
Osdorfer Zeugen
von
Robert Lynn
Seiten: (ca.) 53
Erscheinungsform: Neuauflage
Erscheinungsdatum: 27.1.2014
ISBN: eBook 9783942822916
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)
Autor

Ein in die USA ausgewanderter Cop kehrt nach Hamburg zurück, um den Tod seines Vaters aufzuklären – sehr zum Ärger der deutschen Kollegen. Doch das ist ihm egal. Denn Blut ist dicker als Wasser.
Vor dem Absperrband hatte sich die Nachbarschaft in Pyjamas und Morgenröcken versammelt. Jemand ließ eine Flasche Mescal kreisen, Jungs in Kapuzenjacken machten Krawall und taten so, als würden sie jeden Moment eine Attacke starten. Hank nahm Blickkontakt mit dem Anführer auf und schüttelte den Kopf. Sie zeigten ihm kollektiv den Mittelfinger und verzogen sich.
»Ab jetzt ist es dein Fall«, sagte er.
»Wie meinst du das?« Cora hob eine Augenbraue.
»Ich muss jemanden begraben.«
Dass Hank Roth eigentlich Heinz heißt, wissen seine Kollegen in Atlanta nicht, und auch nichts über seine Vergangenheit. Mit der hat der Deutsche längst abgeschlossen. Als er die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält, werden jedoch Erinnerungen wach, die Roth am liebsten mit ihm begraben würde: ein abscheuliches Verbrechen, das sein Vater begangen haben soll – Beweise oder ein Geständnis aber hat es nie gegeben.
Zurück in Hamburg findet Roth heraus, dass sein Vater keines natürlichen Todes gestorben ist. Er macht sich auf die Suche nach der Wahrheit, und schon bald wird ihm klar, dass die Vergangenheit wohl doch noch nicht abgeschlossen ist.
»Osdorfer Zeugen« ist der zweiundzwanzigste Band der Kurzkrimi-Reihe hey! shorties – die Rache ist mein!
Details
- Titel
- Osdorfer Zeugen
- Autor
- Robert Lynn
- Seiten
- 53
- Erscheinungsform
- Neuauflage
- Preis (eBook)
- 2,99 EUR
- ISBN (eBook)
- 9783942822916
- Sprache
- Deutsch
Leseprobe
Osdorfer Zeugen
»SWAT1 in Position.«
Tiefer Süden, dachte Cora Wilson beim Klang der Stimme aus dem Funkgerät, Alligatorgrinsen, der Mann aus den Sümpfen. Sie kam aus Boston und musste sich nach fünf Jahren in Georgia immer noch ein Grinsen verkneifen, wenn diese Südstaatler den Mund aufmachten. Was nicht oft vorkam, meistens bissen sie die Zähne zusammen und redeten trotzdem. Sie griff zum Mikro, bestätigte die Meldung und fragte die anderen Teams ab. SWAT 2 und 3 waren, wo sie sein sollten. Sie stieß Hank Roth an, der das Haus mit dem Fernglas beobachtete. Er schüttelte den Kopf.
»Wir warten.«
Cora gab die Anweisung durch und lehnte sich zurück. Hinter ihnen radierte der Lichtsmog von Atlanta die Sterne vom Himmel, über dem Fluss drehten Nebelfetzen. Das Haus hockte auf niedrigen Stelzen, blassgrüner Lack flockte von den Wänden, Moos kroch über das schräge Dach der Veranda, durch das Moskitogitter im offenen Fenster neben dem Eingang hämmerte ein Rap. Schatten mit geschwärzten Gesichtern, Sturmgewehren und Äxten kauerten hinter dem silbernen Chevrolet am Straßenrand.
Cora steckte einen Kaugummi in den Mund und musterte Roth aus den Augenwinkeln. Nicht ihr Typ, stellte sie zum x-ten Male fest. Kleine Kerle mit Vollglatze rangierten weit unten auf ihrer Liste, introvertierte Schweiger sowieso, und kombiniert ergaben sie normalerweise eine große runde Null. Aber dafür dachte sie entschieden zu oft über ihn nach und fragte sich, warum. Vielleicht weil er vor Einsätzen wie diesem immer vollkommen ruhig war, vielleicht weil er sie manchmal zum Lachen brachte und es dann nicht wie die anderen Detectives als Freikarte zu einem One-Night-Stand missdeutete. Beunruhigend und tendenziell unverschämt fand sie allerdings nach einem halben Jahr Zusammenarbeit, dass sie noch keine einzige Einladung von ihm ablehnen musste. Was war los mit ihr, verlor sie ihre Wirkung auf Männer? Dagegen sprachen die Balztänze der anderen Detectives. Fragte sich bloß, wieso ausgerechnet Roth als einziger immun gegen sie war.
