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Die Weisheit ist weiblich

Geschichten von ganz besonderen Frauen und Männern

©2013 0 Seiten

Zusammenfassung

Wer wäre das nicht gerne, weise? Das klingt nach Wissen und Erfahrung, nach Ruhe und Gelassenheit und vor allem: Es hebt einen ein wenig über die anderen. Was aber ist weise? Wie zeigt sich Weisheit? Maria von Welser nimmt den Faden auf und erzählt uns Lebens- und Weisheitsgeschichten von Rosa Luxemburg und Olympe de Gouges, von Aung San Suu Kyi und Mahatma Gandhi, von Hildegard von Bingen und Nelson Mandela, von Hannah Arendt und noch vielen anderen. Und sie zeigt: Weisheit liegt vor allem im Engagement, im furchtlosen und gezielten Handeln, im Einsatz für eine bessere Welt. Und gibt die Antwort auf die Frage, warum die Weisheit weiblich ist.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Weise wären wir doch alle gerne

Einleitung

Wer wäre das nicht gerne, weise? Das klingt nach Wissen und Erfahrung, nach Ruhe und Gelassenheit und vor allem: Es hebt einen ein wenig über die anderen. Wir wären nicht unbedingt gerne »alt und weise«, aber weise schon. Was aber ist weise? Wie zeigt sich Weisheit? Wie oft in unserem Leben haben wir weise reagiert, gehandelt? Und wie oft das pure Gegenteil gemacht? Ist es dann dumm? Wer sich dem Thema Weisheit nähert entdeckt meterweise Literatur, im Internet, wo man modernerweise als Erstes zu recherchieren beginnt. Aber als altmodischer Mensch zieht es einen auch in Buchhandlungen. »Weisheit?« – Die Buchhändler sind erst mal irritiert. Der mir dann schon vertraute Griff an die Stirn passt gut in Robert Lembkes »Heiteres Beruferaten«. Fürs Erste entdecke ich: Weisheit ist wohl in der Literatur eher männlich besetzt. Weise Frauen leben anscheinend nur im Mittelalter, und Weisheit ist vor allem immer eines: alt. Nie würden irgendwo Babys als weise bezeichnet werden. Ganz selten junge Menschen. Und wenn, dann wird deren Weisheit immer in Bezug auf ihr Handeln so bezeichnet.

Und dann gibt es weise Sprüche, die, aufgelistet, die Literaturverzeichnisse zum Thema »Weisheit« weit übertreffen. Das beginnt mit: »Viele klettern so schnell, dass sie gar nicht merken, dass sie auf den falschen Berg gestiegen sind« (buddhistische Weisheit). Oder: »Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht die Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten und Aufgaben zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem endlosen Meer« (Antoine de Saint-Exupéry). Jeder hat so seine eigenen »Weisheiten« parat, das Gedicht mit den Stufen (»… und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne«) passt an so vielen Stellen im Leben, Aristoteles wird auch gern genommen in den Listen der Weisheitssprüche: »Der Anfang aller Weisheit ist die Verwunderung.«

So wünsche ich mir, dass Sie sich, geneigte Leserin, geneigter Leser, wundern. Uber Geschichten, die von weisen Frauen und Männern erzählen. Die sich ineinander verweben zu einem anregenden, bunten und wilden Stück Stoff aus Menschengeschichten.

Ich werde Ihnen nicht die unzähligen Definitionen und Konzepte zur Weisheit liefern, die sich zwischen Wissen und Intuition, zwischen Verstand und Gefühl, Reife und Kindlichkeit, aber auch Klugheit und Torheit entwickeln. Als Gegenstand zwischen Philosophie und Theologie, in allen Religionen ebenso wie in der Ethnologie, der Soziologie und Psychologie. Man wird fündig in der Märchen- und Mythenforschung – da begegnet einem die Weisheit vor allem als Archetypus der »weisen alten Frau« und des »weisen alten Mannes«. Weisheit versteckt sich überall zwischen Kunst, Literatur und Musik. Nein – ich bleibe ganz konsequent an den Menschengeschichten. Da ich zutiefst überzeugt bin, dass jeder Einzelne einzig ist, dass es keine Dubletten gibt im großen Ganzen der Menschheitsgeschichte. So wird jeder einzigartig für sich weise sein – oder dumm, einfältig, töricht, ein Narr oder Idiot.

Das Wort »weise« wird bereits im achten Jahrhundert verwendet. Wîsa, wîs sagten die Menschen im Althochdeutschen wahrscheinlich. Die Sprachforscher sind überzeugt, dass es mit der Bedeutung von »kundig im Hinblick auf eine Sache«, mit klug und erfahren zu tun haben muss. Es gibt wohl auch Beziehungen zum lateinischen videre, »sehen«, und dem griechischen oida, »wissen«. Dazu erschließt sich jedem, der mit Sprache umgeht und sie bewusst nutzt, dass das Wort »unterweisen« abgeleitet wurde von »weise« in der Bedeutung von »zeigen, führen, belehren«. Wenn wir in den Texten und Gedichten der althochdeutschen Sprache das Wort »Wîsheit« finden, dann wird damit der Zustand des Weiseseins bezeichnet. Erstaunlich aber auch, dass das Wort »Witz« wohl ähnliche Wurzeln wie die Weisheit hat: Witz in der Bedeutung von »Klugheit, Schläue, mit Witz und Tücke«, ist zuweilen in alten Texte zu lesen.

Die Religionen auf unserer Welt scheinen ohne Weisheit wohl nie entstanden zu sein. In der christlichen Bibel wird die Weisheit als Geschenk Gottes dargestellt. So erhielt der Weise Salomo seine sprichwörtliche Weisheit als Antwort auf ein Gebet. An anderen Stellen erleben die beschriebenen Menschen das Geschenk der Weisheit als Summe persönlicher Erfahrungen. Also doch: Menschengeschichten.

Der Buddhismus bezeichnet Weisheit mit dem Begriff »Prajna«, was die ganz große, umfassende Weisheit umschließt, die alle Dinge und Phänomene im Universum durchdringt. Untrennbar verbunden mit »Sunyata« als der Erkenntnis, dass alle erscheinenden Phänomene leer und von einem eigenständigen, ihnen innewohnenden Sein sind. Daraus ergibt sich konsequenterweise der Weg zum Ziel, der Erlangung der Erleuchtung.

