
Der Kurier
von
Robert Lynn
Erscheinungsform: Neuauflage
Erscheinungsdatum: 7.1.2014
eBook-Preis: US$ 1,99 EUR
ISBN: eBook 9783942822893
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)
Autor

In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist – in Thorsten Hendriks Fall wohl eher ein krimineller! Fastfood kommt dem Gesundheitsfanatiker nicht ins Haus, mit Drogen aber hat er kein Problem. Irgendwie muss der vorbildliche Lebensstil ja schließlich finanziert werden.
»Tja, so is dat. Wenn die Fernsehzeitung rauskommt, forsten die alten Leutchen sämtliche Anzeigen für Stärkungsmittel durch, und am nächsten Tag wackeln sie mit ein paar Scheinchen aus dem Sparstrumpf zur nächsten Apotheke.«
»Wie Junkies zum Dealer«, murmelte Hendriks.
»Da ist was dran.« Leuck lachte. »Gott sei Dank macht Vitamin C nicht süchtig.«
Koks und Konsorten tun das aber sehr wohl! Und von diesem Umstand profitiert Thorsten Hendriks – offiziell Schadensgutachter, inoffiziell Drogenkurier. Die illegalen Machenschaften des Yogajüngers sind garantiert nicht gut fürs Karma, dagegen ist auch der stärkste Detoxtee machtlos.
Was Hendriks nicht weiß: Die Polizei beobachtet jeden seiner Schritte, in der Hoffnung, dass endlich einmal ein falscher darunter ist. Als Hendriks eines Tages seine Stammapotheke betritt, ändert sich die Lage auf unverhoffte Weise. Und das Universum schlägt zurück …
»Der Kurier« ist der neunzehnte Band der Kurzkrimi-Reihe hey! shorties – Lieferung erhalten!
Details
- Titel
- Der Kurier
- Autor
- Robert Lynn
- Erscheinungsform
- Neuauflage ISBN (eBook): 9783942822893
- Dateigröße
- 600 KB
- Preis (Ebook)
- US$ 1,99
- Sprache
- Deutsch
Leseprobe
Der Kurier
Berni Rempf hatte seine Firma wegen der einzigen Vorliebe, die er mit Hendriks teilte, der für Irland, nach dem Nationalsymbol des Landes benannt. Sie hieß Die Harfe. Ein stilisiertes Instrument war in die lackierte Holzschrift über dem Eingang eingearbeitet. Laden, Büro, Konferenzzimmer und Lager nahmen einen großen freistehenden Pavillon an der Osdorfer Landstraße ein, schräg gegenüber dem Elbe Einkaufszentrum. Polierte Holzregale in zwei lichtdurchfluteten Räumen stellten ausgewählte Ingredienzen für das naturnahe Leben zur Schau. Es gab eine kleine Lebensmittelecke mit Ballaststoffen, Geschmacksaromen, Trockenobst und achtundzwanzig Sorten unbehandelten Reis neben einer größeren Kosmetikabteilung, wo von ätherischen Ölen und Essenzen in bauchigen Flaschen über eine endlose Palette Pflanzenfarben bis zu Glyzerin, Ethanol und festen Trägersubstanzen für Cremes oder Make-up alles für die Schönheit zu kaufen war.
Rempf schäkerte an der Kasse mit einer Kundin. Als Hendriks unter dem Geläute eine Windharfe eintrat, winkte er ihm zu. Er trug Segeltuchsandalen an den nackten Füßen, Leinenhosen und einen fließenden Kaftan aus Naturseide. Sein dünner mausgrauer Pferdeschwanz wippte beim Lachen. Die Kundin zahlte und ging.
