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Du hast schon einmal gelebt

Wiedergeburt? Erinnerungen in der Hypnose

©2013 0 Seiten

Zusammenfassung

Haben wir schon einmal gelebt? Erinnerungen an Vor-Existenzen
Menschen, die sich an ein früheres Leben erinnern können, hat es zu allen Zeiten gegeben. Oft haben sie mit ihren präzisen, detaillierten Schilderungen der einstigen Existenz selbst Wissenschaftler verblüfft, die sich mit dem Phänomen Reinkarnation nicht befassen wollten. Heute behaupten Arzte, Psychologen, Psychiater und Parapsychologen, dass jeder Mensch die »Reise in seine eigene Vorvergangenheit« antreten kann. Der Chefarzt Dr. Claus Bick, der Psychologe Thorwald Dethlefsen und andere Koryphäen haben Hunderten von Menschen geholfen, sich in Hypnose an ihr »Leben vor dem Leben« zu erinnern. Die Verfechter der Reinkarnationslehre sind der Überzeugung, dass die Konfrontation mit dem Vor-Leben psychische Krankheiten beeinflussen, heilen kann. Denn nicht nur Kindheitserlebnisse, sondern auch die Erfahrungen früherer Existenzen sind Auslöser unserer Verhaltensstörungen.Kurt Allgeier hat die sensationellsten Protokolle von Wiedergeburtserinnerungen für dieses Buch ausgewertet. Sein Bericht zeigt auf, dass der Wissenschaft die letzten Beweise für die Reinkarnationstheorie noch fehlen. Doch die Kausalkette scheint sich zu schließen ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Statt eines Vorwortes

Schon immer und zu allen Zeiten haben Menschen von sich behauptet: »Ich habe schon einmal gelebt. Ich kann mich an ein früheres Leben erinnern.« Viele von ihnen konnten tatsächlich zahlreiche und präzise Einzelheiten nennen, in längst vergessenen Sprachen reden oder sich durch Muttermale am Ort früherer Verletzungen »ausweisen«.

Einige Menschen haben kurz vor ihrem Tod angekündigt: »Ich komme wieder. Ihr werdet mich wiedererkennen.« Und sie nannten Zeichen, die ihre Wiedergeburt beweisen sollten. Hinterher gab es dann wirklich auch die Behauptung: »Es hat alles gestimmt. Er ist zurückgekehrt. Wir haben ihn, wie vereinbart, ›wiedererkannt‹.«

Eine Reihe solcher »Reinkarnationen« ist wissenschaftlich exakt überprüft worden.

Geblieben ist stets die uralte, ungelöste Frage: Was steckt wirklich dahinter?

Geblieben ist in den christlichen Ländern unserer Erde die entschiedene Ablehnung: »Die Wiedergeburt gibt es nicht. Also muss sich für alles eine andere Erklärung finden lassen.«

In unseren Tagen nun passiert etwas Ungeheuerliches. Eine stets wachsende Zahl von Ärzten, Psychiatern, Psychotherapeuten und Parapsychologen behauptet: »Jeder Mensch kann die Reise in seine Vergangenheit antreten. Das Gedächtnis geht über den Augenblick der Geburt, ja sogar über den Moment der Zeugung hinaus. Und dann tauchen frühere Leben aus dem dunklen auf. Leben mit Fleisch und Blut. Genau abgegrenzte Schicksale.«

Viele hundert Menschen haben inzwischen diese Rückführung in ein früheres Leben mitgemacht. Sie fanden nicht nur eine Inkarnation, sondern manchmal sieben, acht oder gar 15 Leben.

15mal geboren werden. 15mal wachsen und welken.

15mal lieben und hassen, bangen und zagen.

Das Aufregende an diesen Geschichten: Mit dem erneuten Erleben der einstigen Freuden und Leiden können angeblich gegenwärtig psychische Probleme und Erkrankungen geheilt werden. Neuerdings ist sogar die Behauptung aufgestellt worden: Alle psychischen Erkrankungen hätten ihre Ursache in einem früheren Leben.

Die Psychoanalyse Sigmund Freuds blieb nicht länger auf Erlebnisse in der Jugend und Kindheit beschränkt – sie wird ausgeweitet auf das ganze Leben. Auf Empfindungen, Erfahrungen, Erlebnisse im Mutterleib, auf Ängste, Komplexe, Verstrickungen, Leiden und Versagen in früheren Inkarnationen.

Sollte es tatsächlich möglich sein, dass wir heute leiden müssen, weil wir früher einmal versagten?

Damit ist die Frage nach dem Leben vor dem Leben in ein ganz neues Stadium getreten. Und sie stellt sich drängender als jemals zuvor: Sind wir alle miteinander mehr als dieses gegenwärtige Leben? Können wir uns selbst finden, indem wir das tief in unserer Seele verborgene »Gedächtnis« aufwecken?

Dieses Buch ist kein Versuch, die Wiedergeburt zu beweisen.

Noch scheint dies mit letzter Sicherheit nicht möglich zu sein. Hier wird aber wohl zum ersten Mal aus allen Richtungen zusammengetragen, was sich heute zur Frage der Wiedergeburt sagen lässt. Was von den verschiedensten Seiten unternommen wird im Bemühen, sich einen Schritt näher an das Problem heranzutasten.

Zeugen und Zeugnisse sollen für sich sprechen und Anregungen zu eigenen Überlegungen geben. Ihre Gesamtschau ist sicher deutlicher als der Einzelfall.

Mit Rücksicht auf Patienten und Versuchspersonen sind deren Namen in fast allen Fällen verändert worden. In drei Fällen versagten auch Ärzte, die sich mit der Reinkarnation befassen und uns ihr Material zur Verfügung stellten, die Erlaubnis, ihren Namen zu nennen. In Verbindung mit Reinkarnation, so fürchteten sie, könnte ihr guter Ruf Schaden leiden. Noch sind wir nicht soweit, dass die Beschäftigung mit der Frage der Wiedergeburt etwas Selbstverständliches wäre.

Information über das Thema Wiedergeburt – das hat nichts mit Neugierde, auch nichts mit Frevel, schon gar nichts mit Ketzerei zu tun. Es geht letztlich um die drängendste Frage unserer Existenz: Wer sind wir?

1. Kapitel

Zeuge der eigenen Geburt

»Nein. Ich will nicht. Ich will nicht hinaus. Mama, lass mich doch bei dir bleiben. Warum drückst du mich nach draußen? Oh, das tut weh. Nein – Nein – Ich kriege keine Luft mehr. Mama – Nein. Hilf mir doch. Ich ersticke – Ich ersticke –«

Eine junge Frau, 23 Jahre alt, benimmt sich wie ein Baby, das gerade geboren wird. Friederike Häussermann windet sich auf der großen schwarzen Liege. Sie kauert sich zusammen, zieht die Knie zum Bauch und verschränkt die Arme auf der Brust. Ihre Stimme ist dünn und zerbrechlich wie die eines kleinen Kindes. Friederike ringt nach Luft, als wäre sie in diesem Augenblick wirklich am Ersticken. Das Gesicht verfärbt sich blau, der Mund ist weit aufgerissen, die Lippen beben in maßloser Angst.

Dann geht es plötzlich wie ein Ruck durch den verkrampften Körper. Friederike streckt sich. Sie lässt die Arme fallen. Ihr Hilferuf wird zu einem leisen, kläglichen Wimmern. »Es ist so kalt. Bitter kalt. Ich will hier nicht sein. Oh, dieses grelle Licht! Sie heben mich in die Höhe – Ich schreie – Mama, warum hast du mich hergegeben? – Papa schaut mich nicht einmal an. Er mag mich nicht – Er hat nie gewollt, dass ich sein Kind werde – Und du auch nicht. Ich weiß es, Mama. Du hast mich nicht lieb – Du wolltest kein Kind mehr haben – Jetzt bin ich aber da. Du musst mich lieb haben –«

Friederike stammelt. Die Sätze kommen stockend, fast lallend, aber so flehentlich, als hinge das Leben davon ab. Die junge Frau wirft den Kopf von einer Seite auf die andere. Tränen rinnen über die Wangen, die vor Aufregung glühen.

In diesem Augenblick greift der Hypnosearzt ein, der neben der Liege sitzt. Mit ruhiger, fast sanfter Stimme spricht er zu Friederike Häussermann.

»Wir verlassen jetzt den Augenblick der Geburt. Wir gehen noch weiter zurück. Die Zeit spielt für uns keine Rolle. Alles, was wir sehen und erleben, ist von Bedeutung. Deshalb versuchen wir, uns daran zu erinnern. Aber wir lassen uns nicht erschrecken. Wir gehen einfach weiter. Denn wir wollen herausfinden, warum Sie glauben, von Vater und Mutter nicht geliebt und erwünscht zu sein. Suchen wir einen Augenblick, der uns einen Einblick gestattet. Gehen wir zurück, bis das Gedächtnis etwas findet. Was sehen Sie?«

»Es ist schön. Warm. Ich fühle mich wohl – Ein bisschen eng. Aber gut. Es rauscht. Und gluckst. (Friederike lacht, ihr Gesicht ist glücklich.) Mutters Herz klopft ganz ruhig. Es ist wirklich gut – Aber jetzt –« Ihre Miene verändert sich schlagartig.

»Was ist jetzt?«

»Mama ist aufgeregt. Ihr Herz klopft ganz wild. Mama hat Angst. Furchtbare Angst–«

»Wovor hat sie Angst?«

»Ich weiß es nicht – Vor mir. Sie will mich nicht –«

»Gehen wir noch weiter zurück. Was ist jetzt?«

»Ich bin winzig klein. So klein, dass ich in einer Hand Platz habe.«

»Und noch weiter. Erzählen Sie, was Sie sehen.«

Friederike Häussermann richtet sich in der Liege auf und umklammert die Lehnen. Ihr Atem geht heftig. »Ich bin da – Ich bin wieder da –«

»Wo bist du?«

»In einem … in einem neuen Körper. Bei meiner neuen Mutter.«

»Warum sagst du ›neue‹ Mutter? Gibt es denn auch eine alte?«

»Das weiß ich nicht. Aber ich musste zu diesen Eltern. Und sie mögen mich nicht. Mama sagt: ›Hoffentlich ist nichts passiert. Wir haben nicht aufgepasst.‹ Und Vater meint: ›Mach dir keine Sorgen. Nach so langer Pause ist das Risiko nicht mehr so groß. Und wenn schon, dann haben wir eben drei Kinder.‹ Mama schüttelt den Kopf: ›Aber wir sind schon zu alt für ein Kind. Und die Wohnung ist auch zu klein. Was sollten nur Britt und Lotti von uns denken? Die beiden sind bald erwachsen!‹ Papa macht sich jetzt auch große Sorgen, dass ›etwas passiert‹ sein könnte. Er blickt zur Decke, die Hände unter dem Kopf verschränkt. ›Warten wir’s ab‹, sagt er. ›Wenn es eben passiert ist, dann sehen wir weiter. Vielleicht ist es ja auch ein Junge, dann wäre alles halb so schlimm.‹«

Friederike weint. »Ich bin kein Junge. Ich bin ein Mädchen. Aber ich kann doch nichts dafür. Mama, du musst mich lieb haben, sonst kann ich nicht leben –«

So hört sich die Tonbandaufzeichnung einer Hypnosesitzung an. Friederike Häussermann lässt die Sitzungen über sich ergehen, weil sie nicht mehr weiter wusste. Die Medizinstudentin im vierten Semester, hochaufgeschossen, bildschön, langes blondes Haar, rätselhaft eindrucksvolle, graue Augen, wird umschwärmt. Die Verehrer drängen sich in ihre Nähe. Doch nach zwei, drei Begegnungen wenden sie sich ebenso rasch entschlossen wieder von ihr ab. Einer wie der andere.