Im Hinduismus heißen Weisheit und Wissen in einem einzigen Wort »Vidya«. Zwei Begriffe in einem Wort, weil es auch – wie im Yoga – darum geht, den Dualismus aufzulösen, zunächst die Gedanken zu stoppen, im Hier und Heute zu sein, zu leben.

Auch im Konfuzianismus und im Daoismus hat die Weisheit wie in der chinesischen Philosophie einen großen Stellenwert. Dabei ist dort Weisheit immer auch verbunden mit Menschlichkeit, Ehrfurcht vor den anderen und der Natur, und mit Umgangsformen, die zu den Kardinaltugenden gezählt werden. Also: Wie gehe ich mit einem anderen Menschen um, mit der Natur, den Tieren, Pflanzen? Das wird auch unter dem Wort »Weisheit« verbucht. Erziehung, Lernen und Bildung sind darum bei den Anhängern des Konfuzius elementare Bestandteile des Lebens, wichtige Bausteine auf dem Weg zur Weisheit. Im Daoismus liegt der Schwerpunkt auf einem Leben in Harmonie mit der Natur und dem Kosmos, im Ausgleich von Yin und Yang: Im weisen Umgang mit sich und der Umwelt.

Es ist und bleibt eben der Mensch, wie er Weisheit lebt – oder nicht. Egal in welcher Religion.

Wo wir alle aber nach dem Eintauchen in die Religionen dieser Welt ebenfalls viele weise Menschen treffen, ist in der Welt der Märchen und Mythen. Da wimmelt es nur so von »weisen alten Frauen«, von »weisen alten Männern«. Frau Holle oder Gandalf, des Teufels Großmutter oder Meister Yoda – die Weisen beflügeln wohl die Fantasie der Märchenerzähler.

Aber auch in unserer modernen Zeit begegnen uns Menschen, die uns zum Träumen bringen. Barack Obama hat anscheinend bei seiner Wahl die Amerikaner zum Träumen verführt. Wie das aber so ist bei Luftschlössern: Lange gehalten hat es nicht. Er ist wohl auch noch nicht alt und erfahren genug, um wirklich zu weiser Politik fähig zu sein. Um alle Hoffnungen zu erfüllen auf Frieden, Chancengleichheit für alle, eine rundum gerechte Welt. Wir erinnern uns sicher noch, als dieser junge Barack bei seinem ersten Treffen mit Angela Merkel gar die deutsche Kanzlerin als »weise, offen, pragmatisch« lobte. Da stockte dann doch einigen in diesem Lande der Atem. Wie gerne hätten wir alle eine weise Kanzlerin? Allein der Glaube daran hat wohl in den vergangenen Jahren ihrer Amtszeit ein wenig gelitten. Wo bleiben Klugheit, Weisheit während der Bankenkrise, beim Verfassen des Koalitionsvertrages, bei der Verabschiedung des Wortmonsters Wachstumsbeschleunigungsgesetz?

Der Dalai Lama, Oberhaupt der Buddhisten, mit Wohnsitz im nördlichen Indien, begeistert ebenfalls die Menschen. Seine Bücher zu den menschlichen Grundfragen, zu Liebe, Weisheit, Toleranz, über das Öffnen »des Weisen Auges«, zu Glück im Leben und vor allem zum Glauben werden in Millionenauflagen gekauft und verschlungen. Wenn er Menschen zu Gesprächen lädt, auch über Weisheit, kommen sie zu Tausenden, um seinen Worten zu lauschen. Er zählt zu den noch lebenden »weisen Männern« dieser Welt. Wie auch Nelson Mandela, der 27 Jahre im Südafrika im Gefängnis verbrachte und dann sein Land weg von der Apartheid in eine Demokratie zu führen versuchte. Sie alle eint neben der ihnen attestierten Weisheit aber auch Charisma, eine Ausstrahlung, der sich andere Menschen nicht entziehen können. Auch der britischen Prinzessin Diana wird Charisma attestiert. Nach ihrem tragischen Tod in einem Pariser Tunnel trauerte die ganze Welt. Ebenso beim Tod – übrigens in der gleichen Woche – von Schwester Teresa, die sich in Kalkutta um die Armen und Kranken aufopferungsvoll kümmerte.

Da kann man sich fragen, ob Charisma immer Hand in Hand mit der Weisheit den Menschen geschenkt wird? Wohl eher nicht. Sonst würden nicht oft auch charismatische Menschen andere ins Unglück fuhren können. Charisma ist also nicht Weisheit. Wenn Charisma aber Weisheit ergänzt, dann scheinen solche begabten Menschen die Welt wirklich verändern zu können. Hin zum Positiven.

Folgen Sie mir also jetzt auf den Pfaden der Menschen, die in der Wissenschaft, Wirtschaft, in Politik und Kunst, Kultur und Medien Zeichen der Weisheit setzten. Entdecken Sie mit mir Erstaunliches. Zum Beispiel: Weisheit ist – auch – weiblich. Wenn so viel über weise Männer geschrieben wurde, dann nur deshalb, weil Frauen Jahrhunderte keinen Zugang zu Bildung hatten. Sie durften nicht schreiben und lesen lernen. Geschichtsschreibung war männlich. Männer verfassten die Geschichten, und die schrieben vor allem und am liebsten über: Männer. Ein Buch über »Weisheit« ist also genau der richtige Ort, dieses Ungleichgewicht zu ändern. Denn Weisheit ist auch weiblich.

Wagen Sie sich mit mir auf die Spurensuche. Ganz wie Aristoteles es formulierte: »Der Anfang aller Weisheit ist Verwunderung.« Er hätte sich wohl nicht über den Titel dieses Buches gewundert. Denn in seiner Sprache, der griechischen, heißt die Weisheit Sophia – und ist weiblich. Was sonst.

Maria von Welser

Hamburg 2011

Ist weise Politik männlich oder weiblich?

Wenn der amerikanische Präsident Barack Obama die deutsche Kanzlerin Angela Merkel als »weise, offen und pragmatisch« lobt, dann ist das schon nachdenkenswert: Politiker, die sich als »weise« bezeichnen – sind sie es denn auch wirklich? Die Welt hofft seit der Wahl von Barack Obama, dass er »weise« Entscheidungen treffen werde. Aber die Wirklichkeit scheint nicht geeignet, dass sich führende Politiker in ihrem Metier weise verhalten können. Ist das einer der Gründe, warum Politik vor allem von Männern gemacht, geprägt, ausgeführt wird?

