, fragte sie. Als hätte dieser Mann die Aufhebung der Lebensmittelkarten noch nicht mitbekommen. Er brannte auch seinen Schnaps selbst. Ein früherer Verwalter des Häuserblocks und ein Halbwüchsiger, der kurze Zeit hier gewohnt hatte, waren nach dem Genuss von Pauls Schnaps erblindet. Seitdem trank er nur noch gekauften Sprit und reservierte die hausgemachten Produkte für junge Besucher.
»Na, was macht sie?«, fragte er, als Oma vor dem Guckloch stand.
»Schläft.«
»Schon wieder?«, fragte Paul verärgert und guckte selbst. »Das ist die Jugend von heute. Schläft jede Nacht satte zwölf Stunden. Aber nachmittags schon wieder in der Koje liegen.«
»Immerhin hast du ein lebendes Wesen bei dir«, sagte Oma und ließ die Blechmarke vor das Guckloch fallen. »Mir wird es manchmal doch recht einsam ums Herz.«
»Du hast aber auch ein Pech mit deinen«, sagte Paul und spendierte Marmorkuchen zum Tee.
»Nur der letzte«, stellte Oma klar. »Der vorletzte und der davor, die haben gut gehalten. Nur der letzte …«
Paul nahm seine Zähne heraus und setzte das Kuchen-Gebiss ein. Als er bemerkte, dass er beobachtet wurde, legte er eine Hand auf Omas Unterarm: »Danke noch einmal.«
»Dafür nicht«, erwiderte Oma. Ihr Herz hatte ihr befohlen, Alexanders gute Zähne nicht dem Verfall auszusetzen, sondern mit ihnen ein gutes Werk zu tun.
Sie aßen dann, und beide nahmen ihre Tabletten, die um diese Stunde fällig waren.
»Besorg dir doch einen Neuen«, sagte Paul. »Es ist einfach schöner, wenn man Gesellschaft hat.«
Draußen quengelte der Lehrer in nunmehr unerträglicher Tonlage herum.
Das Telefon klingelte. Als Paul zurückkam, strahlte er: »Es sind nicht alle gleich. Auch wenn es einem manchmal so scheint. Sie will mich wiedersehen«, sagte er. »Heute abend. Gleicher Park, gleicher Busch.«
»Gratuliere«, sagte Oma. »Das freut mich für dich. Muss ein lieber Mensch sein. War das die Blonde, von der du erzählt hast?«
»Ich gehe mich am besten gleich mal waschen«, sagte Paul. »Man muss einen guten Eindruck machen bei den jungen Gänsen.« Er zwinkerte vertraulich und lud Oma zum Mitkommen ein. Sie konnte sich etwas Schöneres vorstellen, als Paul beim Waschen zuzusehen. Sie konnte sich aber auch etwas Schlimmeres vorstellen. Zum Beispiel allein in ihrer Wohnung zu sein.
Oma saß dann auf der heruntergeklappten Klobrille, Paul wusch sich unter den Armen.
»Ich weiß gar nicht, warum du so einen Aufstand machst«, sagte Oma. »So weit oben will sie doch gar nichts von dir.«
»Ich muss mich insgesamt wohlfühlen«, sagte Paul. »Es ist ja wie eine Theateraufführung, wenn du verstehst, was ich meine.«
Er demonstrierte ihr, wie er es meinte.
»Du streckst zu sehr raus«, sagte Oma sachlich abwägend. »Man könnte denken, du hast es nötig.«
»Oh«, sagte Paul bestürzt und zog die Beckenregion zurück. »So besser?«
Oma hatte dann noch etwas an der Handhaltung zu bemängeln; und Paul suchte ihren Rat bei der farblichen Abstimmung von Unterwäsche und Hose.
Plötzlich schoss Oma in die Höhe. »Das Essen!«, rief sie und eilte in ihre Wohnung hinüber. Sie guckte kurz aus dem Fenster. Zum Lehrer und dem zurückgekehrten Hausmeister hatten sich die Valentin mit ihrer Töle und ein unbekannter Mann in Handwerkerkluft gesellt. Der Lehrer besaß kaum noch Stimme.
Da klingelte es auch schon, Oma flog heran.
»Beinahe hätte ich dich verschwitzt«, begrüßte sie den Zivi, der donnerstags das Essen für die kommende Woche in die Wohnung brachte.
»Hey Mam«, rief der Junge und tanzte, die Plastik-Tabletts in Alufolie auf einer Hand balancierend, in die Küche. Er pfefferte die Tabletts ins Tiefkühlfach, baute sich vor Oma auf und streckte ihr, auf der Stelle weitertanzend, die geöffnete Hand entgegen.
»Du Lauser«, sagte Oma liebevoll, kramte in der Handtasche und drückte dem Zivi zwei Gramm in die Hand.
»Thank you, Mam«, sagte er freudestrahlend, schloss die Hand und tanzte aus der Wohnung. »Ich schließe Sie in meine Gebete ein«, rief er von unten.
»Aber nicht alles auf einmal!«, rief ihm Oma durchs Treppenhaus hinterher und ließ die verheulte junge Frau des Lehrers an sich vorbei ein Stockwerk höhergehen.
»Diese Jugend«, murmelte Oma, drehte sich um und sah die Lehrerfrau leichenblass gegen die Flurwand gelehnt dastehen.
»Ein Toter«, hauchte die Frau. »Im Hof. Er lag einfach da.«
»Ja, ja«, sagte Oma.
»Niedergemäht«, hauchte die Lehrerfrau. »Wie in Amerika.«
»Ja doch, es ist ja gut.«
Die Junge stieß sich von der Wand ab, packte Oma an beiden Oberarmen und rief verzweifelt: »Ist man denn nirgendwo mehr seines Lebens sicher?«
Oma fand diese von Angst entstellte Person einfach unappetitlich.
»Und für solche lässt Paul die Hosen runter«, murmelte sie kopfschüttelnd und kehrte in ihre Wohnung zurück.

Norbert Klugmann
Norbert Klugmann, geboren 1951 in Uelzen, studierte Germanistik, Soziologie, Psychologie und Pädagogik, ehe er 1976 begann, als Journalist und Schriftsteller zu arbeiten. Sein Debüt als Kriminalautor gab er im Team mit Peter Mathews mit dem Roman »Beule oder wie man einen Tresor knackt«, in dem Klugmann/Mathews für den deutschen Sprachraum das Untergenre des heiteren Krimis neu belebten. Als Alleinautor verfasste er Serien wie »Phil Parker«, die »Sportreporter«-Serie und die »Marchese«-Serie. Darüber hinaus gab Norbert Klugmann gemeinsam mit Peter Mathews die ersten sechs Ausgaben des Thriller-Magazins »Schwarze Beute« (Rowohlt) heraus.Norbert Klugmann ist einer der produktivsten und nach Meinung vieler Kritiker auch unterhaltsamsten Romanautoren Deutschlands. Neben den zahlreichen Kriminalromanen schreibt er Jugendromane, Unterhaltungsromane und seit einigen Jahren auch historische Romane.