»Mit der ist nichts anzufangen. Friederike ist verklemmt. Sie steckt voller Probleme und Komplexe«, sagen sie bedauernd.

Die Eltern halten ihre Tochter für ungewöhnlich verschlossen und scheu und tun alles, sie glücklich zu sehen. In den 23 Jahren fiel nicht ein einziges böses Wort. Es gab niemals eine Zurechtweisung. Keine Bitte des Kindes blieb unerfüllt. Friederike wurde jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Mit beispielloser Geduld. Doch alles Bemühen schien das Kind nur verstockter zu machen. Zwischen den Eltern und Friederike stand eine unüberwindliche Mauer. Beide Seiten wussten das – und alle litten darunter.

»Mit mir stimmt etwas nicht. Ich fürchte, ich bin seelisch krank. Und ich will endlich wissen, was dahintersteckt«, sagte Friederike eines Tages und vertraute sich einem erfahrenen Psychoanalytiker an.

»Ich liebe meine Eltern über alles. Was hindert mich nur daran, es ihnen zu zeigen? Warum laufen alle jungen Männer vor mir davon?« fragte sie den Arzt und bat um Hilfe.

Schon in der dritten Sitzung erlitt sie einen Schock. »Ich hasse meine Mutter«, brach es heftig aus ihr hervor. »Ja, jetzt weiß ich es ganz klar: Ich hasse sie. Und meinen Vater kann ich auch nicht ausstehen. Aber warum nur? Sie sind doch so wunderbar zu mir. Bin ich undankbar? Oder gar böse?«

Der Arzt gab ihr zu verstehen: »In der Kindheit muss irgend etwas vorgefallen sein, das diesen Hass – oder was immer es sein mag – ausgelöst hat. Wir müssen dieses Ereignis finden. Versuchen Sie sich zu erinnern.«

Tatsächlich fielen Friederike nach und nach einige längst vergessene Zwischenfälle ein. Bedeutungslose ›Bagatellen‹, die sich jetzt aber wie Meilensteine aneinanderreihten. Merkwürdigerweise passten sie auch alle zusammen:

Da war plötzlich jener Tag wieder lebendig, an dem der Vater mit ihr und einem Jungen aus der Nachbarschaft Fußball spielte. Ganz deutlich hörte sie ihren Vater sagen: »Eigentlich schade, dass du nur ein Mädchen bist«, wobei er sie einfach stehen ließ, um dem fremden Jungen über den Wuschelkopf zu streichen.

Oder jener Augenblick, als die Mutter mit ihrer Schwester über die Abtreibung diskutierte und mit erhobener Stimme ausrief: »Ich kann junge Frauen verstehen, die nach Holland reisen. Lieber kein Kind als eines, das man nicht liebt und nur als Last empfindet.«

Und schließlich ein Gespräch der Mutter mit der Nachbarin, in dem die Sätze fielen: »Manchmal gehen die Kinder einem doch ganz schön auf die Nerven. Keine Minute hat man mehr für sich. Man ist schrecklich angebunden.«

Waren das die gesuchten Ereignisse, die – ohne dass Friederike so recht darum wusste – den Hass gegen die Eltern in ihr Herz gepflanzt hatten? Zuerst sah es ganz danach aus. Doch dann wurde Friederike noch eigenartiger. Sie bekam Kopfschmerzen, vernachlässigte ihr Studium und brach die Sitzungen beim Psychiater ab. Das alles, so empfand sie, hatte irgendwie an etwas ganz Wichtiges gerührt, dabei aber die ganze Sache nur noch schlimmer gemacht. Sollte sie niemals das Rätsel ihrer Bedrückung lösen können?

In dieser recht verzweifelten Situation hörte Friederike von sehr merkwürdigen umstrittenen Hypnoseexperimenten. Bei manchen Ärzten und Psychotherapeuten, so sagte man ihr, könne man nicht nur erfahren, was in frühester Kindheit passierte, dank der Hypnose wäre es sogar möglich, über die Schwelle der Geburt hinauszugehen und sich ganz deutlich an das zu erinnern, was man als Baby im Mutterleib erlebte und empfand.

»Einfach lächerlich«, sagte Friederike spontan. »Ein Embryo kann weder denken noch empfinden.« Doch dann siegte die Neugierde in der angehenden Ärztin. Sie ging zum Hypnosearzt und erzählte ihm von ihrer Bedrängnis und von den bisherigen Bemühungen, sie loszuwerden.

Der Arzt erklärte ihr: »Was Sie bisher an Zwischenfällen in Ihrer Kindheit gefunden haben, das sind tatsächlich nur kleine Begebenheiten, die jedes unbelastete Kind sehr wohl verkraften könnte. Bei Ihnen war offensichtlich schon ein Schock vorhanden. Und an diesen haben sich die Bemerkungen von Mutter und Vater angeheftet wie eine neue, zusätzliche Bekräftigung: ›Also stimmt es doch, dass sie mich nicht mögen.‹ Nun müssen wir diesen allerersten Schock finden. Vermutlich liegt er sehr weit zurück.«

So kam es also zu den Hypnosesitzungen – zu jener Sitzung schließlich, in der Friederike ihre eigene Geburt und zuletzt sogar die eigene Zeugung schilderte.

Wirklich schilderte, so wie es damals gewesen ist – oder nur zusammenphantasierte?

Es war mehr, viel mehr als Phantasie. Denn Friederike erlebte in der Hypnose die schlimmen Augenblicke so intensiv wieder, dass der Arzt an ihrer Seite um ihren Zustand besorgt war.

Doch etwas anderes ist noch wesentlich interessanter: Nach dieser Sitzung war Friederike gesund. Die junge Frau, bleich, angegriffen von dem soeben Erlebten, lächelte und sagte zu dem Arzt: »Wenn ich jetzt nach Hause komme, werde ich zum ersten Mal in meinem Leben meine Mutter ohne jeden Vorbehalt in die Arme schließen können. Jetzt weiß ich, woher mein Hass stammte. Jetzt bin ich frei davon.«

Doch an dieser Stelle begann erst das eigentliche Abenteuer. Friederike wurde zwei Sätze aus der Hypnosesitzung nicht mehr los. Sie hießen: »Ich bin wieder da.« Und: »Ich muss zu meiner neuen Mutter.«

Wieso wieder? War sie schon zuvor dagewesen? Wieso neue Mutter? Hatte sie früher, zu einer anderen Zeit, schon einmal eine Mutter gehabt? Hatte sie schon einmal gelebt? Gibt es die Wiedergeburt?

Friederike besaß vielleicht einen »Beweis«: Sie konnte ihre Mutter fragen, ob sich damals wirklich alles so abgespielt hat, wie es in der Hypnose zutage trat.

Die Mutter wurde verlegen. Sie versuchte auszuweichen. Aber Friederike schilderte ihr den Zauber von Florenz in der Blütenpracht. Sie erzählte ihr, wie das verstaubte, aber märchenhaft prächtige Hotelzimmer ausgesehen hat: »Erinnerst du dich an den fast blinden Spiegel in der Ecke? An die schweren blauen Brokatvorhänge? An die Lampe aus buntem venezianischen Glas, das ständig wie ein Dutzend silberner Glöckchen klingelte? Und die vielen, betäubend süß duftenden Blumen, die überall aufgestellt waren und die Papa noch spät in der Nacht vor die Tür transportierte? Weißt du noch, wie lästig der dicke alte Kellner war, der alle paar Minuten an die Tür klopfte? Und das Marmormosaik über dem Bett, das so nahtlos zusammengefügt war, dass beinahe ein Streit darüber ausgebrochen wäre, ob es wirklich echte Steine sind oder ob es sich um ein Gemälde handelt?« Friederike wurde eindringlich: »Mama, ist es wahr, dass du damals zu Papa gesagt hast: ›Hoffentlich ist nichts passiert?‹ Hat er nicht geantwortet: ›Wenn es ein Junge wird, ist alles halb so schlimm?‹ Sag mir, ist es so gewesen?«

Sprachlos starrte Frau Häussermann ihre Tochter an. Dann nickte sie. »Es stimmt. Ich wollte damals kein Kind haben. Ich fühlte mich zu alt. Und es ging uns finanziell auch nicht gerade gut. Ich machte mir Sorgen. Vater tat das auch. Aber Kind, woher weißt du das alles? Wie kommst du nur darauf?«

»Ich bin dabei gewesen. Ich habe euch zugehört«, sagte Friederike wie geistesabwesend.

Im selben Augenblick wurde ihr aber bewusst, was sie da gesagt hatte: Wenn sie dabei gewesen ist und alles sehen und hören konnte, dann war sie ja schon im Augenblick der Zeugung als fertiger, empfindender, denkender Mensch gegenwärtig.

Ein Mensch, der Wissen besaß? Erfahrungen? Erinnerungen?

Ist die Hypnoseerfahrung und die darauffolgende spontane Heilung von Friederike Häussermann ein Beweis dafür, dass ein Mensch mehrfach zur Welt kommen kann?

Nein. So einfach ist das nicht. Doch dieser und viele hundert ähnliche Fälle, die in diesen Tagen bekannt werden, zwingen uns, über die Frage der Wiedergeburt ganz anders als bisher nachzudenken.

»Sie nimmt mir den ganzen Platz weg«

Der Münchner Psychotherapeut Thorwald Dethlefsen (1) schildert zwei Hypnoseexperimente, bei denen sich zwei Frauen ebenfalls an Erlebnisse im Mutterleib erinnern konnten:

Frau Inge S., 28 Jahre alt, aus Nürnberg, hasste alle schwangeren Frauen. Sobald sie einer werdenden Mutter begegnete, verspürte sie den heftigen Drang, sie schlagen zu müssen, weil, wie sie dem Therapeuten sagte, »jede Schwangere eine Mörderin« sei.

Thorwald Dethlefsen führte Frau Inge in Hypnose zurück in die Kindheit, ins Säuglingsalter – und schließlich in die Zeit vor der Geburt. Und plötzlich erlebte Frau Inge den Augenblick, in dem ihre Mutter beschloss, das Kind abzutreiben. Die ganze Todesangst wurde jetzt, fast 29 Jahre später, noch einmal lebendig. Die Gefühle der ohnmächtigen Angst und der Verzweiflung regten sich wieder. Frau Inge bettelte ihre Mutter: »Lass mich am Leben. Bring mich nicht um. Ich will leben.« Nach diesem Hypnoseerlebnis war Frau Inge gesund. Jetzt konnte sie Schwangeren ohne Aggression und feindliche Gefühle begegnen.