Alle Forschungen über die Psychologie von Mann und Frau bestätigen, dass die beiden Geschlechter Macht und Stärke aus ganz unterschiedlichen Positionen heraus erleben. Macht wird von Männern durch Selbstbehauptung und Aggression erlangt, während Frauen ihre Stärke durch Fürsorglichkeit zu erreichen versuchen. Männer neigen zum Angriff, Frauen zu Intuition, Hingebung, geistiger Wachsamkeit und Liebe. Doch bedauerlicherweise ergänzen sich diese beiden Eigenschaften keineswegs zum Wohle der Menschheit. Hier bewegt sich nichts. Dabei würde es allen Menschen helfen, Männern und Frauen gleichermaßen, wenn die beiden Geschlechter gemeinsam die Geschicke der Menschheit bestimmen würden.

Quasi als Gegenpol zur männlichen Politik wird ja immer das Matriarchat bemüht. Das Wort leitet sich vom lateinischen mater, »Mutter«, und vom griechischen Arché, »Beginn, Ursprung«, ab. Es war wohl eine Gesellschaftsstruktur, in der entweder die Frauen die Macht innehatten oder in der sich die Gesellschaft um die Frauen herum organisiert hat. Heute wissen nicht nur die Wissenschaftler, sondern auch die Feministinnen, dass in den Zeiten des Matriarchats in der Ur- und Frühgeschichte der Menschheit die Frauen gesellschaftlich prägend waren, aber nicht geherrscht haben. Also hat es das Gegenmodell zur männlich ausgerichteten Gesellschaft, das Patriarchat, so nicht gegeben.

Aber dennoch: Da bis heute matriarchale Völker in Indien, den USA, Nordafrika und China existieren, lohnt es sich, die Grundsätze dieser gesellschaftlichen Ordnung genauer zu beleuchten.

Da ist einmal die Vaterschaft zweitrangig, die Familie lebt im Haus der Mutter. Das politische System basiert auf dem Konsens der verschiedenen Sippen, des Dorfes und der Menschen in der Region. Matriarchale Gesellschaften sind meist Acker- und Gartenbaugesellschaften, Land und Haus verbleiben im Besitz der Sippe und nicht im privaten Eigentum. Die Frauen besitzen die Kontrolle über die wichtigen Lebensgüter, alle erhalten anteilig Waren.

Weltanschaulich sind es religiöse Gesellschaften. Die Erde als die Große Mutter garantiert die Wiedergeburt und die Ernährung allen Lebens. Die Welt gilt als heilig. Nicht alle matriarchalen Gesellschaften leben genau nach diesen genannten Kriterien. Aber mindestens drei dieser Grundsätze werden dort umgesetzt.

Wenn man weiß, dass auch heute in den Südländern, in der sogenannten Dritten Welt, die Männer nur zu 27 Prozent bereit sind, eigenes Geld für ihre Frauen und Kinder auszugeben, Frauen dagegen zu 82 Prozent, dann ist es sicher sinnvoll, einmal über diese Gesellschaftsform nachzudenken. Vor allem, wenn wir bei Politik sofort auch an Kriege denken.

Denn Matriarchat hin oder her: Diese Gesellschaftsform sagt wenig darüber aus, dass Frauen tatsächlich auch die politische Macht besitzen. In all diesen Gesellschaften ist es selbstverständlich, dass Männer alle repräsentativen Aufgaben außerhalb der Sippe wahrnehmen. Was noch nicht heißt, dass diese die alleinige Macht haben. Denn wenn – wie bei den Irokesen in den USA – den weiblichen Häuptlingen oder Clanchefs jeweils auch männliche gegenüberstehen, wird Verantwortung an Mann und Frau verteilt, auf vier Schultern getragen. Daraus ergibt sich ganz zwangsläufig: Man muss miteinander reden, sich absprechen und die Führungsrolle regelmäßig wechseln.

Aber noch eine ganz andere wichtige Tatsache ergibt sich aus diesem Abstimmungs- und Gesprächszwang: Organisierte Kriege sind absolut untypisch für matriarchale Gesellschaften. Sicher, es gibt Fehden im Sinne von Blutrache. Und die Bedeutung eines Krieges nimmt zu, wenn sich diese Gesellschaften, wie zum Beispiel auch die Tuareg in Nordafrika, gegen eindringende, kriegerisch organisierte patriarchale Völker zu verteidigen haben. Bittere Erkenntnis: Jeder Krieg unterhöhlt die matriarchalen Strukturen in der Gruppe, die Stellung der kriegführenden Männer wird stärker, die Macht der Frauen untergraben.

Sicher, wenn es um weise Politik geht, um weibliche Verhaltensweisen, die alles andere als kriegerisch veranlagt seien, dann tauchen sofort als Gegenbeweise die Namen von weiblichen Politikerinnen auf: die »Eiserne Lady«, Margaret Thatcher, die gegen Argentinien, und um die Falklandinseln für die Briten zu retten, siebzig Schiffe und 28 000 »Boys« in den Krieg schickte. Bilanz: Die Falklandinseln blieben bei Großbritannien, es gab über 900 Tote auf beiden Seiten, sechs Schiffe und 37 Flugzeuge und Hubschrauber wurden zerstört. Die Menschen daheim jubelten ihrer Premierministerin zu. Der Erfolg heiligt die Mittel, und alles ist ja – fast – gut ausgegangen.

Immer, wenn es um kriegerische Frauen in den Höhen der Politik geht, wird auch die ehemalige israelische Präsidentin Golda Meir genannt. Die ukrainische Emigrantin hatte sich zunächst in der zionistischen Bewegung der USA engagiert und ist dann wesentlich an den Vorbereitungen für den Aufbau eines jüdischen Staates in Palästina beteiligt gewesen. 1948 wird Golda Meir eine der Gründerinnen Israels. In der Arbeiterpartei wählen sie die ersten Siedler zur Führerin, später wird sie Arbeitsministerin, Außenministerin und 1969 für fünf Jahre Regierungschefin des jungen Staates. In ihre Amtszeit fällt der Jom-Kippur-Krieg, der mit einer schweren außenpolitischen Krise einhergeht. Sie muss trotz der gewonnenen Wahl 1974 ihr Amt als Regierungschefin niederlegen. Ihre Rolle während des Krieges wird von einer parlamentarischen Untersuchungskommission als nicht immer mit dem Gesetz vereinbar festgestellt.