An einem Samstag nach Dienstschluss hatte sie ihn in einer Bar auf der Albert Street tanzen sehen, mit einer berückend schönen Farbigen, die erst verdutzt und dann mit Hingabe seinen Bewegungen folgte. Später war er mit ihr verschwunden und hatte am nächsten Morgen die Anzüglichkeiten der Jungs ebenso ignoriert wie Coras hochgezogene Augenbraue. Dass er sich mit einer Schwarzen abgab, fand sie eher daneben, aber wie er sie aufgerissen hatte, beschäftigte sie seitdem entschieden zu oft. Mistkerl. Sie hörte ein melodiöses Summen neben sich, leise und selbstvergessen. Hey, Sensation!
»Was ist, Hank Roth, singst du etwa?«
»Nein, Cora Wilson, ich brumme vor mich hin.«
»Red keinen Stuss, das ist eine Melodie. Kenn ich den Song?«
»Kaum. Ist ein deutsches Lied.«
Sie kramte die Camels hervor und steckte sich eine an. Den ersten Zug inhalierte sie gegen alle guten Vorsätze und blies eine Rauchfontäne gegen die Frontscheibe.
»Gibts einen Text?«
In der Dunkelheit ahnte sie, dass er lächelte, dann hörte sie seinen leisen Bariton.
Komm doch mit mir, Therese,
sonntags nach Blankenese.
Komm mit, wir legen uns dort in den Sand
und begucken uns den Elbestrand.
Cora rauchte. Nach einer Weile sagte sie: »Schön. Ich versteh kein Wort, aber schön. Kann es sein, dass du ein beschissener Kraut bist?«
»Ja«, sagte er, »hatte ich fast vergessen, aber ich bin ein beschissener Kraut. Okay, es ist so weit, holen wir uns die Wichser. Ruf die Teams.«
Der Sturm auf das Haus dauerte vierzig Sekunden. Cora erklärte den Chicanos, die gefesselt am Boden lagen, ihre Rechte und fragte, ob sie alles verstanden hatten, obwohl sie wusste, dass keiner von ihnen Englisch sprach. Bis auf den Anführer waren sie fast noch Kinder und hart wie Glas. Einer spuckte auf ihren Stiefel. Sie riss ihm die Wollmütze vom Kopf, wischte den Speichel ab und setzte sie ihm wieder auf. Hank begleitete den Hundeführer. Im Keller fanden sie einen Stapel Verbandskästen, die mit weißem Pulver gefüllt waren. Nach der Geschmacksprobe schätzte er den Reinheitsgrad auf achtzig Prozent und das Gewicht auf acht Kilo, Verkaufswert ungefähr zweihundertausend Dollar im Straßendeal. Wie man so blöde sein konnte, das Zeug im eigenen Haus zu lagern, war ihm schleierhaft. Er wies die Spurensicherung ein und trat vors Haus, wo Cora eine Zigarette rauchte. Vor dem Absperrband hatte sich die Nachbarschaft in Pyjamas und Morgenröcken versammelt. Jemand ließ eine Flasche Mescal kreisen, Jungs in Kapuzenjacken machten Krawall und taten so, als würden sie jeden Moment eine Attacke starten. Hank nahm Blickkontakt mit dem Anführer auf und schüttelte den Kopf. Sie zeigten ihm kollektiv den Mittelfinger und verzogen sich.
»Ab jetzt ist es dein Fall«, sagte er.
»Wie meinst du das?« Cora hob eine Augenbraue.
»Ich muss jemanden begraben.«

Robert Lynn
Robert Lynn, 1949 in Chemnitz geboren, lebt seit 1957 mit wachsender Begeisterung in Hamburg, hat aber immer wieder längere Zeit in den USA und in Frankreich verbracht. Neben dem Schreiben ist er als Lehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Freizeit gehört ganz der Familie und seinen sportlichen Hobbies – statt mit dem Auto ist er mit einem Tourenrad unterwegs, spielt außerdem Squash und fährt Ski. Für »Der Samurai im Elbberg« – bei den »hey! shorties« unter dem Titel »Todestage« erschienen – erhielt er 2002 den »Marlowe« als Literaturpreis für Kriminalliteratur, mit »Die Meute im Nacken« von 1998 wurde er für den »Friedrich-Glauser-Preis« nominiert.Foto: (c) privat