»Hallo, Tho«, sagte Rempf. »Dein Karton ist gepackt. Komm mit nach hinten.«
Hendriks folgte ihm in das Büro, das außer einem gläsernen Schreibtisch und einem Regal aus Rauchglas keine Möbel enthielt. Rempf wies auf einen offenen Karton neben dem Schreibtisch. Hendriks hockte sich daneben und prüfte den Inhalt: braune und klare Flaschen, flache Kilobeutel mit weißem und hellgrünem Pulver, Flakons, sechs Packungen Reis, getrocknete Aprikosen und zwei kostbare chinesische Kästchen, die winzige verkorkte Fläschchen mit verschiedenfarbigen Kristallen enthielten. Die Beutel trugen Aufschriften wie Apfelpektin, Inolin HT, Natriumcitrat oder Gummat HT – Gummi arabicum. Hendriks zählte sie und richtete sich auf. Unwillkürlich griff er unter sein Jackett, aber da war nichts zu finden. Er zog die Hand schnell wieder zurück und sah Rempf an. Berni ahnte, was ihm durch den Kopf ging.
»Ich weiß, ich weiß«, lachte er. »Einer fehlt. Seit gestern ist das eine Preisfrage, mein Lieber. Tut mir leid, wir müssen das besprechen. Du glaubst gar nicht, wie rasant die Betriebskosten steigen.«
Hendriks schluckte seine Wut hinunter. Gleichzeitig war er froh, dass er die Glock in der Kiste gelassen hatte. Wer weiß, was passiert wäre, dachte er, wenn ich gewusst hätte, was der Kerl hier abzieht.
Rempf führte Hendriks durch die zweite Tür des Büros in ein edel möbliertes Konferenzzimmer neben dem Lager, nötigte ihn auf einen komfortablen Stuhl und schenkte sich Cognac ein. Seinem Gast reichte er ein hohes Glas mit stillem Wasser. Darauf schwamm eine Zitronenscheibe.
Hendriks trank und stellte Fragen, Rempf antwortete mit gewundenen Exkursen über Marktengpässe, riskante Vertriebsrouten und die Skrupellosigkeit der Konkurrenz. Das alles trieb leider die Preise in den Himmel. Er bedauerte, dass er den Kostendruck nicht auffangen konnte und die Steigerung auch an gute Kunden wie Hendriks weitergeben musste.
Anfangs ließ Hendriks sich auf das Spiel ein. Er berichtete von eigenen Verteilungsproblemen und einem bedenklichen Nachwuchsmangel im Außendienst, der sich ungünstig auf seine Präsenz am Markt auswirkte. Zwar hatte er einen Kandidaten im Auge –
»Aus der Kickbox-Gruppe?«, fragte Rempf.
Hendriks nickte, aber zurzeit war er weitgehend auf die Kieler Connection angewiesen. Preiserhöhungen waren das Letzte, was er brauchte.
»In anderen Worten«, lächelte Rempf, »Marthe hat dich am Kanthaken. Pech, aber so unangenehm ist dir das ja auch wieder nicht, oder? Wie auch immer, das ist dein Problem, Tho. Zehn Prozent mehr müssen schon sein. Tut mir leid, wie gesagt.«
Hendriks verlegte sich aufs Feilschen, lief gegen eine Wand und wurde laut. Mittlerweile hätte er sich ohrfeigen können, dass er die Glock 7.25 zu Hause gelassen hatte. Als er begriff, dass Rempf keinen Millimeter nachgeben würde, stand er langsam auf. Sein Gesichtsausdruck bewog Rempf, einen Knopf unter der Tischplatte zu drücken. Zweihundertsechzig Pfund verteilt auf eins achtundneunzig stürmten herein.
»Hallo, Kolja«, sagte Hendriks und setzte sich wieder.
Kolja Korn, ein Ex-Catcher, war Bernis Mann fürs Grobe.
Zehn Minuten später schüttelten sich Hendriks und Rempf die Hände. Korn holte den letzten Kilobeutel aus dem Lager und stopfte ihn zuunterst in den Karton. Hendriks verabschiedete sich höflich. Rempf und Korn winkten von der Ladentür, als der blaue Saab auf die linke Spur der Osdorfer Landstraße scherte und am Ende des Grünstreifens wendete.
Sie folgten ihm mit Blicken, bis er in die Heinrich-Plett-Straße in Richtung Botanischer Garten einbog.
»Papi fährt nach Hause zu Mami«, höhnte Korn.