Margaret Thatcher und Golda Meir sind weibliche Ausnahmen auf der politischen Bühne der vergangenen Jahrzehnte.

Bis heute ist und bleibt Politik männlich, selten ist sie weise, und sehr oft führt sie in einen Krieg. Der jüngste Krieg gegen den Irak und die vermeintlichen, aber nie gefundenen »Massenvernichtungswaffen« sind nur ein Beispiel. Frauen werden selten dabei angehört, können sich nicht einbringen – sie haben nur über die Maßen unter den Folgen zu leiden.

Das zieht sich durch die Geschichte bis zum heutigen Tage.

Blicken wir zurück in unsere Vergangenheit, so beginnt die dramatische Verdrängung der Frauen aus dem öffentlichen Leben in das Private mit Beginn der Renaissance. Eine Verdrängung, die sich weiter fortsetzt bis zum Beginn des modernen Zeitalters. In seinem Buch »Rückkehr zum Weiblichen« beschreibt dies Paul Tournier eindringlich: »Das Gefühl gerät in Misskredit zugunsten der Vernunft, der Körper zugunsten des Verstandes, die Person zugunsten der Dinge.« Damit erklärt er die heutige abendländische Welt, die so vollkommen, so mächtig, so leistungsfähig, aber auch so kalt, hart und langweilig daherkomme.

Doch es gibt sie in der Geschichte, die Frauen, die sich wehren. Die handeln, aber später von den männlichen Geschichtsschreibern kaum erwähnt werden. Dieses »nicht erwähnt werden, nicht vorkommen, nicht mal ignoriert werden«, das fällt bei all diesen Persönlichkeiten auf. Eine von ihnen ist Olympe de Gouges. – Olympe wer?

Robespierre, Danton und Mirabeau kennen wir alle. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, glänzender Auftakt und Vermächtnis der Französischen Revolution, ist ebenso berühmt wie deren Umschwung in die Schreckensherrschaft berüchtigt ist. Aber wer weiß, dass es eine »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin« gab, und dass ihre Verfasserin der Guillotine zum Opfer fiel?

Dass wir so wenig, wenn nicht gar nichts davon wissen, verdanken wir der immer wieder festgestellten »männlichen« Geschichtsschreibung. Noch 200 Jahre später fehlt in einer Biografie über Persönlichkeiten aus Geschichte und Politik keiner der oben genannten Revolutionäre – dazu treten noch drei Aristokratinnen, nämlich Marie-Antoinette, Charlotte Corday und Madame de Stael. Olympe de Gouges und ihr unvergleichlicher Kampf um die Gleichberechtigung und die Menschenrechte für Frauen wird – verschwiegen. Und es kommt noch bitterer von den Herren Geschichtsschreibern: Sie behaupten doch glatt, eine »feministische Bewegung während der Revolution« habe es nicht gegeben. Was mehr als falsch ist: Von Anfang an haben sich die Frauen aktiv an der Revolution beteiligt. Sechs- bis siebentausend Pariserinnen sind nach Versailles aufgebrochen, um dem König und der Nationalversammlung ihre wirtschaftliche Not vor Augen zu führen. Sie waren außerordentlich erfolgreich, erreichten erschwingliche Festpreise für Brot und Fleisch und die Unterschrift des Königs unter die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Allen voran Olympe de Gouges. Aber das Blatt wendet sich: Das männliche Imperium schlägt zurück.

Olympe sieht die Gefahr, beklagt sich immer wieder über fehlende weibliche Solidarität. Jetzt heißt es öffentlich, Frauengesellschaften seien gefährlich. Sie werden verboten – und vier Tage später wird die Kämpferin Olympe de Gouges auf dem Schafott hingerichtet. Es ist der Anfang vom Ende der ersehnten Gleichberechtigung. Aber es kommt noch schlimmer. Was Olympe vorausgesehen hatte und so vehement in ihren Schriften anprangerte, tritt ein: Die Frauen verlieren jetzt auch noch die meisten der bürgerlichen Rechte, die ihnen auch durch den Einsatz von Olympe de Gouges während der Revolution zugestanden worden waren. Lediglich die Volljährigkeit mit einundzwanzig Jahren und die Erbberechtigung der Töchter bleiben bestehen. Ab jetzt stehen die Frauen ihr Leben lang unter der Vormundschaft von Männern, zuerst des Vaters, dann des Gatten. Sie dürfen weder allein Urkunden unterzeichnen noch als Zeuginnen Akten bestätigen. Über ihren Besitz darf die Frau nur mit Zustimmung des Mannes verfügen. Für Ehebruch wird sie schwer bestraft, der Ehemann mit einer Geldbuße belegt. Von Olympe de Gouges kein Sterbenswörtchen mehr. Für zwei Jahrhunderte versinkt die Kämpferin um Frauenrechte in den Annalen der Geschichte.

Denn die Geschichte der Kriege ist eine Geschichte der männlichen Politik und Herrschaft. Auf vierzehn DIN-A-4-Seiten reihen sich engbeschrieben seit der Antike Kriege an Kriege. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind weltweit mindestens 25 Millionen Menschen durch Kriege gestorben. Im 20. Jahrhundert sind es etwa 100 bis 185 Millionen tote Menschen: Zweiter Kongokrieg, Koreakrieg, Vietnamkrieg, die Kriege in Afghanistan, im Golf, Nigeria und Ruanda – es ist das schlichte Grauen. Aktuell im 21. Jahrhundert bekämpfen sich in großen Kriegen im Nahen Osten, in Afghanistan, an der Elfenbeinküste, im Irak, in Darfur, in Kivu, Südossetien, im Libanon und in Pakistan die Menschen.

Darunter leiden vor allem Kinder, Frauen und alte Menschen. Das muss immer wieder klar und deutlich ausgesprochen werden.

Nach der französischen Revolution bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 stehen nur Männer den Staaten vor. Dass da einige als »weise« bezeichnet werden könnten, findet sich in keinem der Geschichtsbücher. Fatalerweise sind es wohl die beiden Weltkriege 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945, die den Frauen erst wieder die Möglichkeiten geben, mehr an politischen Aufgaben zu übernehmen, da die Männer an der Front, in Kriegsgefangenschaft oder gefallen sind.