Fräulein Α., 32 Jahre alt, kam als winzig kleines Baby zur Welt, das kaum Überlebenschancen besaß. Sofort nach der Geburt musste das Mädchen in die Klinik gebracht werden. Sechs Wochen lang blieb es dort im Brutkasten, schwankend zwischen Leben und Tod. Unerklärliche Angstzustände führten Fräulein A. 32 Jahre später zu Thorwald Dethlefsen. In der Hypnose lässt er seine Patientin die Zeit vor der Geburt erleben. Als der siebente Monat der Schwangerschaft erreicht ist, stößt man auf den Augenblick, als die Mutter von Fräulein A. von ihrem Arzt erfuhr, sie werde Zwillinge bekommen.

In diesem Augenblick gerät Fräulein A. in große Aufregung: »Mutter will nicht, dass ich da bin. Aber ich bin da. Sie will überhaupt kein Kind, aber wir sind zwei. Sie will keine zwei.« (Fräulein A. beginnt zu weinen.) »Mutter ist verzweifelt, weil wir zwei sind. Ich könnte schreien.« (Sie weint heftiger.) »Mami, ich bin da. Ich bin trotzdem da.« (Sie schlägt mit den Fäusten um sich.) »Ich bin bös, ich bin ganz bös. Mami, ich könnte dich umbringen. Du hast mich nicht lieb. Ich brauche dich doch. Ich hasse dich.«

Schließlich sagt sie unter Schluchzen: »Ich will nichts mehr essen. Ich will nichts mehr von dir.«

Thorwald Dethlefsen fragt: »Warum?«

»Weil sie mich auch nicht will. Meine Schwester kann ja alles haben. Ich will nichts mehr.«

Als sie das sagt, krümmt sich die Patientin auf der Liege ganz klein zusammen und dreht sich zur Seite. Sie presst ihr Gesicht fest auf die Liege. »Ich möchte weg. Ich will nicht mehr. Meine Schwester nimmt mir den ganzen Platz weg.« Doch dann, nach einer Weile, sagt sie: »Ich muss auf die Welt kommen. Ich will leben. Ich muss. Ich muss durchkommen. Ich will nicht sterben.«

Fräulein A. kam nach ihrer Schwester zur Welt. Jene war kräftig und gesund, sie selbst kaum lebensfähig.

Was ist von solchen Tonbandprotokollen zu halten?

Spiel mit unbekannten Kräften?

Eines ist sicher: Sie sind echt. Betrug, Taschenspielertricks, Gaukeleien können ausgeschaltet werden. Die Experimente wurden inzwischen von einigen hundert Ärzten und Psychotherapeuten wiederholt und wissenschaftlich exakt überprüft. Keiner, der jemals unmittelbar als Zeuge bei einer Hypnosesitzung dabei war, ein Tonband darüber hörte oder eine Filmaufzeichnung sah, kann sich den überzeugenden Aussagen entziehen: Weder der Hypnotiseur noch der Hypnotisierte spielen Theater. Eine bewusste Täuschung liegt gewiss nicht vor.

Die Frage ist nur: Lassen sich vielleicht die beteiligten Akteure selbst täuschen? Spielen sie mit Kräften, die der Mensch noch nicht kennt und schon gar nicht beherrscht?

Wir wissen in der Tat noch zuwenig über die Hypnose und über das, was in ihr passiert. Bekommt der Hypnotiseur über sein »Opfer« möglicherweise so viel Einfluss, dass dieses willenlose Geschöpf Dinge erzählen muss, die er hören will – möglicherweise sogar suggeriert?

Könnte es sein, dass Friederike Häussermann in der Hypnose die Fähigkeit bekam, Sorgen, Erinnerungen der Eltern telepathisch »anzuzapfen«? Wurde sie in der Hypnose zur Hellseherin?

Wäre es möglich, dass alle jemals gedachten Gedanken auf alle Ewigkeit wie Radiowellen die Welt erfüllen – und dass der sie empfangen kann, der es schafft, seine »Antenne« richtig auf diese »Gedankenwellen« einzustellen?

Haben Friederike, Frau Inge und Fräulein A. also nicht ihre eigenen, sondern fremde Erinnerungen wiedergegeben – und bilden sie sich nur ein, es wären ihre eigenen? Aber wieso wurden sie dann dabei geheilt?

Sind die »Erinnerungen« nichts anderes als ein böser Alptraum, den man im Augenblick, da er abläuft, ja auch für ein wahres Geschehen hält? Wie könnte ein solcher Traum genau mit den Tatsachen übereinstimmen?

Fragen über Fragen, die in den folgenden Kapiteln von allen Seiten beleuchtet und immer mehr eingekreist werden sollen.

Für Millionen ist es selbstverständlich

Für rund ein Fünftel der Weltbevölkerung ist die Wiedergeburt eine Selbstverständlichkeit. Buddhisten, Hindus, Jainisten, Taoisten und einige nordamerikanische Indianerstämme sind davon überzeugt, dass sich ihre Seelen nach dem Tod des Körpers eine neue Verkörperung suchen. Der Leib ist für sie nichts anderes als eine Wohnung auf Zeit, die eben mit dem Tod verlassen und gegen ein neues Heim eingetauscht wird.

Auch unsere Vorfahren – Germanen und Kelten – haben ähnlich wie altgriechische Philosophen an die Seelenwanderung geglaubt. In vielen Gegenden unserer Heimat ist es heute noch Sitte, den Kindern die Vornamen der verstorbenen Großeltern zu geben. Einst steckte dahinter nicht nur der Versuch, die Erinnerung an die Alten möglichst lebendig zu halten, sondern die feste Überzeugung, dass die Verstorbenen in der Familie wiedergeboren werden: In meinem Sohn lebt mein Vater wieder, in meiner Tochter die Mutter oder die Tante.

Noch hundert Jahre nach Christi Geburt schreibt der römische Geschichtsschreiber Appian, die »Hoffnung auf die Wiedergeburt« sei »in den Herzen der Germanen fest verwurzelt«. Und schon Cäsar berichtete seinen erstaunten Landsleuten, die Germanen seien wohl deshalb so tugendhaft und so todesmutig, weil sie an die Wiedergeburt glaubten und deshalb keinerlei Angst vor dem Sterben hätten. Eine Parallele dazu findet sich in den Berichten der Eroberer Amerikas über die Indianer. Sie gingen, so schrieb ein englischer Offizier seiner Regierung, geradezu mit Freuden in den Tod, weil sie damit das jetzige Leben beenden und ein möglicherweise besseres beginnen könnten.

Die christlichen Religionen waren ursprünglich der Reinkarnation gegenüber keineswegs ablehnend eingestellt. Zur Zeit, als Jesus von Nazareth auftrat, war der Glaube an die Wiedergeburt unter den Juden weit verbreitet. Selbst im Neuen Testament finden sich Stellen, denen man entnehmen kann, dass die Autoren mit dem Wiedergeburtsgedanken vertraut waren.

So erzählt der Evangelist Matthäus völlig unbefangen, Jesus habe den Täufer für eine Wiedergeburt des Propheten Elias gehalten: »Wenn ihr es glauben wollt: Er ist Elias, der da kommen soll. Wer Ohren hat zu hören, der höre.«

Auf dem Konzil zu Konstantinopel im Jahre 553 allerdings wurde unumstößlich der Glaubenssatz verkündet:

Wer daran glaubt, die Seele existiere schon vorher (vor dem Körper) und erfahre später eine neue Verleiblichung, der sei verflucht.

Damit war der Glaube an die Wiedergeburt im christlichen Abendland ausgelöscht. Einige namhafte Leute, die gegen das Verbot aufstanden, haben im Mittelalter wegen ihres Glaubens an die Wiedergeburt ihr Leben auf dem Scheiterhaufen lassen müssen.

Erst die Zeit der Aufklärung brachte das Thema Seelenwanderung wieder hoch. Der französische Philosoph Voltaire verblüffte seine Zeit mit der Aussage:

Zweimal geboren zu werden, ist nicht wunderbarer als einmal. Auferstehung ist das ein und alles der Natur.

Johann Wolfgang von Goethe glaubte in vielen Menschen, die ihm begegneten, Bekannte oder gar Verwandte aus früheren Inkarnationen zu erkennen. In einem Gespräch meinte er sogar einmal, er habe wohl schon tausendmal existiert und hoffe, noch tausendmal wiederzukommen.

Und heute? Der amerikanische Psychiater Professor Jan Stevenson, Direktor der parapsychologischen Abteilung der Virginia-Universität, hat 1623 Fälle von Inkarnation untersucht. 226 stammen aus Burma, 208 aus Indien, 813 aus dem übrigen Asien. In Europa fand der Wissenschaftler 241 Fälle. Allein 36 in Frankreich.

Professor Stevenson sagt: »Jeder fünfte Westeuropäer glaubt an eine Seelenwanderung.«

Nach einer Umfrage halten drei von zehn Frauen und zwei von zehn Männern eine Wiedergeburt zumindest für möglich. Die meisten Befragten gaben allerdings an, dass sie sich über dieses Thema bisher keine Gedanken gemacht haben.

Und was sagt die Wissenschaft?

Der Physiker und Psychologe, Professor für Erziehungswissenschaften an der Technischen Universität in München, Rainer Fuchs – früher Mitarbeiter von Wernher von Braun –, erklärte kürzlich die Haltung des Wissenschaftlers, der es gewohnt ist, nur auf bewiesene Erfahrungen aufzubauen. Er meinte in etwa:

Der Wissenschaftler geht davon aus, dass ein Gedanke, also auch eine Erinnerung, nur entstehen kann, wenn die körperlichen Voraussetzungen dafür vorhanden sind. Das heißt: Nur wenn im Gehirn von Zelle zu Zelle Ströme fließen, kann ein Mensch denken. Eine vom Körper losgelöste Seele wäre dazu also ebenso wenig fähig wie ein Baby oder ein Embryo, bei dem die Gehirnzellen noch nicht entwickelt sind.

Seele und Geist wären demnach das Ergebnis biologischer Vorgänge. Ohne Körper einfach undenkbar.

Der Kölner Psychologe Professor Dr. Udo Undeutsch vom Psychologischen Institut der Universität Köln meint:

Für die Vermutung, dass die Seele eines Menschen in früheren Zeiten mit einem anderen Körper verbunden war, gibt es keinerlei Belege. Die Psychologie geht immer noch von der untrennbaren Einheit von Seele und Körper aus.

Professor Fuchs geht einen Schritt weiter:

Sollte bewiesen werden, dass unsere Erfahrungen nur ein Teil der Wahrheit sind, müssten wir allerdings umdenken. Als Wissenschaftler bin ich offen, neue Tatsachen anzuerkennen. In der Wissenschaft darf es keine unumstößlichen »Glaubenssätze« geben.

Seiner Meinung nach fand man bisher eine ganze Reihe von Zeugnissen, die ganz nahe an einen wissenschaftlichen Beweis der Reinkarnation heranführen. Ein letzter Rest aber sei noch offen.

Professor Dr. G. Hutchinson von der amerikanischen Yale-Universität und Mitglied der Akademie der Wissenschaften schimpft gar:

Der Grund dafür, dass so viele Wissenschaftler die Resultate der Reinkarnationsforschung nicht anerkennen, ist einfach der, dass sie diese nicht wahrhaben wollen und dass sie der Anerkennung ausweichen, indem sie die Berichte über die betreffenden Versuche nicht einmal prüfen.

