
Acht Erwachungen
von
Katja Huber
Seiten: (ca.) 30
Erscheinungsform: Originalausgabe
Erscheinungsdatum: 18.12.2013
ISBN: eBook 9783956070112
Format: ePUB und MOBI (ohne DRM)
Autor

Es war irgendwann um die Jahrtausendwende, ein paar Jahre vorher oder nachher, von heute aus betrachtet völlig unwichtig. Die Leute liefen auf jeden Fall noch nicht ausnahmslos mit flachen Rechtecken vorm Kopf durch die Gegend, um sich ein Bild zu machen, und es existierten noch Augenblicke und Orte, in und an denen wir uns nicht per Knopfdruck ins Gedächtnis einer beliebigen Person rufen, in deren Gefühlsleben einmischen, deren Alltag unterbrechen konnten.
Ich war besessen von den Gedichten und Geschichten von Richard Brautigan, von den Kürzestgeschichten und »Fällen« von Daniil Charms, von Nabokovs Schmetterlingen und allen anderen Dingen mit Flügeln und einem Herzen.
Ich war noch niemals in New York gewesen, malte mir aber täglich aus, wie es wäre, an einem unspektakulären Sommernachmittag in Manhattan Woody Allen über den Weg zu laufen, ihn mit nur einem genialen Satz oder besser noch mit einer einzigen Geste in einen Dialog zu verwickeln, einen intellektuellen natürlich, der, in Form von Gesprächen, Telefonaten und schreibmaschinen-getippten Briefen über Jahre andauern würde und erst mit dem Tod - rational betrachtet: mit seinem, weniger rational betrachtet: mit meinem, romantisch betrachtet: mit unser beider, enden würde.
Ich malte mir sehr sehr viel aus, ein paar Dinge aber waren klar:
Daniil Charms und Richard Brautigan waren tot.
Vladimir Nabokov auch.
Woody Allen war in meinem Leben omnipräsent, ich in seinem nichtexistent.
All das würde sich niemals ändern.
Nicht nur im tiefsten Inneren spürte ich, dass das völlig ok war.
Alles, was, und alle die uns beschäftigen sind eh da, passieren, finden statt.
Momentan würden sich vermutlich weder David Bowie noch bisexuelle Rabbiner in eine meiner Geschichten verirren, ohne eine Großmutter komme ich bis heute schwer aus.
»Acht Erwachungen« versammelt fünf teils frühe Erzählungen von Katja Huber, die bisher noch nicht in Buchform veröffentlicht wurden.
Details
- Titel
- Acht Erwachungen
- Untertitel
- Fünf Erzählungen und ein Protokoll. Mit einem Vorwort von Katrin Schuster
- Autor
- Katja Huber
- Seiten
- 30
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Preis (eBook)
- 2,99 EUR
- ISBN (eBook)
- 9783956070112
- Sprache
- Deutsch
Leseprobe
Acht Erwachungen. Fünf Erzählungen und ein Protokoll
Was soll man machen, wenn man frei hat, es aber nicht ist? Beleidigte Zicken-Gedanken in die dicke Sommerluft stapeln? Natürlich nicht. Also höre ich auf. Manipuliere mich jetzt einfach. Zusammenreißen mögen es andere nennen. Ich singe ein lustiges Lied, sauge den Sonnenblumenduft vom Balkon ein, während ich die letzten Eigelbe von meiner Hose kratze. »Mmmhhhh, das wird ein Omelette! Mmmmhhh … So schön ist das Leben! So bunt und groß, jeden Tag anders und: eigentlich ein Wunder!«
So wundervoll, dass es klingelt. Ein Mal. Zwei Mal. Drei Mal. Neee, jetzt wirklich, es klingelt. An meiner Wohnungstür. Zum Glück bin ich schon wieder ganz sauber und voller reiner Gedanken. Einfach zur Tür gehen und aufmachen ist also gar kein Problem. Ich gehe jetzt einfach zur Tür und mache auf. Da steht David Bowie. Der David Bowie. Da mache ich die Tür doch gleich wieder zu. Nicht, dass ich was gegen David Bowie hätte, im Gegenteil, aber: Vor meiner Tür – ich weiß nicht! David Bowie klingelt. Sturmklingeln, nennt man das. Mann, das kommt mir jetzt wirklich ungelegen, aber: Vielleicht ist es ja was Wichtiges! Ok, wenn nicht, kann ich die Tür ja wieder zumachen. Also öffne ich, und David Bowie lächelt. Er hat ’ne Tasse in der Hand, merke ich erst jetzt.
»Sorry, kannst du mir ein bisschen Mehl borgen?« ,fragt er, natürlich in perfektem Englisch. Klar, Mehl will er haben, typisch! Hat Millionen auf’m Konto und will von mir: Mehl. Manche Leute gehen doch tatsächlich über Leichen! Aber was hab ich denn erwartet? Dass er meine Plattensammlung sehen will und meinen guten Geschmack lobt? Dass mein lustiges Lied auf die Straße gedrungen ist, und dem sich zufällig in dieser Stadt aufhaltenden David Bowie – dem David Bowie das Herz gewärmt hat? Ja, irgend sowas habe ich wohl erwartet.
Und er will Mehl! Kann er haben, von mir aus! Also sage ich »Yes!« Meine Englischkenntnisse wollte ich sowieso mal wieder auffrischen. Ist ja auch schon gute zehn Jahre her, dass ich in der Schule war. Ich bitte ihn nicht rein. Weil: »Would you please come in?« klingt mir auf einmal verdammt nach Liedzitat. Von Lodger oder Ziggy Stardust oder, auf jeden Fall von ’ner Bowie-Platte. Am Ende denkt er noch, ich will mich anbiedern. Also lass ich ihn draußen stehen.

Katja Huber
Katja Huber studierte Slawische Philologie und Politische Wissenschaften. Sie lebt mit ihrer Familie in München und verfasste dort bisher Hörspiele, Prosa, ein Theaterstück und Romane, außerdem leitet sie regelmäßig Schreibworkshops. Seit 1996 kommt dazu Hörfunkarbeit beim Bayerischen Rundfunk, seit 1999 beim Zündfunk, Bayern 2.2014 erscheint ihr vierter Roman »Nach New York!« im Secession Verlag.
© Autorenfoto: Edward Beierle
www.katjahuber.de