Untrennbar mit den politischen Veränderungen dieser Zeit verbunden ist der Name Rosa Luxemburg. Ihr Satz: »Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden.« Dieser visionäre Satz ist großes politisches Bekenntnis. Eine Kämpferin, die sich selbst und andere zu befreien versuchte. Die sich wütend und mutig gegen Militarismus und Kaiserreich stellt, mit ihren revolutionären Theorien hofft, die Lebensbedingungen vor allem der Arbeiterfamilien zu verbessern. Eine Revolutionärin, eine deutsche Kommunistin! Noch heute wenden sich manche mit Grausen ab. Als Kind bringt sie sich mit fünf Jahren während eines einjährigen Krankenhausaufenthaltes Schreiben und Lesen bei, übersetzt als Neunjährige deutsche Gedichte ins Polnische und schreibt schon früh diesen Satz: »Man soll sein wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt.«

Weise erscheint das nicht. Da fehlt jegliche Gelassenheit. Aber Rosa Luxemburg hat in ihrem kurzen Leben bis zum brutalen Mord an ihr durch Freikorps-Soldaten im Berliner Landwehrkanal Geschichte geschrieben. Da gelingt dann nicht mehr, was einer Olympe de Gouges geschah: Rosa Luxemburg kann nicht übersehen, nicht vergessen werden. Historiker setzen sich daran und recherchieren ihren Lebenslauf, schreiben alles akribisch auf: das Leben einer Revolutionärin und Gegnerin des kapitalistischen Wirtschaftssystems, aber auch einer mutigen Kämpferin für Freiheit und Demokratie. Unbestritten ist Rosa Luxemburg bis heute eine große Frau der Zeitgeschichte. Die nur ein Jahr den 17. November 1918 überlebt, den Tag an dem die deutschen Frauen das Stimmrecht erhalten. Denn dafür ist sie auch auf die Straße gegangen. Wenngleich ihr die Klassenfrage stets wichtiger ist als die Gleichberechtigung der Geschlechter – das soll, das darf an dieser Stelle nicht übersehen werden.

Noch aber ist es ein weiter Weg – bis heute! – damit Frauen teilhaben können an der Macht, damit sie Macht und Politik auf ihre Art und Weise und mit ihren Begabungen umsetzen können. Nachdem sich die Frauen in Deutschland dann 1918 das Wahlrecht erstritten haben, dürfen sie im Januar 1919 zur Wahl gehen. Ein überwältigender Tag: 82 Prozent aller in Deutschland lebenden Frauen geben ihre Wahlzettel ab – im Vergleich zu 77 Prozent der Männer. Das ist der Weg in die Parlamente, an die Stellen, in denen über Geld und Gesetze, Rechte und Räson entschieden wird.

Eine, die die Gelegenheit beim Schopf packt und es gleich 1919 mit einer Kandidatur für ein Gemeindeparlament versucht, ist die Juristin und Sozialdemokratin Elisabeth Selbert. Fast dreißig Jahre, bis nach dem Zweiten Weltkrieg, sollte es aber dauern, bis sie endlich da ist, wo sie wirklich etwas ändern kann: im Parlamentarischen Rat, der eine Verfassung für die Bundesrepublik erarbeiten soll und diesen Auftrag später mit der Formulierung des Grundgesetzes verwirklicht. Elisabeth Selberts erklärtes Ziel: die gesetzlich verankerte Gleichberechtigung von Mann und Frau. Aber das ist alles andere als selbstverständlich und klar. Auch wenn Elisabeth Selbert damals in ihr Tagebuch schreibt: »Die Festschreibung der Gleichberechtigung der Frau in der Verfassung ist ganz selbstverständlich, nachdem die Frauen so viel geleistet hatten in zwei Weltkriegen und ihre Gleichstellung im gesellschaftlichen Leben ja längst praktisch und faktisch anerkannt war.«

Von wegen. Die Männer im Parlament sind sich längst einig: Das brauchen sie wirklich nicht, diesen »Grundrechtskatalog mit einem neuen Artikel zu bereichern«, so der Vorsitzende und SPD-Politiker (!) Carlo Schmid. Jetzt beginnt Elisabeth Selbert über sich selbst hinauszuwachsen. Jahrzehntelange juristische Arbeit und Parlamentstätigkeit stärken ihren Willen.

Sie droht – nicht mehr unerfahren im politischen Geschäft – mit der »gesamten Öffentlichkeit« und dass unter Umständen dann die Annahme der Verfassung gefährdet ist. Damals hilft ihr auch, dass durch den Zweiten Weltkrieg wesentlich mehr Frauen als Männer in Deutschland leben. »Wir haben einen Frauenüberschuss von sieben Millionen, also auf 100 männliche Wähler kommen 170 weibliche Wähler!« Doch das hilft erst mal nichts. Die Mehrzahl der Abgeordneten stimmt gegen den Antrag von Elisabeth Selbert. Aber jetzt bricht sich die Empörung richtig Bahn: Von der Elbe und der Isar, dem Rhein und der Spree melden sich die Frauenverbände in Bonn. Waschkörbeweise kommen Briefe, die Mitglieder des Hauptausschusses konstatieren »einen wahren Sturm«. Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident, redet diesen Sturm zwar später zu einem »Quasi-Stürmlein« herunter, aber letztendlich stimmt auch er zu. Es soll dann allerdings noch zehn Jahre (!) dauern, bis das Gesetzesvakuum auch vor den Gerichten umgesetzt wird. Elisabeth Selbert ist glücklich – endlich. Sie nennt diesen Moment die »Sternstunde für die bundesrepublikanischen Frauen«.

Wobei sie stets auch mahnt: »Die Frauen sollten selbst nie vergessen, dass es ihre Sache ist, für die Gleichberechtigung zu sorgen.« Denn die faktische Gleichstellung ist zwar der Auftrag an den Gesetzgeber. Die Möglichkeit der Ehefrau, ihren Geburtsnamen zu behalten, nützt nichts, solange die Mehrzahl der Frauen darauf verzichtet. Das Recht der Ehefrauen, auch nach der Heirat in ihrem Beruf zu arbeiten, wird zur Belastung, wenn sie dennoch die Mehrzahl der häuslichen Pflichten übernimmt. Die Politikerin und Juristin Elisabeth Selbert hat das alles ganz klar gesehen. Sich selbst daran gehalten – hoffend, dass das Gesetz den Frauen Mut und Halt gibt.