Daran kann es keinen Zweifel geben: Wenn sich ein Mensch wirklich an das Befinden im Mutterleib erinnern kann, wenn es sich bei den Hypnoseprotokollen also um echte, eigene, unverfälschte Erinnerungen handelt, dann ist der Beweis dafür gefunden, dass Gedanken und Empfindungen eben nicht nur das Ergebnis von biochemischen und elektrischen Vorgängen in einem intakt funktionierenden Gehirn sind, sondern dass im Körper eine Seele existiert, die von Anfang an »wahrnehmen« kann.

Dann müssten vor allem auch die Eltern umdenken. Sie könnten das heranwachsende Leben nicht länger als unfertig, unverständig, embryonal betrachten, sondern hätten plötzlich die Chance, sich von Anfang an mit ihrem Kind zu unterhalten, ihm Mut zu machen, ihm Zuneigung und Liebe zu erklären. Das Baby könnte zwar nicht antworten, aber alles sehr wohl verstehen. Welch eine Möglichkeit, die Menschheit glücklicher zu machen, Angst und psychische Erkrankungen auszuräumen!

Draußen und drinnen zugleich

Recht interessant ist bei vielen Erlebnissen der Geburt in Hypnose die immer wieder beobachtete zweifache Schilderung der Vorgänge: Der Hypnotisierte berichtet einmal, als befände er sich irgendwo im Zimmer oder im Kreißsaal als mehr oder weniger unbeteiligter Zuschauer. Er sieht den Arzt, die Hebamme, den Vater. Er riecht die Arzneien und hört, was gesprochen wird.

Schon im nächsten Augenblick befindet er sich aber im Mutterleib, um den ganzen Schrecken der »Austreibung« noch einmal mitzumachen. Er ist also sowohl »draußen« als auch »drinnen«.

Ein Phänomen, das haargenau gleich noch einmal auftaucht. Dann nämlich, wenn ein Mensch im Sterben liegt.

Auch in diesem Augenblick, so berichten übereinstimmend Männer und Frauen, die bereits klinisch tot waren, durch die Kunst der Ärzte aber wieder ins Leben zurückgerufen wurden, verlässt das »Ich« die nicht mehr funktionierende Hülle wie durch einen langen, dunklen Gang, um frei im Raum zu schweben und zuzusehen, was unten mit dem zerschundenen, toten Körper passiert.

Es tut nichts mehr weh. Die befreite Seele fühlt sich rundum wohl – und ist alles andere als glücklich, wenn da unten das Herz wieder zu schlagen anfängt und sie somit zur Rückkehr in die bereits verlassene Wohnung gezwungen wird. In diesem Fall ist wohl auszuschließen, dass die Erinnerung eines anderen Menschen »angezapft« wird. Man mag darüber denken, wie man will. Die naheliegendste und einleuchtendste Erklärung bleibt auf jeden Fall: Die Seele hat den Körper verlassen.

Der Hypnosearzt Dr. Claus Bick aus Dahn in der Pfalz – er besitzt eine eigene Privatklinik, in der mit Hilfe der Hypnose vor allem psychische und psychosomatische Leiden behandelt werden – hat seine Patienten in 165 Hypnoanalysen 76mal den Augenblick der Geburt in die Erinnerung zurückgerufen. Er fand immer wieder bestätigt, dass viele Beschwerden und Belastungen wie Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Angstzustände tatsächlich auf Erlebnisse im Mutterleib zurückgehen und oftmals spontan verschwunden sind, sobald der Schock von damals bewusst wurde.

»Ein Baby im Mutterleib«, so sagt der Arzt, »kann offensichtlich auch die Angst oder einen Schock seiner Mutter miterleben und später darunter leiden.«

Ein Thema, das ungeheure Perspektiven im Hinblick auf unsere Gesundheit eröffnet.

Die amerikanischen Psychotherapeuten Dr. Morris Netherton aus Los Angeles und Dr. Nancy Shiffrin von der Neuropsychiatrischen Klinik der Universität von Kalifornien, ebenfalls in Los Angeles, berichten über ihre jahrzehntelangen Erfahrungen mit der Reinkarnationstherapie (2):

Die pränatale Phase ist mehr als in einer Hinsicht einzigartig. Aber vielleicht am entscheidendsten ist, dass nur in diesen Monaten das Unbewusste längere Zeit allein funktioniert, ohne Unterstützung beziehungsweise Bevormundung durch das Bewusstsein. An anderer Stelle habe ich das Unbewusste mit einem Tonbandgerät verglichen, das alles unterschiedslos aufzeichnet und Informationen speichert, ohne sie zu analysieren. Tatsächlich registriert der Fötus alle Gedanken der Mutter, alles, was zur Mutter und von ihr und in ihrer Gegenwart gesagt wird, als ob es an ihn gerichtet wäre.

Oftmals identifiziert sich das Kind im Mutterleib mit der Mutter demnach so sehr, dass ihre Empfindungen und Gedanken zu seinen eigenen werden. Eine Frau, die Psychiater nennen sie Ann Boyd, 34 Jahre alt, wurde von dem einen beherrschenden Gedanken gequält: »Kein Mann wird mich jemals lieben.«

Während der Rückführung in die Zeit vor der Geburt erzählte sie bald so, als würde ihre Mutter sprechen, um dann, im selben Augenblick, aber das eigene Empfinden wiederzugeben. Mutter und Tochter gehen unmittelbar ineinander über: »Sie ist traurig. Es ist meine Mutter. Sie liegt im Bett. Sie liegt auf dem Rücken. Aber das Baby ist so schwer. Sie hat das Gefühl, erdrückt zu werden. Sie denkt: ›Ich bin schwanger. Wie sinnlos. Von einem Mann, den ich nicht liebe. Wir sind beide groß und schwerfällig. Das Baby wird auch so sein. Niemand wird es je lieben – Meine Rippen werden gequetscht. Ich werde erdrückt.‹ Eine Stimme sagt: ›Große, wunderschöne Augen.‹ Aber alles, was ich fühle, ist dieser Druck. Ich kann nicht atmen – Es wird jetzt leichter. Es geht sehr schnell. Ich habe Angst. Es ist der Kreißsaal. Ich bin gerade geboren.«

Dr. Netherton deutet das so:

Der Fötus ist während seiner Entwicklung völlig von den Empfindungen seiner Mutter beherrscht, die ihn trägt. Er hält die Gefühle der Mutter für seine eigenen. Als Anns Mutter glaubte, sie würde von dem Gewicht des wachsenden Babys erdrückt, hatte dieses das Gefühl, es würde selber erdrückt.

Und ein anderer Fall, der beinahe noch deutlicher ist. Auch über ihn berichtet Dr. Netherton:

Chuck, 11 Jahre alt, war die personifizierte Unruhe. Er konnte keine Sekunde ruhig auf einem Fleck sitzen. Die Eltern wussten sich nicht mehr zu helfen und gingen mit ihm zum Psychotherapeuten.

Als Chuck in der Sitzung in die Zeit vor seiner Geburt zurückgeführt wurde, wiederholte er plötzlich immer nur den einen Satz: »Lasst mich bloß in Ruhe.« Und dann geriet er in Panik, begann zu weinen und stammelte: »Meine Mutter sagt es – Ich bin ein ganz kleines Baby. Ich bin noch nicht wirklich ein Baby – Ich sehe nur Grau um mich herum. Ich bin drei Monate da – Mutter weint. Großmutter sagt: ›Du musst etwas tun –‹ Ich glaube, sie haben gerade herausgefunden, dass ich da bin. Alle sind sehr aufgebracht.«

Dann erzählt Chuck, wie die Großmutter versucht, seine Mutter zu einer Abtreibung zu bewegen. Wie die Mutter, seinerzeit noch Schülerin, von ihren Mitschülern ausgelacht wird, »weil ich in ihr bin«. Schließlich sagt das Kind – wohlbemerkt ein elfjähriger Junge! – außer sich vor Aufregung: »Ich bin immer noch in meiner Mutter – Mein Vater ist da. Er kitzelt Mutter. Er hält sie fest und kitzelt sie überall. Sie hasst das. Sie schreit: ›Aufhören! Aufhören!‹ – Ich kann das nicht aushalten – wir, es ist das gleiche, sie und ich, werfen uns herum. Ganz verrückt. Völlig hysterisch und zitternd –«

Während Chuck diese Szene beschreibt, eine Szene, die wirklich so stattgefunden hat, wie die Mutter bestätigt, zieht und zerrt er am Bezug des Sofas. Er hat die Knie bis zum Kinn hochgezogen und schlägt mit den Füßen krampfartig aus.

Über den Augenblick der Geburt sagt Dr. Netherton:

Die Geburt prägt vor allem die spätere Belastbarkeit des einzelnen, stellt sie doch die erste »bewusste« Situation dar, in der wir Belastung erfahren – Wenn die Mutter die Situation mit Disziplin und Liebe zu dem Kind, das zur Welt kommen soll, bewältigt und die Ärzte, Krankenschwestern und der Vater (falls er dabei ist) sich ruhig und zuversichtlich verhalten, wird das Kind aller Wahrscheinlichkeit nach ähnlich positiv eingestellt sein, wenn es eines Tages gilt, mit Belastungen, welcher Art auch immer, fertig zu werden. Wenn dagegen die Entbindung schwierig verläuft und die Mutter das Kind innerlich ablehnt, wird Stress ein lebenslanges Problem für das Kind darstellen.

Wenn das tatsächlich auch nur in etwa stimmen sollte …!

Auf der Suche nach der Wahrheit zum Thema Wiedergeburt ist mit der Erforschung des Lebens im Mutterleib nur ein erster zaghafter Schritt getan. Die eigentlichen, aufregenden Abenteuer stehen uns noch bevor. Die Grenze der Geburt ist überschritten. Wie ist es mit dem Augenblick der Zeugung? Kann die Erinnerung auch über diesen ersten Anfang hinausgehen?

2. Kapitel

Der Fall Bridey Murphy

Die aufregende Geschichte der modernen Reinkarnationsforschung beginnt mit einem Partyspaß. Die Hauptrolle spielen nicht Wissenschaftler, sondern ein cleverer Geschäftsmann und eine einfache, biedere Hausfrau, die eigentlich mit der ganzen Sache nichts zu tun haben möchte.

Morey Bernstein, vielbeschäftigter Besitzer einer großen Warenhauskette in Pueblo in Colorado, ist zufällig dabei, als ein junger Mann der gelangweilten Gesellschaft sein »Hobby« vorführt: Hypnose. Für Mister Bernstein ist es die erste Begegnung mit der Hypnose, und er ist so stark beeindruckt, dass er nie mehr davon loskommen wird. »Ich muss wissen, was dahintersteckt«, sagt er spontan. In den folgenden Tagen, Wochen, Monaten, Jahren studiert er in jeder freien Minute Bücher und Schriften, die sich mit der Hypnose befassen. Zehn Jahre lang gibt es für ihn kein anderes wichtiges Thema mehr. Bernstein reist kreuz und quer durch Amerika, spricht mit jedem, der etwas von Hypnose versteht – und macht schließlich selbst die ersten praktischen Erfahrungen.

Er entdeckt dabei, dass er andere Menschen sehr rasch und zuverlässig in Tiefschlaf versetzen kann. Er erfährt, dass man Hypnotisierte besonders gut beeinflussen kann. Sie lassen sich viel leichter überzeugen, überreden und damit von seelischen Verklemmungen befreien.