»Ach ja, muss Liebe schön sein.«
»Und keine zwei Stunden später macht er mit Marthe Wennstedt rum.« Rempfs Stimme klang angeekelt. »Von Treue hat der nie was gehört. Pfui Teufel, kann ich da nur sagen.«
»Da bist du ja ganz anders.«
»Was soll denn das nun wieder?« Berni kniff Kolja in die Wange. »Du Schlumpf. Hab ich dir je auch nur den kleinsten Anlass zur Eifersucht gegeben?«
Die Frau mit dem Fernglas hatte ihren Posten auf dem oberen Parkdeck des EEZ nicht verlassen, seit Hendriks die Tür zur Harfe aufgestoßen hatte. Das Glas war ausgezeichnet. Durch die Ladenfenster konnte sie die Begrüßung zwischen Hendriks und Rempf beobachten. Rempfs Ökocharme ging ihr entschieden auf die Nerven, Hendriks′ Profil dagegen hatte es ihr ebenso entschieden angetan. Sie schwärmte für ihn, seit sie das erste Foto gesehen hatte, vor acht Jahren, als sie frisch von der Hochschule kam und noch sehr grün hinter den Ohren war. Schon der erste Blick in die Akte ließ keinen Zweifel: ein großer Fisch. Ein schöner Fisch. Seitdem hatte sie sich immer wieder erfolglos um ihn bemüht, auch wenn er das nicht wusste. Er kannte sie nicht einmal. Sie dagegen wusste eine Menge über ihn.
Ohne den Blick von der Ladenfront zu lösen, steckte sie das Fernglas in die Handtasche. Wenn Hendriks herauskam, würde sie ihn mit bloßem Auge sehen. Aus der Distanz war der Anblick seines Profils immer noch reizvoll genug, und er bewegte sich traumhaft. Ihre Hand berührte kaltes Metall. Sie lächelte. Handschellen waren so praktisch, im Dienst und manchmal auch privat.
Ihr Handy klingelte. Elfi Sicks meldete sich aus Kiel. Die Frau hörte zu.
»Nein«, sagte sie. »Du bleibst dran. Er kauft gerade ein, und Marthe ist ja auch noch nicht soweit. Trotzdem, ich hab das Gefühl, heute steigt noch was. Melde dich nachher. Tschüs.«
Nun setzte sie das Glas doch wieder an und wartete. Zwanzig Minuten später schleppte Hendriks einen Karton aus dem Laden, verstaute ihn im Kofferraum, nickte den Gestalten in der Tür zu und setzte sich ans Steuer.
Die Frau stieg in einen rosa Cinquecento. Mit quietschenden Reifen navigierte sie über die Rampe ins Unterdeck und dann nach draußen. An der Tankstelle wartete sie mit laufendem Motor. Als der Saab vorbeiglitt, ließ sie eine Lücke für zwei nachfolgende Wagen und hängte sich an. Sie fuhr locker, ihre Rechte sank in die Öffnung der Handtasche und streichelte die Handschellen. Sie mochte die altmodische Stahlacht lieber als Einwegfesseln aus Plastik. Sie lag besser in der Hand und schnarrte so nett beim Schließen. Und man konnte den Delinquenten an etwas fesseln: ein Gitter zum Beispiel, oder ein Bettgestell. Als sie hinter Hendriks herfuhr und später in das Hochrad einbog, träumte sie von Spielen, die sie gern mit ihm spielen würde.

Robert Lynn
Robert Lynn, 1949 in Chemnitz geboren, lebt seit 1957 mit wachsender Begeisterung in Hamburg, hat aber immer wieder längere Zeit in den USA und in Frankreich verbracht. Neben dem Schreiben ist er als Lehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Freizeit gehört ganz der Familie und seinen sportlichen Hobbies – statt mit dem Auto ist er mit einem Tourenrad unterwegs, spielt außerdem Squash und fährt Ski. Für »Der Samurai im Elbberg« – bei den »hey! shorties« unter dem Titel »Todestage« erschienen – erhielt er 2002 den »Marlowe« als Literaturpreis für Kriminalliteratur, mit »Die Meute im Nacken« von 1998 wurde er für den »Friedrich-Glauser-Preis« nominiert.Foto: (c) privat