Ohne den Einsatz und den Erfolg solcher Frauen wie Elisabeth Selbert hätte es wohl die erste Generation der Europäerinnen, die uneingeschränkten Zugang zu Bildung und Beruf hatten, nie so weit gebracht. Simone de Beauvoir gehört unbestritten zu ihnen. Philosophin, Schriftstellerin und politisch engagiert. Sie, wie auch die Philosophin Hannah Arendt und die Schriftstellerin Mary McCarthy haben dann den Weg bereitet für die emanzipierten, kämpferischen neuen Frauen des 20. Jahrhunderts. Für Frauen, die die Frauenfrage eigentlich für erledigt halten, und sich erst Jahrzehnte später bewusst werden, wo die Grenzen zwischen Mann und Frau unverändert gezogen sind. Simone de Beauvoir, die sich sowohl als Schriftstellerin als auch als politische Debattierende sieht, schreibt schließlich das umfassende theoretische Werk »Das andere Geschlecht« und prägt damit bis heute das Denken auch derer, die sich dessen oft gar nicht bewusst sind. »Das Buch verändert das Leben von Millionen Frauen«, schreibt die Feministin und Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer später im Vorwort zu ihrem Interview-Buch mit Simone de Beauvoir. Ja, es ist das Fundament für die neuen Frauenbewegungen. Ob es im 21. Jahrhundert Bestand haben wird? Diese Frage müssen andere beantworten.

Denn auch Simone de Beauvoir setzt sich in den späteren Jahren ihres Lebens mit dem Konflikt auseinander, den Olympe de Gouges und Rosa Luxemburg, und nach ihnen so viele engagierte Frauen erleben und erleiden: die mangelnde Solidarität anderer Frauen. Vor allem der intellektuellen Frauen. Verhindern also die Geschlechtsgenossinnen selbst den Erfolg, die Nachhaltigkeit und die historische Präsenz in den Schriften von erfolgreichen Kämpferinnen?

Die mit Sicherheit bedeutendste Theoretikerin der Gleichheit der Geschlechter und damit der Menschen überhaupt wird heftig angegriffen, kritisiert und ausgegrenzt: Simone de Beauvoir hat sich die Freiheit der Wahl genommen, will ihr Geld selbst verdienen und als Frau wahrgenommen werden. Sie kämpft für ihre grundlegende Erkenntnis: Der Mensch ist frei geboren. Ein Satz von hoher Aktualität, wenn in vielen Ländern der Welt die Frage des Geschlechtes über Leben und Tod, Bildung und Zukunft entscheidet. Die Erkenntnisse einer Simone de Beauvoir helfen hoffentlich weiteren Generationen von Frauen auf ihrem Weg.

Nicht ihre Worte zur Waffe, sondern ihre Kamera zur Waffe gemacht hat die Italienerin Letizia Battaglia. Die Sizilianerin schafft es mit ihren Bildern nicht nur die Welt aufzuwecken und zu erregen, sondern benutzt ihr Engagement auch, um in der italienischen Politik einen Weg zu finden. Denn alles, was sie fotografiert, was sie dazu sagt, ist selbstgelebtes Leben. Mit fünfzehn Jahren zwangsverheiratet, flieht Letizia im Alter von 36 Jahren mit ihren drei Töchtern nach Mailand. Im Jahr der »Donne in Rivolta«, der Frauen in der Revolution. Heimweh führt sie zwei Jahre später zurück nach Sizilien, vor allem aber ihre Wut auf das organisierte Verbrechen und die Korruption. Sie beginnt den Terror zu dokumentieren. Fotografiert die zerfetzten Opfer und die vom Schmerz zerrissenen Hinterbliebenen. Erstmals aber zeigt sie auch die Täter, auf Fotos, groß. Ein Tabubruch: Ein Sizilianer fotografiert die Täter, und es ist auch noch eine Frau. Jetzt ist ihr Leben in höchster Gefahr. Noch dazu, wo die italienische Staatsanwaltschaft mit einem Foto der Letizia Battaglia den damaligen Präsidenten Giulio Andreotti überfuhrt: Es zeigt ihn in trauter Zweisamkeit mit dem Mafioso Nino Salvo.

Die Drohungen werden immer massiver. Aber die Italienerin lässt sich nicht einschüchtern. Im Gegenteil, sie veröffentlicht die Namensliste aller Mafiosi. Und sie weiß: Jetzt bringen sie dich um. Zur Sicherheit transportiert sie ihr Fotoarchiv nach Paris. Sie stellt sich öffentlich für den Stadtrat von Palermo zur Wahl, wird Abgeordnete und leitet zehn Jahre das Amt für urbane Lebensqualität. Auf dem Höhepunkt des Terrors, als der Chefankläger Paolo Borsellino in die Luft gesprengt wird, ändert die Mafia ihre Strategie: Sie unterwandert den Staat. In diesem Moment, auch mit dem Sieg der Mitte-Rechts-Allianz von Silvio Berlusconi – da gibt Letizia Battaglia auf. Sie resigniert. Ihre Bilder aber dokumentieren weltweit die Taten und Täter der italienischen Mafia.

Nicht die Macht der Bilder, sondern wie Simone de Beauvoir nutzt Assia Djebar die Macht des Wortes, um sich politisch einzumischen. Sie ist die führende Schriftstellerin des Maghreb, aber zum Ende des 20. Jahrhunderts in Europa bekannter als in Algerien.

Immer ist sie irgendwo die Erste: in ihrer Schulklasse die einzige »Einheimische« unter Franzosen. Die Erste auf der Pariser Elitehochschule École normale supérieure. Die Erste, die es wagt, einen erotischen Liebesroman zu veröffentlichen, allerdings unter männlichem Pseudonym. Und schließlich die Erste, die die Stimme erhebt gegen den Terror der islamischen Fundamentalisten. Auch ihr Pseudonym Djebar prägt das Denken und Handeln: es kommt aus dem arabischen »djebbar«, die »Unversöhnliche«. Die Schriftstellerin gibt in ihren Werken allen Entwurzelten, Fremden und Frauen eine Stimme, all denen, die sich »die Freiheit der Seele und des Körpers« erkämpft haben. Dafür erhält sie im Herbst 2000 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Ihr Vater begleitet 1942 seine kleine Tochter an der Hand in die Erste Klasse in Algerien. Aber bis heute weigert er sich auch nur eine Zeile seiner berühmten schreibenden Tochter zu lesen.