Aus dem Partyspaß ist eine sehr ernste, große Sache geworden. Morey Bernstein heilt Stotterer, Gelähmte, Menschen mit krankhaften Angstgefühlen, Süchtige, Impotente, indem er sie zuerst in hypnotischen Schlaf versetzt und ihnen dann, in diesem veränderten Bewusstseinszustand, suggestiv einredet, sie wären von diesem Augenblick an völlig gesund und fühlten sich wohl und unbelastet. Diese Heilweise ist heute weithin anerkannt. Es gibt Spezialkliniken, in denen nur mit Hypnose behandelt wird.

Für Amerika werden die Experimente von Morey Bernstein der Anstoß zu einer riesigen Hypnosewelle, die das ganze Land überschwemmt. Jeder, der etwas auf sich hält, möchte wenigstens einmal im Leben hypnotisiert werden. Ärzte, spiritistische Zirkel, Magier und Zirkusartisten – alle bedienen sich der »Zauberwaffe« Hypnose.

Morey Bernstein ist aber bereits einen Schritt weiter. Er gibt sich mit Hypnoseheilungen nicht zufrieden. Der Privatgelehrte spürt, dass er mit der Hypnose auf etwas Ungeheuerliches gestoßen ist. Auf eine Schicht der menschlichen Seele, die normalerweise verschüttet ist, die man mit Hilfe der Hypnose aber wenigstens teilweise freilegen kann. Eine Schicht, die offenbar über enorme Kräfte und Fähigkeiten verfügt, so gut wie alles weiß und alles in einem lückenlosen Gedächtnis gespeichert hat. Bernstein will diese Macht in der eigenen Brust unbedingt näher kennenlernen. Koste es, was es wolle.

Es ist unglaublich, was dieser sonst doch so nüchterne, berechnende Geschäftsmann alles unternimmt, selbst hypnotisiert zu sein, um damit den Zustand der befreiten Seele, das veränderte Bewusstsein, zu erleben.

Doch es klappt nicht. Kein Hypnotiseur vermag, Morey Bernstein in Trance zu versetzen.

Eines Tages geht er deshalb zu einem befreundeten Arzt und bittet ihn: »Ich möchte eine Elektroschockbehandlung.«

Er weiß, was das ist. Und natürlich hat er auch Angst davor: Man schickt Stromstöße durch Gehirn und Nerven und versucht damit, psychisch kranke Menschen nervlich zu entspannen. Eine Methode, die so brutal ist, dass sie heute nicht mehr angewendet wird.

Morey Bernstein lässt sich auf den Krankentisch schnallen, die Stromanschlüsse an Kopf und Glieder kleben und ein Gummistück zwischen die Zähne schieben, damit er sich im Krampf die Zähne nicht ausbeißt. Vier starke Männer drücken ihn auf das Bett, als der Arzt den Strom einschaltet. Bernstein beginnt fürchterlich zu zucken, wird von Krämpfen hochgerissen und zurückgeschleudert. Doch von alledem spürt er nichts. Er ist bewusstlos.

Als er wieder zu sich kommt, hat er Mühe, sich an den eigenen Namen zu erinnern. Der Versuch ist gründlich misslungen. Keine Hypnose. Keine Befreiung der Seele. Nichts.

Bei einem späteren Experiment mit Giftgasen, die er einatmet, kann Bernstein in letzter Sekunde vor dem qualvollen Erstickungstod gerettet werden. Er erleidet schreckliche Todesangst. Doch aus der Selbsthypnose wird wiederum nichts.

Zu diesem Zeitpunkt erfährt Morey Bernstein von den Experimenten des englischen Psychiaters Sir Alexander Cannon und dessen sensationellen Erfahrungen.

Dieser Seelenarzt ließ seine Patienten in Hypnose ihre Vergangenheit noch einmal erleben. Allerdings: Bei der Geburt und auch beim Augenblick der Zeugung machte er nicht halt. Er ging weiter. Immer weiter zurück, bis irgendwo aus dem Dunkel ein neues Leben an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit auftauchte. Sir Cannon behauptete:

Jeder Mensch hat schon einmal gelebt und kann sich in der Hypnose an sein früheres Leben erinnern … Jahrelang sah ich in der Theorie der Wiedergeburt nichts als eine Gespenstergeschichte. Ich gab mir alle Mühe, sie zu widerlegen, und warf sogar Medien vor, sie schwatzten Unsinn. Aber im Laufe der Zeit berichtete ein Medium nach dem anderen genau dasselbe, und zwar trotz großer Unterschiede in der individuellen Weltanschauung. Inzwischen habe ich mehr als tausend Fälle untersucht und muss zugeben, dass es so etwas wie Seelenwanderung tatsächlich gibt.

Alles würde Bernstein staunend hinnehmen. Doch gegen die Vorstellung der Wiedergeburt bäumt er sich auf. »Das ist kompletter Unsinn«, sagt er immer wieder. Menschen, die an die Reinkarnation glauben, sind ihm ein Greuel. Er duldet sie nicht in seiner Nähe.

Doch wieder einmal ist die Wissbegierde stärker als alle Vorbehalte. »Wenn es so etwas wie die Wiedergeburt tatsächlich geben sollte, dann müsste ich in der Hypnose Spuren davon entdecken können«, sagt er zu sich.

Und so kommt es zu jener Hypnosesitzung, die Geschichte machen wird:

Der »Morgen-Jig« vor dem Kaminfeuer

In der Villa des Unternehmers Morey Bernstein in Pueblo sitzen zwölf Leute im engen Halbkreis vor dem Kamin. Die Nacht ist unruhig und kalt. Draußen pfeift ein eisiger Wind von den Bergen.

Das Feuer flackert und wirft gespenstische Schatten an die Wand. Außer den Flammen gibt es nur ein gedämpftes Licht im Hintergrund und eine brennende Kerze auf dem Tisch. Nur das Knistern und Krachen der großen Holzscheite im Kamin durchbricht die Stille.

Es ist Samstag, der 22. Januar 1953.

Die kleine Gesellschaft fröstelt. Nicht der Kälte wegen. Die Ärzte, Wissenschaftler, Geschäftsleute fürchten sich auch nicht vor Gespenstern und Geistern. Doch das, was sie hier erleben, das bringt sie aus der Fassung. Es ist einfach unglaublich.

In der Mitte des Halbkreises liegt auf der Couch eine junge Frau. Virginia Tighe. 29 Jahre alt. Braune lange Haare, lustige Stupsnase. Ihr Mann Rex sitzt unmittelbar neben ihr. Aber er ist gar nicht mehr so sicher, ob das wirklich seine Frau ist. Manchmal spricht sie wie ein kleines Mädchen, plappert unbekümmert drauflos. Manchmal hört sich die Stimme an wie die einer alten, müden Frau. Und dann fallen Ausdrücke in einer fremden Sprache, die keiner in der Runde jemals gehört hat.

»Ich bin Bridey Murphy«, sagt Virginia Tighe. Sie behauptet: »Ich habe rote Haare, bin 1798 in Cork in Irland geboren und 1864 in Belfast gestorben.«

Was geht hier vor? Sind Virginia Tighe und Bridey Murphy ein und dieselbe Person? Hat die Amerikanerin, Frau Tighe, vor mehr als hundert Jahren schon einmal als Frau Murphy in Irland gelebt?

Eindringlich klingt die Stimme von Morey Bernstein: »Wir sind jetzt wieder in der Gegenwart. Sie werden jetzt aufwachen … Sie werden sich an den Tanz erinnern, von dem Sie uns soeben erzählt haben und den Sie in Irland immer so gerne tanzten. Den Morgen-Jig. Das wird ganz leicht sein …«

Virginia Tighe öffnet die Augen. Sie ist aus der Hypnose erwacht. Unbekümmert plaudert sie mit den Freunden in der Runde, als hätte sie nur eben ein kleines Nickerchen gemacht. An das, was in der letzten Stunde passiert ist, kann sie sich nicht erinnern. Sie weiß auch nicht, dass sie sich selbst Bridey Murphy nannte und von einem völlig fremden Land erzählte.

Morey Bernstein unterbricht ihr Gespräch nach einer Weile und bittet sie: »Nun, treten Sie bitte in die Mitte des Raumes, und tanzen Sie für uns den Morgen-Jig.«

Virginia runzelt die Stirn und blickt fragend auf.

»Was soll ich?« Hilfesuchend blickt sie von einem zum anderen. Morey Bernstein wiederholt seine Bitte und sagt schließlich: »Virginia, bitte stellen Sie sich dorthin. Dann werden Sie den Wunsch verspüren, den Jig zu tanzen. Versuchen Sie es.«

Zögernd steht Virginia auf, stellt sich in die Mitte des Raumes – und hebt ratlos die Hände. Es ist so still, dass man eine fallende Nadel hören könnte.

Plötzlich geht ein Ruck durch Virginias Körper. Ein glückliches Lächeln liegt auf ihrem Gesicht. Sie wirft das Haar schwungvoll zurück, ihr Körper strafft sich.

Und dann wirbelt Virginia in raschen, sehr lebhaften Bewegungen über das Parkett. Die Tanzschritte werden immer präziser, immer schneller. Die Arme fliegen, der Körper dreht und wiegt sich rhythmisch. Noch ein hoher, kühner Sprung – dann bleibt Virginia ruckartig stehen. Sie streckt und reckt sich, als wäre sie eben aus dem Bett gestiegen. Sie reißt den Mund auf, als würde sie herzhaft gähnen, und klatscht mit der Hand dagegen, als müsste sie sich des Gähnens wegen schämen.

Nun steht sie regungslos da. Angestarrt von den verwirrten Zuschauern. Und sie weiß nicht, was los ist. Fast bestürzt fragt sie ihren Mann: »Was war das? Bitte sag’s mir doch! Was habe ich eben gemacht? Bin ich verhext? Wieso habe ich getanzt?« Weder Rex noch sonst einer der Zuschauer hat jemals einen solchen Tanz mit so fremdartigen Schritten und seltsamen Bewegungen gesehen.

Was ist passiert?

Weder Morey Bernstein noch sein »Medium« Virginia Tighe, noch einer der Zeugen der Hypnosesitzung könnte auf diese Frage eine Antwort geben, obwohl es eigentlich nur eine einzige logische Erklärung gibt: Die junge Amerikanerin konnte sich in Hypnose an ein früheres Leben erinnern.

Oder vielleicht doch nicht? Hat Virginia das, was sie erzählt, vielleicht irgendwo einmal gehört oder gelesen?

Eine »aufregend« langweilige Geschichte

Kaum. Die Geschichte der Bridey Murphy ist so undramatisch, so ohne jedes bedeutsame Ereignis, dass sie so sicherlich niemand aufgeschrieben oder erzählt hätte.

Zuerst berichtet Virginia mit weinerlicher Kinderstimme: »Ich habe die Farbe von meinem Bett abgekratzt. Es war ganz neu gestrichen, das Bett. Ein Metallbett. Ich habe alle Farbe davon abgekratzt. Mit den Fingernägeln habe ich alle Pfosten bearbeitet, ganz kaputtgemacht. Schrecklich!«

Die fast alltägliche Geschichte eines kleinen Mädchens, das nach einer kleinen Missetat ins Bett geschickt wurde und sich nun auf seine Weise für die Strafe rächte: Es zerkratzte sein Bettchen, das der Vater eben mit viel Mühe neu angestrichen hatte. Und hinterher ist das Mädchen bestürzt über das, was es angestellt hat; und es hat Angst vor der neuen Strafe. Ein Ereignis, das ein Kind schon mächtig beschäftigen kann und das im Gedächtnis entsprechend haften bleibt. Aber keine große Sache. Gewiss nicht.