Zurück in die politische Szene. Denn inzwischen mehren sich die Frauen, die sich dort im männlichen Haifischbecken behaupten. Zum Beispiel Gro Harlem Brundtland. Mit 41 Jahren wird sie Europas jüngste und erste Regierungschefin. Ihr Vorbild ist der Vater, aber vorher studiert sie noch ganz schnell Medizin in Harvard/USA. Zurück in Oslo engagiert sich Gro in der Arbeiterpartei. Setzt sich als nun approbierte Gynäkologin für das Recht auf Abtreibung ein und erklärt jedem in Diskussionen: »Wir Frauen haben in diesem Land ungeheuer lange ungeheuer viel Geduld gehabt.« Ein Satz, der bis zum heutigen Tag gültig ist, in jedem Land der Erde. Gro Harlem Brundtland wird Präsidentin Norwegens, sie beruft in das achtzehnköpfige Kabinett acht Frauen. Europas Politikerinnen gucken nach Norwegen. Die Männer ebenso.

Erstaunlicherweise müssen sie feststellen, dass es dort alles andere als schlecht läuft. Nicht nur aufgrund der ungeheuren Ölreserven schwimmt Norwegen im Geld. Weil die Frauen im Kabinett eine nachhaltige und vorausschauende Politik durchsetzen, gehen die Gelder in Bildung, Bildung, Bildung und in Rücklagen – für die Zeit, wenn die Ölfelder brachliegen. Gro Harlem Brundtland führt das Land von 1986 bis 1989 und dann nochmals in einer zweiten Regierungsperiode von 1990 bis 1996. Damit ist sie über zehn Jahre Regierungspräsidentin Norwegens. Das private Drama des Selbstmordes ihres Sohnes lässt sie 1992 ihr Amt als Parteivorsitzende niederlegen, sie bleibt aber Regierungschefin. Doch wegen ihres Bekenntnisses zu Europa erleidet die beliebte »Mutter Norwegens« große Stimmenverluste.

So tritt Gro auch als Regierungschefin zurück und übernimmt dann 1998 die Leitung der Weltgesundheitsorganisation in New York.

Mit ihr ist Norwegen ganz bewusst den Weg in eine Zukunft gegangen, in der Männer und Frauen gleichermaßen das private und politische Leben teilen.

Ohne Gro Harlem Brundtland hätte nie ein Regierungschef mit seinem Parlament entscheiden können, dass in Norwegen in jedem börsennotierten Unternehmen vierzig Prozent Frauen im Aufsichtsrat sitzen müssen. Wer diese Vorgaben nicht erfüllt, dessen Unternehmen wird geschlossen. Bis jetzt sind noch keine unternehmerischen Horrormeldungen aus Norwegen ins übrige Europa gedrungen. Den Unternehmen geht es gut, sie machen ihren Job und die Börse reagiert mit einer heftigen Aufwärtsbewegung, als dieses Gesetz das Parlament passiert. Weibliche Politik kann also nachhaltig für gleiche Rechte und Pflichten sorgen und dem Wohle der Bürger dienen – wer hätte das gedacht? Das norwegische Konzept der Gro Harlem Brundtland zeigt Erfolg. Kein Wunder, dass die amerikanische Wissenschaftszeitschrift »Scientific American« sie später zum »Political Leader of the Year« erklärt.

Fazit: Diejenigen in der Politik, die weise entscheiden, sind wohl Männer und Frauen mit Alternativen. Sie versuchen sich auf die Vorstellungen, Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse anderer Menschen einzustellen, sie haben Strategien, um ihre Ziele umzusetzen, ohne dabei anderen zu schaden. Weise Menschen zetteln keine Kriege an. Das vor allem.

Mahatma Gandhi agiert gewaltlos und weise

Er darf unter den wahrlich Weisen dieser Welt nicht fehlen: Mahatma Gandhi, der mit gewaltfreiem Widerstand und zivilem Ungehorsam Indien in die Unabhängigkeit von Großbritannien fuhrt. Millionen Menschen haben auf der ganzen Welt den wunderbaren Film von Richard Attenborough über diesen kleinen und so mutigen Mann gesehen. Mit ihm gelitten, gefühlt, gehungert und am Ende bei dem Attentat auf den dann 78-Jährigen in Poona bittere Tränen vergossen. Ein fanatischer Hindu hat auf ihn gezielt und seinem Leben ein Ende gesetzt. Symbol für die Feindschaft zwischen Hindus und Moslems, die bis heute nicht beseitigt ist, die den Staat Pakistan entstehen ließ und wie ein Dorn im indischen Staat für Unruhen, Kämpfe, Hass und Morde sorgt. Das alles wollte Mahatma Gandhi verhindern.

Geglückt ist ihm dagegen die Unabhängigkeit Indiens, die Loslösung von der britischen Herrschaft und damit ein weltweites Beispiel für einen gewaltfreien, erfolgreichen Kampf. Obwohl sein Vorname Mahatma wörtlich »große Seele« bedeutet, war ihm sein langer, ungewöhnlicher Lebensweg wohl so nicht von Geburt an bestimmt. Er stammt aus einer hohen indischen Kaste, darf in London studieren und arbeitet später als Rechtsanwalt in Bombay, dann in Britisch-Südafrika. Damals zog es viele Inder nach Südafrika, sie fanden dort Arbeit und Auskommen, besser und ertragreicher als in ihrer Heimat. Aber Mahatma Gandhi erlebt auch, dass seine Landsleute, wie die Schwarzen, alles andere als gleichberechtigt sind. Ihm selbst widerfährt das täglich. Er hat inzwischen Familie, ist ein wohlbestallter Anwalt. Da weckt das Buch »Unto This Last« von John Ruskin bei ihm die Idee, sein Leben komplett zu ändern. Er will allem Materiellen entsagen, trennt sich von seinen Anzügen und seinem Haus, schneidet sich die Haare selbst und reinigt selbst seine Toilette. Für einen Inder seines Standes eine höchst unwürdige Tätigkeit – dafür sind in Indien bis heute die Unberührbaren, die unterste Kaste zuständig. Er entscheidet sich für absolute sexuelle Abstinenz und für die Kontrolle aller Sinne. Das bedeutet aber auch, sich nie mehr zu ärgern, nicht mehr zu hassen oder gar wütend zu werden. Wenig essen und wenig reden gehört ab jetzt ebenso zu Mahatma Gandhis Leben. Vor allem aber will er vollkommene hingebungsvolle und selbstlose Nächstenliebe praktizieren.

Wie kann ein einzelner Mensch diese ganzen Vorhaben umsetzen, verwirklichen und nach ihnen leben? Es muss eine unglaubliche Stärke und ein großer Wille in diesem Mahatma Gandhi gesteckt haben. Bereits in Südafrika lebt er nach seinen neuen Lebensregeln, später dann auch, nach seiner Rückkehr, in Indien. Immer klarer wird ihm, dass der Staat und die Machtmenschen seine Feinde sind. Dafür liebt ihn das Volk, steht ihm bei seinem ständig praktizierten zivilen Ungehorsam zur Seite. Sämtliche acht Gefängnisaufenthalte gehen scheinbar spurlos an ihm vorüber. Jedes Mal jubeln ihm mehr Inder zu, wenn ihn die britische Besatzungsmacht wieder entlassen muss.

Sein Zuhause wird ein von ihm gegründeter Ashram, das Zentrum Mahatma Gandhis künftiger Aktionen. Die Inder leiden unter der britischen Kolonial-Herrschaft. Er predigt gewaltlosen Widerstand. Was erst einmal gar nicht in die Köpfe der Menschen hineinwill. Non-Cooperation ist das Zauberwort, keine Zusammenarbeit mehr mit den Briten. Das bedeutet, alle Verordnungen, Maßnahmen und Gesetze zu missachten. Auch unter dem Druck, dafür ins Gefängnis zu müssen. »Buy Indian«, ruft Mahatma den Indern zu, und sie kaufen nichts Britisches mehr. Der »Salzmarsch« Gandhis wird weltberühmt. Denn die Rohstoffgewinnung liegt in den Händen der Besatzer. Aber Mahatma Gandhi wandert in seinem weißen, selbstgewebten Baumwollgewand am Stock zusammen mit Tausenden von Indern zum Meer. Jeder von ihnen lässt eine Handvoll Wasser in der Sonne verdunsten, bis nur noch das Salz übrig bleibt. Die Inder verstehen das Signal. Die Briten auch. Gandhi wandert mal wieder ins Gefängnis. Neun lange Monate. Mit ihm 6000 Inder. Dann geben die Briten das Salzmonopol auf. Die Inder jubeln. Doch Mahatma zieht sich wieder einmal schweigend in seinen Ashram zurück.

Aber nicht für lange Zeit. Der kleine Mann stellt sich der nächsten Parlamentswahl. Mit überwältigender Mehrheit wird er Mitglied des Indian National Congress und zweimal zu dessen Präsident gewählt. Jetzt lädt ihn auch der englische König George VI. ein, bittet ihn zum Tee in den Buckingham Palace. Klar, dass er auch da sein Baumwolltuch, den Khaddar, trägt. Schließlich ist das Spinnen und Weben der eigenen Kleidung für ihn und für die meisten Inder ein Protest gegen die Briten und gegen den Imperialismus. Dazu ein Symbol für das Leben in selbstgewählter und selbstbestimmter Armut.

Gandhi wird inzwischen von den Indern verehrt wie ein Heiliger. Dass er aus London keine Lösung mitbringt, wird hingenommen. Das Millionenvolk glaubt dennoch unverändert an seinen Erfolg, an die Freiheit und an die Loslösung vom Commonwealth. In Europa herrscht inzwischen Krieg. Die Vereinigten Staaten mischen sich ein, die Briten bieten Indien einen Vertrag als quasi Dominion, als Herrschaftsgebiet mit eigener Verwaltung, an. Aber Mahatma Gandhi bleibt unerbittlich: »Verlasst Indien« ist seine Antwort auf dieses Gesprächsangebot.

Erst zwei Jahre später ist es soweit. Den Indern gelingt die Unabhängigkeit, weil sich Mahatma Gandhi und der britische Verhandlungsführer Lord Mountbatten seit dessen Zeit als Vizekönig in Indien freundschaftlich verbunden sind. Nur ganze sechs Monate dauern die Verhandlungen, dann heißt es im August 1947: »Um Mitternacht die Freiheit.« Was wie ein Sieg klingt, ist aber auch der Beginn des Dramas zwischen Hindus und Moslems. Eine Feindschaft, die letztlich Mahatma Gandhi das Leben kosten wird. Es entsteht der islamische Staat Pakistan und das hinduistische Indien. Gandhi ist fassungslos und unglücklich. Er argumentiert bis zuletzt gegen diese zwei Staaten, fastet sich beinahe zu Tode. Immer wieder hat er dieses Fasten als Methode angewandt, um seine Ideen und Ziele durchzusetzen. Auch diesmal gelingt ihm das scheinbar Unmögliche: die Hindu- und Moslemführer schließen Frieden miteinander. Sie wollen Mahatmas Leben retten. So erreicht er mehr, als eine ganze indische Armee an der Grenze zum Punjab bewirkt. Die Inder jubeln: Mahatma Gandhi bricht das Fasten, er beendet seinen Hungerstreik.

Wenige Monate später aber das tragische Ende: Ein fanatischer Hindu zielt auf den inzwischen alten Mann, und erschießt ihn. Ein hoher Preis für die Freiheit Indiens. Aber selten hat ein Mensch einem Volk so viele Werte und Anleitungen zu einem besseren Leben hinterlassen. Nicht nur die Grundlagen des neuen indischen Staates basieren auf seinen Reden und Manuskripten. Sein gewaltloser Widerstand in Form von zivilen Ungehorsamkeitskampagnen, der immer wieder erfolgreich eingesetzte Steuerstreik, der Boykott britischer Produkte und das wunderbar überzeugende Beispiel des Salzmarsches um ein Monopol zu beenden – all das ist den Menschen in Indien bis zum heutigen Tage gegenwärtig. Als Vermächtnis »ihres Mahatma Gandhi«, oder: »Gandiji«, wie sie ihn liebevoll nennen.

Nicht zu vergessen das Fasten, der Hungerstreik. Eine bewährte und sehr oft erfolgreiche Methode um politische Ziele umzusetzen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuauflage
Jahr
2013
ISBN (eBook)
9783942822633
DOI
10.3239/9783942822633
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2013 (Juni)
Schlagworte
gleichberechtigung Mahatma Gandhi Aung San Suu Kyi Nelson Mandela Hannah Arendt Muhammad Yunus Barack Obama Willy Brandt Rosa Luxemburg Olympe de Gouges Hildegard von Bingen
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Titel: Die Weisheit ist weiblich
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