Ähnlich belanglos sind weitere Schilderungen: eine kleine Landpartie, ein Einkauf, die Fahrt mit dem Hochzeitswagen, der eigene Tod. Keine Sensationen.

Bridey, so fügt sich das Bild Steinchen um Steinchen in sechs Hypnosesitzungen zusammen, kam am 20. Dezember 1798 in Cork in Irland zur Welt. Ihr Vater Duncan war ein Bauer. Der kleinere Bruder stirbt an »etwas Schwarzem«, als Bridey vier Jahre alt ist. Bridey heiratete 1818 einen Buchhalter, lässt sich seiner Familie zuliebe erst protestantisch, später heimlich noch einmal katholisch trauen. 1864 stirbt Bridey 66jährig, kinderlos, nachdem sie auf der Treppe gestürzt war und sich das Becken gebrochen hatte. Ein langweiliges, unerfülltes Leben. Ohne jede Besonderheit.

Und gerade das faszinierte die Wissenschaftler. Bei einem Betrug, so sagten sie sich, hätten der Hypnotiseur, das Medium oder beide zusammen sich eine wesentlich interessantere Geschichte ausgedacht.

Wäre in der Hypnose anstelle echter Erlebnisse nur die Erinnerung an einen gelesenen Roman oder an eine gehörte Geschichte lebendig geworden, dann hätte darin doch ebenfalls ein bisschen mehr passieren müssen.

Gerade die Langweiligkeit der Erzählungen ließ Brideys Geschichte echt erscheinen.

»Weißt du eigentlich, dass du da eine Bombe in der Hand hast?« fragte ein Freund von Morey Bernstein den Geschäftsmann, nachdem er die Tonbandprotokolle der Hypnosesitzungen gehört hatte. Und er fügte hinzu: »Du kannst anstellen, was du willst, und noch so vorsichtig sein: In Kürze wird man über das da reden. Einige Leute werden dich für einen harmlosen Irren halten. Andere aber werden dich für einen Fanatiker, Unruhestifter, Spinner oder Besessenen erklären. Du wirst mit Briefen und Anrufen überschüttet werden, von Medien, Hypnosebegeisterten und Steckenpferdreitern. Und zur Krönung des Ganzen wird eine Menge Leute den falschen Eindruck gewinnen, du wolltest ihren religiösen Gefühlen zu nahe treten.«

Der Freund gab Bernstein den Rat, möglichst viele Fakten zu sammeln, um gerüstet zu sein, wenn der Sturm der Begeisterung und Entrüstung über ihn hereinbrechen wird.

Und der kam, schlimmer als vorausgesagt. Die Reporter stürmten Morey Bernsteins Haus. Über 50 amerikanische Zeitungen schrieben über den »Fall Bridey Murphy«. Zu Dutzenden reisten Wissenschaftler und Journalisten nach Irland, um dort, an Ort und Stelle, nachzuforschen, ob es Bridey Murphy tatsächlich gegeben hat. Ob diese in Hypnose aufgetauchte Gestalt mehr ist als nur ein Gespenst. Der Redakteur der Denver Post, William J. Barker, legte in drei Wochen über 20000 Kilometer zurück, um herauszufinden, »ob das geisterhafte irische Mädchen existierte, oder ob es nur eine besondere Art von Hirngespinst, das raffinierte Phantasieprodukt einer neurotischen jungen Frau war«, wie er selbst schrieb.

In Amerika und nach und nach auch in Europa, Japan, Südamerika wurde eine wahre Massenhysterie ausgelöst, nachdem Morey Bernstein seine Experimente in einem Buch (3) veröffentlicht hatte. Die Menschen wollten nun alles wissen über Leben und Tod und über eine mögliche Rückkehr in einen anderen Körper.

In der kleinen Stadt Shorne in Oklahoma erschoss sich der 19jährige Zeitungsjunge Richard Swink, weil er es, wie er in einem Brief hinterließ, nicht abwarten konnte, die Wahrheit zu erfahren und die Wiedergeburt zu erleben.

Von Bernsteins Buch – man verglich es mit der Wirkung des Atombombenabwurfs über Hiroshima – wurden in kurzer Zeit über eine Million Exemplare verkauft. Schallplatten mit den Sitzungsprotokollen waren lange Zeit die ganz großen Hits. Es wurden sogar Bridey-Murphy-Songs komponiert: »Bridey tanzte schon vor hundert Jahren Rock’n’Roll. Hallo, Bridey Murphy.« … Die Paramount Filmgesellschaft erwarb die Rechte für einen Dokumentarfilm.

Das beliebteste Partyspiel hieß bald: Wer war ich in meinem früheren Leben? Kostümpartys, bei denen jeder das anziehen sollte, was er in seinem früheren Leben trug.

Man trank »Reinkarnationscocktails« und ergötzte sich im Nachtclub an Wiederverkörperungsnummern.

Und über die ganze Welt schwirrten die Bridey-Witze:

»Wie geht es deiner Frau?« – »Danke gut. Ich habe sie ins 17. Jahrhundert versetzt – und dort gelassen.«

Oder eine Frau zur anderen im Supermarkt: »Stelle dir vor, mein Mann nennt mich neuerdings Bridey Murphy. Er sagt, niemand kann in einem einzigen Leben so schlecht kochen lernen, wie ich das kann.«

Der »Fall Bridey Murphy« war in aller Munde. Und zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sahen sich alle Seiten genötigt – auch Wissenschaftler –, den Spuren einer Reinkarnation gewissenhaft nachzugehen und Beweise zu sammeln.

Die Ergebnisse waren teilweise verblüffend und überzeugend – teilweise ebenso enttäuschend.

Die Jagd nach Bridey Murphy

Zunächst: Der Name Murphy ist in Irland so häufig wie bei uns Meier oder Müller. Geburtsregister aus jener Zeit waren in der Ortschaft Cork nicht mehr aufzutreiben. Ob Bridey also tatsächlich gelebt hat oder nicht, wird sich niemals mit letzter Sicherheit sagen lassen.

Auch viele andere Fragen müssen offenbleiben, weil sich keine Bestätigungen für Brideys Aussagen finden ließen.

Wohl aber stieß man dann doch auf eine ganze Reihe von Dingen, die mit Brideys Erzählungen voll übereinstimmten.

So gab es tatsächlich den Onkel. Und er war auch wie angegeben bei der Universität beschäftigt.

Sodann stellte sich heraus, dass im 19. Jahrhundert in Cork eine Tabakfabrik und eine Seilerei existierten. Es gab kaum mehr jemand, der sich daran erinnern konnte, aber Bridey hatte sie erwähnt und richtig beschrieben.

Am überzeugendsten war schließlich das, was Bridey über Brauchtum, über Heimatsagen und Tänze berichtet hatte. Viele dieser Einzelheiten waren inzwischen so gründlich in Vergessenheit geraten, dass sie erst nach intensiven Forschungen in Archiven und Bibliotheken wieder ausgegraben werden konnten. So beispielsweise ein paar Dialektausdrücke, die Bridey verwendete, Kinderlieder, die sie sang – und nicht zuletzt der Morgen-Jig, ein früher gebräuchlicher Tanz, den heute in Irland niemand mehr kennt.

Und gerade das sprach wiederum für die Echtheit der Bridey Murphy: Sie war in ihren Erinnerungen auf Eigenheiten gestoßen, die sie auch bei fleißigsten Studien weder in den USA noch im heutigen Irland hätte finden können.

»Immerhin«, so schrieb der Journalist William J. Barker abschließend über seine Forschungen in Irland, »behielt Bridey recht in wenigstens zwei Dutzend Punkten, über die sich Virginia Tighe nicht hätte informieren können – auch dann nicht, wenn sie sich systematisch Jahre hindurch mit dem Studium entlegener Fakten aus dem Irland des 18. und 19. Jahrhunderts befasst hätte. Wenn man das ganze Material von und über Bridey im Zusammenhang sieht, stellt man fest, dass es das Signum der Wahrheit trägt – was immer diese Wahrheit letztlich bedeuten mag.«

Viele, wohl die meisten Amerikaner waren nicht einmal bereit, William J. Barker und seinen Mitarbeitern so weit zu folgen. Sie hielten das alles für einen aufgelegten Schwindel. Die Auseinandersetzungen um den »Fall Bridey Murphy« tobten über Monate hinweg äußerst heftig. Die US-Presse spaltete sich in Blätter, die Bridey für echt hielten, und andere, die sie leidenschaftlich, ja gnadenlos bekämpften. Die Leser der Zeitungen und Zeitschriften, unter ihnen viele Wissenschaftler, bekriegten sich in ungewöhnlich heftigen Leserbriefen, ohne der Wahrheit auch nur einen winzigen Schritt näherzukommen. Das Gebiet, auf das man sich begeben hatte, war einfach zu neu, zu unbekannt, zu unerforscht. Alle, Gegner wie Befürworter der Seelenwanderung, standen mehr oder weniger ratlos vor den Hypnoseprotokollen des Morey Bernstein.

Die eigentlich Leidtragenden des erbarmungslosen »Glaubenskrieges« waren Virginia Tighe und ihr Mann Rex. Obwohl Morey Bernstein für sein Medium ein Pseudonym gewählt hatte, entlarvten Reporter Ruth Simmons als Virginia Tighe. Und fortan hatte sie keine ruhige Minute mehr. Man durchwühlte ihr Leben und suchte nach Anhaltspunkten, die eine andere Erklärung als die der Wiedergeburt nahelegten. Und natürlich fand man solche »Indizien«.

In sogenannten »Enthüllungsstorys« ging man nicht gerade zimperlich mit den Tatsachen und schon gar nicht mit den beteiligten Personen um.

So stieß man auf eine Mrs. Marie Burns, eine Tante von Virginia. Bei ihr hatte sie als 18jähriges Mädchen vorübergehend gewohnt. Diese »Tante Marie, so irisch wie die Seen von Kilkenny«, habe, so konnte man lesen, das Kind »mit Erzählungen aus Irland ergötzt«.

Frau Burns war tatsächlich schottisch-irischer Abstammung, jedoch in New York geboren. Sie hatte Irland niemals besucht. Virginia beteuerte vergebens, dass sie sich mit »Tante Marie« auch nicht über Irland unterhalten hat.

Man fand dann heraus, dass Virginia einmal Unterricht im Aufsagen von Gedichten hatte und dabei auch tanzen lernte. Auch das stimmte. Mit 12 Jahren ging Virginia ab und zu mit anderen Kindern zu einer wohlhabenden Frau in der Nachbarschaft, die Spaß daran hatte, den Kindern Gedichte beizubringen. Aber irische Dialekte waren nicht darunter. Die einzigen Tänze, die Virginia lernte, waren Black Bottom und Charleston.

Die überzeugendste Enthüllung: Gegenüber dem Haus, in dem Virginia in Chicago gelebt hatte, soll eine Irin gewohnt haben, eine geborene Bridey Murphy. Von ihr, so schrieb eine Zeitung, habe Virginia ihre »Traumfigur« entlehnt und das Wissen bekommen.

Mrs. Corkell stammte nun tatsächlich aus Irland, allerdings aus einer ganz anderen Gegend. Sie hieß auch Bridey, ein Name, der in Chicago damals sehr häufig vorkam, aber nicht Murphy. Seltsamerweise war Mrs. Corkell die Mutter eben jenes Reporters, der diese Enthüllung unters Volk brachte. Sie selbst weigerte sich hinterher hartnäckig, zu der Geschichte irgendetwas zu sagen. Virginia versicherte dagegen, dass sie mit der Frau nicht ein einziges Mal gesprochen hat.

Das endgültige »Todesurteil« über Bridey Murphy sprachen schließlich Psychoanalytiker und Psychologen, die weder Morey Bernstein noch Virginia Tighe jemals wirklich begegnet sind. Ihre »Ferndiagnose« veröffentlichten sie in der Zeitschrift Scientific Report als »letztes Wort« über den Fall. Da hieß es denn: Virginia Tighe fühle sich ganz einfach in der Hypnose sehr eng mit dem Hypnotiseur verbunden, gleichsam als seine Braut. (Bridey bedeutet in der englischen Sprache Braut.) Bei Virginia handle es sich um eine kranke, gespaltene Persönlichkeit, die an ihrer Sehnsucht, wirklich geliebt zu werden, letztlich gescheitert sei.

Virginia Tighe, die sich von Anfang an gegen Morey Bernsteins Experimente gesträubt hatte und nur mit großer Überredungskunst zu den sechs Sitzungen gebracht werden konnte – sie zeigte für das Problem der Wiedergeburt keinerlei Interesse und fühlte sich von dem, was dabei herauskam, auch in keiner Weise berührt, war danach nicht mehr bereit, sich noch einmal hypnotisieren zu lassen. Ihre Familie musste schließlich sogar Pueblo verlassen, weil dort ein vernünftiges, normales Leben für sie nicht mehr möglich war.

Was blieb von Bridey?

Bridey Murphy geriet in Vergessenheit. Morey Bernsteins Hypnoseexperimente aber haben eine Tür aufgestoßen, die hineinführt in eine bisher nur erahnte, phantastische Welt der Seele.

Der Geschäftsmann aus Pueblo konnte das Rätsel der sogenannten »age regression«, der hypnotischen Rückführung eines Menschen in ein zurückliegendes Lebensalter oder gar in ein früheres Leben, nicht lösen. Dazu fehlte ihm wie uns heute auch noch die Einsicht in das Wesen der menschlichen Seele.

Bernstein wusste nicht, wie das Gedächtnis funktioniert. Und er hatte auch keine Ahnung, ob das, was in der Hypnose zum Vorschein kommt, dem Hypnotisierten schaden könnte oder nicht.

So ist er beispielsweise immer dann, wenn Virginia irgendwelche Gemütsregungen zeigte, wenn sie Schmerz oder Unbehagen äußerte, sofort und hastig zu einem anderen, erfreulicheren Augenblick weitergeeilt, ohne daran zu denken, dass ja nur jene Momente im Gedächtnis eines Menschen haftenbleiben, die ihn wirklich bewegen, erschüttern, betroffen machen. Viele Fragen konnte Virginia von vorneherein allein deshalb nicht beantworten, weil sich Bridey als einfache, ungebildete Frau zeitlebens auch nicht darum gekümmert hätte. Große politische Ereignisse wären einer Frau ihres Standes im 18./19. Jahrhundert kaum zu Ohren gekommen, zumal im abgelegenen, damals relativ ruhigen Nordirland.

Ein paar grundsätzliche, typische Wesenszüge der Hypnoanalyse hat Morey Bernstein aber doch schon erkannt. Und sie stimmen auch heute noch:

Der Mensch wird in der Hypnose kein anderer. So sagt er, wenn er das sonst auch nicht täte, nicht plötzlich unbedingt die Wahrheit. Er flunkert, er schämt sich, gewisse peinliche Fragen zu beantworten. Und er beschönigt gewisse Umstände, ganz einfach, um ein wenig anzugeben – je nach Wesen und Veranlagung.

So erzählte Bridey hartnäckig, ihr Vater wäre Rechtsanwalt gewesen, der auch »ein bisschen geackert hat«. In den Interviews tat sie alles, das Ansehen ihrer Familie anzuheben. Erst in der sechsten Sitzung ließ sie sich dann mit einer Fangfrage zu dem Eingeständnis zwingen, dass der Vater eben doch nur ein kleiner Bauer gewesen ist.

Ihren Mann machte Bridey zum Schriftsteller, dessen Artikel in der Zeitung erschienen. Auch er wurde zunächst als Rechtsanwalt bezeichnet, schrumpfte aber nach und nach zu einem kleinen Schreiber zusammen, der den Geschäftsleuten in der Umgebung die Bücher führte.

Diese kleinen, man möchte fast sagen liebenswerten Menschlichkeiten machen die Überprüfung der Angaben natürlich schwierig. Aber sie sprechen wiederum für die Echtheit: Nur wer etwas ganz Persönliches preisgibt, wer Angst hat, er könnte sich verraten oder bloßstellen, braucht derartige Versteckspiele. Andererseits zeigen solche Mogeleien aber auch, dass der Einfluss des Hypnotiseurs doch nicht so groß sein kann, wie manchmal befürchtet wird. Wer den Hypnotiseur anlügen kann, ist ihm mit Sicherheit nicht willenlos ergeben.

Sodann geraten die Erinnerungen in der Hypnose, ebenso wie die bei vollem Bewusstsein, gelegentlich durcheinander. Virginia veränderte ihre Persönlichkeit völlig, sobald sie Bridey war. Sie sprach dann anders. Bald mit dem dünnen Stimmchen eines kleinen, erschreckten Mädchens, bald mit der zittrigen, kraftlosen Stimme der alten, lebensmüden Frau – je nachdem, in welcher Szene Bridey gerade war. Sie sprach irische Dialekte und sogar gälisch.

Manchmal war sie so sehr in der damaligen Zeit, dass sie nicht mehr wusste, was ein Auto ist, weil es zu Brideys Lebenszeit noch keine Autos gab. Sie wusste dann auch nicht mehr, wer sie befragte und reagierte mitunter recht heftig und ungeduldig: »Wer bist du? Warum willst du das wissen? Das habe ich doch schon erzählt.«

Manchmal war es aber auch so, als sähe sie das frühere Leben aus heutiger Sicht und mit den Erfahrungen dieses Lebens. Und dann konnte es sogar passieren, dass beide Leben, das von Bridey und das von Virginia, ineinander verflossen. Sie wurden eins. Untrennbar.

Gerade dieses Einswerden aber eröffnet ungeahnte, neue Möglichkeiten: Sollte es möglich sein, dass Menschen in diesem Leben leiden müssen, weil sie in einem früheren Leben Leid erfuhren? Weil sie damals einen Schrecken erlebten, gequält wurden, eine Angst durchlitten, mit der sie nicht fertig wurden?

Kann man – falls das so ist – solche Patienten von ihrer Angst, ihren Phobien, von Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit und schlimmeren Übeln heilen, indem man sie zurückführt in das frühere Leben und sie noch einmal erleben lässt, was damals passierte, damit sie fortan die Ursache ihrer Beschwerden kennen und damit auch die Panik davor verlieren?

Der Begründer der Psychoanalyse, der Wiener Arzt Sigmund Freud, entdeckte, dass belastende Erlebnisse in der frühen Kindheit an vielen psychischen Erkrankungen erwachsener Menschen schuld sind. Hypnoseärzte wissen heute, dass man oft noch weiter zurückgehen muss. Auch eine verletzende Erfahrung während des Aufenthalts im Mutterleib kann Spuren hinterlassen und lebenslang bedrücken und quälen, ebenfalls ohne dass man bewusst um die Ursache weiß. Ganz tief, unerreichbar tief in der Seele ist der Schrecken verborgen.

Sollte die Bildung von Komplexen noch weiter zurückreichen? Etwa in ein früheres Leben? Kann mein jetziges Glück mit einer jahrhundertealten Hypothek belastet sein?

3. Kapitel

Das Strafgericht am Himmelfahrtstag

»Nehmen Sie mir die Angst. Diese entsetzliche Angst. Sie drückt mir die Kehle zu. Ich kann das nicht mehr aushalten. Bitte, helfen Sie mir!«

Die junge Frau lässt sich auf einen Stuhl fallen. Sie ist außer Atem. Erschöpft wie ein Wild, das man gehetzt hat. Die nackte Angst steht ihr ins Gesicht geschrieben. Unruhig und voller Argwohn huschen ihre Augen durch das Behandlungszimmer des Psychotherapeuten.

»Helfen Sie mir.« Leise, fast gehaucht klingt die Bitte.

Frau Lilo Kohler aus Augsburg, 22 Jahre alt, verheiratet, ist am Ende. Seit sie sich erinnern kann, wird sie geplagt von dieser grundlosen, unfassbaren Angst vor Menschen. Vor jedem Blick, der sie treffen könnte, vor jeder Geste und vor jedem Wort, das an sie gerichtet wird.

Angst, für die es keine Erklärung gibt, von der man nicht einmal weiß, wovor und warum.

Schon als kleines Mädchen wehrte sich Lilo mit Händen und Füßen dagegen, in die Schule gehen zu müssen. Sie weinte, versteckte sich im Kleiderschrank und wurde schließlich sogar ernsthaft krank. Ein Nervenfieber schüttelte das zarte Geschöpf. Die Eltern und der Arzt waren ratlos.

Sie konnten nicht ahnen, was für ein schreckliches Erlebnis hinter dieser Angst steckte. Welche Schande Lilo erfahren hatte.

Nicht in diesem Leben, sondern – vor fast 500 Jahren. Lilo selbst konnte sich nicht daran erinnern. Natürlich nicht. Sie wusste zwar, dass manche Menschen und ganze Völker an eine Wiedergeburt glauben. Doch für sie war so etwas einfach unvorstellbar.

Sie hatte einiges gelesen über die unfassbaren Kräfte der Seele, die den Körper krank und gesund machen können. Sie kannte Berichte über das Jenseits, über Kontakte mit Verstorbenen und dergleichen mehr. Doch das alles hielt sie für Phantastereien. Für reines Wunschdenken. Eine Sehnsucht vielleicht, für die es keinerlei stichhaltige Beweise gab. Wenn tatsächlich noch etwas anderes hinter diesem irdischen Leben existieren sollte, dann war es zumindest bisher dunkel, verborgen, unzugänglich geblieben.

Und doch: Irgendeine Erinnerung, das spürte Lilo, schlummerte in ihr. Ganz vage, dumpf wusste sie, dass irgendwann etwas Grauenvolles mit ihr passiert war. Aber was? Und wann?

Jetzt sollte die Erinnerung geweckt werden. Lilo sollte erfahren, warum sie als kleines Mädchen nicht mit anderen Kindern spielen wollte, sondern sich in ihrem Zimmer verkroch. Warum die Mutter sie fast mit Gewalt vor die Tür schieben musste. Warum ihr Herz wie rasend zu pochen begann und sich in ihrem Gesicht feuerrote Flecken bildeten, sobald sie fremde Menschen traf. Jetzt sollte ihr so mancher geheimnisvolle Zwischenfall plötzlich verständlich werden.

Etwa jener Tag, an dem Berti, ein Schulkamerad, mit ihr ins Kino gehen wollte:

Mit 14 Jahren war Lilo ein auffallend schönes Mädchen. Sie trug das schwarze, glatte Haar streng und straff um das schmale Gesicht, das nur aus zwei riesengroßen Augen zu bestehen schien. Augen, erschrocken wie der Blick eines Babys und gleichzeitig wissend, erfahren wie der einer Frau, die das Leben von allen Seiten kennt.

Die Mitschüler rissen sich darum, Lilo auf dem Schulweg begleiten zu dürfen. Sie nannten sie die »schwarze Madonna«. Die Bewunderung in ihren Blicken und Äußerungen konnte Lilo nicht verborgen bleiben. Man mochte sie.

Das war ein wundervolles Gefühl. Zum ersten Mal schien die krankhafte Scheu nachzulassen.

Und dann kam jener erste und einzige Kinobesuch mit Berti. Lilo stand zitternd vor dem Eingang. Ihre Hände waren eiskalt und feucht. Ihr Atem flog. »Bitte, lass uns wieder gehen«, stammelte sie. »Ich kann nicht.« Aber Berti lachte nur, packte sie an der Schulter und schob sie ins Foyer. Er hielt sie an der Hand, als er die Eintrittskarten löste. Ein paar Freunde drehten sich um, kamen näher und machten ihre Bemerkungen. »Sieh an, unsere ›schwarze Madonna‹ ist da. Mensch, Berti, du bist ein Glückskind. Dürfen wir uns neben euch setzen?«

So ging das ein Weilchen weiter. Das alles war völlig harmlos. Doch Lilo spürte plötzlich, wie die Panik in ihr wuchs. Ihr Herz schlug im Hals, sie rang nach Atem. Das Gesicht brannte. Die Leute begannen, sich vor ihren Augen zu drehen. Da schlug Lilo zu. Sie trat Berti mitten ins Gesicht – und rannte davon. Hinterher saß sie zu Hause und fragte sich verzweifelt: Warum nur? Warum habe ich mich so unmöglich benommen?

Oder der peinliche Augenblick nach der Trauung in der Kirche.

Mit 19 heiratete Lilo. Und diese Hochzeit war wiederum eine einzige Flucht vor den Menschen. Sie klammerte sich an Sebastian Kohler, einen Freund ihres Vaters und fast doppelt so alt wie sie selbst. Bei ihm fühlte sie sich geborgen. Am Hochzeitstag war Lilo unsagbar glücklich. Bis zu dem Augenblick, als sie am Arm ihres Mannes aus der Kirche trat. Da standen seine Freunde vom Tennisklub. Sie hatten ein Spalier gebildet, wobei sie die Schläger zu einem Triumphbogen in die Höhe hielten. Lilo stockte der Atem. Sie blieb stehen, brach in Tränen aus und lief davon.

Fortan lebten Sebastian und Lilo in einem kleinen Häuschen vor der Stadt. Man sah die »schwarze Madonna« nicht mehr. Sie versteckte sich. Und die Angst begann erneut zu wachsen.

Sebastian gab sich viel Mühe, seiner Frau zu helfen. Immer wieder paukte er ihr ein: »Es gibt nichts, wovor du dich fürchten müsstest. Nichts. Also ist deine Angst unsinnig.«

Lilo nickte: »Und genau das macht sie so unheimlich. Wenn ich bloß wüsste, warum ich vor Menschen erschrecke.«

Als alles Reden nichts half, wollte Sebastian seine Frau zwingen, mit ihm zusammen unter Menschen zu gehen. Doch er konnte es dann doch nicht ertragen, sie derart leiden zu sehen. Lilo versteckte sich und begann sich zu vernachlässigen. Sie machte sich nicht mehr hübsch, trug nur noch alte Kleider und ließ die Haare strähnig um den Kopf hängen. Nun konnte es keinen Zweifel mehr geben: Lilo war ernsthaft krank. Sie musste in psychiatrische Behandlung.

Die Diagnose lautete: Phobie. Zwangsneurose. Der Arzt erklärte seiner jungen Patientin, dass diese unbegründete, zwanghafte Angst ihre Ursache vermutlich in einem traumatischen Erlebnis der früheren Kindheit habe. Lilo musste immer wieder von ihren Kindheitserlebnissen erzählen.

Sie bekam beruhigende Medikamente. Doch nach zwei Jahren hatte sich so gut wie nichts geändert. Die Ursache der Angst blieb unentdeckt.

Weder Lilo noch der Psychiater konnten ahnen, dass sie nicht in der Kindheit hätten suchen sollen, sondern viel weiter zurück. Jahrhunderte weiter.

Lilo weigerte sich, die Behandlung fortzusetzen.

Das war der Zeitpunkt, als Sebastian von dem Münchner »Institut für Außerordentliche Psychologie« erfuhr, in dem eine ganz neue Methode praktiziert wird, eine Art Hypnose, in der das Leben vom gegenwärtigen Augenblick aus rückwärts aufgerollt wird, bis der Punkt gefunden ist, der die Angst auslöst. Ein Punkt, der möglicherweise vor der Geburt, in einem früheren Leben liegt.

Die Rückwanderung durch das bisherige Leben, durch die Kindheit, die Zeit im Mutterleib – über den Augenblick der Zeugung hinaus bis zu einem Zeitpunkt, da aus dem Dunkel plötzlich neue Erinnerungen auftauchen, ist keineswegs so ganz leicht und auf Anhieb zu schaffen. Frau Lilo Kohler brauchte 13 Sitzungen, rund 25 Stunden Hypnose, bis es endlich soweit war. Wie die meisten Patienten sperrte sie sich zunächst ganz entschieden gegen die Hypnose und war so verkrampft, dass es ihr unmöglich war, sich einfach fallen zu lassen. Der Hypnotiseur musste sie erst mit einem Entspannungstraining Schritt um Schritt vorbereiten.

Die Zeit existiert nicht mehr …

Doch dann kam der große Augenblick. Lilo Kohler lag ganz ruhig in dem bequemen Entspannungssessel. Vom Tonband kam leise elektronische Meditationsmusik. Die monotone Stimme des Hypnotiseurs lullte sie in die Hypnose: »Sie schlafen – ganz tief. Ganz fest. Ihr Schlaf wird immer tiefer – immer tiefer – immer tiefer wird Ihr Schlaf. Sie fühlen sich wohl. Ihr Körper ist entspannt. Sie atmen ruhig und gleichmäßig. Sie schlafen tief und fest. Tief und fest. Sie werden so lange schlafen, bis ich Ihnen den ausdrücklichen Befehl gebe aufzuwachen. So lange schlafen Sie tief und fest. Erst wenn ich den Befehl gebe aufzuwachen, werden Sie wieder Ihre Augen öffne/ι. Vorher nicht. Sie können im Schlaf alles hören, was ich Ihnen sage. Alles – Sie spüren jetzt, wie es wärmer wird, immer wärmer, immer wärmer. Es wird heiß – noch heißer – Sie beginnen zu schwitzen. Der Schweiß läuft Ihnen von der Stirne – Sie versuchen, sich Kühlung zu verschaffen – Jetzt wird es kühler, kühler und immer angenehmer. Jetzt fühlen Sie sich wohl – wunderbar wohl – Sie schlafen ganz tief, ganz fest. Wir gehen nun in Ihrem Leben zurück, die Zeit spielt für uns keine Rolle. Sie sind 20 Jahre alt. Wir gehen weiter. Jetzt sind Sie 15 Jahre – Sagen Sie, was Sie sehen!«

Lilo Kohler atmet schwer. Sie Stimme kommt zögernd, fast so wie die eines leicht Betrunkenen. »Ich gehe zur Schule – Es ist kalt –«

Der Hypnotiseur führt die Patientin immer weiter in die Kindheit zurück. Er lässt sie im Abstand von etwa fünf Jahren in zwei, drei Sätzen berichten, was sich gerade ereignet.

Dann taucht der Augenblick der Geburt auf, zwei, drei Eindrücke vom Leben im Mutterleib werden sichtbar. Und danach ist plötzlich nichts mehr da.

»Was sehen Sie jetzt?« fragt der Hypnotiseur.

»Nichts – Nichts«, kommt die Antwort. Lilo schüttelt den Kopf.

»Wir gehen noch weiter zurück. Können Sie etwas sehen?«

Wieder verneint Lilo Kohler. »Es ist alles dunkel.«

»Wir gehen so weit zurück, bis es hell wird. Immer weiter zurück. Sehen Sie etwas?«

Und dann ist der Augenblick gekommen, in dem die junge Frau, die auf der Liege des Psychotherapeuten liegt, plötzlich behauptet, nicht mehr Lilo Kohler zu sein, geboren am 11. Mai 1953 in Augsburg, sondern eine junge Französin. Sie lebt in diesem Augenblick – aber nicht in München, sondern in dem kleinen Dorf Beaufort. Und es ist jetzt auch nicht mehr der 4. Juni 1975, sondern der 19. Mai 1496. Das Fest der Himmelfahrt.

Aber beide, Lilo Kohler und die junge Französin, die vor fast 500 Jahren lebte, sind ein und dieselbe Person. Wenigstens sagt das Lilo Kohler. Alles, was die Zwanzigjährige vor so langer Zeit an jenem Feiertag vor der Kirche durchmachen musste, erlebt Lilo Kohler jetzt noch einmal. Sie windet sich auf der Liege, zittert vor Pein, wird abwechselnd rot und wachsbleich vor Scham. Ihr Gesicht ist angstverzerrt, schweißgebadet. Der Puls jagt. Die Stimme klingt gepresst. Die Worte kommen stockend, gehetzt, stoßweise, als würde tatsächlich alles genau in diesem Augenblick passieren:

So etwas vergisst man nie …

»Sie schneiden mir die Haare ab – Die Leute lachen mich aus – Ich mag das nicht, wie mich alle anstarren und auslachen – Ein alter Mann legt ein dickes Seil um meinen Hals – Er tut so, als ob er mich erwürgt, aufhängt – Er schlägt mich – Stößt mich vorwärts – Die Leute machen eine Gasse – Ich muss hindurch – Sie reißen mir die Kleider vom Leib – Ich schäme mich so – Ich habe nur noch das Hemd an – Halbnackt – Nein, ich bin ganz nackt – Nur ein Kettchen mit einem kleinen Herz hängt noch an meinem Hals – Und alle gaffen – Stoßen mich – Lachen – Ich muss hindurch – Ich renne, weg – Ich laufe – Laufe – Für mich wird es nur noch Schande geben – An meinem Körper wird immer etwas Schmutziges bleiben – Immer etwas hängenbleiben – Wenn man mich aufgehängt hätte, das wäre nicht so schlimm – So etwas ist viel schlimmer. Das trägt man immer mit sich herum. Vergisst man nie – Nie – Nie –«

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2013
ISBN (eBook)
9783942822244
DOI
10.3239/9783942822244
Dateigröße
1.3 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2013 (Februar)
Schlagworte
Hypnose Therapie Heilung durch Hypnose Vergangenheit Erinnern Wiedergeburt Heilung Kurt Allgeier Du hast schon einmal gelebt
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Titel: Du hast schon einmal gelebt
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